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directe Einwirkung der staatlichen Gewalt auf die Person des Exterritorialen rechtlich verhindert wird.

Wenn Zorn dem gegenüber die These vertritt, daß die ganze Rechtsordnung des Empfangsstaates, soweit sie zwingendes Recht ent hält, principiell auch für die Exterritorialen (Gesandten) verbindlich betrachtet werden müsse, und daß der Empfangsstaat nur auf jede Möglichkeit verzichte, die Vorschriften seiner Rechtsordnung gegenüber diesen Personen mit seinen eigenen Mitteln zu erzwingen, so kommt er mit den Grundlagen seiner eigenen Lehre in einen unlösbaren Widerspruch. Wenn ihm der Zwang als das unerläßlichste, constitutive Moment des Rechts erscheint bis zu dem Grade, daß er den Monarchen juristisch nicht an die Rechtsordnung gebunden erachtet, weil ein Rechtszwang gegen diesen nicht gedacht werden kann (a. a. D. S. 117), so ist doch nicht abzusehen, wie dieses unerzwing. liche Recht nun doch "Recht“ geblieben sein soll, warum gerade der Exterritoriale als derselben Rechtsordnung unterworfen gelten sollte, obwohl auch gegen ihn ein Rechtszwang nicht stattfinden darf. Zorn's Hinweis, daß die Rechtsordnung des Empfangsstaates für den Gesandten und sein Personal zwar lex sei, sed lex imperfecta (S. 113) ist weniger eine Erklärung als vielmehr selbst der Erklärung bedürftig. Mit ebensoviel zureichendem Grunde könnte gegen Zorn geltend gemacht werden, daß gerade Derjenige, der selbst das Recht giebt, unter dem Geseze stehend gedacht werden könnte, während Derjenige, für welchen das Gesetz nicht geschaffen ist, der sich nur unter der Vorausseßung in das diesseitige Staatsgebiet begeben hat, daß er hier nicht unter das Richtmaß des territorialen Rechts tritt als von seiner Geltung ausgenommen angesehen werden kann.

Uebrigens ist zu bemerken, daß die Frage in dieser Allgemeinheit überhaupt nicht lösbar ist, daß der Umfang der Exemtion als eine rechts. geschichtliche Thatsache erst nach den gewohnheits-, gesehes- und vertragsrechtlichen Vorschriften in den einzelnen Staaten bestimmt werden kann, daß aber das Exterritorialitätsinstitut in seinen wichtigsten essentiellen Grundlagen von allen, völkerrechtlichen Verkehr pflegenden Staaten an erkannt wird, und daß diese Staaten bei Uebung und Aufrechterhaltung desselben nicht mehr und nicht minder durch moralisch-politische Pflichten" (Zorn) und Erwägungen geleitet werden, wie etwa bei der Festhaltung der Rechtsinstitute des Privateigenthums, der Monogamie und aller anderen Grundbestandtheile unserer Europäischen Cultur- und Rechtsordnung.)

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Suchen wir nach der juristischen Begründung der in der Exterritorialität liegenden theilweisen Selbstverneinung der Territorialgewalt, so finden wir dieselbe in der aus dem unentbehrlichen Verkehrsbedürfniß hervorgehenden Nothwendigkeit die fremde Staatsgewalt auf diesseitigem Staatsgebiete wirksam werden zu lassen, gegen die ausdrücklich oder still. schweigend dafür gewonnene Befugniß der diesseitigen Staatsgewalt im jenseitigen Staatsgebiete in gleichem Umfange amtlich thätig werden zu können.

Handbuch des Völkerrechts II.

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Die bezeichnete Ausnahmsstellung wird dem Einzelnen nur kraft eines amtlichen Charakters zu Theil, so daß wir sagen können: Exterritoriale sind niemals Privatpersonen im gebräuchlichen Einne dieses Wortes, und umgekehrt: Privatpersonen sind niemals exterritorial. Die Kategorien von amtlich qualificirten Personen, welche nun im Laufe einer vieltausendjährigen rechtsgeschichtlichen Entwicklung dieser eximirten Rechtsstellung im fremden Lande theilhaftig wurden, find:

a) Monarchen, Souveräne; also die regierenden Oberhäupter monarchisch organisirter Staaten, mag deren Titel ein kaiserlicher, königlicher oder sonstwie beschaffen sein, ohne Rück. sicht auf den materiellen Umfang ihrer verfassungsmäßigen Regierungsrechte; 4)

b) Diejenigen Organe der Staatsgewalten, welche die internatio nalen rechtlichen Beziehungen der Staaten amtlich wahrzunehmen und zu pflegen berufen sind;

c) Kriegsschiffe und Truppen auf fremden See und Staatsgebieten.

a. Die Exterritorialität der im Friedensstande auf fremdem Staatsgebiete sich aufhaltenden Souveräne empfängt ihre Rechtfertigung und Erklärung aus der Thatsache, daß der Monarch der principiell dauernde, oberste, amtliche Repräsentant, der persönliche Träger der Souveränetät seines Staates ist. Als oberster Functionär desselben ist er gewissermaßen immer im Dienst", der Charakter der Staatlichkeit" ist ihm daher so lange innewohnend, als er thatsächlich Inhaber der obersten Regierungsgewalt (King in fact, actually King etc.) ist. Alles, was die Theorie bisher mit großer Einseitigkeit lediglich von den Gesandten behauptet hat: sie befinden sich im fremden Lande, um dort Functionen der Staatsgewalt auszuüben, sie bilden ein Stück des fremdstaatlichen Imperiums u. f. w., gilt in noch größerer Schärfe von den monarchischen Staatshäuptern selbst, in denen wir zweifellos auch die rechtsgeschichtlich ältesten internationalen Repräsentanten der Staaten und Völker erkennen müssen. Daß die praktische Ausbildung des selbstständigen Gesandtschaftsinstituts an diesem ursprünglichen, monarchischen „jus repraesentationis omnimodo", wie es vielfach bezeichnet zu werden pflegt, nichts geändert hat und nichts ändern konnte, lehrt ein Blick auf die Anfänge des völkerrecht. lichen Verkehrslebens bei den auf niedriger Culturstufe stehenden Volks stämmen) und lehrt die Vergleichung der hier gewonnenen Erkenntniß, daß der gesammte auswärtige Verkehr dieser gering entwickelten Gemeinwesen in Verhandlungen, Vertragsabschlüssen 2c. unmittelbar durch die Person ihrer Oberhäupter erfolgt, mit der anderen zweifellosen Thatsache, daß die Souveräne der auf höchster Culturstufe stehenden Staaten bei besonders entscheidenden Anläßen - Congressen, Conferenzen, Entrepersönlich in den internationalen Verkehr eingreifen. In diesen Fällen treten dann an die Stelle der Vertreter der persönlichen Träger der

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Staatsgewalt diese letteren selbst, selbstverständlich mit all den Rechten und Vortheilen, die den ersteren regelmäßig zu Theil werden. Die amtliche Qualification des Souveräns bedarf jedoch keines urkundlichen Nachweises (Creditive, Legitimation), da seiner hervorragenden Stellung das im Wesen der internationalen Staatsvertretung liegende unerläßliche Erforderniß der Publicität innewohnt) und seinen Amtshandlungen daher auch formale Authenticität zukommt; wie weit aber zugleich materielle Legalität, entscheidet sich nach dem innern Rechte des von ihm beherrschten Staates. Eine weitere Folge dieses Sach. verhaltes ist es, daß der Monarch im fremden Staatsgebiete aber auch dann der Vortheile der Exterritorialität theilhaftig wird, wenn er dort nicht aus. drücklich zum Zwecke der Vornahme von Regierungshandlungen weilt, denn sein dauernder amtlicher Charakter kann jederzeit wirk sam werden und demnach jener traditionellen, zum Schuße des internationalen Verkehrs dienenden Rechtseinrichtung bedürfen.7)

Die Exterritorialität als Durchbrechung der normalen staatlichen Rechtsordnung ist jedoch auch in ihrer Geltung für fremde Souveräne von der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bewilligung des Aufenthaltsstaates abhängig; es erscheint daher als juristisch durchaus begründet, die locale Exemtion der fremden Souveräne von den Voraussetzungen abhängig zu erklären: 1) daß der in das Staatsgebiet eingetretene Fürst auch thatsächlich von Seiten der Territorialstaatsgewalt als Träger der obersten Regierungsrechte eines befreundeten (d. h. mit ihr nicht im Kriegszustande befindlichen) Staates anerkannt sei; 2) daß diesem der Eintritt in das fremde Staatsgebiet oder der fernere Aufenthalt in demselben nicht ausdrücklich untersagt worden sei; 3) daß er nicht im effectiven Dienst des Aufenthaltsstaates stehe, da er dadurch allerdings der dortigen Staatsgewalt, deren Gefeßen und Behörden unterworfen wird. Die im höfischen Verkehr üblich gewordene Verleihung mili tärischer Ehrenstellen fällt jedoch nicht unter diesen letzten Gesichtspunkt.

Die Befreiung von der staatlichen Jurisdiction reicht soweit wie der amtliche Charakter des Eximirten, sobald letterer aufhört, findet auch erstere ihr Ende. Wo dieses Princip gewohnheitsrechtlich oder kraft positiven Ausspruches des Gesetzes geltendes Recht in Ansehung der fremdländischen Gesandtschaften ist, da kann ein begründeter Zweifel über die Rechtslage der obersten und unmittelbaren Repräsentanten der fremden Staaten kaum entstehen. So erscheint es zweifellos, daß innerhalb des Deutschen Reichsrechts die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877:

§ 18. Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesstaate beglaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Bundesrathes, welche nicht von demjenigen

Staate abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Bundesrath seinen
Siz hat.

§ 19. Auf die Familienglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 erwähnten Personen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Be stimmungen Anwendung.

§ 20. Durch die Bestimmungen der §§ 18, 19 werden die Vorschriften über den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand ®) in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nicht berührt;

diejenige Grenze bezeichnen, unter welche jedenfalls nicht gegangen werden kann, bei Charakterisirung der den fremden Souveränen im Deutschen Reiche gesicherten Rechtslage. Daß die leztere überdies durch Acte der internationalen Courtoisie, in monarchischen Staaten durch höfischen Gebrauch, noch reicher ausgestattet zu werden pflegt, hat nach der Natur der hier in Betracht kommenden local vielfach verschiedenen Herkommen (Ceremonielle) für die juristische Seite des Verhältnisses regelmäßig keine Relevanz.

Als feststehend kann noch angenommen werden, daß freiwillige Unterwerfung die jurisdictionelle Exemtion aufhebt, und daß die Anstrengung einer Klage vor diesseitigem Gerichte seitens eines Exterritorialen für den leztern die rechtliche Folge hat, daß er sich der Proceß ordnung des anerkannten Gerichtes fügen muß, ohne weitere Privilegien für sich in Anspruch zu nehmen. ,,Die Exterritorialen, sagt Westlake. (Holzendorff), die in England als Kläger auftreten, sind ebenso wie juristische Personen oder Private gehalten, dem Verklagten in allen seinen Prozeßrechten Genüge zu thun, sich auf Gegenklagen und Gegenansprüche einzulassen." Nach Deutschem Reichsrechte besteht dieser im forum reconventionis liegende Zwang sicherlich nicht, da die Exterritorialität von der Unterwerfung unter jeden Gerichtsstand, speciellen so gut wie allgemeinen mit Vorbehalt des dinglichen befreit; der Exterritoriale braucht sich daher mangels ausdrücklicher landesgeseßlicher Norm auf die Widerklage nicht einzulassen, weil dieselbe eben eine Klage ist, und alle Gründe, welche gegen die Zulassung von solchen sprechen, auch vollinhaltlich auf jene passen.

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Im Allgemeinen muß eben daran festgehalten werden, daß, die staatliche Bewilligung vorausgesezt, die Exterritorialität für die rechtlich dazu qualifizierten Personen die Regel ausmacht, und daß dieser Regel gegenüber nach allgemeinen Rechtsgrundsäßen Ausnahmen strictissime interpretirt werden müssen. Sie umfaßt daher innerhalb der geltenden Staatenpraxis auch die in Begleitung des Souveräns befindlichen Fa. miliengenossen, Beamten und Diener des Gefolges („Uniform und Livrée") regelmäßig mit den oben innerhalb des Deutschen Reichsrechts (§ 19 des Gerichtsverfassungsgeseßes) wirksam bezeichneten Einschränkungen. Doch wird gerade in Ansehung der durch ihre persönliche Beziehung zum fremdländischen Souverän besonders qualifizirten Personen - Thron

folger, Regenten, Prinz. Consorts 2c., welche für sich die materiellen Erfordernisse nicht besißen, deren Innehabung conventionell den Anspruch auf die Vorrechte der Erterritorialität begründet, die Jurisdictions. befreiung doch aus Courtoisie in weiterem Maße geübt, als es die rechtliche Consequenz des Princips fordert.

b. Im Unterschiede zu den im Vorstehenden behandelten, mit sachlich und räumlich unbeschränkter Repräsentationscompetenz ausgestatteten Oberhäuptern monarchischer Staaten durchbrechen die diplomatischen Ver. treter eines fremden Staates das Princip der territorialen Herrschaftsbefugniß des Aufenthaltsstaates nur dann, wenn ihnen ihr diplomatischer Amtscharakter in diesem Staatsgebiete zuerkannt wird (Annahmeerklärung) und strengrechtlich erst nach erfolgtem Amtsantritte, also nach Entgegennahme des Creditivs seitens des besendeten Staatsoberhauptes. Die Billigkeitsrücksicht, für den Gesandten während der kurzen Frist, die gewöhnlich zwischen der Anfunft und der Empfangnahme liegt, nicht ein anderes Recht gelten zu lassen, als nach dieser Zeit, führt aber dazu, den Beginn der Exterritorialität für den Gesandten, wie für sein fremdstaatliches Gefolge, auf den Moment zu verlegen, wo der Gesandte in das Land des besendeten Staates eintritt. Aber das Recht erstreckt sich nicht über dieses Gebiet hinaus, in Ansehung eines dritten Staates wohnt seinem Amtscharakter nicht die die territoriale Rechtsordnung durchbrechende Kraft inne.

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Was wir oben über den die Exemtion begründenden Amtscharakter der Exterritorialen gesagt haben, hat daher auch für diejenigen Organe der Staatsgewalten Geltung, welche die internationalen rechtlichen Beziehungen der Staaten kraft speciellen Amtsauftrages wahrzunehmen und zu pflegen berufen sind. Die fachliche Literatur und der gewöhnliche Sprachgebrauch, sie bezeichneten diese Personen bisher regelmäßig mit dem Ausdrucke Diplomaten" und erblickten nur in diesen die exterri torialen Functionäre des fremden Staates. Die Verkehrsentwickelung unserer Zeit hat uns jedoch gelehrt, daß diese Auffassung entschieden zu eng ist. Da zudem die rechtlichen Verhältnisse der diplomatischen Personen in den besonderen Abschnitten über das Gesandtschafts- und Consularrecht (Bd. III. Stück 23. 24.) zur speciellen Erörterung gelangen, können wir hier auf jene eigenthümlichen Durchbrechungen des Territorialitätsprincipes eingehen, welche, mit dem gewöhnlichen Verkehr der Personen verglichen, als anormal sich zu Gunsten gewisser Personen ausgebildet haben, die weder in die Gruppe der Gesandten im weitesten Wortsinne, noch in die der Consuln fallen.

Der durch die reich entwickelte Verwaltungsthätigkeit der Staaten mehr als zu irgend einer früheren Zeit gestiegene rechtliche Zusammenhang derselben, ihr solidarisches Zusammenwirken zur Ausführung eigener Verwaltungsaufgaben und übertragener Functionen der großen internationalen Staatenvereine drängen die Erkenntniß auf, daß nicht nur die eigentlichen, bei den Regierungen der einzelnen Staaten accreditirten, zur dauernden Ausübung staatlichen Imperiums befugten Beamte, sondern daß alle Functionäre des fremden Staates, welche mit

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