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I.

Aus Thomas Platters Lebensbeschreibung.

(Geb. 1499. Geft. 1582.)

Ich bin in diese Welt gekommen zu Gränchen im Wal liserlande im Fahr 1499 an der Herrenfastnacht, eben als man zu der Meß zusammengeläutet, weßwegen meine Freund hofften, ich werde ein Priester werden Mein Vater hat Antoni Platter geheißen, die Mutter Antillia Summermatter. Die hat einen Vater gehabt, der 126 Fahr alt worden ist, und mir vor seinem Tod noch gesagt hat: er wisse noch zehn Mann in seiner Kilchhöri (Kirchgemeinde), die alle älter wären als er. Der Vater starb mir so zeitlich, daß ich ihn nie gesehen hab. Meine Mutter heirathete wieder, und wir Kinder wurden vertheilt; wie viel unser waren, hab ich nie gewußt; hab auch nicht alle meine Geschwister gekannt. Als ich nun so bei drei Jahren erzogen war, ist der Kardinal Matthäus Schinner durch das Land gefahren, zu firmen; kam auch in Gränchen. Als nun der Kardinal zu Mittag hat geessen und wieder in die Kirche ging zu firmen, weiß ich nicht, was Herr Anton, mein Firmgötti (Pathe) zu schaffen hatte, daß ich in die Kirchen lief zu dem Kardinal, der saß in einem Sessel, wartend, wann man ihm die Kind zuführte. Da sprach er zu mir, weil mein Götti nicht bei mir war: Was willt, mein Kind?“ Ich sprach : Ich wollt gern firmen." Da sprach er mit Sachen: „Wie heißeft ?“ Antwortet ich: „Ich heiß Herr Thommann.“ Da lachte er, Erzähl. a. d. Schweizergesch. Bd. IV.

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brummlete etwas mit aufgelegter Hand, und gab mir da

mit der Hand an den Bäcken.

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Da ich nun bei sechs Fahr alt war, hat man mich zu einem Oheim getban, dem mußt ich das erft Fahr die Geißen bei dem Haus hüten. Und als ich noch so klein war, wann ich den Stall aufthat und nicht gleich neben sich sprang, fließen mich die Geißen nieder und liefen über mich hinaus. Wann ich dann die Geißen über die Vispen ist ein Wasser über die Brück trieb, liefen sie mir in die Seit in die Kornäcker; da weinet ich dann und schrie, dann ich wußt wohl, daß man mich zu Necht würd streichen. Andere Geißhüter halfen mir dann, insonderheit einer, der war groß, der hieß der Thomann im Fridenbach. Da saßen wir dann all zusammen, wann wir die Geißen auf die hohen und grausamen Berg brachten, zehrten mit einander zu Abend, hatten jeglicher ein Hirtenkörbli am Rücken, Käß und Roggenbrot darin. Einmal wollt ich beim Blattenschießen einem andern ausweichen, fiel aber hinter sich über den Felsen ab. Die Hirten schrien all: Jesus, Hesus! Ich war unter den Felsen gefallen, daß sie mich nicht mochten sehen, vermeinten gänzlich, ich wäre zu Tod gefallen. Bald stund ich wieder auf, und ging wieder aufhin zu ihnen; da weinten sie erstlich vor Kummer, dann aber vor Freuden. Sechs Wochen hernach fiel eine Geiß da überab, die zerfiel zu Tod, da mich Gott wohl behütet. Noch ein paarmal kam ich beim Geißenhüten in grobe Gefahr. Einmal war ich in einem Graben, suchte Kristallen, so sah ich weit oben einen Stein wie ein Ofen daher springen; und dieweil ich nicht entrinnen möcht, buckt ich mich nieder auf mein Angesicht; da fiel der Stein etlich Klafter ob mir nieder und da über mich aus. Solch gut Leben und Freuden hab ich in Menge bei den Geißen in den Bergen gehabt, die mir vergessen sind. Das weiß ich wohl, daß ich selten ganz Sehen gehabt hab, groß Schrunden, oft übel zerfallen, ohn Schuh der mehr

theil im Sommer, oder Holzschuh; litt oft großen Durßt. Mein Speis war am Morgen vor Tag eine Suppe von Roggenmehl; Käs und Roggenbrot giebt man einem in ein Körblein mitzutragen am Nucken; zu Nacht aber Käsmilch, doch ist dessen alles ziemlich genug; im Sommer im Heu liegen, im Winter auf einem Strohsack voll Ungeziefer. Darnach hütet ich einem andern Bauren die Kühe, doch nicht lang; denn meine Base that mich zu meinem Vetter, Herr Anton Platter, daß ich sollt die Schriften lernen. (So reden sie, wenn man einen in die Schul will thun.) Ich war etwas über neun Fahr alt. Da ging es mir erft übel, dann der Herr war ein gar zorniger Mann, ich aber ein ungeschicktes Baurenbüblin; er schlug mich grausam übel, zog mich vielmal an den Ohren von der Erde auf, daß ich schrie wie eine Geiß, die am Messer stecket. Bei dem war ich nicht lang. In derselben Zeit kam ein Vetter von mir, Paulus Summer, matter, der war den Schulen nachgezogen gen Ulm und München im Baierland. Mit dem zog ich zum Land aus; da mußt ich vor mir her heischen, und meinem Bachanten, dem Paulus, auch geben. Den Tag darauf sah ich Gäns, deren ich nie keine gesehen hatte; da meinte ich, da sie mich anpfeiferten, es wäre der Teufel', floh und schrie. Zu Luzern sah ich die ersten Ziegeldächer. Kamen demnach gen Zürich; nachdem wir dort bei acht oder neun Wochen auf Gesellschaft gewartet, zogen wir auf Meißent zu, war mir eine weite Reis. Zogen also unser acht oder neun mit einandern, drei kleine Schüßen, die andern groBe Bachanten, unter welchen ich der allerkleinßt und jüngßt Schüß war. Wann ich nicht wohl mochte zugehen, zwickte mich der Vetter Paulus mit der Kuthe um die bloßen Bein. Wir Schüßen mußten manchmal ungeessen in Stäls len übernachten; wir sind auch oft in Gefahren gewesen der Neuter und Mörder halb. Zu Neuenburg blieben wie

etlich Wochen; wir Schüßen gingen in die Stadt, aber in keine Schul; das wollten die ändern nicht leiden. Der Schulmeister entbot auch unsern Bachanten: sie sollten in die Schul kommen, oder man würde sie reichen. Etliche Schweizer, die auch da waren, ließen uns wissen auf welchen Tag sie kommen würden, daß sie uns nicht unversehenlich überfielen; da trugen wir kleine Schüßenßein auf das Dach, Antoni aber und die andern nahmen die Thär ein. Da kam der Schulmeißter mit der ganzen Prozession seiner Schüßen und Bachanten; aber wir Buben warfen mit Steinen zu ihnen, daß sie weichen mußten. Als wir nun vernommen, daß wir vor der Oberkeit verklagt waren, nahmen wir unserm Nachbar des Nachts drei Gäns und zogen an das ander Theil der Stadt. Da fa-. men die Schweizer zu uns, zächten mit einandern, und zogen wir auf Hall in Sachsen und gingen in die Schul zu St. Ulrich. Unser etliche mit Paulus, meinem Vetter, zogen von Hall gen Dresden und von dort auf BresIau zu, mußten viel Hünger unterwegen leiden, also daß wir etlich Tag nichts dann Zwiebeln roh gesalzen aßen, etlich Tag gebraten Eicheln, Holzäpfel und Birnen; manche Nacht mußten wir unter heiterem Himmel liegen, daß man uns nirgends bei den Häusern wollte leiden; etwan heßte man die Hund an uns. Da wir aber gen Breslau kamen, da war alle Völle, ja so wohlfeil, daß sich die armen Schüler überaßen. Wir gingen in die Schul zu St. Elisabeth; da waren viel Schweizer und Schwaben, und war kein Unterscheid unter Schwaben und Schweizern, sprachen einandern zu wie Landsleut und schirmten einandern. Ich hab meinen Bachanten oft eines Abends fünf oder sechs Trachten heim auf die Schul getragen; man gab mir auch fast gern/ darum daß ich klein war und ein Schweizer; denn man hatte die Schweizer fast lieb. Den Winter liegen hier die Schüßen auf dem Herdin der Schul, die Bachanten aber in den Kämmerlinen;

den Sommer aber, wann es heiß war, lagen wir auf dem Kirchhof; wann es regnete, liefen wir in die Schule, und wann es Ungewitter war, fangen wir fast die ganze Nacht. Es war da Nahrung genug, aber man sudirte nicht viel. In der Schul lasen immer auf einmal in einer Stube neun Baccalaurei, doch war die griechische Sprach noch nirgend im Land, deßgleichen hatte niemand keine gedruckten Büs cher, allein der Präzeptor batte einen gedruckten Terens. Was man las, mußt man erstlich diktiren, dann dißtinguiren, dann construiren, zuleßt erst exponiren, daß die Bachanten große Scharteken mit ihnen heimzutragen hatten. Von dannen zogen wir wieder auf Dresden zu. Da wir großen Hunger litten, theilten wir uns, etliche sollten um Gänse sehen, etliche um Nüben und Zwiebeln, einer um ein Hafen, wir Kleinen aber in die Stadt Neumark gehen, nach Brot und Salz. Bei einem Brunnen nahe an der Stadt wollten wir über Nacht bleiben; aber wie man in der Stadt das Feuer gesehen hat, schoß man zu uns heraus, trafen doch nicht. Da wichen wir hinter einen Hügel und haben da die Gänse und Rüben verzehrt. Neben uns war ein Teich; da nahmen wir Fisch und zogen davon bis in ein Dorf, da kocht uns ein Bauer die Fisch in Bier. Von Dresden zogen wir auf Nürnberg zu, von dannen auf München. Unterwegs kamen wir zu ei nem Bauren; als der hört, daß ich ein Schweizer wär, bieß er mich und meine Gesellen kommen, und rüstete uns ein gutes Mahl zu, seiner Mutter zu lieb, welche oft ge sagt hatte, sie möchte gern vor ihrem Tod einen Schwei zer sehen. -In München kam ich und Paulus zu einem Seifensieder; dem half ich mehr Seifen sieden dann ich in die Schul ging. Paulus aber ging in der Pfarr zu U. E. Frauen in die Schule, so auch ich, aber selten, allein darum daß ich dörfte auf der Gaßen um Brot singen und meinem Bachanten zutragen. Als wir nun in fünf Jahren nicht zu Haus gewesen, zogen wir beim in Wallis.

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