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IV.

Deutschland,

nach der französischen Revolution.

Die Freyheit und Gleichheit, welche in Frankreich verz

kündigt, und allen, andern Nationen angetragen ward, fand in Deutschland, bey dem Volke, keinen Eingang. Dieses fühlte sich in den beschränkten Vorstellungen und Gewohnheiten, die sein Erbtheil ausmachten, gesichert, und hielt sie um so mehr fest, da die Neuerungen ihm schon dadurch verdächtig wurden, daß sie von einer Nation ausgiengen, gegen welche die Deutschen von jeher den tiefsten Widerwillen hegten. In den höhern Stånden verbreitete sich hingegen die neue Lehre, mit einer Schnelligkeit, über die sie selbst erstaunten. Sie ergaben sich ihr zwar nicht aus gewohnter Bewunderung alles Ausländischen. Davon waren sie zurückgekommen: aber es fand sich in ihrem Innern zu Weniges, das Widerstand gegen Grundsåße håtte leisten können, welche mit solcher Dreistigkeit angekündigt wurden. Mit den Institutionen des åltern deutschen Staatsrechts, waren auch die Gesinnungen früherer Jahrhunderte verschwunden; und jetzt ward es klar, welche Leere dadurch entstanden war.

Das auf den Trümmern vormaliger Verhältnisse, im fiebenzehnten Jahrhunderte errichtete Staatsrecht, bestand nur aus einzelnen Formen, und hatte keine Wurzeln in den Ge

müthern. Es konnte leicht durch eine neue Theorie verdrångt werden, welche sich an sehr beliebte und weit verbreitete philosophische Grundsäte anschloß. Sie ward daher mit Gunst aufgenommen: und die Liebe zu ihr nahm auch dann nicht ab, als schon klar vor Augen lag, was aus der Einführung in die wirkliche Welt entspringen mußte. Das Interesse dafür stieg vielmehr auf das Höchste: eben dann, als in Frankreich die Begierde Alles zu verbessern, in eine blinde Wuth zu zerstören übergegangen war, und jedes Zeitungsblatt mit Entsehen erfüllte. Auch von denen, welche das ganze Unternehmen misbilligten, hegten viele den geheimen Wunsch, das Unrecht möge diesesmal Recht behalten: und entschuldigten sich mit dem eiteln Gedanken, das Uebel sey nur zufällig und vorübergehend: es werde sich von selbst heilen.

Worin lag der Grund dieses an sich selbst unerklårlichen Widerspruchs? Bloße Liebe zu Neuerungen, war den Deutschen im wirklichen Leben ganz fremd. Von der Abneigung gegen die Monarchie, welche in Frankreich so unerwartet aufgelodert war, fand sich hier keine Spur; auch alsdann nicht, als dort eine Republik schon wirklich errichtet war. Diese erotische Pflanze, deren aus America importirter Saamen so schnell aufgegangen war, fand in Deutschland keinen günstigen Boden. Eben so wenig gefielen hier die Angriffe auf die Religion, und die Verfolgung der Geistlichkeit. Alles dieses erregte vielmehr Abscheu. Die Aufhebung des erblichen Unterschiedes der Stände war es ganz allein, die mit so lautem Beyfall begrüßt ward. In ihr sah man das Wesentliche der ganzen Revolution: und mit diesem einzigen Decrete schien sie gerechtfertigt zu werden.

Die in der Denkart und den Gesehen der deutschen Nation gegründete Absonderung des Adels, gieng noch viel weiter, als in Frankreich. Zwar hatten die Sitten des gemeinen Lebens neuerlich eine große Veränderung erlitten. Der dritte Stand hatte sich seit dem siebenjährigen Kriege, zu einem

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hohen Grade von Wohlstand erhoben. Durch die große Verbreitung der Cultur, Bekanntschaft mit den Producten der Industrie und des Geschmacks, durch öffentliche Clubbs, und geheime Gesellschaften, war er dem Adel nåher gerückt: und die zurückstoßenden Aeußerungen im Tone der Vorneh men waren sehr gemildert. Dieses verdankte die Nation vorzüglich der Ausbildung ihrer Literatur. Die Höfe und ihre Angehörigen brauchten sich nicht mehr der eignen Sprache und einheimischen Schriftsteller zu schämen. Mit den Talenten und dem Geschmacke, entwickelte sich auch ein Nationalstolz und dadurch wurden Verbindungen unter Personen verschiedenen Standes befördert. Diese beschränkten sich indessen auf die Vergnügungen des geselligen Lebens. Davon waren Unadliche nicht mehr ausgeschlossen, wenn es ihnen nur an der erfoderlichen Bildung nicht fehlte. Desto fester aber hielt der Adel an seinen wesentlichen Vorzügen. Die mit Recht gepriesene Humanitåt der neuern Zeit, war mit einer politischen Herabwürdigung der Ahnenlosen gar wohl vereinbar und die Fortdauer der lehten war sogar eine Bedingung jener 3sgeståndnisse. Da aber das Misvergnügen in leeren Tönen verhallte, so brüteten die unterdrückten Empfindungen im Innern der Gemüther desto mehr, und giengen in einen wahren Haß über, der mit Ungestům ausbrach, als der chimårische Gedanke, man könne alle Unterschiede der Stånde aufheben, und sogar die Idee des Adels durch Gesetz und Befehl vernichten, in Frankreich realisirt zu werden schien.

Manche Mitglieder des Standes, der sich so blosgestellt sah, wurden durch ein geheimes Gefühl, daß die Abneigung gegen ihn nicht ganz ohne Grund sey, bewogen, die geschlossenen Reihen seiner Vertheidiger zu verlassen, oder erklärten sich sogar laut für die siegende Parthey, um nicht zu der überwundnen gezählt zu werden.

Diese Erscheinungen foderten Jeden, auch den bloßen Zuschauer auf, das Verhältniß des Adels zu der Nation zu

prüfen. Die Untersuchung erhielt aber noch ein dringenderes Interesse, als die auf Freyheit und Gleichheit gegründete Republik, durch den Lüneviller Frieden, in das europäische Staatensystem eingeführt, und dem zwar verstümmelten, jedoch in seiner Existenz für den Augenblick gesicherten deutschen Reiche, durch den Deputationsschluß von 1802 eine neue Gestalt gegeben ward. In diesem letzten Reichsgrundgesehe waren zwar die Verhältnisse des Adels zu den Regenten und zum Volke nicht berührt. Aber seine Disposi= tionen führten unvermeidlich eine wesentliche Veränderung in beyden herbey.

Der Krieg, den die revolutionirenden Franzosen gegen Deutschland führten, veränderte seinen Charakter mehrere Male. Zuerst kündigten sie einen Meinungskrieg zu Gunsten der Völker an: führten aber zugleich einen Eroberungskrieg gegen das Reich. Beyden hätte die deutsche Nation, in sich einig, durch eine ernstliche Anstrengung aller Kräfte widerstehen können. Die große Masse hat jedem Aufrufe entsprochen: und an ihr hat es nicht gelegen, daß der Krieg nicht früher die Gestalt eines Nationalkampfes angenommen, und die Unabhängigkeit auf eben die Art geschüßt worden, wie fig spåter wieder errungen ist. Als die Bauern im südlichen Deutschlande im Jahre 1799 vom Herrn von Albini aufgerufen wurden, sich gegen die andringenden französischen Volkshaufen zu erheben, bewiesen sie eben so viel Bereitwilligkeit, als die Bewohner der nördlichen Provinzen, bey dem Aufrufe der russischen Heerführer, im Jahre 1813. Aber in jener frühern Zeit traueten die Fürsten, weder sich selbst, noch dem Volke. Sie schlossen auf dieses, von dem was in ihrer Nähe vorgieng. In der That hörte man damals die stärksten Aeußerungen der Verachtung alles Bestehenden, und Verhöhnung der Anstalten es zu schützen, in dem Kreise diplomatischer Personen, die oft ein Vergnügen darin zu finden schienen, ihre eigne Rolle zu verlachen.

Vormals ward die Erhaltung des hochheiligen römischen Reichs deutscher Nation, für eine Bedingung des sorgfältig

ausgebildeten europäischen Völkersystems gehalten. Insone derheit aber sahen alle große und kleine Stånde jenes deute schen Reichs darin eine unentbehrliche Schuhwehr ihrer eignen Sicherheit. Daher galt damals auch Kenntniß des bestehenden deutschen Staatsrechts, für höchste Weisheit. Von der vornehmen Jugend ward sie allgemein gefodert: und in der Anwendung derselben auf alle Angelegenheiten des öffentlichen und bürgerlichen Lebens, bestanden die bedeutendsten Beschäftigungen der Classen, aus welchen die Fürsten ihre Rathgeber und Diener erwählten. Hierin lag eine mächtige Stüße des Systems, auf dessen Erhaltung, das Ansehn, der Einfluß, und der Unterhalt so vieler Menschen beruhete. Auch suchte noch im Jahre 1778, der alternde und zum Kriege nicht mehr recht aufgelegte König Friedrich der II., als er Hülfe gegen die ehrgeizigen Entwürfe des Kaisers Joseph bedurfte, einen Beystand im Reichsverbande, dem er sich selbst bis dahin möglichst entzogen hatte, so oft sein Interesse es zu erfodern schien. Aber es war nicht sowohl die Mannschaft des Reichs, die in Requisition geseßt ward, als vielmehr, Ideen. Der Fürstenbund sandte statt eines Heeres, den Johannes Müller, als Herold einer auf sittlichen Grundsåßen beruhenden Politik, in das Feld: und dieser führte mit den aus den Zeughausern der Rechtsgelehrsamkeit und Geschichte geholten Waffen, einen glücklichen Krieg.

Die Fürsten erkannten damals, daß sie sich nur durch die Formen der Reichsverfassung gegen ihr Oberhaupt wehren. könnten: und daß, die Mächtigen unter ihnen ihre eigne Sache führten, wenn sie ihren Arm über die Schwächern ausstreckten, nicht, sie zu unterdrücken, sondern sie zu schüßen. Auch vermied der Kaiser Joseph sorgfältig, die Formen des Reichsverbandes zu verlehen, als er Baiern zu erwerben strebte. Als aber zehn Jahre später, das ganze Gewebe alter Ideen von den Franzosen durchbrochen ward, und diese ihre Nachbarn mit der Verzweiflung eines auf Lee ben oder Tod geführten Kampfes überzogen, konnte nur die Uebermacht der Streitkräfte auf der einen oder andern Seite

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