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forderten, ohne zu ahnen, wie schnell diese, im Gefühle der ihr zugestandnen Freyheit übermüthig werden, und wie weit ihr Einfluß sich erstrecken könne. Doch erhielt das unbez stimmte Streben nach Verbesserung oft nur Veränderung des Bestehender, welches den herrschenden Charakter der Zeit ausmachte, erst durch die französische Revolution eine so ent schiedene Richtung auf die ganze Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft, daß die Fortschritte der von dieser Bewegung einmal ergriffenen Völker, durch alle Bemühungen, das Alte festzuhalten oder herzustellen, nur gehemmt, oder in gefährliche Abwege geleitet, aber nicht mehr unterdrückt werden können.

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Deutschland war zu einer Veränderung seiner staatsrechtlichen Verfassung durch die innere Disharmonie ihrer Elemente wohl vorbereitet.

Die Reichsverbindung war schon lange kraftlos. Seit dem westphälischen Frieden ging sie mit immer schnellern Schritten ihrer Auflösung entgegen. Fürsten und Völker fühlten darin nur den Druck låstiger Verpflichtungen, welche weder Schuß gegen Außen, noch Uebereinstimmung im Innern gewährten. Die vornehmsten Mitglieder entzogen sich ihr, sobald es ihnen gut dünkte: und die Schwächern suchten sich durch den oft verrätherischen Schuß der Mächtigern und durch Verbindungen unter sich, die selten etwas leisteten, zu helfen.

Die Bemühungen der Fürsten für das Wohl ihrer Un terthanen fandén in der Verfassung des Reichs selbst große Hindernisse. Gemeinschaftliche Anstalten sollten durch die Kreisverfassung begünstigt werden. Aber diese war, außer in Schwaben, nirgends mehr in Wirksamkeit. Einzelne Regenten hatten bey den nüßlichsten Unternehmungen oft den Widerstand der Reichsgerichte zu fürchten. Diese gewährten allen bestehenden Formen, gleich wohlerworbenen Rechten, Schuh: leisteten hingegen in Ansehung des dringendsten Be

dürfnisses des gemeinen Wesens, der Rechtspflege, "nur sehr wenig. Der Schuß gegen die Uebermacht, den der Reichshofrath versprach, und in einzelnen Fållen wirklich gewährte, ward ganz nach politischen Rücksichten abgemessen. Die Entscheidung von Privatstreitigkeiten aber war bey dem Reichs-Cammergerichte sehr schwerzu bewirken, und erfolgte meistentheils zu spåt.

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Die alten Landstände waren in vielen deutschen Staaten ganz verschwunden. In manchen schliefen sie, in andern herrschte eine große und gegründete Unzufriedenheit mit ihnen : und es gab Provinzen, in denen man sich ihrer lieber ganz entledigt håtte. Es ward ihnen vorgeworfen, daß sie das nicht mehr leisteten, wodurch sie sich vormals den Namen erworben haben mögten, Wächter der deutschen Freyheit zu seyn. Man sah sie vielmehr als Körperschaften an, deren Beruf darin bestehe, nicht etwa ihre Mitbürger zu vertreten, sondern nur eigene Rechte gegen Jene, wie gegen die Fürsten, zu verfechten. Eine Ansicht, die von ihnen selbst anerkannt, und in staatsrechtlichen Schriften gelehrter Månner vertheidigt ist. Wenn sie aber auch in der Geschichte vollkommen gerechtfertigt würde; wenn der Ursprung aller stån dischen Corporationen in der freyen Vereinigung zum Schuße eigener Rechte zu suchen wåre; låge denn nicht eben hierin schon der vollgültigste Beweis, daß das Recht, sich dem Landesfürsten gegenüber als ausschließliche Repräsentanten seiner sämmtlichen freyen Unterthanen anzusehen, eine Usurpation ist, der es an einem rechtlichen Grunde ganz fehlt? Es war in manchen Ländern dahin gekommen, daß die anmaaßlichen Vertreter des Landes sich die Bewilligung der von dem Fürsten verlangten Summen, mit einer Befreyung von der Steuer, die ihre Mitbürger traf, auch wohl gar mit baaren Gnadengeschenken bezahlen ließen.

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Mit der Entwicklung der Landeshoheit, die seit dem westphälischen Frieden so schnell vorgeschritten war, hatten sich alle Spuren der in früheren Verhältnissen und Rechten

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gegründeten Heilmittel solcher Gebrechen aus der Erinnerung verloren. Die Geschichtsforscher selbst verkannten sie. Die Lehrer des Staatsrechts hätten die alten Grundsåße in einer den neuen Zeiten angemessenen Form ausbilden follen. Statt dessen schufen sie eine Theorie, die von jenen Grundfäßen ganz abführte. Was ursprünglich Befugniß freyer Månner gewesen war, verwandelten sie in Privilegien, die von höherer Autorität aus Gnaden oder Vertragsweise ertheilt seyen. Und wenn es auch nicht an richtigen Begriffen gefehlt hätte: wo wäre die Kraft aufzufinden gewesen, sie geltend zu machen! In den Zeiten, die das Mittelalter genannt werden, hatte die allgemeine Noth die Unabhängigkeit der Geringen zerstört, und diese gezwungen, Schuß bey Höheren und Mächtigern zu suchen. Damit war die politische Freyheit des Volks vernichtet. Die Vorsteher der nunmehro für privilegirt erklärten Körperschaften waren wohl damit zufrieden, die errungenen Rechte und Vorzüge aufrecht zu halten, und gaben das Ganze auf, um ihren Privatvortheil im allgemeinen Schiffbruche zu retten. Ritterschaften und geistliche Convente suchten nur ihre ers schlichene Befreyung von gemeinen Lasten zu behaupten: die städtischen Collegien, sich in der Verwaltung des Communalgutes von aller wirksamen Aufsicht unabhängig zu erhalten. Wo fich noch Spuren des vormaligen Antheils der Communen an der Verwaltung ihrer Angelegenheiten fanden, trugen sie unverkennbare Zeichen des Verfalls an sich. Eine Herstellung derselben war aber nicht leicht zu hoffen. Es ist nicht zu erwarten, daß ein von innerer Verderbniß ergriffener Staatskörper sich jemals selbst reformire. Den Bürgern war der Weg, es zu bewirken, versperrt. Denn sie waren ihren Vorstehern unterwürfig geworden: und die erstarrte Form des zum Rechte gewordnen Herkommens widerstand jedem Versuche, ein angemesseneres Verhältniß herzustellen oder zu erschaffen. Es blieb nichts übrig, als eine Reform von Oben her: aber es ward dem Interesse des fürstlichen Ansehns gemåßer gefunden, sich die Verwaltung der gemeinen Angelegenheiten zu unterwerfen, als sie zu verbessern und

ihre Selbstständigkeit zu erhalten. So waren die öffentlichen Geschäfte fast ganz in die Hånde bestellter landesherrlicher Diener übergegangen. Wohin aber dieses führt, zeigt sich in dem Beyspiele der Städte in den westphälischen, vom Churfürsten von Brandenburg im Frieden von 1648 erworbenen Provinzen. Der König Friedrich Wilhelm der Erste nöthigte sie, die Ueberschüsse der von landesherrlichen Bedienten nach Gutdünken verwalteten Einkünfte in seine Caffen abzuliefern. In andern Låndern aber, wo die alten Rechte städtischer Corporationen in Kraft blieben, führte ihre Selbstständigkeit nur zu einer Verewigung der › Misbräuche. Die landsässigen Städte entzogen sich der Aufsicht ihrer Landesherrn. Die bedeutendsten darunter verweigerten ihm sogar die Einsicht ihrer Rechnungen. Dresden, Leipzig und andre hatten dieses als ein Privilegium des Stadtrathes, in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts mit großen Summen aus dem gemeinen Seckel der Communen erkauft. Aehnliches fand sich auch an andern Orten. Alle aber such ten sich möglichst jeder Aufsicht zu entziehen, und widerstrebten derselben mit solchem Erfolge, daß zum Beyspiel die nåmlichen Misbräuche, welche den Churfürsten Ernst August von Braunschweig-Lüneburg im Jahre 1700 bewogen, den ganzen, Magistrat seiner Hauptstadt abzusetzen, und ihr ein neues Reglement vorzuschreiben, das nie zur Vollziehung gekommen ist, Einhundert Jahre spåter abers mals eine Untersuchung des ganzen Haushalts veranlaßt haben. Solche Vorfälle finden sich in der Geschichte aller einzelnen deutschen Lånder.

Die Städte, welche unmittelbare Reichsfreyheit behauptet hatten, waren der Aufsicht der Reichsgerichte unterworfen, die aber nur auf Anrufen eines Klågers, wozu sich nicht leicht jemand aufwarf, oder bey unheilbar gewordnen Uebeln einschritten. Nur wenige dieser Reichsstädte, eben wie auch der Landsässigen, hatten eine Verfassung, welche die Entwicklung republicanischer Tugenden beförderte. Die meisten unterlagen außerdem dem Drucke ungünstiger Verhältnisse in der neu gestalteten Welt.

So war im deutschen Reiche das Volk entweder einer unbeschränkten Willkühr in der Regierung seiner Angelegenheiten Preis gegeben, oder sein Interesse ward das Opfer eines Kampfes der über ihm waltenden, schlecht geordneten Autoritäten.

Dies lehte Uebel zeigte sich in allen bürgerlichen An= stalten: jenes erste war vorzüglich in den militårischen fühlbar.

Seitdem die Fürsten die Landeshoheit erworben hatten, war die Sorge für die Vertheidigung gegen Außen, und für die Erhaltung der Ordnung im Innern, fast ganz auf sie übergegangen: und Beydes ward durch stehende Heere bewirkt. Daß damit den Rittern die Verpflichtung zu dies nen erlassen, die Bürgerschaften der Last sich selbst zu schüßen, enthoben wurden, ließ man sich gefallen. Zwar ward die selbstständige Freyheit des Adels dadurch beschränkt, und der Gemeingeist der Bürgerschaften, geschwächt. Für Beydes gewährten indessen die bequemern Genüsse der neuen Lebensart, und die zunehmende Thätigkeit für das Privatinteresse, reiche Entschädigung. Aber nach und nach war es fühlbar geworden, wie theuer dieser Ersatz erkauft werde. In Frankreich war die Armee ganz national; nicht unverhältnißmåßig zahlreich; die Kriegszucht dem Geiste des Volks angemessen. In Deutschland hingegen brachte das System einer theils gezwungenen, theils geworbenen Mannschaft, schon an sich selbst, schwere Lasten mit sich. Wo es übertrieben ward, entstanden unerträgliche Misbräuche. In den preußischen Staaten war es zur höchsten Ueberspannung ausgebildet. Ein Fürst, der ursprünglich nicht mehr als drittehalb Millionen Unterthanen beherrscht hatte, be hauptete seine durch glückliche Kriege errungene höhere Stelle, vermittelst eines stets schlagfertigen Heeres von mehr als Zweymalhunderttausend Mann, zu welchem der pflichtige Bauernstand einiger Provinzen Zwey Drittheile lieferte. Die rothe Halsbinde, ein dem Kinde angelegtes Ehren

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