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§ 62a. Erfolgt die Anrufung nur von einer Seite, so soll der Vorsitzende dem anderen Teile oder dessen Stellvertretern oder Beauftragten Kenntnis geben und zugleich nach Möglichkeit dahin wirken, dass auch dieser Teil sich zur Anrufung des Einigungsamtes bereit findet.

§ 62b. Auch in anderen Fällen soll der Vorsitzende bei Streitigkeiten der im § 61 bezeichneten Art auf die Anrufung des Einigungsamtes hinzuwirken suchen und dieselbe den Beteiligten bei geeigneter Veranlassung nahelegen.

§ 62c. Der Vorsitzende ist befugt, zur Einleitung der Verhandlung und in deren Verlauf an den Streitigkeiten beteiligte Personen vorzuladen und zu vernehmen. Er kann hierbei, wenn das Einigungsamt gemäss § 62 oder § 62a angerufen worden ist, für den Fall des Nichterscheinens eine Geldstrafe bis zu einhundert Mark androhen. Gegen die Festsetzung der Strafe findet Beschwerde nach den Bestimmungen der Civilprozessordnung statt.

Eine Vertretung beteiligter Personen durch deren allgemeine Stellvertreter (§ 45 der Gewerbeordnung), Prokuristen oder Betriebsleiter ist zulässig.

XVIII. Der § 63 erhält folgende Fassung:

Das Gewerbegericht, welches als Einigungsamt thätig wird, besteht neben dem Vorsitzenden aus Vertrauensmännern der Arbeitgeber und der Arbeiter in gleicher Zahl.

Die Vertrauensmänner

sind von den Beteiligten zu bezeichnen. Erfolgt die Bezeichnung nicht, so werden die Vertrauensmänner durch den Vorsitzenden ernannt.

Einigen sich die Beteiligten über die Zahl der zuzuziehenden Vertrauensmänner nicht, so ist die Zahl derselben von dem Vorsitzenden auf mindestens zwei für jeden Teil zu bestimmen.

Die Vertrauensmänner dürfen nicht zu den Beteiligten gehören.

Der Vorsitzende ist befugt, eine oder zwei unbeteiligte Personen als Beisitzer mit beratender Stimme zuzuziehen; vor der Zuziehung sind die beiden Teile zu hören.

XIX. Im § 64 erhält der zweite Satz des Abs. 1 folgende Fassung: Das Einigungsamt oder, im Falle des § 62a, der Vorsitzende des Gewerbegerichts ist befugt, zur Aufklärung der in Betracht kommenden Verhältnisse Auskunftspersonen vorzuladen und zu vernehmen.

XX. Im § 67 Abs. 2 Satz 2 werden die Worte „Beisitzer und“ gestrichen.

XXI. Hinter § 69 wird folgender neuer Paragraph eingestellt:

§ 69a. Das Gewerbegericht als Einigungsamt ist nicht zuständig, wenn bei der Streitigkeit ausschliesslich Innungsmitglieder und deren Arbeiter beteiligt sind, und für die Innung zur Erfüllung der im § 81a No. 2 der Gewerbeordnung bezeichneten Aufgabe ein besonderes Einigungsamt besteht, dessen Zusammensetzung und Thätigkeit durch das Statut entsprechend den Bestimmungen der §§ 62 bis 69 dieses Gesetzes geregelt sind. Rufen beide Teile das Gewerbegericht als Einigungsamt an, so ist dieses auch bei solchen Streitigkeiten zuständig.

XXII. Der § 70 erhält folgende Fassung:

Das Gewerbegericht ist verpflichtet, auf Ansuchen von Staatsbehörden oder des Vorstandes des Kommunalverbandes, für welchen es errichtet ist, Gutachten über gewerbliche Fragen abzugeben.

die

Das Gewerbegericht ist berechtigt, in gewerblichen Fragen Anträge an Behörden, an Vertretungen von Kommunalverbänden und an an gesetzgebenden Körperschaften der Bundesstaaten oder des Reiches zu richten.

Zur Vorbereitung oder Abgabe von Gutachten sowie zur Vorbereitung von Anträgen können Ausschüsse aus der Mitte des Gewerbegerichts gebildet werden.

Diese Ausschüsse müssen, sofern es sich um Fragen handelt, welche die Interessen beider Teile berühren, zu gleichen Teilen aus Arbeitgebern und Arbeitern zusammengesetzt sein.

Das Nähere bestimmt das Statut.

XXIII. Der § 71 Abs. 1 erhält folgende Fassung:

Ist ein zuständiges Gerwerbegericht nicht vorhanden, so kann bei Streitigkeiten der im § 3 Abs. 1 No. 1 und 5 bezeichneten Art jede Partei die vorläufige Entscheidung durch den Vorsteher der Gemeinde (Bürgermeister, Schultheiss, Ortsvorsteher u. s. w.) nachsuchen. Zuständig ist der Vorsteher der Gemeinde, in deren Bezirke die streitige Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnisse zu erfüllen ist oder sich die gewerbliche Niederlassung des Arbeitgebers befindet oder beide Parteien ihren Wohnsitz haben.

XXIV. Im § 73 erhält der zweite Satz folgende Fassung:

Ein unmittelbarer Zwang zur Vornahme einer Handlung ist nur im Falle des § 127d der Gewerbeordnung zulässig; die Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag kann durch Geldstrafen nicht erzwungen werden.

XXV. Im § 77 Abs. 2 Ziffer 6 wird statt § 63 Abs. 3 gesetzt: § 63 Abs. 4.

XXVI. Der § 78 wird durch folgende Vorschriften ersetzt :

§ 78. Soweit nach den Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes die Entscheidung von Streitigkeiten über die Berechnung und Anrechnung von Versicherungsbeiträgen und Eintrittsgeldern in Gemässheit dieses Gesetzes zu erfolgen hat, finden die Vorschriften der §§ 71 bis 75 auch dann Anwendung, wenn es sich um Versicherungsbeiträge anderer als der im § 2 bezeichneten Arbeiter handelt. Die Zuständigkeit des Gemeindevorstehers wird in diesem Falle nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Gewerbegericht für die Gemeinde errichtet ist.

XXVII. Im § 79 wird der Abs. 3 gestrichen.

XXVIII. Hinter § 80 wird folgende Vorschrift eingestellt:

§ 80. In dem Verhältnisse der Innungen, der Innungsschiedsgerichte und der im § 80 bezeichneten Gewerbegerichte zu den ordentlichen Gerichten und zu den gemäss § 1 errichteten Gewerbegerichten finden die Vorschriften des § 26 entsprechende Anwendung.

Artikel 2.

Rechtsstreitigkeiten, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängig geworden sind, werden nach den bisherigen Vorschriften erledigt.

Artikel 3.

Der Reichskanzler wird ermächtigt, den Text des Gewerbegerichtsgesetzes, wie er sich aus den im Artikel 1 vorgesehenen Aenderungen ergiebt, unter fortlaufender Nummernfolge der Paragraphen und unter

Weglassung des § 81 durch das Reichs-Gesetzblatt bekannt zu machen. Hierbei sind den Verweisungen auf die Vorschriften der Civilprozessordnung und der Gewerbeordnung diese Gesetze in ihrer gegenwärtigen Fassung zu Grunde zu legen.

Soweit in anderen Gesetzen auf Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Gewerbegerichte, vom 29. Juli 1890 verwiesen ist, treten die entsprechenden Vorschriften des vom Reichskanzler bekannt gemachten Textes an ihre Stelle.

Artikel 4.

Die Vorschriften der Artikel 1 und 2 treten am 1. Januar 1902 in Kraft.

B. Einzelstaaten.
Bremen.

Verordnung, betreffend Ausführung der auf die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe bezüglichen Bestimmungen der Gewerbeordnungsnovelle vom 1. Juni 1891 für die Stadt Bremen. Vom 3. Mai 1901.

(Gesetzblatt der freien Hansestadt Bremen 1901 No. 11.)

Der Senat verordnet auf Grund der §§ 41a, 105a, 105b Absatz 2 und 105 e der Gewerbeordnung, unter Aufhebung aller bisherigen auf den gleichen Gegenstand bezüglichen Verordnungen, für die Stadt Bremen:

§ 1. Im Handelsgewerbe dürfen, abgesehen von den in den §§ 2 und 3 bestimmten Ausnahmen, Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nur vormittags von 7 bis 10 Uhr und nachmittags von 12 bis 2 Uhr beschäftigt werden.

§ 2. Am letzten Sonntage vor Ostern, am letzten Sonntage vor Pfingsten und an den beiden letzten Sonntagen vor Weihnachten dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe während der Zeit von 8 bis 10 Uhr vormittags und von 12 bis 8 Uhr nachmittags beschäftigt werden. Für die in die Zeit des Freimarks fallenden Sonntage bleibt der Polizeidirektion die Bestimmung überlassen.

§ 3. Von den Bestimmungen der §§ 1 und 2 sind folgende Ausnahmen zugelassen:

I. An allen Sonn- und Festtagen ist den nachbenannten Gewerbetreibenden gestattet, Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Verkaufsstellen zu beschäftigen:

1) Bäckern und Konditoren bei dem Verkauf von Backwerk morgens vor 10 Uhr und nachmittags von 12 bis 4 Uhr.

2) Fleischern, Fischhändlern, Inhabern von Spezialgeschäften für Delikatessen und Inhabern von Kochgeschäften bei dem Verkauf von Esswaren morgens von 7 bis 10 Uhr, nachmittags von 12 bis 2 Uhr und ausserdem in den Monaten September bis einschliesslich April abends von 7 bis 8 Uhr.

3) Milchhändlern bis 2 Uhr nachmittags und abends von 6 Uhr an. 4) Bierbrauern bis mittags 12 Uhr (vergl. auch unter II.)

3) Eishändlern und Mineralwasserhändlern bis 2 Uhr nachmittags.

6) Den Inhabern von ausschliesslich für den Verkauf von Tabak und Cigarren bestimmten Verkaufsläden morgens von 7 bis 10 Uhr und nachmittags von 12 bis 5 Uhr.

7) Den Verkäufern von Theaterbilleten morgens von 7 bis 10 Uhr, nachmittags von 12 bis 2 Uhr und abends von 6 bis 7 Uhr.

II. Die Beschäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern in offenen Verkaufsstellen ist ferner gestattet den Inhabern von Blumenläden und den Handelsgärtnern am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage von 12 bis 2 Uhr nachmittags, sowie den Bierbrauern zweiten Öster- und Pfingsttage bis 2 Uhr nachmittags.

III. Den Konditoren, Inhabern von Kochgeschäften, Milch-, Eis- und Mineralwasserhändlern, sowie den Inhabern von Blumenläden und den Handelsgärtnern ist gestattet, an allen Sonn- und Festtagen bei dem Ausbringen ihrer Waren Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter den ganzen Tag zu beschäftigen. Die gleiche Befugnis, unter Ausschluss der Zeit von 10 bis 12 Uhr vormittags, steht den Bäckern, Fleischern, Fischhändlern und Inhabern von Spezialgeschäften für Delikatessen zu. Die Bierbrauer sind befugt, beim Ausbringen ihrer Waren Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am zweiten Oster- und zweiten Pfingsttage den ganzen Tag, an den übrigen Sonn- und Festtagen bis 12 Uhr mittags zu beschäftigen. Den Zeitungsverlegern wird gestattet, Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter an allen Sonn- und Festtagen morgens von 5 bis 10 Uhr und nachmittags von 12 bis 2 Uhr mit dem Vertriebe (Austragen) der Zeitungen zu beschäftigen.

IV. Den von der Eisenbahnverwaltung zugelassenen Händlern ist gestattet, Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter mit dem Verkaufe von Drucksachen aller Art auf dem hiesigen Hauptbahnhofe auch an Sonn- und Festtagen ohne zeitliche Beschränkung zu beschäftigen.

§ 4. Gewerbetreibende, welche von den im § 3 enthaltenen Ausnahmebestimmungen Gebrauch machen, sind verpflichtet, jeden Gehilfen, Lehrling oder Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntage volle sechsunddreissig Stunden oder an jedem zweiten Sonntage mindestens in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends von der Arbeit freizulassen, falls die ausserhalb der in den §§ 1 und 2 festgestellten Arbeitszeit fallende Beschäftigung länger als drei Stunden dauert oder in die Zeit von 10 bis 12 Uhr morgens fällt.

§ 5. Soweit nach den Bestimmungen der §§ 1, 2 und 3 Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe, von dem Ausbringen von Waren abgesehen, nicht beschäftigt werden dürfen, darf in offenen Verkaufsstellen desselben Gewerbes ein Gewerbebetrieb nicht stattfinden. § 6. Als Festtage im Sinne dieser Verordnung gelten:

die zwei Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage, der Charfreitag, der Himmelfahrtstag, der Busstag, der Neujahrstag und die demnächst durch Gesetz als Festtage bestimmten Tage.

§ 7. Mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark, im Unvermögensfalle mit Haft wird bestraft, wer den §§ 1, 2 und 3 zuwider Gehilfen, Lehrlingen oder Arbeitern an Sonn- oder Festtagen Beschäftigung giebt, wer es unterlässt, der durch § 4 für ihn begründeten Verpflichtung nachzukommen, oder wer den Bestimmungen des § 5 zuwiderhandelt.

§ 8.

Die Bestimmungen dieser Verordnung finden auf Gast- und

Schankwirtschaftsgewerbe gemäss § 105 i der Gewerbeordnung keine An

wendung.

§ 9. Diese Verordnung tritt am 5. Mai 1901 in Kraft.

Beschlossen Bremen, in der Versammlung des Senats am 30. April und bekannt gemacht am 3. Mai 1901.

C. Verordnungen

(vgl. auch unter: parlamentarische Arbeiten, Deutsches Reich). Bekanntmachung vom 3. April 1901 (Reichs - Gesetzbl. S. 117). Die vom Bundesrate getroffenen Bestimmungen über die Voraussetzungen und Bedingungen der Zulassung von Ausnahmen bei der Sonntagsruhe im Gewerbebetriebe.

Allgemeine Bestimmungen.

1) Die höheren Verwaltungsbehörden haben für die im § 105 e Abs. 1 der Gewerbeordnung bezeichneten Gewerbe nur soviel Sonntagsarbeit zu gestatten, als nach den örtlichen Verhältnissen geboten erscheint. In der Regel wird ein Bedürfnis für Sonntagsarbeit nicht anzuerkennen sein, wenn und soweit sie bisher nicht üblich war.

2) Die Regelung der Ausnahmen für ein bestimmtes Gewerbe braucht nicht für den ganzen Verwaltungsbezirk einheitlich zu erfolgen, sondern sie kann für den Fall, dass die Verhältnisse an den einzelnen Orten des Bezirkes verschieden liegen, für einzelne Teile des Bezirkes oder für einzelne Orte verschieden gestaltet werden.

3) Für den ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingstfeiertag sind Ausnahmen nicht oder nur in thunlichster Beschränkung zugelassen.

4) Für Betriebe mit Tag- und Nachtarbeit kann die Zulassung einer beschränkten Arbeit an Sonn- und Festtagen davon abhängig gemacht werden, dass während bestimmter Stunden an diesen Tagen der Betrieb ruht.

5) Für nicht ununterbrochen arbeitende Betriebe, denen Ausnahmen von den im § 105 b Abs. 1 der Gewerbeordnung getroffenen Bestimmungen bewilligt werden, ist die Ruhezeit gemäss § 105 c Abs. 3 a. a. O. zu regeln, sofern deren Durchführung ohne erhebliche Beeinträchtigung möglich erscheint; anderenfalls ist die Beschäftigung der Arbeiter an Sonnund Festtagen von der Freigabe eines Nachmittags an einem Wochentag und der Gewährung der Gelegenheit zum Besuche des Gottesdienstes mindestens an jedem dritten Sonntag abhängig zu machen.

6) Arbeiter, welche in einem Betriebe der im § 105b Abs. 1 der Gewerbeordnung bezeichneten Art auf Grund der gemäss § 105 e Abs. 1 a. a. O. zugelassenen Ausnahmen mit Sonntagsarbeiten beschäftigt werden, dürfen wenn nicht Gefahr im Verzug ist während der ihnen ausbedungenen Ruhezeit weder zu Arbeiten, die in dem betreffenden Betrieb auf Grund des § 105 c Abs. 1 a. a. O. zulässig sind, noch zu Arbeiten in dem etwa mit dem Betriebe verbundenen Handelsgewerbe herangezogen werden. Abweichungen können für bestimmte Gewerbe von der höheren Verwaltungsbehörde zugelassen werden.

Besondere Bestimmungen

für Betriebe mit Wind oder unregelmässiger Wasserkraft.

7) Als vorwiegend mit Wind oder Wasserkraft arbeitend ist ein

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