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§ 120.

C. Die rechtliche Stellung des Fremden zur Territorial. hoheit des Aufenthaltsstaates.

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Literatur und Verweisungen: Handbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 219 ff. Bb. II. S. 60 ff., 149 ff.; III. § 50 ff. Stobbe, Handb. des Deutschen Privatrechts I. S. 257 ff.Asser. Cohn, Das intern. Privatrecht, S. 20 ff. Bulmerincq, Völkerrecht, S. 253 ff. Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe. I. Bd., I. Buch. Mandry, Der civilrechtliche

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Inhalt der Reichsgesetze. 3. Aufl., § 4. 3orn, Staatsrecht des Deutschen
Reiches I. S. 260 ff.v. Holzendorff, Ausweisung" im Rechtslexicon.-
Heffter Geffden §§ 62 ff. Schlief, Verfassung der Nordamerik. Union,
G. 201 ff. Calvo II. § 226 Bonfils, Compétence contre les étran-
Carnazza Amari, Traité de droit international trad. par

gers.

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Der rein physische Anschluß eines Fremden an das diesseitige Staatsgebiet, also der Eintritt in die räumliche Machtsphäre eines fremdherrlichen Staates unterwirft den Eingetretenen nach übereinstimmender moderner Staatenpraxis der absoluten rechtlichen Herrschaft der Territorialgewalt. Es ergiebt sich dies unmittelbar aus der Natur des Staates selbst in der Weise, daß das Verhältniß ohne ausdrückliche und ausnahmsweise Bewilligung des Staates anders gestaltet gar nicht gedacht werden kann. Nur diejenige Auffassung, welche innerhalb des staatlichen Lebens den Aufbau des rechtlichen Verbandes von der Ver. tragstheorie abhängig macht, bedarf zur Erklärung der thatsächlich be. stehenden internationalen Verkehrsordnung der in der völkerrechtlichen Literatur vielfach gebrauchten Hülfsconstruction, die wir auch in der Formel Phillimore's antreffen: „that every individual who enters a foreign territory, binds himself, by a tacit contract, to obey the laws enacted in it for the maintenance of the good order and tranquillity of the realm" (a. a. D. II. ch. 2). Eintritt in den Staat heißt eben so viel wie Eintritt in die fremde Rechtsordnung, hier liegt das juristisch Wesentliche (essentiale negotii), nicht eine Bedingung des fraglichen Lebensverhältnisses.1)

Die Rechtsstellung des Fremden innerhalb dieser Rechtsordnung kann allerdings mannigfach abgestuft und bedingt sein und insbesondere ist seit den ältesten Tagen der Eintritt selbst in diese seitens des Staates von der Erfüllung zahlreicher für den Völkerrechtsverkehr ent scheidender Bedingungen abhängig gemacht worden. Ehe zur Betrachtung dieser, das Rechtverhältniß des Fremden charakterisirenden Punkte geschritten wird, sind einige allgemeine Erörterungen voraus zu schicken.

Je weiter wir den Blick von unserer verkehrsreichen Zeit ab und den älteren Perioden des staatlichen Lebens zuwenden, um so mehr verschwimmen die Umrisse des uns hier beschäftigenden Rechtsinstituts und umsomehr nähern wir uns dem Vorstellungskreise, in welchem die Fremdlingseigenschaft einen für die Existenz des Verbandsverhältnisses feindlichen oder zum mindesten bedrohenden Charakter annimmt. Das Stadium des unentwickelten oder noch gering ausgebildeten Verkehrslebens wird fast überall durch die exceptionelle Stellung erkennbar, die dem Fremden im Aufenthaltsstaate zu Theil wird. Ueberwiegen an der einen Stelle nationale und religiöse Differenzgründe, welche dem Fremden eine unterworfene oder untergeordnete — rechtlich geminderte — Stellung zuweisen (Peregrinenrecht Roms, Stellung der Christen im alten Koran. recht der mohamedanischen Staaten) oder ihn doch streng auf dem Boden seines eigenen nationalen Rechts erhalten (System der personalen Rechte); so treten dagegen an anderen Punkten wirthschaftliche Rücksichten in den Vordergrund, welche den Fremden mit Hülfe eines besonders günstigen Berufsrechts (Handels-, Wechsel-, Seerecht, Consularrecht 2c. für den mittelalterlichen Kaufmann) zum Verkehr veranlassen, oder durch die Aussicht auf eine dauernd begünstigte Rechtslage zur Einwanderung bestimmen sollen. (Verwaltungs-, Steuer- 2c. Privilegien der Sachsen in Siebenbürgen, der Deutschen in Rußland, Consularjurisdiction in den orientalischen Staaten 2c.)

In die Mannigfaltigkeit der isolirt neben einander nach verschie denen Stammes- und Berufsrechten lebenden Bevölkerungsgruppen bringt erst der große auf monarchischen Grundlagen ruhende Proceß der Terri torialbildung den Anstoß zu neuen Formen und Umgestaltungen. Die kleinen, durch Sprache und geschichtliches Leben, gleiche Sitte, Rechts- und Wirthschaftspflege geschaffenen localen Gemeinschaften werden nach Ueber. windung entgegentretender Kräfte (Kampf der Städte, der Ritter, Adelsherren, Landesherren) und im Verhältniß zum Wachsthum der Ver kehrsmittel zu größeren Territorien verbunden. Vom ausgebreiteten Studium und Gebrauche des Römischen Rechts getragen, dringt der Rythmus der Römischen Monarchie durch das Völkerleben Europas, bis hier endlich das von der aufsteigenden absoluten Monarchie erweckte politische Gesammtbewußtsein breiter Bevölkerungsschichten den Durchbruch der modernen Staatsidee, mit dem auf festem Staatsgebiete rechtlich ver bundenen Staatsvolke, vermittelt. Je schärfer die Ausprägung der leztern ist, um so bestimmtere Formen nimmt das Rechtsverhältniß des Staatsangehörigen an neben dem des Fremden, um so präciser lassen die beiden Rechtsfiguren innerhalb des Völkerverkehrs ihre Trennungslinien erkennen.

Mag nun auch jener Staatenbildungsproceß lange vor der an rechtsgeschichtlichen Wendepunkten reichen Epoche des siebzehnten Jahr. hunderts auf Europäischem Boden zum Abschlusse und zur vollen ge schichtlichen Wirksamkeit gelangt sein, so läßt sich doch nicht ein Gleiches von den Rechtsbegriffen der Staatsangehörigkeit und des Staatsbürgerrechts behaupten. Die Folge ist daher auch naturgemäß ein Schwanken,

eine völlige, in den Codificationen des achtzehnten Jahrhunderts nachweisbare und selbst bis in die Mitte des unsrigen reichende Unsicherheit im Rechtsbegriffe des „Fremden“. Und so wie wir oben (§ 116) hervor gehoben haben, daß erst die in den lezten Jahrzehnten in den meisten Culturstaaten vorgenommene Regelung und Neuregelung des Rechtes der Staatsangehörigkeit nach seinem Erwerbe und seinem Verluste fichere Grundlagen für die rechtliche Beurtheilung der Auswanderung im internationalen Verkehr geschaffen hat, so haben auch erst diese jüngsten Codi ficationen rechtliche Bestimmtheit darüber geschaffen, wer im Verhältniß zu einem gegebenen Staate als Angehöriger und wer als Fremder zu gelten hat.

Noch in der neuesten Auflage wird uns z. B. bei Heffter § 59 eine ganze Stufenfolge von Personen vorgeführt, als: eingewanderte Landsassen mit Domicil, volle Landsassiaten, in Militär-, Civil- und Schiffsdienst stehende Personen, subditi secundum quid, Forensen, sujets mixtes u. f. w., die unterschiedslos als „Staatsangehörige" bezeichnet, nicht erkennen lassen, wo die begriffliche Grenze zwischen Staatsangehörigkeit und Fremdenqualität zu suchen sei.) Festzuhalten ist demgegenüber, daß alle diese Unterschiede ihre Bedeutung für die völkerrechtliche Staatenordnung für den internationalen Verkehr der Culturstaaten verloren haben; derselbe erkennt als Ordnungsprincip, als einziges Gliederungsmittel für die rechtliche Organisation der Staatsbevölkerungen nur die Staatsangehörigkeit an. Diese ist entweder ganz vorhanden oder sie fehlt völlig,3) in welch' lezterem Falle dann das Individuum als Fremder der Territorialhoheit des Aufent haltsstaates gegenübersteht.

Ein Ueberblick über den ganzen Complex der hier in Betracht kommenden Rechtsprobleme läßt sich nur dann gewinnen, wenn wir die rechtliche Stellung des Fremden zur Staatsgewalt des Aufenthaltes nach fol. genden drei Richtungen hin in den Hauptgrundzügen einer Prüfung unterziehen:

1. Welche Rechtsumstände sind bestimmend für den Beginn jenes Rechtsverhältnisses?

2. Wie ist die Rechtslage der Fremden innerhalb der staatlichen Rechtsordnung beschaffen?

3. Wie endet das Verhältniß zwischen dem Fremden und der Territorialgewalt?

1. In Ansehung der ersten Frage ist daran festzuhalten, daß auch die moderne staatliche Rechtsordnung nicht aufgehört hat und niemals aufhören kann ein genossenschaftliches Verhältniß als Vorausseßung zu fordern; daß der Eintritt in diese Genossenschaft durch die höhere Verkehrsentwickelung unserer Zeit zwar beträchtlich erleichtert worden ist, daß aber dadurch nichts an der Grundthatsache geändert werden konnte, daß der Nichtgenosse eben nur als Gast dem Rechtskreise angehöre. Während daher das Staatsglied einen rechtlichen Anspruch darauf be sigt, im Staatsgebiete seinen Aufenthalt zu nehmen (Wohnrecht und Aufnahmepflicht), hängt es lediglich von dem freien Ermessen der Staats. gewalt ab, ob sie den Fremden als Gast bei sich aufnehmen will oder nicht.

Wenn Bluntschli a. a. D. meint, daß die ältere Lehre von der Souverainetät des Staates ausgehend daraus die Berechtigung der Staatsgewalt folgerte, alle Fremden auszuschließen, und dann implicite diese Lehre für veraltet erklärt, so hat er es völlig verabsäumt den urkundlichen Nachweis zu liefern für die eingetretene Aenderung innerhalb der Europäischen Staatenpraxis. Jedenfalls ist diese These, die natürlich wie unser ganzes Völkerrechtsleben unter den einschränkenden Potenzen des hoch entwickelten gegenseitigen Verkehrs und des auf Reciprocität fußenden Gewohnheits- und Vertragsrechts aufrecht besteht, weitaus consequenter und der Wirklichkeit entsprechender als die beiden von Bluntschli nebeneinander gestellten, wie Plus und Minus sich aufhebenden Lehrfäße:

und:

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Art. 381. Kein Staat ist berechtigt, den Fremden überhaupt die Betretung seines Gebiets zu untersagen und sein Land von dem allgemeinen Verkehr abzusperren."4)

"

Art. 382. Jeder Staat ist berechtigt, einzelnen Fremden aus Gründen sowohl des Rechts als der Politik den Eintritt zu untersagen."

Auf einem Umwege gelangt also auch Bluntschli troß des Vordersages zu der unvermeidlichen Consequenz, daß die erste Aufgabe eines jeden Staates die Selbsterhaltung ist, und daß es ein Erforderniß der Selbsterhaltung ist gegebenenfalls die Einwanderung zu verhindern, wenn anders dadurch das Bestehen oder die gedeihliche Entwickelung eines Gemeinwesens in Zweifel gestellt erscheint.

Von der Autonomie der örtlichen Staatsgewalt hängt es daher auch ab die Bedingungen zu bezeichnen, unter welchen der Eintritt in ihr Gebiet im Allgemeinen dem Fremden gestattet ist. Sie betreffen sowohl materielle Voraussetzungen (Selbstständigkeit im rechtlichen und wirthschaftlichen Sinne, Unbescholtenheit, Besiz von Wirthschafts-, Acker. baugeräthen 2c.), als formelle Leistungen (Vorweisung von Legitimationspapieren, Gesundheitspässen) 2c.)

Vollzieht sich die Zulassung des Fremden zumeist formlos durch einfache Duldung, so kennen einige Staaten (Frankreich, Bayern, Belgien 2c.) auch das Institut der formellen Duldungserklärung (autorisation à établir le domicile), welche allerdings dem Eintritt und dem Aufenthalte des Fremden im Staatsgebiete staatliche Sanction verleiht. Die Zu lassung kann sich übrigens auch als eine räumlich beschränkte darstellen, mit Confinationen, wie sie im Grenzverkehr zuweilen, den Angehörigen der Europäischen Staaten in Ostasien vielfach auferlegt werden.

Wie tastend und vorsichtig übrigens im Gebrauche dieses seines autonomen Rechtes der moderne Verkehrsstaat ist, geht am besten aus dem Verhalten hervor, welches die Vereinigten Staaten von Nordamerika in der Frage der Chinesen-Einwanderung beobachteten. Obwohl die in

den Jahren 1858 und 1859 mit China geschlossenen Verträge, wonach in jedem der beiden Länder den Angehörigen des Anderen freier Zuzug und Niederlassung gestattet wurde, allmählich zu einem die wirthschaft. liche Ordnung und den innern Frieden der Union gefährdenden Zustande geführt hatten, vermochte der im Jahre 1879 auf die völlige Aufhebung jener Verträge gerichtete, vom Congreß angenommene Gesezentwurf doch nicht zur Rechtskraft zu gelangen. Der Präsident hatte die unter lebhaftem Widerspruche durchgegangene Anti-Chinesen-Bill mit seinem Veto belegt und sie vermochte hierauf nicht die verfassungsmäßig erforderliche Zwei drittel-Majorität zu erlangen. Auch die seither auf eine zeitweilige (zehn. jährige) Suspension jener Einwanderungsfreiheit gerichteten Ges. v. 6. Mai 1882 und v. 5. Juli 1884 zeigen von dem schonenden Gebrauche, den der moderne Verkehrsstaat von seinem autonomen Rechte zu machen geneigt ist.6)

II. Was die materielle Rechtslage der in das Staatsgebiet mit oder ohne Autorisation eingetretenen Fremden betrifft, so ist eine prin cipielle Klarlegung aller dieselbe betreffenden Rechtsfragen an dieser Stelle unangebracht und unausführbar, weil sie alle Gebiete des Privatund öffentlichen Rechts umfassen müßte. Es können daher hier nur des systematischen Zusammenhanges wegen die hauptsächlichsten Rechtsgebiete berührt und in den Grundzügen die Stellung bezeichnet werden, welche das Völkerrecht in seiner gegenwärtigen Praxis dem Fremden innerhalb dieser Rechtsgebiete anweist.

Der Rechtslage des eigenen Staatsangehörigen völlig gleich ist die des Landesanwesenden Ausländers in Bezug auf die Strafrechtspflege. In Strafsachen wird der Fremde wegen der innerhalb des Staatsgebietes begangenen Handlungen in allen Staaten genau nach den Grundsäßen des territorialen Strafgesetzes beurtheilt, das Verfahren gegen ihn genau nach den Vorschriften des staatlichen Strafproceßrechts geführt.

Das Gegenbild zu dieser vollständigen Gleichstellung bietet das Rechtsgebiet des territorialen Staatsrechts, welches ebenso überein. stimmend überall den vollkommenen Ausschluß aller im Lande befindlichen Fremden vom Genusse der staatsbürgerlichen politischen Rechte enthält.

In den Rechtsgebieten des Privatrechts und des Civilverfahrens, welche noch bis vor Kurzem die zahlreichsten Beschränkungen der im Staatsgebiete anwesenden, ja sogar auch nicht im Staatsgebiete anwesenden (s. Frankreich) Fremden enthielten, vollzieht sich in unseren Tagen durch: Parallelgeseßgebung, Handelsverträge, Verträge zur Er. leichterung der Form der Eheschließung, zur Gewährung der Rechts. hülfe, zur Execution fremdländischer Urtheile, Bewilligung des Armenrechts zc. eine weitreichende Aufhebung der innerhalb einzelner Rechtssysteme zu Ungunsten des Fremden noch bestehenden Unterschiede in der Richtung einer möglichst dem Verkehrsbedürfnisse entsprechenden Gleichstellung aller Staatsbewohner.) Dieselbe ist zumeist abhängig gemacht von dem unser ganzes Vertrags- und Verkehrsrecht durchdringenden großen regulatorischen Gesez der Reciprocität unter dem Vorbehalt des Handbuch des Völkerrechts II.

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