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II.

Anzeige und Beurtheilung einiger Schriften, welche den Zustand von Frankreich vor der Revolution, und einige damit verwandte Gegenstände betreffen.

Es ist bereits im ersten Bande dieser Sammlung (S. 288)

bey Gelegenheit der Schriften des Grafen von WindischGråz, des verunglückten Versuchs gedacht, den der Kaiser Joseph der Zweyte machte, die politische und kirchliche Verfassung seiner belgischen Provinzen zu vernichten, und eine ganz andre, auf rein monarchischen Grundsäßen beruhende, einzuführen. Diese Unternehmung, und der Aufstand der dadurch erregt ward, machen ein sehr bedeutendes Vorspiel zu der französischen Revolution aus, der fie unmittelbar vorhergiengen. In diesen beyden großen Ereignissen ist Alles einander entgegengesett: die Veranlas= fungen, die Absichten der streitenden Partheyen, und der Erfolg. Joseph wollte die Rechte der Corporationen, durch welche seine Autorität beschränkt ward, aufheben, und eine demokratische Gleichheit, in der Unterwürfigkeit aller Unterthanen einführen. Ludwig der Sechszehnte wollte seinem Volke größere Rechte und einen wirksamen Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten einräumen. Beyde fanden aber gleich lebhaften Widerstand. In Belgien vermogten die kirchlichen und politischen Aristokratien, das Volk in ihr Interesse zu ziehen, und zu Gunsten ihrer Ansprüche zu bewaffnen.

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Zustand von Frankreich vor der Revolution betreffen/99 In Frankreich führte der unüberlegte und übermüthige Widerstand der Aristokratie, ihren eignen Untergang herbey, und zog die Monarchie mit in denselben Abgrund.

Das aber haben beyde Revolutionen mit einander gemein, daß die Anstifter sich auf ein Recht der Völker beriefen, ihren Willen, gegen den Sinn des Regenten, auf jede Art, auch mit Gewalt, geltend zu machen: und von dieser Seite konnten die Unternehmungen sowohl derer, welche alles Alte aufrecht halten, als derjenigen, die Alles verändern wollten, den Beyfall von Männern erhalten, die in ihrem Urtheile über die Gegenstände des Kampfes, von ganz entgegenge= sehten Grundsäten ausgiengen.

Das Resultat des belgischen Aufstandes von 1787 ist schnell für immer verschwunden. Die Urkunden darüber haben indessen einen bleibenden Werth für die Geschichte: und fie geben Anlaß zu interessanten Betrachtungen.

Recueil de Lettres originales de l'Empereur Joseph II. au Général d'Alton Commandant des Troupes aux Pays-Bas, depuis Décembre 1787. jusqu'au Novbr. 1789.

Copies des Lettres du Général d'Alton à l'Empereur Joseph II. relativement aux affaires des PaysBas en 1788 et 1789. avec des Notes de L'Editeur.

Lettres de LL. AA. RR. Madame l'Archiduchesse Marie Christine et Albert Duc de Save - Teschen au Comte de Trautmannsdorff. Brüssel 1790. *).

Diese Urkunden, welche zwar, wie Vorrede und Noten sehr deutlich beweisen, in der Absicht, den Monarchen und seine Diener gehåßig zu machen, publicirt, aber gewiß nicht verfälscht sind, verbreiten Licht über manche Vorfälle der

*) Diese Beurtheilung ist in der Allg. Liter. - Zeitung 1790. Nr. 135 gedruckt.

merkwürdigen Geschichte, und noch mehr über den Charakter einiger Hauptpersonen. Für ihre Authenticitåt bürgt nicht nur im Ganzen der Inhalt, der die Angelegenheiten der kaiserlichen Armee im größten Detail angeht: sondern das untergesetzte Zeugniß des Greffier de la ville de Bruxelles versichert den Leser, daß auch nicht einzelne untergeschobne Zusätze darin enthalten sind. Wir erhalten hier die Originalberichte des Generals, und die ihm ertheilten Instructionen. In jenen Berichten sind die Begebenheiten zwar nur so vorgetragen, wie sie dem Generale vorge stellt worden sind; oder vielleicht gar, wie er selbst für gut fand, sie vorzustellen. Sie sind nur einseitige Zeugnisse. Aber es werden durch dieselben, manche Zeitungsnachrichten, dergleichen immer eine Menge, aus ganz unbestimmten Volkssagen entstehen, und sodann eine Zeitlang für ausgemachte Wahrheit gelten, wenigstens verdächtig. Die in den Noten aufgestellte Behauptung, durch welche die Schuld der ersten Gewaltthätigkeiten, welche der General mehrentheils auf das Volk schiebt, den Soldaten zugeschrieben wird, ist doch auch noch kein Gegenbeweis: und in Ansehung eines der wichtigsten und frühesten Vorfälle, der ersten Thåtlichkeit zu Brüssel, am 22ten Januar 1788, wagt der Herausgeber diesen Widerspruch nicht einmal. Wenn man bedenkt, wie

wenig oft selbst diejenigen Personen, die an solchen Vorfållen Antheil nahmen, fähig sind, Zeugnisse abzugeben; da fie selten wissen können, was sie selbst in solchen Augenblicken gesehen und gethan; wie viel weniger noch das Zeugniß eines Einzelnen gilt, wenn davon die Rede ist, was in eis nem großen Haufen von Menschen, von andern geschehen, oder gar, nicht geschehen seyn soll: wie sehr endlich der Partheygeist dabey interessirt ist, daß gewisse Thatsachen für Wahrheit gelten; wie zweifelhaft also die Geschichte aller Aufläufe großentheils, und wie unvollständig sie nothwendig immer bleibt, so wird man gegen einseitige und frühzeitige Berichte mistrauisch. Die großen Begebenheiten unsrer Tage veranlassen den kaltblütigen Leser sehr oft zu diesen Betrachtungen, welche sehr verdienen, jedem der mit theil

nehmender Aufmerksamkeit den Schicksalen der Völker zusiehet, in Erinnerung gebracht zu werden, damit er sich nicht, gleich dem großen Haufen der Mithandelnden, von einseitigen und unzuverlässigen Berichten hinreißen lasse.

In Ansehung des Charakters der Hauptpersonen, des Kaisers, und seines Generals, contrastiren die urkundlichen Briefe selbst, sehr mit den Schilderungen der Herausgeber, in der Vorrede. In den Briefen des Kaisers herrscht ein,' von den sonst von ihm bekannt gewordenen Aeußerungen, abweichender Ton. Er überläßt mit anständigem Vertrauen, demjenigen, den er desselben einmal würdig hält, das Detail der Ausführung, ohne sich unzeitig im Einzelnen mit Bes fehlen einzumischen. Er genehmigt mehrentheils seine Vors schläge in Absicht auf das Avancement seiner Untergebenen: oft mit sichtlichem Wohlgefallen, ihm Beweise seiner Achtung und Zuneigung geben zu können. Er weiset die unthun lichen, oft sehr schlecht ausgesonnenen Vorschläge des Generals, ruhig und kurz, ohne Hårte und ohne Verspottung ab. In diesen Briefen herrscht endlich weit mehr Ruhe des Geistes, mit der er die Ausführung der einmal beschloßnen Absichten verfolgt, und mehr Måßigung in der Anordnung der Mittel dazu, als man erwarten sollte. "Seine Erklårung: ~J'ai résolu de couper court aux difficultés; si los choses vont sans qu'on soit obligé d'employer la force, tant mieux; sinon, il faut l'employer à propos, mais avec fermeté et courage, et ne pas balancer, ne pas douter, et ne rien commencer qu'on ne l'acheve, et que tout ne soit soumis. Le plus ou moins de sang que peut coûter une pareille Opération, ne doit point être mis en ligne de compte, kann von dem uneingenommenen Leser nicht, mit den Herausgebern, für die Aeußerung eines Neronischen Charakters gehalten werden. Wäre nur sein Plán gut und gerecht gewesen, so dürfte auch selbst die Furcht, Bürgerblut zu vergießen, ihn nicht alsdann aufgehalten ha= ben, wenn Nachgiebigkeit und Mangel an Entschlossenheit noch größeres Uebel herbeygeführt håtten. In Ansehung

dieses Planes selbst, könnte die mannigfaltig in diesen Briefen enthaltne Behauptung, daß nur ein von der Geistlichkeit aufgereizter niedriger Pöbel sich gegen ihn auflehne, und die geäußerte Zuversicht, daß der Landmann und der begüterte Bürger sich mit ihm gegen jene Plünderer veréis nigen würden, wenigstens zu einiger Entschuldigung dienen; wenn nur nicht in dem Briefe vom 20ten Sept. 1789, die Ausdrücke: il n'y auroit rien de plus dangereux, que si nous-mêmes nous contribuions à armer la bourgeoisie, à former des corps de municipalités, qui comme soldats vaudroient peu, et comme revoltés, ce qu' indubitablement ils seroient, à la première occasion, deviendroient dangereux, und andre Aeußerungen, wieder bewiesen, daß er sich wohl bewußt war, den Gesinnungen der Nation wenig trauen zu dürfen. Wenn man die zuerst ge= druckten Briefe des Kaisers allein lieset, so wird man geneigt, die größte Schuld, aufUnbekanntschaft mit den Gesinnungen des Volks zu schieben, und diesen Mangel den Berichten des Generals zuzuschreiben. Wenn man aber dagegen erwägt, wie verwickelt, wie versteckt, und wie schwankend, die Gesinnungen des beträchtlichsten Theils der Nation lange Zeit hindurch, vor dem Ausbruche der Revolution gewesen seyn mögen, (welches die spå= tern Vorfälle genugsam bestätigen,) so wird man es diesem nicht hoch anrechnen können, daß er nicht bessre Nachrichten an den Monarchen gelangen lassen. Für solche Nachrichten, und Vorstellungen, die seinen Plånen ganz entgegen waren, würde derselbe auch kein Ohr gehabt haben. Dieses zu vermuthen, berechtigt schon der Umstand, daß die häufigen Erinnerungen des Generals über die Unzuverlässig= keit derjenigen Officiere, die Familienverbindungen in den Niederlanden hatten, so wenig Eindruck auf ihn machten. Das Publicum ist allzugeneigt den vom Glanze der Majeståt Geschüßten, frey zu sprechen; und seinen Rathgebern dagegen alle Schuld beyzumessen, die ihnen oft, aber doch nicht immer zukommt. Werden diese endlich gar von ihrem Herrn zur Rechenschaft, gezogen, weil sie schlecht ausführten, was

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