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Deutschland, vor dem Ausbruche der französi schen Revolution des Jahrs 1789.

Die dumpfe Unzufriedenheit mit den mannigfaltigen Miß

verhältnissen des bürgerlichen Lebens, welche in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts anfieng in Deutschland umherzuschleichen, äußerte sich anfangs nur in sentimentalen und philanthropischen Träumen. Die Nation spielte nur damit: schien aber dadurch befriedigt: bis ihr ernster Sinn durch einen Genius geweckt ward, der, von eigenthümlich deutscher Ge sinnung selbst durchdrungen, die tiefer liegenden Empfindun gen mit einer Kraft aufregte, wovon man keine Ahnung gehabt hatte.

In Goethe sah Deutschland die unerwartete Erscheinung eines wirklich nationalen Dichters. Zuerst zauberte er im Göt von Berlichingen, aus einer fast vergessenen Vorzeit, einheimische Geschichte, Sitten, Charaktere hervor. Das lebendige Gemälde einer Zeit, in welcher die Kraftlosigkeit der öffentlichen Gewalten, den Einzelnen auf die freye Entwicklung der persönlichen Kräfte hinwies, und ein edles Gefühl selbstständiger Sittlichkeit aufrief, sich über die Bande åußrer Verpflichtungen zu erheben, verfekte alle Gemüther in eine lebhafte Bewegung. Der Eindruck war mächtig, drang jedoch nicht tief ein. Ein Heer von Nachahmern stürzte sich in die eröffnete Bahn des Ritterschauspiels. Aber das nicht zu Schimpf und Ernst angekündigte Turnier diente

nur zur Ergößlichkeit im Schauspielhause. In einem andern Werke trat der Dichter, der mit Einem Schritte das Ziel er: reicht hatte, und jeht den Sinn und Geschmack einer Nation nach Gefallen leitete, dem lebenden Geschlechte nåher. In Werthers Leiden stellte er ihm die Welt, die er selbst vor Augen hatte, mit den glühendsten Farben dar, und brachte Empfindungen, die im tiefsten Grunde der Gemüther verborgen waren, zum Bewußtseyn. Rousseau hatte seine Leser in ihren Vorstellungen von der Bestimmung des Menschen in der Welt irre gemacht. Hier lernten sie sich dagegen auflehnen, und von ihr losreißen. Die wunderbare Wirkung dieses Gedichts glich einem epidemischen hißigen Fieber. Junge Leute von bessern Anlagen fühlten sich von dem edleren Charakter angezogen, den der Unmuth über die Widersprüche des bürgerlichen Lebens mit den natürlichen Empfindungen, hier annimmt: unterdessen der große Haufe seine schlaffe Verkehrtheit mit einer so schönen Darstellung eines verstimmten Sinnes zu rechtfertigen meinte. Die Wirkung blieb indessen durchaus in der Gemüthswelt. Sie be schränkte sich auf die nächsten und bloß natürlichen Verhält nisse: von den bürgerlichen hielt sie nur in einer mislaunigen Entfernung. Doch war im Werther auch auf diese hingewiesen. Das Reichscammergericht, welches in dem Gedichte weit mehr Bedeutung hat, als eine bloße Staffage in einem Landschaftsgemälde, machte eben den Mittelpunkt der årmlichen Reste eines öffentlichen Lebens, die den Deutschen noch übrig geblieben waren.

Von alle dem ward indessen die deutsche Jugend nur wenig gerührt. Sie gefiel sich über die Maaßen wohl, wenn sie in blauem Frack mit gelben Unterkleidern die Trauer über das Leiden der Menschheit darstellte. Aber sie war gar nicht gemeint, mit einer rothen Müße der bürgerlichen Gesellschaft den Krieg anzukündigen. Uebermuth einer vermeinten Stärke des Geistes, Trotz gegen Menschen, Welt und Schicksal, ward herrschender Ton der Literatur in einer Periode, die von einem in ihr gedichteten Schauspiele Sturm

und Drang genannt worden ist. Unter den Erzeugnissen dieses Geistes, der sich mit Ungestům von allen Fesseln loszus machen strebte, ragen einige Werke von Klinger weit hers vor. Aber diese, wie die andern, zeugten mehr von der herr schenden Stimmung, als daß sie auf dieselbe eingewirkt haben sollten.

Diese Dichter spielten alle mit einem Feuer, das nur leuchtete, und nicht im Ernste zünden sollte. Freyheitstaumel und Fürstenmord trieben ihren Spuk in den Musenalmanachen. Aber mit aller rohen Gemeinheit in der Behandlung und Sprache, womit man Goethesche Kraft zu erreichen meinte, blieb es bey einer bloß ästhetischen Jacobinerey.

Der große Dichter, der ein Lied angestimmt hatte, das in so rauhen Tönen widerhallte, entzog sich bald der Parthey angeblicher Nachfolger, die sich an ihn drångten. Goethe erzählt selbst, er habe sich mit dem Werther von der Empfindsamkeit, einer Krankheit der Zeit, befreyen wollen: und in seinen zunächst folgenden Werken ist, bey gleichen Intentionen, der Ton sehr verschieden: in den spåtern auch der Charakter selbst. Alle diese sind nicht ohne bedeutende Wirkung auf den Geschmack und die Sitten der Nation geblie ben: aber auf ihre politischen Gesinnungen haben sie keinen Einfluß gehabt. Alles, was Goethe in dieser Absicht versucht hat, ist zu schwach, um hier nur erwähnt zu werden.

Schiller, der bald nach ihm mit mehr Derbheit auftrat, nahm eine bestimmtere Richtung gegen die bestehende Ordnung der bürgerlichen Welt. Persönliche Erfahrungen veranlaßten ihn, in seinen ersten Werken gehässige Gemälde von dem Mißbrauche der öffentlichen Gewalt aufzustellen. Diese Erzeugnisse eines erhißten Kopfes entzündeten jedoch nur sehr junge und ungebildete Gemüther. Späterhin hat er durch seine eigenthümliche Weise, abstracte und idealische Vorstellungen in die Dichtkunst einzuführen, und mit dem

Reize ihrer Sprache zu schmücken, die Herrschaft über den Geschmack des größten Theils seiner Nation erlangt: aber diese metaphysische Poesie führte von der wirklichen Welt zu weit ab, als daß sie Einfluß auf dieselbe håtte gewinnen können.

Was Schiller in seinen ersten Werken tragisch darstellte, zog Iffland in das gemeine Leben herab. Auch dieser nahm den Stoff zu seinen Dramen, die eine Zeitlang die deutschen Bühnen beschäftigt haben, aus Gegenden, in denen die Ver= dorbenheit der Regierungen den höchsten Grad erreicht hatte. Aber eben deswegen erregten sie im übrigen Deutschland, dem eine so freche Unsittlichkeit der Staatsbeamten fremd war, nur ein vorübergehendes Interesse im Schauspielhause.

Und hiermit kann die Reihe der deutschen Dichter, die vor der französischen Revolution Einfluß auf die Gesinnungen ihres Volkes gehabt haben, geschlossen werden. Denn von dem leichtsinnigen, gewandten, gleißnerischen Kozebue, der sein dramatisches Talent anwandte, allen verrätherischen Neigungen zu schmeicheln, um einen Beyfall zu erwerben, dessen sich Mancher wohl selbst geschämt hat; und der eben dadurch späterhin ein Liebling von halb Europa geworden ist; von diesem war noch im Jahre 1789 kaum die Rede.

Der Einfluß jener Dichter blieb ganz im Gebiete der Einbildungskraft und des Geschmacks. Durch die auch in allen andern Richtungen fortschreitende und sich ausbildénde Literatur ward die allgemeine Aufmerksamkeit zwar auch auf die bürgerlichen Verhältnisse geleitet. Reisebeschreibungen, politische, zum Theil sehr geistvolle Zeitschriften, staatsrechtliche Streitigkeiten, vorzüglich über die innern und äußern Verhältnisse der römischen Kirche, belebten und befriedigten die Wißbegier: und es schien fast, als ob die Regierungen selbst die öffentliche Meinung zu größerer Dreistigkeit auf

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