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aber ohne eine gewisse Heiterkeit des Geistes ist es unmöglich, große Dinge zu bewirken.

Zum Regieren wird man gebohren: und die Natur bindet sich darin an keinen Stand. Eugen war ein Prinz: Sully war vom åltesten Adel: Ximenes, eines Hirten Sohn: Colberts Vater kannte Niemand. Solche Männer erscheinen aber nicht immer, wenn man ihrer bedarf. Muß eine bedrångte Zeit mit Wenigern zufrieden seyn, so dürfen die Vorzüge nicht unbeachtet bleiben, die in enger Verbindung mit einer vornehmen Geburt und Erziehung stehen. Der Sohn eines Mannes, der eine bedeutende Stelle in der Gesellschaft einnimmt, erhålt früher eine andre Ansicht der Welt, als derjenige, der seine ersten Jahre in einer abhångigen und untergeordneten Lage zugebracht hat. Bey Jenem entsteht aus dem Bewußtseyn eines angebohrnen Vorzugs, eine Unbefangenheit im Handeln, und eine Zuversicht zu sich selbst, welche den Erfolg aller Bemühungen sehr erleichtert. Dazu kommt noch die Wirkung angenehmer Formen des Benehmens, in denen ein unwiderstehlicher Zauber liegt. Durch sie wird oft bewirkt, was aller Verstand, Einsicht, und selbst guter Wille nicht vermag. Die Ausbildung eines solchen wirklich vornehmen Tons sezt aber eine frühe Gewohnheit voraus, die Rolle des vornehmen Mannes zu spielen. Wer auch nur wenig mit der Welt bekannt ist, wird auf den ersten Blick, den Edelmann, der seine frühesten Jahre mit einer allgemeinen Ausbildung aller körperlichen und geistigen Kräfte zugebracht hat, von dem unterscheiden, der sich irgend einem bestimmten Berufe hat widmen müssen, um einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.

Der Eindruck, den eine solche wahrhaft adliche Bilbung, die jedoch auch im Adel sehr selten ist, auf alle Menschen macht, ist so stark, daß nur Wenige sogar von denen, die sich am meisten gegen die Ueberlegenheit, die sie giebt, auflehnen, ihm zu widerstehen vermögen. Da=

gegen haben Talente und Verdienste eines neuen Mannes sehr gefährliche Feinde, in dem Neide und der Eifersucht derer, die ursprünglich auf gleicher Stufe standen, und es doppelt empfinden, wenn sie gegen einen von ihnen selbst zurückbleiben.

Der Adel darf also nicht fürchten, verdrångt zu werden, wenn die Laufbahn der Macht und der Ehre jedem Mitwer ber eröffnet wird. Auch die Besorgniß, daß ein neuer Mann ein Heer von Verwandten und Clienten begünstigen, und die alten Misbråuche nur zu Gunsten einer andern Classe erneuern würde, ist ungegründet. Die Sixtus und Ganganelli, die von Nepoten nichts wissen wollen, und das gemeine Wesen adoptiren, sind zwar selten. Eine über triebne Sorge für Verwandte ist aber von Emporkömmlingen am wenigsten zu besorgen. Eher mögten sie geneigt seyn, sich derselben zu schämen, und der Classe, bis zu welcher sie sich erhoben, mehr einzuräumen, als sie sollten: in der eiteln Hoffnung, sie dadurch mit sich zu versöhnen.

Die schlimmste Gefahr welche dem Adel drohet, liegt daher in der That nur in seiner eigenen Ausartung, wodurch andre Stånde ein geistiges Uebergewicht erhalten, dem ein politisches unvermeidlich bald folgt.

Sechstes Capitel.

Verhältniß des deutschen Adels zu der Nation.

Der Ahnenstolz ist lange verhaßt gewesen, und oft verspottet. In Frankreich hat man versucht, ihn mit der Wurzel auszurotten. Aber es ist nicht gelungen. Die Adlichen konnte man ihrer Namen, Titel und Wapen berauben. Der Adel selbst ist unzerstörbar gefunden. Und wenn auch die alten Geschlechter, durch die Schuld ausgearteter Abkömmlinge, ihr Ansehn verlieren, oder durch die Thaten und das Glück neuer Månner verdunkelt werden, so entsteht wieder in der Nachkommenschaft dieser Empor= kömmlinge ein Adel, der, gleich dem vorigen, den wechseln= den Schicksalen aller menschlichen Dinge unterworfen ist. Ein Adel ist nicht blos Monarchieen wesentlich. Auch in den griechischen und italienischen Republiken sahe man nichts Anderes, als steten Kampf der angesehenen Geschlechter mit dem Volke, das sich der von ihnen errungenen Herrschaft entziehen wollte: und wenn gleich in den vereinigten Staaten von Nordamerika die Entstehung eines Adels als politi= schen Körpers, durch die Geseke verhindert wird, so werden auch dort die Namen Washington, Adams, Jefferson und Andrer um den Staat hochverdienter Månner, ihren Erben nicht weniger werth seyn, als es im alten Europa historische Namen sind.

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Nach einer vorgeblich philosophischen Theorie soll der Mensch nur nach seinem persönlichen Gehalte geschäßt werden. Die bürgerliche Gesellschaft ist aber aus so vielen kleinen Kreisen zusammengesett, und die Verhältnisse dieser einzelnen Bestandtheile sind so mannigfaltig, daß jedes Mitglied des großen Ganzen nur in Beziehung auf den engern Cirkel gewürdigt werden kann, in dem es sich entfaltet, und

für den es zunächst gebildet werden muß. Von allem, was der Mensch hiezu bedarf, verdankt er aber nur wenig sich selbst. Der Stand, die Lebensart, die Beschäftigungen und dadurch gebildete Denkart der Eltern, haben einen überwiegenden Einfluß auf den Sohn. Seine äußere Lage bestimmt den Gesichtspunkt, aus dem er die Welt, die Menschen und die bürgerlichen Verhältnisse zuerst ansieht: und darauf be= ruhen die Gesinnungen und Grundsäße, die sich in dem jungen Gemüthe bilden. Aber die Sitten der Våter waren ebenfalls durch die Lage, die Vermögensumstånde, Beschåf= tigungen ihrer Eltern gebildet: und der Einfluß dieser Eigenthümlichkeiten erstreckt sich tief herab, auf Enkel und Urenkel. So entsteht ein Familiengeist, in welchem der festeste Grund guter Sitten und einer eigenthümlichen Denkart liegt. Am auffallendsten sind die Wirkungen desselben in republikanischen Staaten, in welchen die Mittheilung politischer Marimen und bestimmter Gesinnungen gegen die Mitbürger, den wichtigsten Theil der Erziehung ausmacht, und wo politische Verbindungen erblich werden. In Demokratieen wie in Aristokratieen giebt es Geschlechter, die dem Volke werth sind: freylich auch andre, die gefürchtet werden. Wer in Rom kannte nicht den hohen Sinn, den harten Stolz und die unerbittliche Unterdrückungssucht der Claudier? die menschenfreundliche Gesinnung der Valerier? Seit Jahrhunderten ist der Name Reding in Schwyz, Erlach in Bern, durch erblich fortgehende vaterländische Gesinnungen berühmt. Aber auch in dem engern Kreise des Privatlebens, und unter jeder Verfassung, erzeugt die Gesinnung der Altvordern, die auf ihre Nachkommen übergeht, ein gut gegründetes Vorurtheil. Ihr mächtiger Einfluß ist durch die schnellere Bewegung, der sich in neuen Zeiten Alles überläßt, sehr geschwächt. Die menschliche Gesellschaft wird aber immer wieder darauf zurückkommen müssen, um Sicherheit zu gewinnen, und auch sogar um das Gute festzuhalten, das sie in der Bewegung aufgeregter Zeiten gewonnen ha ben mag.

Rehb. Schr. Bd. II.

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ཎྞཾ

Bey dem ersten Auftreten in der Gesellschaft, kann der Mensch sich nicht sofort zu erkennen geben. Ehe er zeigen kann, was er ist und vermag, wird gefragt, wer er ist? und da muß er sich durch seinen Ursprung empfehlen. Na= men und Herkunft leisten einige Gewähr für den Unbekannten. Durchgehends wird auf die Geburt mit Recht gesehen: und der hohen, ausgezeichneten, angesehenen, bekannten, ehrlichen Herkunft, eine verhältnißmåßige Achtung erwiesen. Auch in den niedrigen Stånden wird es für nichts Geringes gehalten, von rechtlichen Eltern zu seyn: und das Bewußtseyn einer vornehmen Abkunft begründet einen Stolz, der an sich selbst nicht verwerflich ist. Er beruht auf einem unsichtbaren, von allen äußern Zufälligkeiten unabhångigen Eigenthume. Keine Macht vermag, dem Enkel zu nehmen, daß seine Vorfahren etwas gewesen sind. Und wenn es auch möglich wäre, das Ansehn der Namen und ererbten Titel ganz zu vertilgen, so könnte die menschliche Gesellschaft dabey wenig gewinnen. Die Achtung gegen den Adel welche bey dem großen Haufen in eine blinde und dumpfe Verehrung übergeht, würde sich ausschließlich dem Reichthume zuwenden: und der Geldstolz kennt noch weniger Achtung für den Werth der Menschen und Schonung ihrer Gefühle, als der Hochmuth, der sich auf Vorzüge der Geburt stüßt.

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Das Ansehn des Adels ist in der Natur des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet. Auch ist es nicht der Vorzug einzelner Geschlechter, wogegen sich die allgemeine Stimme auflehnt: sondern nur die schneidende Absonderung einer besondern Caste, vom ganzen Volke.

Dieses wird dadurch in zwey ungleiche Hälften getheilt, von denen die erste mit Verachtung auf die andre herabsieht, und diese giebt jener den bittersten Haß zurück.

So ist die ganze Nation verurtheilt, die Verspottungen andrer Völker zu ertragen, bey denen die Staatsver

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