Page images
PDF
EPUB

walt auf ihrer Seite haben, sich über Alles hinwegsehen dürften, was sie Geschwät nennen. Beydes ist gleich unwirksam. Innerhalb weniger Jahre entsteht um sie her, durch die veränderte Denkart der aufkeimenden Geschlechter eine neue Welt, in die sich die aus der vorigen Zeit Ueberlebenden nicht finden können. Wenn Alles, wodurch die Menschen gefesselt oder geblendet werden, seine Kraft verloren hat, und der bloße Besißstand nichts mehr gilt, so hålt sich das alte Gebäude nicht durch Gewohnheit und Vorurtheil. Vernünftige Gründe müssen ersehen, was Autoritåt nicht mehr leistet. Aber auch mit dem Beweise eines rechtmäßigen Ursprungs wird nur wenig ausgerichtet: denn es ist nicht Alles gerecht, billig und nüßlich, was es vormals war; so wie nicht Alles was jezt ungerecht oder schädlich scheint, es auch vormals seyn mußte.

Alle bürgerliche Anordnungen sind aus den Umständen früherer Tage entsprungen, beziehen sich auf ihre Bedürf= nisse, zeugen von ihrer Denkart, ihren Sitten. Sie find fåmmtlich Kinder der Zeit, die auf das Recht des Ewigen und Unveränderlichen, keinen Anspruch machen können. Da nun die Verfassung der Staaten, gleich allem was von Menschen erschaffen worden, stetem Wandel unterworfen ist, so wåre es zu wünschen, daß die Abånderungen, die sie erleiden müssen, in den Grundgesehen selbst schon zum voraus angegeben und vorbereitet würden, um gewaltsame Erschütterungen zu vermeiden. Aber es ist unmöglich, solche Principien der Verånderung, in die Gesetzgebung zu verweben: und sollten sich diese auch in dem Entwurfe eines idealischen Staats verzeichnen lassen, so würde es doch sehr schwer werden, nachfolgende Geschlechter an diese Vorschriften zu binden. Auch der schwärmerische Freund politischer Theorieen muß also wohl darauf zurückkommen, daß es der Weisheit, Entschlossenheit, und dem Glücke derer, welche in der Folge Führer der Völker seyn werden, überlaffen bleibe, wie sie gefährlichen Convulsionen begegnen können.

Die Literatur muß die Beschuldigung tragen, daß sie einen großen Antheil an den neuesten Revolutionen gehabt, und ähnliche vorzubereiten gesucht habe. Ungerechte Vor`würfe kann sie nicht besser ablehnen, wirkliche Verschuldung nicht besser vergüten, als durch Bemühungen, die erhißten Gemüther zu der richtigen Schäßung alles dessen zurückzurufen, was mit leidenschaftlicher und verblendeter Begierde gehaßt und zerstört, oder bewundert und ergriffen wird.

Hiezu darf sich wohl ein Schriftsteller berufen fühlen, der sich durch einen dreisten Tadel der Theorieen, mit denen neuerlich der gewaltsame Umsturz alles Bestehenden ge= rechtfertigt werden sollte, und durch eine Vertheidigung der rechtmäßigen Vorzüge höherer Stånde, welche in jenen Zeiten wohl gefährlich scheinen konnte, das Recht erworben zu haben vermeint, die Gränzen dieser Vorzüge zu prüfen. Wer sich damals durch die Furcht vor der einbrechenden Revolution nicht hat abhalten lassen, seine Stimme gegen das Unrecht zu erheben, darf auch jest nicht auf den Zuruf derer achten, die ihm etwa und wohlwollend, Stillschweigen empfehlen mögten.

Erstes Capitel.

Ursprung des deutschen Adels,

und Veränderung seiner Verhältnisse, durch die Errichtung stehender Heere, und unter der Landeshoheit der Fürsten.

Der Adel steht in den germanischen Nationen, als ein staatsrechtlich anerkannter höherer Stand, in einer wesentlichen Verbindung mit dem Wehrstande. Aus demselben ist er hervorgegangen: und mit den verschiedenen Gestalten, die die Kriegskunst angenommen, ist auch der Charakter des Adels, und das Verhältniß desselben zu seinen Mitbürgern verändert.

Ursprünglich war der Krieg eine gemeine Sache aller freyen Månner im Volke: und Jeder nahm Theil daran, so oft es die Noth erfoderte. Seitdem er aber zu einer besondern Kunst geworden, die eine eigenthümliche Bildung verlangt, ist er in den Beruf eines eignen Standes verwandelt. Auf diesen ist die Verpflichtung, für das gemeine Wesen und dessen Oberhäupter zu fechten, übergegangen. Von da an ergieng das Aufgebot nur an die Nitter, welche den Kampf persönlich bestehen konnten; und die Geringern im Volke kamen jenen als Knappen und Knechte zu Hülfe. Vermöge dieses Verhältnisses beruheten die äußere Sicherheit und die innere Ordnung auf den Rittern: und daraus find mannigfaltige Vorzüge und Rechte der schüßenden und zwingenden Herrn hervorgegangen: andre sind zufålliger damit verbunden.

Solche Vorzüge, und Rechte gegen Höhere, denen sie großentheils abgedrungen waren, und gegen den abhån= gigen Haufen zu sichern, sie zu erhalten und zu vermehren, find Vereine gebildet: und die Aufnahme in diese, die von

der Einwilligung der Mitglieder abhieng, ist auf die Ab kömmlinge der Geschlechter beschränkt worden, die sich im Besitze befanden.

In spätern Zeiten ist aber jener Adel, der verpflichtet war, auf eigne Kosten zu fechten, und nur kurze Zeit diente, nicht genügend befunden. Statt der geharnischten Ritter, die mit ihrem Gefolge nur kleine Haufen bildeten, bedurfte eine neuere Kriegskunst, großer disciplinirter Heere, in denen jene eisernen Månner weder als Unführer, noch in Reihe und Gliedern tauglich waren. Sie sind verschwunden. Damit ist aber auch der Grund ganz veråndert, auf welchem das Gebäude des ritterlichen Adelssystems beruhete. Die alten Verhältnisse, in denen aus Pflichten Ansprüche hervorgiengen und Rechte entstanden, sind nicht mehr. Es haben sich neue gebildet, in denen die Reste der aus den vorigen Zeiten übertra= genen Ideen fortleben: aber ohne Realität im wirklichen Leben, Was vormals mit fortwährendem Aufwande erkauftes Recht war, hat die damit verbundne Pflicht überlebt, und ist dadurch zu einer Uebervortheilung geworden. *) Die neue Staatsgewalt, welche sich zugleich erhob, hat sich damit begnügt, Anstalten für ihre Bedürfnisse zu erschaffen, so wie dieselben fühlbar wurden: die Ueberreste der alten Ordnung aber hat sie ihrem Schicksale überlassen. Håtten die Fürsten bey jedem Ausfalle, einen angemessenen Ersak von denen verlangt, welche ihrer frühern Verpflichtungen enthoben wurden, so wåren die Misverhältnisse vermieden, die aus einem solchen Uebergange in einen neuen Zustandentstehen mußten. Da dieses verabsäumt ist, so wird jeht die Autorität des Herkommens angerufen, so oft der Mächtige

[ocr errors]

=

*) Der Adel, fagt Eichhorn in seiner deutschen Staats- und Rechts - Geschichte (Th.4. §. 563.), verlor den Charakter eines durch die Natur der Verhältnisse gebildeten Standes, und verwandelte sich in eine privilegirte Claffe.

[ocr errors]

im Genusse seiner Vortheile geschüßt werden soll. Seine Verpflichtungen sind dagegen verschwunden; und der dadurch leidende Theil hat kein Rechtsmittel, sich von der Last, die auf ihn gewålzt worden, zu befreyen. So hat die Gerichtsbarkeit der Gutsherrn, ihre schüßende Gewalt; die ritterschaftliche Steuerfreyheit, die Verpflichtung zu Kriegsdiensten überlebt und nach dem Verlaufe mehrerer Generationen ist es nicht möglich, ein angemesseneres Verhältniß zu erschaffen, ohne Aufopferungen zu verlangen, welche denen, die vergüten sollen, was ihre Vorfahren gesündigt haben, als Kränkungen eines wohlhergebrachten Besites erscheinen.

Jene große Veränderung in der Lage des Adels, ist in Deutschland und in Frankreich zu derselben Zeit eingetreten. Die stehenden Heere find in beyden Reichen, im siebenzehn= ten Jahrhunderte eingeführt. Die gleichzeitige Ausbildung der höchsten Gewalt aber, hat in ihnen eine entgegengesette Richtung genommen und damit haben auch die Verhältnisse des Adels zu der Nation, in beyden eine verschiedne Gestalt erhalten.

In Frankreich ist er ganz vom Monarchen abhängig geworden, der alle untergeordnete Staatsgewalt an sich zog. Dem Könige verdankte er den Schutz der Vorzüge, die ihm noch übrig blieben. Von seiner Gnade allein hatte er Begünstigungen zu erwarten. Auch hat er sich an ihn ganz angeschlossen. Durch solche Abhängigkeit von der Krone war aber auch die Trennung des Adels von der Nation sehr gemildert.

Neben dem ritterlichen Adel (noblesse d'epée) hatte sich ein Andrer, durch die Gerichtshöfe gebildet (noblesse de robe). Die Parlamentsrathsstellen waren wegen der dafür erlegten Summen, eben sowohl ein Eigenthum, als die Ritterlehen: aber nicht, so wie diese, zu Beneficien geworden, sondern officia geblieben. Das Ansehn dieses GerichtsAdels war sehr groß: weil die Parlamente nicht blos Recht

« PreviousContinue »