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Verfassung und der Denkart andrer Völker, ist jest so weit verbreitet, daß manche in jener Zeit unentbehrliche Vergleichungen jetzt überflüssig seyn möchten.

Die oben erwähnten Blätter, welche ich in der Zeit des ersten Sturms geschrieben, können daher noch jezt nur in den Augen derer ein Interesse haben, welche die Geschichte der Revolution zum Gegenstande einer besondern Beschäftigung machen. Für diese ist ein Verzeichniß derselben eingerückt. Hier folgt das Wesentlichste ihres Inhalts, und des in dem zuleht genannten Buche Hinzugefügten, welches dazu dienen kann, die Hauptgesichtspunkte festzuhalten, die in der leidenschaftlichen Stimmung, welche noch immer fortdauert, und der Natur der Sache nach nie ganz aufhören kann, übersehn oder absichtlich verrückt werden.

Die französische Revolution des Jahrs 1789.

Die französische Revolution ist nicht, wie in einigen unter höherer Autoritåt verbreiteten Schriften behauptet wird, ein Erzeugniß der Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts wenn diese gleich einen großen Antheil an der Richtung gehabt hat, welche die Bewegung der Nation genommen, nachdem sie durch ganz andre Ursachen erregt war.

Ein Volk von dreyßig Millionen läßt sich nicht mit einem Zauberschlage in fanatische Wuth für abstracte Ideen versehen. Wenn es einmal aufgeregt ist, so ergreift es begierig jede angebotne Vorstellung, Symbole, Worte: und streitet dafür nicht selten mit desto größerer Hartnäckigkeit, je weniger es den Sinn begreift. Aber der erste Aufstand eines ganzen Volks sezt immer ein allgemeines Gefühl drückender Uebel voraus: und auch dieses geht nur bey ungeschickter Behandlung von Seiten der Regierungen, in wirkliche Empörung über.

Eine antisociale Lehre war allerdings durch Schriftsteller und Declamatoren in die gesellschaftlichen Kreise der Hauptstadt eingedrungen. Auf diesem Wege hatten sich die Tadler der bestehenden Einrichtungen furchtbar gemacht, und sogar einigen Einfluß auf die Maaßregeln der Regierung gewonnen. Aber es fehlte sehr viel daran, daß die höhern Stånde durchaus dem atheistischen Materialismus ergeben gewesen wåren, wie die Herolde der Secte vorgaben. Der glånzendste Theil der vornehmen Welt, und der sich am lauteften vernehmen ließ, mag sich dazu bekannt haben: aber ein größerer blieb ihrem Einfluße unzugänglich: und auch unter denen, die sich von der Beredsamkeit und Dichtkunst angezogen fühlten, womit die Lehre des Tages ausgeschmückt ward, verabscheueten sehr viele diesen Misbrauch der Talente.

Ein sehr bedeutender Theil der französischen Philosophen selbst war ganz andern Grundsäten ergeben, und auch diese hatten viele Anhänger unter den denkenden und wissenschaftlich gebildeten Classen. Diese sogenannten Physiokraten, welche aus den Begriffen von allgemeiner Freyheit, ein System der Staatsverfassung ableiten wollten, waren der frechen Immoralitåt jener Sophisten sehr abgeneigt. Über ihre Ideen und ihre Entwürfe widerstritten dem bestehenden Zustande der bürgerlichen Gesellschaft nicht weniger: und so verschieden auch die Ansichten und Grundsätze beyder Secten seyn mogten, so waren sie dennoch durch das Interesse der Wissenschaft und die Ehre der Literatur mit einander verbunden. Es hatte sich ein förmlicher Stand der Gens de Lettres gebildet: und in diesem hatten oft, so wie in allen Corporationen, der Geist der Association und ihr particulares Intereffe das Uebergewicht.

Auf diesem Wege war die Macht abstracter Ideen groß und furchtbar geworden. Einen entscheidenden Einfluß aber haben sie erst alsdann erhalten, als das bestehende Staatsgebäude durch ganz andere Ursachen in sich selbst zusammengefallen und damit die Herrschaft jedem preis gegeben war, der den Muth hatte, sie zu ergreifen.

Rehb. Schr. Bd. II.

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Dieser Geist der Zeit, der alles Bestehende beurtheilen, tadeln und åndern wollte, wird beschuldigt, Ursache alles Uebels zu seyn, das wir erlebt haben. Allerdings hat er viel verschuldet. Wenn man ihm aber immer nur Vorwürfe macht, weil er so Vieles zerstört hat, und das, was er schaffen wollte, so schnell wieder verschwunden ist, so vergißt man, wie Kirche und Staat, gegen die er seine Angriffe richtete, in Frankreich beschaffen waren.

Der Fanatism des Unglaubens hat nicht allein die kirchlichen Formen, die den Geist niederdrückten, sondern auch die Religion, die ihn erhebt, vernichten wollen. Aber diese ward auch zu Verfolgungen gemisbraucht, die das Gefühl der Menschlichkeit beleidigen. Hinrichtungen von Kehern sahe man nicht mehr. Aber während der wegen ihrer Milde gerühmten Verwaltung des Cardinals Fleury find mehr als zweytausend Menschen in Gefångnisse geworfen, weil sie sich unter Genehmigung ihrer Geistlichen weigerten, die in der Bulle Unigenitus vorgeschriebenen Beichtzettel zu lösen.

Die von Ludwig dem Vierzehnten erneuerte Verfolgung der Protestanten war nicht, so wie häufig behauptet wird, zu einem todten Gesetze herabgesunken. Der Minister Malesherbes bezeugt in seinen von Boißy d'Anglas herausgege= benen Schriften, daß eine ganze Colonie von mehr als hundert Personen, die wegen ihrer Beharrlichkeit bei dem ererbten reformirten Glauben weder in ihrem Vaterlande geduldet werden, noch dasselbe verlassen sollten, in einem Gefångnisse völlig vergessen waren. Unter diesen Opfern der Priesterwuth befand sich ein Mädchen, das, im neunten Jahre ihres Alters mit allen Ihrigen eingesperrt, im fünfunddreyßigsten noch keine freye Luft geathmet hatte.

Gegen solche Tyranney lehnte sich das allgemeine Ge= fühl eines Zeitalters gemilderter Sitten und feinerer Menschlichkeit vergebens auf. Nur durch unablässige Bemühungen

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vieler, zu dem Einen Zwecke verbündeter Schriftsteller, sind die widerstrebenden Vorurtheile und der Eigensinn der geist= lichen und weltlichen Herrschsucht zum Nachgeben genöthigt. Vorzüglich durch Voltaire, der sein dramatisches Genie anwandte, das dem Schauspiele leidenschaftlich ergebene Paris mit philosophischen Marimen zu beschäftigen; der das Publicum auch außer dem Theater mit den unerschöpflichen Wendungen seines treffenden Wißes funfzig Jahre lang_unterhielt, mit diesem Talente geistreiche Frauen und corrumpirte Hofmånner in sein Interesse zog, sich den Großen und Mächtigen, die ihn haßten, verfolgten, und ihm schmeichelten, furchtbar machte, und so eine Herrschaft über die Gemüther, nicht blos feiner eignen Nation gewann. So schwer er sich auch durch Verhöhnung aller positiven Religion' versündigt hat, so darf doch nicht vergessen werden, wie viel er zu dem Siege über die unsinnigste und gefühlloseste Intoleranz beygetragen hat. Wer in ihm nur den frechen Spötter sieht, verkennt die bessere Hälfte seiner Thätigkeit und seines Einflusses.

Mit gleicher Dreiftigkeit ist die bürgerliche Regierung angegriffen. Aber die zu einem hohen Grade ausgebildete Finanzverwaltung bestand wirklich nicht in einer wohlgeordneten Vertheilung der Lasten, sondern nur in der Kunst, so viel Geld als möglich für den Königlichen Schaß zu erpres= sen: und der Druck dieser Auflagen ward dadurch noch unerträglicher, daß Jeder sahe, wie viel davon einzelnen hohen Geschlechtern durch zugestandne Eremtionen und Abfindungen, und den Werkzeugen der Verwaltung zufloß.

Der Bauer bezahlte eben so wie in andern Låndern, in welchen die Lehnspflichten den Rittern erlassen worden, den Schuh, den er nicht mehr vom Gutsherrn zu erwarten hatte, noch einmal an den König, ohne daß ihm etwas an den frühern Prästationen erlassen wäre. In Frankreich aber war der alte staatsrechtliche Ausdruck: pauvre gent, taillable à volonté in der strengsten Bedeutung wirklich angewandt.

Mit Ausnahme des Adels, war jeder Einzelne, bey den persönlichen Abgaben der willkührlichen Besteurung unterworfen, die von den Unterbedienten der Königlichen Intendanten abhieng. Wer nach dem Frieden von 1763, in welchem Zeitpunkte das Elend des Volks den höchsten Punkt erreichte, den Boden von Frankreich betreten hatte, bezeugte, daß der Landmann dem Reisenden eine Flasche Wein und ein Stück Fleisch nur mit der ångstlichsten Besorgniß überließ, es mögte bemerkt, und sein Ansatz in der Taille personnelle erhöhet werden.

Die Abgaben von den unentbehrlichsten Bedürfnissen waren zu einer unerträglichen Höhe getrieben: und das Volk, das vom Monarchen in der Ausübung der Besteurungsrechte, wie andrer Rechte, Billigkeit und Milde erwarten durfte, war durch die Verpachtung der Steuern dem gefühllosen Eigennuhe von Privatpersonen preis gegeben. Die General-Påchter waren in ganz Europa berüchtigt.

Der Umfang der Misbräuche, wovon hier einige auffal= lende Züge angegeben sind, erhellt am besten aus Neckers Darstellung seiner redlichen Bemühungen sie abzustellen.

Ludwig der Sechszehnte bewies vom Anfange seiner Regierung an, den ernstlichen Willen, die Verwaltung zu verbessern, aber die Ausführung seiner wohlwollenden Absichten war zu großen Schwierigkeiten unterworfen. Er fand die ganze Staatsgewalt in einer, der völligen Desorganisation sehr nahen Verwirrung.

Richelieu hatte das Feudal - System unterjocht. Seine Nachfolger beherrschten die Trümmer: Mazarin, durch Schlauheit und Rånke: Ludwig der Vierzehnte, durch Gewalt. Aber schon unter Ludwig dem Funfzehnten gebrach es an Kraft, der Regierung die nothwendige Ueberlegenheit über die zahllosen Autoritäten zu erhalten, die sich zwischen dem Monarchen und dem Volke befanden, und ihre errungene Selbstständigkeit bartnäckig vertheidigten. Von jeher hatten die Könige fich

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