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die Türkei mit uns gewesen wäre. Meine Herren! Ich bin ein grosser Ver- Nr. 6978. ehrer des türkischen Volkes (Heiterkeit auf der äussersten Linken); seine Staats- Ungarn. männer gleichen aber oft im Allgemeinen gesprochen den Staatsmännern des 15, Nov. 1878. alten Byzanz. Ich vergleiche sie aber nicht mit jenen, wenn ich von ihnen voraussetze, dass, wenn sie gesehen hätten, dass sie angesichts so vieler Gefahren ihr übrigens mit internen Uebeln kämpfendes Reich vor dem Kriege bewahren können, weil sich eine edelmüthige Monarchie findet, die diesen Krieg auf ihre eigenen Schultern nimmt, dass sie, sage ich, dann gewiss das Blut ihrer Söhne und ihr Geld nicht riskirt hätten. (Eine Stimme von der äussersten Linken: Im Jahre 1848 haben sie für Kossuth und die Honveds den Krieg riskirt! Rufe von der Rechten: Hört hört!) Ich gebe aber zu und wenn von der Aufrechthaltung unseres Vaterlandes die Rede ist, liesse ich, selbst wenn in meiner Seele ein Zweifel entstünde, denselben nicht zum Ausdrucke kommen - ich gebe zu und glaube auch, dass trotz dieser Verhältnisse, trotz der europäischen Constellation die österreichisch-ungarische Monarchie siegreich aus diesem Kriege hervorgegangen wäre; aber einerseits eine Verhundertfachung der von uns Allen beklagten Blutopfer (So ist es! von der Rechten), andererseits eine Verzwanzigfachung der von uns Allen so bitter gefühlten Geldopfer wären dann auf uns zu nehmen gewesen. (Rufe von der Rechten: So ist's! Widerspruch auf der Linken und Rufe: und Bosnien?) Und was wäre das Resultat eines solchen, wie gesagt, nur vorausgesetzten günstigen Erfolges gewesen? Einestheils wäre die orientalische Frage völlig ungelöst gewesen und in dem Herzen eines jeden nach berechtigter Freiheit schmachtenden Volkes die Ueberzeugung zurückgeblieben, unsere Monarchie trage die Schuld, dass es seine Freiheit nicht erringen konnte; andererseits wäre ein unauslöschlicher Hass in der Brust jenes 80 Millionen zählenden Volkes geblieben, welches wir meiner Ueberzeugung nach wohl hätten besiegen, aber nicht vernichten können. (Bewegung links. Hört! Hört!) Meine Ueberzeugung aber ist es, geehrtes Haus es ist möglich, dass ich irre dass es grossmüthig, bewundernswerth grossmüthig gewesen wäre, so vorzugehen, dass aber derjenige, der Ungarn und die Monarchie auf diesen politischen Weg geführt hätte, heute der in diesem Falle wirklich verdienten Missbilligung der gesammten Völker der Monarchie begegnet wäre. (Zustimmung rechts, Bewegung links.) Man sagt ich weiss es wäre deshalb kein Krieg nothwendig gewesen; es wäre genug gewesen wenigstens hörte ich im Hause eine Berufung auf das Beispiel aus dem Jahre 1856 wenn an gewissen strategischen Punkten eine Aufstellung erfolgt wäre, und der Krieg wäre dann gänzlich ausgeblieben. Ich gebe sogar dies zu; aber diese strategische Aufstellung hätte, was die Kosten anbelangt, dasjenige weit übertroffen, was bisher von den Völkern der Monarchie in Anspruch genommen wurde. (Unruhe links.) Im Jahre 1856 da ich die Ziffer nicht genau kenne, nehme ich lieber eine geringere an kostete die Aufstellung, wenn ich mich recht entsinne, 600 Millionen. Und was war das Resultat? Die vollständige Isolirung der Monarchie und die Feindseligkeit aller westlichen Völker

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Nr. 6978. schaften wie aller europäischen Mächte. (Sehr richtig! rechts, und Bewegung Ungarn. links. Eine Stimme auf der äussersten Linken: der Pariser Friede!) Was 15. Nov. 1878. aber den Pariser Frieden anbelangt, so will ich nur soviel bemerken, dass demselben ausser dieser Aufstellung unserer Monarchie noch einige andere Kleinigkeiten vorangingen; so die Einnahme von Sebastopol und andere dergleichen Geringfügigkeiten. (Zustimmung rechts.) Als unter diesen Verhältnissen der russisch-türkische Krieg ausbrach, erachtete es die Leitung unserer auswärtigen Politik als ihre Aufgabe, offen bekanntzugeben, dass, welches immer das Resultat des Krieges sein möge, wir uns unser entscheidendes Wort für das Ende vorbehalten. Darüber hinaus jedoch behielt sie sich die Geltendmachung ihres Einflusses für die Zeit des Friedens vor, auf diese Weise die Nation für mehrere Jahre vor jedem Blut- und Geldopfer bewahrend, und als der Präliminarfriede von San-Stefano abgeschlossen wurde, hielt sie es auch ihrerseits für ihre Pflicht, an dem Congresse theilzunehmen, auf welchem die europäischen Mächte erschienen, um diese Angelegenheiten, wenn nur irgend möglich, gemeinschaftlich und übereinstimmend zu regeln. Ich meinerseits kann nicht leugnen, dass ich in dem Umstande, dass die europäischen Mächte nach einem siegreich beendigten Kriege zusammentraten und die Resultate dieses Krieges beschlossen, vom Standpunkte des internationalen Rechtes und der Vertragspolitik einen entschieden bedeutungsvollen Schritt erblicke, und ich glaube, es war dies die erste Basis dazu, dass die Verhältnisse zwischen den europäischen Mächten derartige geworden sind, wie sie es im Interesse des Weltfriedens und des allgemeinen Wohlbefindens sein müssen, dass, wenn die Umstände dies verlangen, unter gegebenen Verhältnissen zwischen den Mächten auf einer natürlichen Interessengemeinschaft basirte Allianzen entstehen können. Ich höre fragen, geehrtes Haus, welchen Nutzen der Congress gehabt habe: derselbe habe ja nur das ratificirt, was Russland gewollt, und direct im russischen Interesse gewirkt. Die einzige Aenderung, auch das hörte ich gestern war die, dass der Friede von San-Stefano wenigstens Bosnien und die Herzegowina bei der Türkei beliess, während der Congress die Occupation und die Verwaltung derselben der österreichischungarischen Monarchie übertrug. Gestatten Sie mir, dass ich in aller Kürze eine Parallele ziehe zwischen den Bedingungen des Friedens von San-Stefano und den Feststellungen des Berliner Congresses. Der Friede von San-Stefano schuf ein Bulgarien mit gegen Constantinopel derartig vorgeschobenen Grenzen, dass die türkische Hauptstadt jeden Augenblick einer Ueberraschung ausgesetzt gewesen wäre Ausserdem war dieses Bulgarien ausgestreckt bis an das ägäische Meer, und gestattete er Serbien und Montenegro, so nahe zusammenzutreffen, dass bloss eine Militärstrasse als Grenze verblieb, während er die beiden entferntesten Provinzen, derer die Pforte schon vor dem Kriege nicht mehr Herr bleiben konnte, der Türkei unter der Verpflichtung überliess, dass sie dieselben der russischen Macht überantwortet, und für sich selbst bedang Russland das Recht, während einer langen Reihe von Jahren dort Truppen

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halten zu dürfen. Das war in seinen grossen Hauptzügen der Friede von San- Nr. 6978. Stefano. Der Berliner Congress konnte die Thatsache, dass ein grosser Krieg Ungarn. vorüber war, in welchem der eine Theil gesiegt hatte, absolut nicht ignoriren; 15. Nov. 1878, aber die Grenzen Bulgariens wurden sowohl von Constantinopel zurück- als von dem ägäischen Meere abseits gedrängt die Continuität des türkischen Territoriums wurde erhalten die Organisation Bulgariens wurde nicht einer russischen, sondern einer europäischen Commission übertragen und dem Abzuge der russischen Truppen wurde im Vergleiche zu dem früheren ein weitaus kürzerer Termin gestellt Bosnien und die Herzegowina aber wurden unter dem Scepter des Sultans belassen, während die Occupation und die Administration derselben Oesterreich-Ungarn anvertraut wurde, und dies geschah, wie Lord Beaconsfield und Andere dies bestimmt ausgesprochen hatten, in erster Linie im Interesse der Türkei (Widerspruch links), da derselben auf diese Weise die Möglichkeit geboten werden sollte, ohne ihre Kräfte allzusehr zersplittern zu müssen, in ihren zunächstgelegenen Provinzen Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Voraussetzen kann man Alles; aber wenn wir bedenken, dass eben in diesen Provinzen die Türkei selbst, als sie durch den Krieg mit Russland in ihrer Kraft noch nicht gebrochen war, Jahre hindurch nicht im Stande war, die Ordnung herzustellen; wenn wir sehen, dass auch heute noch in den unter ihrer unmittelbaren Herrschaft verbliebenen Territorien die Herstellung der Ordnung eine ganz ungeheure Aufgabe ist; wenn wir erwägen, dass selbst heute noch und unter solchen Umständen dem Versuche, die Ordnung herzustellen, einer ihrer ausgezeichneten Feldherren zum Opfer fallen musste — dann werden wir wohl kaum sagen dürfen, dass die Voraussetzung, von welcher in dieser Hinsicht ausgegangen wurde, des Grundes entbehre. Ich weiss, ich anerkenne, dass man dieses Vorgehen kritisiren, missbilligen kann; aber behaupten, dass es im Interesse einer Macht geschehen sei, welche gezwungen war, unmittelbar nach ihrem siegreich beendeten Kriege einem beträchtlichen Bruchtheile der Erfolge eben dieses ihres Sieges zu entsagen dies zu behaupten, ist ganz und gar unmöglich. (Lärm auf der Linken. Sehr wahr! rechts.) || Ich muss auf etwas reflectiren, was auch hier wiederholt betont worden ist, nämlich, dass mit der Occupation Bosniens und der Herzegowina die Regierung den Reichstag betrogen und die Nation hinters Licht geführt hätte. Nun, ich glaube, es ist nicht so! (Lärm links.) Bei dieser Gelegenheit habe ich auch sehr schöne und wohlgesetzte Theorien darüber entwickeln gehört, dass es niemals und nirgends die Gepflogenheit sei, derlei ohne vorhergehendes Einvernehmen mit dem Parlamente ins Werk zu setzen. Ich muss bemerken, dass die Behauptung, Aehnliches sei anderswo niemals geschehen, selbst jedes Scheines der Wahrheit ganz und gar entbehre. Wir brauchen gar nicht weit zurückzugreifen. Eben jetzt gleichzeitig ist Folgendes geschehen: Die englische Regierung verlangte einen Credit von ihrem Parlamente; die englische Regierung brachte bewaffnete Macht aus Indien herüber; die englische Regierung hatte nicht nur bezüglich der Occupation der Insel Cypern,

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Ungarn.

Nr. 6978. sondern auch bezüglich der Garantirung der türkisch-asiatischen Provinzen, also bezüglich einer Verpflichtung von ganz unberechenbarer Tragweite, einen 15. Nov. 1878. Vertrag geschlossen, und von diesem Vertrage hatte das englische Parlament, solange als er nicht perfect war, auch nicht eine Ahnung. Gleichwohl aber kann man England vielleicht doch nicht gut absprechen, dass es ein parlamentarisches Land sei. Was aber unsere jetzige Lage betrifft, so ist es entschieden grundlos, dass Alles ohne Wissen und ohne Ahnung, ja gegen den Protest des Landes geschehen wäre, wenn auch, wie dies in einem solchen Falle nicht anders sein kann, eine vorhergehende legislatorische Verfügung nicht vorliegt. || Ich glaube, dass, gleichwie man einerseits, trotz aller gegentheiligen Strömungen, nicht daran zweifeln kann, dass Jeder die auf dem europäischen Congresse übernommene Verpflichtung erfüllen werde, so andererseits noch weniger irgend Jemand daran zweifeln kann, dass jene Mächte, welche mit dem Gewichte ihres Wortes jene Bestimmungen schufen, nicht dulden werden, dass dieselben nicht eingehalten werden. (Bewegung auf der äussersten Linken.) Wenn dies erfolgt, dann würde das Ziel erreicht, ohne dass der Friede Europa's gestört wurde. Erfolgt dies nicht, was ich nicht glaube, und in jedem Falle sprechen die Anzeichen für mich so bin ich davon überzeugt, dass wir, die wir unsere Interessen mit den Interessen Europa's in Einklang zu bringen verstanden haben, in einem eventuellen Kampfe nicht allein stehen werden. (Beifall rechts.) Möglich, dass die Herren Abgeordneten wenig Gewicht darauf legen, dass irgend ein Staat isolirt oder im Vereine mit anderen einem verhängnissvollen grossen Kampfe entgegengeht. Ich meinerseits lege darauf entschiedenes Gewicht, wenn ich auch fühle, dass es Verhältnisse geben kann, wo ein Staat gezwungen ist, selbst ohne diese günstigen Chancen den hingeworfenen Handschuh aufzuheben. Gabriel Urgon: Gegen wen? (Lärm, hört!) - Tisza fortfahrend: Ich wundere mich, dass der Herr Abgeordnete fragt, gegen wen? Ich hoffe, gegen Niemanden, und da ich gesagt habe, dass es unsere Aufgabe sei, der russischen Macht nicht zu gestatten, dass sie sich übermächtig ausbreite, dass sie Alles in den Kreis ihrer Omnipotenz ziehe und da bei der Durchführung des Berliner Vertrages Russland diejenige Macht ist, welche activ handeln muss, habe ich keinen Anlass gegeben, dass diese Frage an mich gerichtet wurde. (Lebhafter Beifall rechts.) Ich halte es nicht für unsere Aufgabe und werde es niemals für die Aufgabe der Regierung halten, einen Krieg mit Russland zu suchen; denn wir haben jetzt aus einer ganz geringen Bewegung ersehen und die es etwa vergessen hatten, konnten es neuerdings ersehen, was die Folgen eines Krieges sind. (So ist es! rechts.) || Wenn ich aber wenig von der Durchführung des Berliner Vertrages spreche, so kann nur angesichts jener Macht vom Kriege die Rede sein, welche dessen Beschlüsse — ich glaube nicht, dass es geschehen werde eventuell anfechten würde. (Lebhafter Beifall im Centrum, Unruhe links.) Ich glaube auch heute, geehrtes Haus, dass es für die Monarchie und für Ungarn nichts Erspriesslicheres gebe, als wenn ob auch in engerem

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Kreise die Türkei sich zu regeneriren vermöchte; allein ich glaube, dass Nr. 6979. die Politik der Monarchie fortwährend auf der Bresche stehen müsse: sie muss Ungarn. Acht haben, dass in den orientalischen Kleinstaaten und in dem Herzen eines 15. Nov. 1878. jeden der dort wohnenden Stämme der Glaube Wurzel fasse, dass, falls die orientalischen Wirrnisse jetzt oder später nicht mehr aufzuhalten sein sollten, die Macht, welche auf ihr Schicksal den grössten Einfluss zu nehmen vermag, nicht jene nordische Macht ist, sondern die ihnen zunächstliegende österreichisch-ungarische Monarchie. (Beifall rechts, Unruhe links.) Nur durch Erfüllung dieser Aufgabe sind Gestaltungen, die unseren Interessen widerstreiten würden, zu verhindern; nur auf diese Weise können unsere, auch in national-ökonomischer und mercantiler Hinsicht wichtigen Verbindungen mit jenen Theilen der Welt gesichert werden. Ich glaube, dass alles, was bisher geschehen und was ich zu bezeichnen die Ehre hatte wenngleich Jemand gegen das eine oder das andere Detail des Vorgehens eine Einwendung zu machen hat diesem Ziele zustrebte, die für dieses Ziel erforderliche Lage, die erforderliche Basis in Europa schuf; ich glaube, dass man der Politik der Monarchie ein anderes Ziel correcterweise gar nicht ausstecken konnte. Für die Aufgabe möchte ich nur immer und unter allen Verhältnissen diesem Ziele zusteuern. Aber indem ich dieser Ansicht bin, gebe ich zu, dass die zu diesem Ziele geschaffene Basis auch zur Erreichung eines anderen Zieles benutzt werden könne, dass diese Basis auch der Ausgangspunkt einer Politik sein könne, welche ein anderes Ziel anstrebt. Allein diese Politik werden diejenigen, welche seit dem Beginne der orientalischen Wirren unsere auswärtige Politik leiten, sicherlich nicht fortsetzen, und wenn Andere diese von der bisherigen verschiedene Politik führen würden, so wird die Verantwortung nicht auf jenen lasten, welche die Basis der für unsere Monarchie heilsamen Bahn geschaffen haben, sondern auf denjenigen, welche, die Weiterführung dieser Politik aus ihren Händen nehmend, dieselbe bewusst oder unbewusst in die Hände solcher gelegt haben, welche dieselbe in anderer Richtung führen wollen. (Zustimmung rechts, Unruhe links.) Nach alledem erwarte ich das Urtheil des geehrten Hauses. Ich meinerseits bin darüber beruhigt, dass unsere in ihrer Tendenz richtige, weil auf Verhinderung der Uebergriffe der russischen Macht und auf die Sicherung des Einflusses unserer Monarchie im Oriente gerichtete Politik dieses Ziel in einer Weise anstrebte, dass dieselbe gegenüber allen anderen Mitteln, welche ich wenigstens bisher erblickt habe und erblicke, das Leben vieler und vieler Tausende unserer Söhne geschont hat, ebenso wie es viele und viele Millionen dem Lande erspart hat. (Zustimmung rechts, Unruhe links.) Leider ohne Opfer konnte auch dies nicht geschehen; doch ist dieses Opfer gering jenem gegenüber, welches die von den Oppositionsbänken empfohlene Politik gefordert hätte. Und wie immer das Urtheil ausfalle, dieses eine Factum wird mein Gewissen beruhigen. (Lebhafte Zustimmung rechts, Bewegung links.)

Staatsarchiv XXXVI.

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