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Bald
Am

Dieses Alles sehte die Welt in Erstaunen. aber folgte eine Reihe ganz andrer Empfindungen. Anfange der Revolution sah man in ihr nur das Bemühen einer großen Nation, sich von unerträglichen Uebeln zu befreyen: und dieses erregte die lebhafteste Theilnahme; jedoch nur, als ein fremdes Ereigniß. Als aber die Nationalversammlung verkündigte, daß sie nicht das baufällige System ihrer Staatsverfassung verbessern, sondern ein ganz neues, nach Principien des Rechts und nach allgemeinen Ideen von der menschlichen Natur aufführen wolle, welches mithin allen Nationen zum Vorbilde dienen folle; machte sie ihre Sache zu einer Angelegenheit aller Bölker: und so wurde sie auch betrachtet. Mit den Worten Freyheit und Gleichheit ward deutlich ausgesprochen, was auch so vielen Deutschen am Herzen lag. Es ward ihnen damit so könnte es in einer neuern Art zu reden ausgedrückt werden, der eigne Sinn aufgeschlossen, und das

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Räthsel des Lebens gelöset.

Die großen Begebenheiten der Zeit erregten auch in mir das lebhafteste und mannigfaltigste Interesse. Zuerst von Seiten der wissenschaftlichen Belehrung.

Die nächste Veranlassung der Revolution lag in der Verwirrung der Finanzen. Diese führte zu einer Erörterung vieler Fragen aus der neuerlich sehr ausgebildeten, Wissenschaft der politischen Dekonomie. Ich hatte mich mit der Theorie derselben ernstlich beschäftigt. Die Schriften der französischen Dekonomisten, des Adam Smith, unsres Büsch, waren mir bekannt. Vorzüglich hatte ich Steuarts Werk studirt: welches nach meiner Einsicht, in der Reihe wissenschaftlicher Lehrbücher, neben Newtons Principia philosophiae naturalis gestellt zu werden verdient. Schon als eine Schule der Staatswirthschaft zogen daher die Schriften von Necker, und sein Streit mit Calonne, welcher ein Vorspiel zu dem großen Drama der Revolution ausmachte, meine Aufmerk samkeit auf sich. Das beschränkte Interesse an FinanzangeRehb. Schr. Bd. II.

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legenheiten ward indessen bald durch ein größeres und mannigfaltigeres verschlungen, als die Nationalversammlung ankündigte, der ganzen bürgerlichen Gesellschaft eine neue Gestalt geben zu wollen.

Sie fieng mit der Zerstörung des alten Gebäudes an: und dieses Unternehmen war wohl geeignet, die Liebhaber der speculativen Politik aus der Welt der Ideen zurückzurufen, und auf den Punkt zu führen, wo die Widersprüche derselben mit der wirklichen Welt, klar werden. Das ganze Gewebe der politischen Verhältnisse ward jeht in den Discuffionen der Gesetzgeber offen dargelegt. Alle staatsrechtliche, bürgerliche, sittliche, ökonomische Fragen, wurden erörtert. Hiedurch wurden die Zweifel über die Anwendbarkeit abstracter Theorien auf die wirkliche Welt, die in mir im Einzelnen entstanden waren, in einen Brennpunkt gesammelt. Was noch von einer metaphysischen Politik in mir übrig geblieben war, verschwand: und es war eben die Vertheidigung derselben, die in der ersten Nationalversammlung mit so vielem Talente und sophistischer Beredsamkeit ge= führt ward, wodurch eine ganz entgegengesetzte Denkart in mir zur Vollendung gedieh. Ich sah mich genöthigt, jene Grundsähe auch in dem einzigen Punkte aufzugeben, in welchem ich ihnen noch anhieng: in der Ansicht von dem Verhältnisse der Kirche zu dem Staate. Die Gründe beyder, meiner ersten, und meiner spåtern Ueberzeugung, find im ersten Bande dieser Sammlung ausführlich dargelegt.

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In allen übrigen Theilen der Staatswissenschaften hatte ich schon früher die Unhaltbarkeit der abstracten Principien eingesehen, die für evident und allgemein gültig ausgegeben wurden. Meine Ansicht gieng von dem Urtheile über das Naturrecht aus, dessen Gründe im ersten Bande dieser Schriften entwickelt sind. Aber sie waren nicht bloß negativ ge= blieben. Ich ward dadurch veranlaßt, bessere Gründe der Gesetzgebung in den eigenthümlichen Verhältnissen der einzelnen Völker und in ihrer Geschichte zu suchen. Es hatte

fich Mehreres vereinigt, meine Aufmerksamkeit von allen Speculationen ab, und auf das in der wirklichen Welt Mögliche und Ausführbare zu leiten. Den vorzüglichsten Antheil daran hatte eine früh angefangene und anhaltende Beschäftigung mit den Angelegenheiten der brittischen Nation, und die Bekanntschaft mit der ihr eignen Art, sie zu behandeln. Diese gieng nicht von theoretischen, auch nicht von histori= schen Studien aus. Ich war vielmehr auf einem ganz pragmatischen Wege in das Gewebe der englischen Politik eingeführt. Ein Freund, von dem ich an einem andern Orte mehr zu sagen habe *), veranlaßte mich, im Jahre 1780, die erheblichsten Partheyschriften zu lesen, die in England seit dem Anfange der Regierung Georg des Dritten erschienen waren, und damit die Berichte von den Verhandlungen des Parlaments zu verbinden, welche eben seit jenem Zeitpunkte einen Charakter der Zuverlässigkeit erhalten haben, und mit einer Ausführlichkeit abgefaßt werden, wodurch die englischen öffentlichen Blåtter eine der fruchtbarsten Quellen der Belehrung über alle Gegenstände der Gesetzgebung und Politik geworden sind. Da alle Erörterungen allgemeiner Fragen hier immer unmittelbar vom Bedürfnisse der Nation ausgehn, so erhält jeder Gedanke eine lebendige Gestalt, und es treten unaufhörlich Beziehungen auf die wirkliche Welt hervor. In einem gewissen beschränkten Maaße können da her die Berichte von den Parlamentsverhandlungen sogar die eigne Beobachtung und Erfahrung erseßen.

Diese Beschäftigung mit den Discussionen des englischen Parlaments hat den größten Einfluß, zuerst auf die Bildung meiner Ansichten, und spåter auf meine eigne Thatigkeit gehabt. Durch sie ward ich in das politische Leben der Völker eingeführt. Alles, was die Jugend von den Gesinnungen und Thaten ausgezeichneter Månner des Alterthums lernt, erscheint ihr, wegen der gänzlichen Verschiedenheit der åußern Verhältnisse, als Erzählungen aus einer andern Welt. Nur von der moralischen Seite kann es ihr in

*) Im vierten Bande dieser Schriften. S. 407 u. ff.

teressant gemacht werden: von der politischen bleibt es ihr fremd. Durch das englische Parlament aber trat Alles in eine Anschauung des wirklichen Lebens. Im Treiben eines benachbarten großen Volks lernte ich die Weisheit, und die Thorheit, unsrer Tage kennen, und andre Nationen und Zeiten verstehen.

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Hiezu war mein Eintritt in öffentliche Geschäfte gekommen. Er wieß mich bestimmt auf die umgebende Welt. Bey jeder wissenschaftlichen Untersuchung, bey jeder Beschäftigung mit der Geschichte, drångten sich mir Beziehungen auf die Angelegenheiten des Tages auf.

Ich hatte das Glück gehabt, vom Herzoge von Vork, Bischofe von Osnabrück, im Jahre 1783 als Secretair an= gestellt zu werden. Dieser Prinz, zweyter Sohn des Königs Georg des Dritten, war 1763, gleich nach seiner Geburt, auf den Grund des westphälischen Friedens, zum Bischofe postulirt, und im achtzehnten Jahre von seinem Vater und Vormunde nach Hannover gesandt, damit er zu seiner Bestimmung als deutscher Reichsfürst vorbereitet würde. Mit seinem ein und zwanzigsten Jahre trat er die Regierung an. Die mir zugedachte Bestimmung, seine Correspondenz mit dem Ministerio zu Osnabrück zu besorgen, gab die Veranlassung, mich an diesem Orte fünf Monate lang aufzuhalten. Ich las das Archiv der vormundschaftlichen Regierung durch. Weit größern Werth aber, als alle Principien, hatte für mich der tägliche Umgang mit Möser, der vom Anfange der Vormundschaft an, im Besiße gewesen war, die Regie: rung des Landes zu leiten, und der bald in das Verhältniß eines våterlichen Freundes zu mir trat.

Er führte die Geschäfte, unter dem bescheidenen Titel eines Referendars der vormundschaftlichen Regierung: und ist in dieser Lage auch unter der eignen Regierung des Fürstbischofs bis an das Ende seines Lebens geblieben. Sein 1794 erfolgter Tod hat ihm die bittern Empfindungen erspart,

die ihm wenige Jahre später, die Auflösung aller Verhältnisse, in denen er so thẳtig gewesen war, verursacht haben. müßte.

Möser hatte sich während des siebenjährigen Kriegs (1756 bis 1763) als Abgeordneter der osnabrückschen Stånde im Hauptquartiere der englisch-hannoverischen Armee aufge= halten. Die Lage des Landes, das er zu vertreten hatte, war höchst verwickelt und schwierig. Der damalige Fürstbischof (zugleich Churfürst von Cölln) war Mitglied der großen Berbindung, welche unter österreichschem und französischem Einflusse, den König von Preußen bekriegte, auf dessen Seite der Churfürst von Hannover, der Landgraf von HessenCassel und der Herzog von Braunschweig sich befanden. Das Heer dieser mit Preußen verbündeten Fürsten stand unter den Befehlen des Herzogs Ferdinand von Braunschweig. Dieser sollte also Osnabrück feindlich behandeln. Aber nach dem zu erwartenden Tode des alten Churfürsten von Cölln und Bischofs von Osnabrück, mußte, vermöge des westphälischen Friedens ein Prinz aus dem Hause Hannover, als Bischof zu Osnabrück folgen: und mit dem bevorstehenden Regierungswechsel sollte das Fürstenthum sogleich eine entgegengesetzte Stellung annehmen. So sehr dieses Verhältniß die Geschäfte des osnabrückschen Abgeordneten im Feldlager erleichterte, und Schonung für die Einwohner bewirkte, so sehr wurde diese Mission auf der andern Seite durch die Rücksichten auf das Domcapitel erschwert, welches dem zeitigen Landesfürsten anhieng. Nach dem Frieden von `1763 hatte Möser die Forderungen seiner Provinz an das englische Kriegscommissariat in London betrieben. Der Achtung, die er sich daselbst erwarb, verdankte er seinen Eintritt in die landesherrlichen Dienste, neben welchen er die Stelle als Syndicus der Ritterschaft beybehielt eine nie gesehene, und nur bey unbegrånztem Vertrauen aller Theile, mögliche Verbindung. Durch sie war er in den Stand gesetzt, Entwürfe für das Wohl des Landes, von ganz entgegengesetzten Seiten zugleich zu befördern.

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