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I.

Gewerbliche Zustände und Gewerbegesetzgebung der österreichischen Erblande im 17. Jahrhundert.

Die wirthschaftliche Lage Oesterreichs war im 17. Jahrhundert, wenn man etwa von den letzten Jahren vor Beginn des Dreissigjährigen Krieges absieht, eine überaus traurige. Wie in ganz Deutschland, so waren umsomehr hier, wo der Handel nie eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hatte, wie beispielsweise

in den Hansestädten und den grossen Messstädten für den Binnenhandel1) Handel und Gewerbe unter dem Druck der misslichen äusseren Verhältnisse und einer inneren Politik, die alles, auch das wirthschaftliche Wohl des Landes, einem starren Glaubenszelotismus opferte, tief gesunken. Schon im 16. Jahrhundert war der eine Hauptstrom des Welthandels, der bisher von Konstantinopel längs der Donau und von den italienischen Städten (vornehmlich Venedig, Genua, Pisa) über die Alpen und weiter über Wien, Regensburg, Augsburg sich nach dem mittleren und nördlichen Deutschland bewegt hatte, fast vollständig abgelenkt worden2). Mit der Entdeckung Amerika's, mit der Auffindung des neuen Seeweges nach Ostindien ward der grosse Handelsweg hinaus verlegt auf den Ocean, die Küstenstädte des südlichen und westlichen Europas am Atlantischen Meere wurden die hauptsächlichsten Träger des Welthandels und der Handel der österreichischen Erblande sank mit diesem Verfalle des gesammten Binnenhandels. Dass mit diesem Sinken des Handels in Oesterreich, wie in ganz Deutschland, das jetzt von Portugal, Spanien, besonders aber von den Niederlanden und später von England in Handel und Schiffahrt weitaus überflügelt wurde, auch

1) Vgl. in Kurz, Oesterreich's Handel in älteren Zeiten. 1822, den Vergleich der österreichischen Erblande in dieser Hinsicht mit den Reichsund Hansestädten. S. 345 ff.

2) Falke, Geschichte des deutschen Handels. II, S. 3 ff. Biedermann, Deutschland im 18. Jahrhundert. I, 274 ff.

der Niedergang des Gewerbes untrennbar verbunden war, scheint leicht begreiflich, wenn man bedenkt, dass in früheren Jahrhunderten die Erzeugnisse deutschen Gewerbfleisses zu denen ja auch die österreichischen Erblande manch schönes Stück beigetragen - den Weltmarkt beherrscht hatten, während sie jetzt meist auf den Absatz im Inlande beschränkt und auch da von den Waaren der neuen Handelsmächte zum Theile verdrängt wurden.

Und jetzt kommt noch im 17. Jahrhundert hiezu der schreckliche Dreissigjährige Krieg, der das ganze, früher reichste und mächtigste Volk Europas zu einem armen und elenden machte 1), und das Wüthen der Gegenreformation in den österreichischen Erblanden.

Die besten und kräftigsten Männer aus dem Gewerbestande werden hinweggenommen, ganze Landstriche durch den andauernden Krieg entvölkert, die Verkehrs- und Absatzverhältnisse gestört, oft dauernd vernichtet. Und was der Krieg verschonte, bekämpfte und tilgte nachsichtslos die erst im 17. Jahrhundert zu Ende gebrachte Gegenreformation, welche die tüchtigsten und eifrigsten Gewerbsleute theils ganz vernichtete, theils zur Auswanderung zwang; wiederholt liest man in den Zunftbüchern jener Zeit, dass der oder jener seines evangelischen Bekenntnisses wegen nach Hungarn, Polen, Niederlandenwärts" oder an den Rhein gezogen sei2).

Zu diesen grossen äusseren Ursachen treten noch innere Schäden im Gewerbestande selbst, vor allem der Verfall der zu seiner Blüthezeit so segensreichen Organisation des Zunftwesens, der sich in den fortdauernd zunehmenden „Zunftmissbräuchen" dokumentirte und mit dem ungenügenden Absatze in Folge der mangelhaften, beständig durch Krieg und innere Unruhen unterbrochenen Handelsverbindungen eine Hauptursache der immer mehr und mehr sinkenden Leistungsfähigkeit des Gewerbes war. Genaue statistische Daten, die den kläglichen Zustand des Gewerbes in jener Zeit, insbesondere die rapid abnehmende Zahl der Gewerbsleute aufzeigen, fehlen uns fast gänzlich; doch sind wenigstens einzelne lokale Zahlen erhalten3):

1) Falke a. a. O. 152 ff. — Hanser, Deutschland nach dem 30jährigen Kriege. S. 225. „Die Hansa, wie lange nicht ein Ruhm und Stolz des deutschen Namens, lag nach dem Ablauf der zwanziger Jahre gänzlich vernichtet am Boden; als das westphälische Friedenswerk in die Welt trat, hatten andere Hände sich ihres handelnden Tagewerkes angenommen. Nicht anders stand es mit dem übrigen deutschen Handel, vornehmlich um den in Süddeutschland. Zwar hatten ihm schon das Auffinden einer neuen Seestrasse nach Ostindien und die neuentdeckte Welt harten Verzicht auferlegt, aber doch hatten die augsburgischen Fugger, die Ulmer und Nürnberger Herren ihren alten Stolz noch nie so empfindlich beugen müssen als jetzt."

2) Reschauer, Geschichte des Kampfes der Handwerkszünfte und der Kaufmannsgremien mit der österreichischen Bureaukratie. S. 5 ff.

3) Zunächst entnommen einem „Referate Dr. J. J. Becher's, Kays. Commercialrathes, wie die Commercien, auch gemeiner Handel und Wandel

so waren in Prag, einer früher sehr gewerbereichen Stadt, im Jahre 1674 nur noch 355 Handwerker; die Bürgerschaft in Iglau war 1674 auf 300 gesunken, während vor dem Kriege die Angehörigen des Tuchmachergewerbes allein 7-8000 Personen zählten1); in Löwenberg in Schlesien, wo 1620 noch 700 Tuchmacher gewesen waren, betrug die Zahl derselben im Jahre 1674 nur noch 250, während Reichenbach, das zu Anfang des Jahrhunderts über 400 Barchentweber gezählt hatte, 1674 im Ganzen nicht 150 Gewerbsleute zählte. Klagenfurt hatte in demselben Jahre kaum 200 Handwerksmeister, Judenburg, eine früher ansehnliche Stadt in Steiermark, nur noch 68. Wien selbst zählte zu jener Zeit nur 1679 Handwerksmeister, eine Zahl, die zu der Bevölkerung, die damals auf fast 100000 Seelen geschätzt werden kann 2), in keinem Verhältnisse steht. Genauere statistische Angaben fehlen, wie schon erwähnt, für diese Zeit, doch sehen wir aus einem uns noch erhaltenen Verzaichnusz deren hier in Wien befindlichen Handtwerchs, Gewerb und Professionen etc." aus dem Jahre 17023), dass selbst in dieser späteren Zeit die Zahl der Gewerbsleute, die mit ca. 3700 beziffert wird, noch immer eine geringe zu nennen ist. Hiebei ist in Betracht zu ziehen, dass die letztere Zahl nicht ganz verlässlich, vielmehr jedenfalls zu hoch ist, da sie als Beleg für ein Gewerbesteuerprojekt herbeigezogen wird. Man darf annehmen, dass die Zahl der Gewerbetreibenden in Wien um die Mitte des 17. Jahrhunderts kaum mehr als höchstens 2000 betragen hat1), und dass diese Zahl in den Jahren 1670-1680 auf 1600, ja noch weniger herabsank. War ja doch in Prag in der Mitte des Jahrhunderts die Zahl noch die dreifache gewesen (ca. 1200) als im Jahre 1674. Weitere Angaben, freilich ohne ziffermässige Belege, sind in den Schilderungen der zeitgenössischen Schriftsteller enthalten 5). Das, was wir aus diesen Darstellungen entnehmen, deren Richtigkeit auch einigermassen durch Zusammenhalten mit der Gesetzgebung jener Zeit kontrolirt werden kann, sind überaus traurige Ergebnisse.

gegenwärtig in Ihro Kays. Maj. Erblanden beschaffen seien", etc. aus dem Jahre 1674. MS. der kais. Hofbibliothek in Wien.

1) Werner, Geschichte der Iglauer Tuchmacherzunft, 1861.

2) Vgl. hierüber Weiss, Gesch. der Stadt Wien. II, 226. Aeltere Schriftsteller, wie der Jesuit Reifenstuel geben an, dass Wien unter Ferdinand II. 80 000 Einwohner zählte. Man berechnete im Jahre 1710 die Volkszahl mit 113800 Seelen.

3) Manuscript der Münchener K. Bibliothek.

4) Während andererseits nach Becher's Angabe die Zahl der Bettelleute ungefähr 8000 betrug.

5) Insbesondere: P. W. v. Hörnigk, Oesterreich über alles, wann es nur will; zuerst erschienen 1684. J. J. Becher, Politischer Diskurs von den Ursachen des Auf- und Abnehmens der Städte. 1668. W. v. Schröder, Fürstl. Schatz- und Rentkammer. 1685.

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Trotz des Reichthums an Urprodukten, der ja noch immer

vorhanden war, existirte fast keine Manufaktur in den öster-

reichischen Erblanden. Wolle, Flachs, Leinen, Häute, Kupfer,

Zinn, Quecksilber giengen ausser Land, um als Fabrikate wieder

hereinzukommen 1). Die Blechschneiderei und Porzellanmanu-

faktur hatte sich in Folge des Krieges von Böhmen nach Meissen

verlegt. Der Rückgang der Tuchmacherei war ein so bedeutender,

dass die Städte, wo dieselbe hauptsächlich geblüht, früher 2 bis

3 mal mehr bevölkert gewesen waren, wie wir dies an den

Beispielen von Iglau, Löwenberg und Reichenbach gesehen haben.

Schlesien und Oberösterreich, die früher 40 000 Webstühle besessen

hatten (nach J. J. Becher), waren bei Brot und Wasser Spinner

der Augsburger, Ulmer und Holländer" geworden 2). Der ganze

Ertrag der Ausfuhr von Rohprodukten gieng überdies durch den

Import der theueren französischen" und anderen ausländischen

Waaren (Seidenwaaren u. dgl., Schleckereyen", d. h. Deli-

katessen aller Art) verloren. Die gesammten Manufakturen

Oesterreichs kamen - wie dies Hörnigk in einem Vergleich mit

der Stadt Leyden berechnet nicht denen einer einzigen

holländischen Stadt gleich. An Grossbetrieben, d. h. umfang-

reicheren, mit grösserem Kapital ausgestatteten und eine grosse

Arbeiterzahl beschäftigenden Betrieben fehlte es in jener und in

noch viel späterer Zeit selbst in Wien fast gänzlich3).

Kleingewerbe litt an den äusseren misslichen Verhältnissen, wie

an vielen inneren Schäden. Becher nennt als diese nebst den

Kriegsunruhen Bedrückung" von Seite der Herrschaften, der

Rathsherren in den Städten, der Kaufleute und Krämer,,,die sie

pressen und aussaugen, indem sie ihnen nur zu geringstem Preise

oder gar nichts abkaufen", ferner die vielen Stöhrer", deren

Zahl er in Wien mit 4000, in den gesammten Erbländern mit

50 000 beziffert, endlich die Jahrmärkte, auf denen fremde

Händler den einheimischen Gewerbsmann namhaft schädigen..

,,auch", meint er, wäre eine reflexion auf ihre Zunfft zu machen,

welche vieler Orten in hässliche monopolia degeneriren". Hierin
liegt auch eigentlich der schwerwiegendste Grund; das Ueber-

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2) Ein charakteristischer Ausspruch J. J. Becher's im „Politischen

Discurs". IV. Theil. 2. Aufl. S. 475.

3) So äussert sich auch der Regierungsrath Taube, einer der mass-

gebendsten Beamten unter Maria Theresia (Büsching, Neue Erdbe-
schreibung). Eine, vielleicht die einzige Ausnahme, bildet die in der Mitte
des 17. Jahrhunderts gegründete, im Codex Austriacus mehrfach erwähnte
Cronraschfabrik in Linz.

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