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entscheiden. Es ergieng ein Aufgebot zu verfassungsmäßiger Gegenwehr, an das ganze Reich. Nun hätten wohl Geldbeyträge ausgeschrieben und erhoben werden können. Aber ́es kam auf fechtende Massen an: und aus den Contingenten mehrerer hundert einzelner Stånde konnte kein brauchbares Heer gebildet werden. Ein volles Drittheil des Reichs war daher so gut als wehrlos: Schon im siebenjährigen Kriege hatte die Reichsarmee nur zum Gespötte gedient. Später ward sie von Pütter, in seinen Vorlesungen über das Staatsrecht, zu denen die vornehme Jugend aus ganz Deutschland hinströmte, nur mit mitleidigem Achselzucken genannt.

So viel nun auch diesesmal von Einzelnen unter den mächtigern Fürsten geleistet werden konnte, und wirklich geleistet ist, so war doch die Gesammtheit viel zu schwach gegen einen Feind, der den Mangel an Harmonie unter seinen Gegnern so gut zu benußen wußte.

Die Fürsten schwankten zwischen Gemeinsinn für das Reich, und vorsichtiger Beachtung des besondern Interesse. Sie wollten wohl dem Ganzen einige Opfer bringen, aber ihre ganze Existenz nicht auf das Spiel sehen. Sie verfolg= ten unvereinbare Zwecke, thaten daher unsichre und schwache Schritte, und vereitelten selbst ihre eignen Maaßregeln.

Die Versuche der Franzosen, das Volk zu sich herüberzuziehn, waren misglückt. Besser gelang es ihnen, als sie sich an die Fürsten wandten. Das deutsche Reich war verloren, als einige Glieder anfiengen, zu überlegen, ob sie nicht, Einer auf Kosten der Andern, mehr gewinnen könnten, als ihnen die Erhaltung des Ganzen werth wåre.

Der Preis des Abfalls lag sehr nahe. Bisthümer hatten schon im westphälischen Frieden zu Entschädigungen gedient. Auf diesem Wege konnte fortgefahren werden. Die Aufhebung aller geistlichen Regierungen, schien nur ein Com

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plement der vor Einhundert und funfzig Jahren unvollständig gebliebnen Maaßregel. Sie empfahl sich auch durch die weit verbreitete Vorstellung von den Mångeln der Regierung in diesen Wahlfürstenthümern. Diese gieng so weit, daß einer der am meisten geachteten und gefürchteten Publicisten, Friedrich Carl von Moser, im Jahre 1787 (vor dem Ausbruche der französischen Revolution) dreist erklären durfte, es sey nothwendig, die geistlichen Fürstenthümer gänzlich aufzuheben. Wåre eine solche Maaßregel, im Geiste, des älteren deutschen Staatsrechts vollzogen, so hätte sie dienen können, das Ganze zu verstårken, und die innere Ordnung zu verbessern und zu befestigen. Durch die Errichtung Carolingischer Großherzogthümer, wåren die Streitkräfte des deutschen Volks geordnet, und damit, die Unabhängigkeit des wiedergeborenen Reichs gesichert. Aber die Umgestaltung gieng nicht von Deutschland selbst aus. Sie ward von fremder Macht befohlen: daher auch nicht im Interesse der Nation, sondern vielmehr gegen dasselbe vollzogen. So wie Richelieu im Jahre 1648 eine unheilbare Zwietracht unter den deutschen Fürsten begründete, um sie in Abhängigkeit von französischem Einflusse zu erhalten, so bereitete sein in größerem Style fortschreitender Nachfolger, im Jahre 1802 die gänzliche Auflösung der deutschen Verfassung vor, damit die einzelnen Glieder, unterwürfige Werkzeuge eines aus den Trümmern der alten französischen Monarchie auferstehenden größern Reichs würden.

Die Såcularisation sollte zunächst nur die Wahlfürstenthümer und die Güter der reichsunmittelbaren Corporationen treffen. Diese håtten zugereicht, die Fürsten, welche im Friedensschlusse Lånder verloren, zu entschädigen. Da aber jeder gewinnen wollte, und wer nichts aufgeopfert hatte, zu erwerben dachte, so ward die Maaßregel viel weiter ausgedehnt. und gieng in eine Confiscation der såmmtlichen Güter geistlicher Corporationen über. Diese sind in allen europäischen Staaten, während des sogenannten Mittelalters, unter Begünstigung der religiösen Denkart der Zeiten, zu einer Größe angewachsen,

die alle Verhältnisse überstieg, die weltliche Macht bedrångte, und diese, bey ungehinderten Fortschritten, håtte unterwürfig machen können. Allenthalben bot das geistliche Gut den Be= dürfnissen der Regierungen und der Völker, Hülfsquellen ; der Habsucht der Mächtigen, eine leichte Beute. Es hat

fich daher nirgends unverlegt erhalten können. In England hat Heinrich der VIII. davon an Günstlinge verschleudert, was ihm gefiel. In Frankreich hat die irreligiöse Parthey in der Revolution, die Güter der Kirche geraubt und vertheilt, um diese selbst zu stürzen. Aber auch die Regierungen, welche die Religion achten und die Kirche schüßen, haben geistliche Güter eingezogen, um die Einkünfte zweckmåßiger zu verwenden. In Låndern, welche der römischkatholischen Confession zugethan sind, wird unaufhörlich mit dem Haupte der Kirche unterhandelt, um dieser geistliches Gut zu entfremden. Bey einer großen Katastrophe konnte es auch in Deutschland, dem gleichen Schicksale nicht entgehen. Alles Vermögen der geistlichen Corporationen ward unbedingt der Disposition der Landesherrn überlassen: und diejenigen, welche den Beschluß vollzogen, mußten sich begnügen, das Interesse der Individuen zu sichern, deren Unterhalt bey der Umwandlung gefährdet war.

Diese Confiscation so vieler geistlichen Güter, håtte schon allein für die nächste Zukunft eine bedeutende Veränderung in den Verhältnissen der Stånde vorbereitet. Noch viel tiefer aber griff die zugleich beschlossene Aufhebung der alten Capitel ein. Durch die in den letzten Jahrhunderten eingeschlichne und gesehlich bestätigte Ahnenprobe, waren fast fåmmtliche Domcapitel und reichsunmittelbare Stifter, nebst vielen andern Conventen, ein Eigenthum des Adels geworden: und hierin bestand der bedeutendste Theil seiner beneideten Vorzüge. Er verlor sie durch den Reichsdeputations-Schluß von 1802. Wer sich noch am Abende zuvor, in dem befeligenden Gefühle schlafen gelegt hatte, der Wohlstand seines ganzen Geschlechts stehe auf ewig fest: das Recht der Capitel, Pråbenden zu verleihen, und Dignitarien zu wäh

len, sichere die Versorgung jüngerer Söhne, gewähre Aussichten auf Erbschaften von Oehmen und Vettern, und auf standesmäßige Ehen von Töchtern; wachte am folgenden Morgen, mit dem noch immer schönen, aber aller jener Vorrechte beraubten Namen auf. Nun mogte der Adel sich wohl gegen die französische Gleichheit, 'durch den Lüneviller Frieden gesichert halten. Aber da ihm zugleich die Mittel, seine Vorzüge zu behaupten, größtentheils entzogen waren, so mußte wohl die Begierde seiner Gegner, ihn von einer glänzenden, und jekt so unsichern Höhe herabzuziehen, 'nur noch zuneh'men: und wenn gleich die Möglichkeit einer gewaltsamen Katastrophe entfernt schien, so war es doch das dringendste Bedürfniß der Zeit, daß alle Ståndè und Classen des Volks, mit einander ausgesöhnt würden. Welches Schicksal auch immer der geschwächten und gedemüthigten Nation bevorstand: und, wenn ihr auch sogar beschieden war, daß sie nicht länger als ein politisches Ganze bestehn sollte, so hatte fie doch eine moralische Einheit zu retten, welche unter jedem åußern Verhältnisse, ein unschåhbares Gut ausmacht. Nur durch sie kann die Achtung andrer Völker bewahrt werden: und wo sie erhalten wird, ist auch im schlimmsten Falle an einer politischen Auferstehung nicht zu verzweifeln. Sie hat eine mächtige Stüße, in einer eignen Sprache und Literatur. Aber auch diese verliert ihre Kraft, wenn eine höhere Classe sich den Banden gegenseitiger Achtung und Zuneigung entzieht.

Diese Betrachtungen haben mich veranlaßt, im Jahre 1803 eine Schrift: Ueber den deutschen Adel, bekannt zu machen, die hier in verbesserter Gestalt folgt. Das in ihr enthaltne Gemålde der lebenden Welt, so wie sie damals vor Augen lag, dürfte wohl treffend genug gefunden werden. Der historische Gesichtspunkt aber war verfehlt. Ich gieng von der natürlichen Verbindung des Grundeigenthums mit den Vorzügen der Geschlechter aus, die sich im Besize desselben befinden: eine Idee, die auf die slavischen Nationen andwendbar ist, in denen es nur Freye und Knechte giebt: so wie es ein Grundsatz des alten polnischen Staatsrechts war, daß alle Edelleute einander gleich, aber auch die

Die

einzigen freyen Staatsbürger seyen. Auch könnte jener Gedanke vielleicht nicht verwerflich seyn, wenn von dem ältesten Zustande der Deutschen und ihrem Heerbanne, die Rede wåre. Damit hat aber der heutige Adel nichts gemein. Die Ents stehung desselben aus dem Ritterdienste, ist neuerlich vom Hofrath Eichhorn in seiner deutschen Staats- und RechtsGeschichte, in das hellste Licht gesezt: einem Werke, welches an Kenntniß und Beurtheilung der verschiedenen Zeitalter, in der ganzen Literatur, seines gleichen kaum haben dürfte. Die darin enthaltne Darstellung des Ursprungs des deutschen Adels, habe ich in der hier folgenden neuen Ausarbeitung meiner Schrift zum Grunde gelegt: damit aber eine Vergleichung mit dem englischen Adel verbunden. wesentlichen Verschiedenheiten beyder, dringen sich dem Geschichtsforscher sowohl, als dem Beobachter der heutigen Welt auf. Es hat auch schon Möser darauf aufmerk sam gemacht, und dem deutschen Adel; empfohlen, sich nach dem englischen zu bilden: aber ohne dabey auf die eigenthümliche Geschichte der britischen Geseze Rücksicht zu neh= men. Doch konnte diese einem so historisch gelehrten Staatsmanne nicht fremd seyn. Seit jener Zeit ist man in Deutschland mit den Engländern etwas mehr bekannt geworden. Dennoch wird die Verschiedenheit ihrer Denkart und Sitten noch immer angestaunt, und wenig begriffen. Es kann daher manchen Lesern angenehm seyn, die Hauptpunkte der englischen Gesetzgebung, auf denen die Verhältnisse der Stånde beruhen, hier ausgezeichnet zu finden.

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