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Retorsionsrechts. Allgem. Preuß. Landrecht, Einl. §§ 41-43; Defter. bürg. Gesetzbuch § 33; beschränkt im Art. 11 des Code Napoléon. Der Französische Gesetzgeber betrachtet den Genuß der bürgerlichen Rechte noch als eine große Gunst, die man Ausländern nicht gewährt, ohne die Garantie, daß der eigene Landgenosse in dem betreffenden fremden Lande dieselbe Begünstigung erfährt. Er bestimmt deshalb: „Der Ausländer soll in Frankreich die bürgerlichen Rechte genießen, welche dem Franzosen im Auslande durch Tractat gesichert sind.")

Der Holländische Gesetzgeber von 1838 hat diesen beschränkten Standpunkt schon verlassen: nicht als Gunst, sondern als Recht wird dort dem Ausländer der Genuß der bürgerlichen Rechte zuerkannt, ohne daß die Gegenseitigkeit zur Bedingung gemacht wird. Nur insofern huldigt er noch der früheren Anschauung, daß er sich die Befugniß, Ausnahmen festzustellen, ausdrücklich vorbehält. Seine Vorschrift im Art. 9 wet houdende algem. bepalingen lautet: Das bürgerliche Recht ist dasselbe für Ausländer wie für Holländer, sofern das Gesetz nicht das Gegentheil bestimmt."

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Zum vollkommensten Ausdruck hat der Italienische Gesetzgeber von 1866 die Idee der Rechtsgleichheit gebracht, denn er bestimmt einfach Buch 1, Art. 3 des Jtal. Geseßb.: „Der Ausländer genießt gleiche bür. gerliche Rechte, wie der Staatsbürger", ohne diese Concession von der Forderung der Reciprocität abhängig zu machen.

Das Nähere hierüber fällt theils in das Gebiet des internationalen Privatrechts, theils in den Rahmen einer dogmatischen Verwerthung des zur Zeit reich angehäuften Quellenmaterials über Freundschafts-, Handels,, Schifffahrts, Rechtshilfeverträge u. s. w.

Für die Rechtsstellung des Fremden innerhalb des Rechtsgebietes der staatlichen Verwaltung ist das Maß des Principiellen noch nicht gefunden; einheitliche das Völkerleben durchziehende Grundsäge sind mit Sicher. heit nur schwer erkennbar. Als feststehend kann nur angenommen werden, daß soweit die Territorialgewalt für die Zwecke der innern Wohlfahrtspflege, Cultur, Sicherheits- und Gesundheitspolizei, Bevölkerungscontrole (Standesregister), Armenpflege 2c. den eigenen Staatsangehörigen gewisse Leistungen und Unterlassungen zur Pflicht macht, diese ipso jure auch den im Staatsgebiete befindlichen Fremden zur Last fallen, daß sich diese daher den staatlichen Normen zwingender Natur gegenüber nur auf territorial. rechtliche Ausnahmen, Privilegien aber nicht im Widerspruch zum Landes. gesez auf Personalstatuten berufen können. Dagegen kommen auch dem Fremden die Vortheile dieser staatlichen Verwaltungszweige im vollen Umfange zu statten. Siehe z. B. über die obligatorische öffentliche Unterstützung hülfsbedürftiger Ausländer § 60 des Deutschen Reichsges. vom 6. Juni 1870.

Im Uebrigen gilt auch hier das Princip: In Ansehung aller rechtlich relevanten Lebensverhältnisse, hinsichtlich welcher weder die volle active und passive Gleichstellung des Fremden mit dem Inländer, noch die

Aufstellung besonderer, die Verhältnisse des Erstern betreffender, gesetzlicher Normen erfolgt ist, tritt für den Fremden die subsidiäre Wirksamkeit seines heimathlichen Rechtes ein.

Das Handels und Gewerbebetriebsrecht bildet regelmäßig einen durch die Staatsverträge sorgfältig berücksichtigten, häufigst auf dem Fuße der „Meistbegünstigung" geregelten Punkt.) Zweifelhaft bleibt aber dabei, in welchem Umfange den so vertragsrechtlich Be günstigten der Schuß der Verwaltungsrechtsprechung innerhalb der staatlichen Verwaltung zu statten kommt. In den Gebieten des Vereins-, Versammlungs- und Preßrechts unterliegen die Fremden wegen der in den einschlägigen Rechtsverhältnissen vorwiegenden politischen Momente mehrfachen Beschränkungen gegenüber dem Inländer, mit dem sie aber wieder völlig gleichbehandelt werden in Ansehung der Forderungen der staatlichen Finanzhoheit. Es ist einleuchtend, daß mit der vor. schreitenden, rechtlichen Assimilirung des Fremden demselben auch die volle Beitragspflicht obliegt zur Deckung der Bedürfnisse der Gemeinschaft, unter deren rechtlichem Schuße er lebt. Es wäre im andern Falle gar nicht abzusehen, aus welchem Grunde dem Fremden eine Begünstigung von so großer wirthschaftlicher Bedeutung zu Theil werden sollte vor dem einheimischen Bürger, welcher dadurch man denke nur an Gewerbe-, Wohnungs-, Gehülfensteuer 2c., an die Krankenkassen-, Unfalls-, Berufsgenossenschaftsbeiträge 2c. in die ungünstigsten Mitbewerbungs. bedingungen gegenüber dem Fremden versezt würde.10) Der Grundsag von der gleichmäßigen Abgabenpflicht ist denn auch vollinhaltlich von der Staatenpraxis recipirt und in zahlreichen Verträgen zur ausdrücklichen Formulirung gelangt. Dagegen hat sich erst allmählich die Erkenntniß Bahn gebrochen, daß die Leistung des Militärdienstes ein Amtsdienst streng politischer Natur sei und daher sowohl als Recht wie als Pflicht nur Staatsangehörigen, nicht aber Fremden zustehen könne. Für die Europäischen Staaten ist die Aufrechterhaltung dieses Principes regelmäßig durch das staatliche Militärgeseß gesichert11); da wo dies nicht mit Sicherheit zu erwarten ist, wird die Frage in Handels- 2c. Verträgen einer bestimmten Lösung zugeführt. So enthält beispielsweise der zwischen dem Deutschen Reich und der Dominicanischen Republik am 30. Januar 1885 abgeschlossene Vertrag die mutatis mutandis auch in vielen anderen Verträgen gleichlautende Verabredung:

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Art. 7. Die Deutschen in der Dominicanischen Republik und die Dominicaner in Deutschland sollen befreit sein sowohl von allen persön lichen Diensten im Heere oder in der Marine, in der Landwehr oder in der Nationalgarde, als auch von der Verpflichtung, politische, administrative und richterliche Aemter zu übernehmen, sowie von außerordentlichen Kriegscontributionen, gezwungenen Anleihen, militärischen Requisitionen oder Dienstleistungen jeglicher Art. Ueberdies können sie in allen Fällen rückfichtlich ihres beweglichen und unbeweglichen Vermögens keinen anderen Lasten, Abgaben und Auflagen unterworfen werden, als denen, welche

von den Landesangehörigen und von den Angehörigen der meistbegünstig ten Nation verlangt werden. (Martens N. R. G. II. Sér. T. XI.) 12) III. Das Rechtsverhältniß zwischen der fremden und der dies. seitigen Staatsgewalt endet, sobald die constitutiven Elemente desselben: das Verweilen des Fremden in der räumlichen Machtsphäre des Staates, oder des leztern auf die Fortdauer dieses Duldungsverhältnisses ge= richteter Wille, wegfällt. Lassen wir den oben bereits betrachteten Fall außer Ansaz, daß der Fremde durch Naturalisation im Aufenthaltsstaate seine bisherige Rechtslage verändert, so ergiebt sich, daß die Eingangs erwähnte Rechtsrelation thatsächlich nur durch die Entfernung der in das Staatsgebiet eingetretenen Person aus demselben gelöst werden kann. Diese Entfernung kann aber entsprechend der Zweiseitigkeit des Grundverhältnisses entweder eine freiwillige oder eine zwangsweise sein.

Die freiwillige Entfernung steht dem Eingewanderten allezeit frei, keinerlei staatsrechtliches Band fesselt ihn dauernd an die Gemeinschaft; gleichwohl wird aber auch hier dem Staate das Recht zuerkannt werden müssen, in analoger Weise wie bei der Auswanderung der eigenen Staatsangehörigen auch den Fremden vorher zur Erfüllung fälliger Ver. bindlichkeiten (Steuern, Rückerstattung von Armen- oder Krankenunterstügungen im Regreßwege, Strafgelder 2c.) anzuhalten.

Die zwangsweise Entfernung ist entweder
a) Auslieferung oder

b) Ausweisung.

Im Grunde genommen ist auch die Auslieferung Ausweisung, aber mit juristisch besonders qualificirtem Charakter; während sie nämlich immer zugleich auch mag man sie nun als Act der Rechtshilfe oder als Act der Strafrechtspflege ansehen das Rechtsleben eines oder mehrerer anderer Staaten im Auge hat, verfolgt der Staat bei Vornahme der administrativen Ausweisung lediglich seine individuellen Zwecke, er wird ohne völkerrechtliche Beziehung zu irgend einem anderen staatlichen Verbande blos in einer Richtung seiner staatlichen Bedürfnisse thätig.

Gehen wir hier an eine nähere Betrachtung des juristischen Fragen. kreises, der mit der Ausweisung zusammenhängt, so muß zunächst hin= sichtlich der Frage ihrer Zulässigkeit betont werden, daß dieselben auf genau demselben principiellen Untergrunde ruht, wie das Recht der Ab. weisung. So wie kein Fremder nach übereinstimmender Anschauung der im Völkerverkehre stehenden Staaten einen Anspruch darauf hat, ins Gebiet eingelassen zu werden, ebenso hat auch kein Fremder ein Recht darauf, daß ihm die Regierung eines fremden Staates den dauernden Aufenthalt in demselben gestatte. Die Verweigerung mag nach allen Beziehungen hin den Charakter der Strenge, der Unbilligkeit an sich tragen, sie kann in keinem Falle formell unrecht genannt werden. Die im einzelnen Falle oder im ausgedehnten Maße betriebene Verlegung der comitas gentium kann nur dem Heimathstaate des Betheiligten An

Laß bieten, die Beschränkung des friedensrechtlichen internationalen Verkehrs zu rügen und äußersten Falles mit dem Rechtsmittel der Retorfion wider die Unterthanen des aggressiv gewordenen Staates vorzugehen, aber an der Berechtigung des Staates Ausweisungen in kleinerem und größerem Umfange in Friedens. wie in Kriegszeiten zu verfügen, kann nicht gezweifelt werden.

Zuzugeben ist weiter, daß die Regierung, welche Ausländer in größerer Zahl, troß aufrecht bestehender, den Verkehr beider Staaten regelnder Verträge ausweist, der betheiligten auswärtigen Regierung Auskunft schuldet über die Gründe der verfügten Maßregel. Als ausreichende Rechtfertigungen bezeichnet von Holzendorff (a. a. D. S. 146): die Gefährdung der äußeren Sicherheit, die Abwehr eines vom Auslande begangenen Unrechts im Wege der Repressalie, die Besorgniß einer von den ausgewiesenen Fremden drohenden Störung der Rechts- und Staats. ordnung, Schädigung wohlbegründeter Staatsinteressen durch die Aus. gewiesenen ohne daß deren Verlegung in den Strafgesezen geradezu ver= boten zu sein brauchte".

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Wenn es auch bisher an einer geseßlichen Regelung dieser Materie fast überall fehlt, wesentlich wohl deshalb, weil auch eine solche Codi. fication kaum alle Anwendungsfälle der administrativen Maßregel erschöpfend specialisiren könnte, 18) so giebt uns doch die Staatenpraxis Ge legenheit, um einige in dieser Frage sie leitende Gesichtspunkte erkennen zu lassen.

Was zunächst den rechtlichen Inhalt und Umfang des Ausweisungsbefehls betrifft, so enthält derselbe ein Gebietsverbot, das sich nur auf die Person des bezeichneten Fremden und nicht nothwendig auch auf dessen Familienglieder erstreckt. Dasselbe ist überall zeitlich unbeschränkt und zu seiner Durchführung an eine meist nur kurze Frist gebunden.

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Wenn die Ausweisung nicht im Wege richterlichen Urtheils ausgesprochen wird (wie z. B. in den Niederlanden, in Desterreich als noth wendige Straffolge bei Verurtheilung eines Ausländers), erfolgt die Verfügung derselben durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörden; als Retorsionsmaßregel und Repressalie immer nur vom Juhaber der obersten Regierungsgewalt. Festzuhalten ist aber dabei stets, daß die Ausweisung an sich mögen die mit ihrer Verhängung nothwendig verbundenen Störungen und Schädigungen noch so empfindlich sein keinen Straf Charakter trägt, fie bildet keine Vorstrafe", weil der Aufenthalt im Staatsgebiete für den Fremden bis dahin kein Delict, also auch nicht strafbar war, er wird es erst nach erfolgtem Gebietsverbot. (Reversion, § 361 des Deutschen R.-St.-G.; § 323 des Desterreichischen St.-G.-B., Art. 6 des Belgischen Gesezes vom 6. Febr. 1885 c.14)

Die geseßmäßige Voraussetzung der Ausweisung ist, daß der Fremde innerhalb des Staatsgebietes ein Wohnrecht wie der eigene Staatsangehörige nicht besigt. Wo diese Vorbedingung im System des nationalen Rechts jedoch fehlt, wo also der Aufenthalt des Fremden unter

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gesetzlichen Cautelen steht, da ist naturgemäß auch die staatliche Ausweisungsbefugniß dem Fremden gegenüber eine beschränktere. In sehr umfassendem Maße ist dies z. B der Fall in Belgien. Das oben citirte Geset über die Fremden vom 6. Februar 1885 bestimmt hierüber, nach einem generellen Ausspruche über das dem Staate zustehende Recht die Fremden auszuweisen (Art. 1) im

Art. 2. Les dispositions de l'article précédent ne pourront être appliquées aux étrangers qui se trouvent dans un des cas suivants, pourvu que la nation à laquelle ils appartiennent soit en paix avec la Belgique:

1o A l'étranger autorisé à établir son domicile dans le royaume; 2o A l'étranger marié avec une femme belge dont il a un ou plusieurs enfants nés en Belgique pendant sa résidance dans le pays; 3o A l'étranger décoré de la Croix de fer;

4o A l'étranger qui, marié avec une femme belge, a fixé sa résidence en Belgique depuis plus de cinq ans et a continué à y résider d'une manière permanente;

5o A l'individu né en Belgique d'un étranger et qui y réside, lorsqu'il se trouve dans le delai d'option prévu par l'article 9 du Code civil.

Die lettere, dem Code entnommene hindernde Einrede gegen die Ausweisung findet sich auch in Frankreich, Italien, Niederlande 2c. Die neben dem Indigenat als selbstständige Rechtsfigur erscheinende „Unter thanschaft" verleiht dem Fremden in Dänemark Wohnrecht schon nach zweijährigem Aufenthalte mit der Wirkung, daß Ausweisung oder Auslieferung gegen ihn nicht in Anwendung gebracht werden können. (Geset vom 15. Mai 1875.)15) Außerdem ist das Verfahren bei Ausweisungen von Angehörigen zwischen mehreren Staaten: Frankreich, Bayern, Desterreich, Italien, Schweiz, Niederlande 2c. in einzelnen Abmachungen amtlich geregelt worden16). Daß Ausweisungen in Friedenszeiten in unseren Tagen häufiger in Anwendung gelangen als dies früher der Fall gewesen, ist eine unerwiesene Behauptung. Sollte aber auch für dieselbe der statistische Nachweis erbracht werden können, so ist hierbei ein Doppeltes zu beachten. Zunächst, daß diese Correctur der von den Staaten zumeist ohne ernstliche Beschränkung gestatteten Einwanderung jezt um so nothwendiger geworden ist, als fast überall die früher zulässige Er= sizung der Staatsangehörigkeit geseßlich aufgehoben worden ist. Die Bevölkerungsordnung mit ihrem Grundprinzip: daß die dauernden Bewohner des Staates auch wirklich Staatsangehörige seien, ist dadurch in weit höherem Maße empfindlichen Störungen unterworfen, als in irgend einer früheren Epoche. Zum Andern darf aber auch nicht über. sehen werden, daß sich gerade unter dem Schuße jener weitreichenden Duldung der Einwanderung vielfach solche Verschiebungen in den Natio= nalitätsverhältnissen der Bevölkerung vollziehen können, daß der Staat aller. dings in die Nöthigung gelangen kann, von jener Maßregel zur Erhaltung seiner nationalen Eigenart rechtlich geregelten Gebrauch zu machen.

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