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6. In der französischen Judicatur ereignete sich im Jahre 1898 folgender Vorfall, der sehr bemerkenswert ist, weil seither die französische Rechtssprechung gegenüber derjenigen vor diesem Entscheide ganze Wendung gemacht hat zu Ungunsten der Ausländer, also speziell auch der Schweizer 2. Ein Schweizer Grauer-Frey, welcher im Kanton St. Gallen ein Stickereietablissement besitzt, hatte in Paris auf die Dauer eines Jahres ein Muster deponiert, welches ein Franzose namens Daltroff nachahmte. Dieser letztere besitzt eine Fabrik in Saint-Quentin (Paris) und deren mehrere in der Schweiz. Grauer-Frey klagte Daltroff beim tribunal correctionel in Paris ein. Der Beklagte wandte ein, der Kläger könne sich nur auf das Dekret von 1806 stützen. Darnach bestehe aber ein Rechtsschutz nur unter der Voraussetzung, dass der Deponent in Frankreich eine Fabrik besitze, was bei Grauer-Frey nicht zutreffe. Auch das Gericht stellte sich auf diesen Standpunkt, und wies den Kläger ab. Der Appellationshof, an welchen der Kläger daraufhin gelangte, hielt die von der Vorinstanz vorgebrachten Gründe für zutreffend und bestätigte das erstinstanzliche Urteil. In seinen Erwägungen führte der Appellationshof aus, das Dekret von 1806 befasse sich nur mit denjenigen Interessenten, welche in den Gerichtsbezirk eines conseil de prud'hommes eine Fabrik besässen. Speziell spreche auch Art. 15 dieses Dekretes, welcher die Deposition regelt nur von «fabriquants ». Daher könne selbst ein Franzose, welcher in Frankreich kein solches Etablissement besitze, dort weder gültige Muster hinterlegen noch einen Schutz beanspruchen, den das genannte Dekret der Landesindustrie reserviert habe. Das gleiche gelte mit noch zwingenderen Gründen gegenüber dem Ausländer. An diesem Resultate ändere die Konvention vom 20. März 1883 nichts, indem dieselbe in Art. 5 ausdrücklich bestimme, dass der Ausländer nur dann den gleichen Schutz geniessen solle, wenn er den in den Landesgesetzen bestimmten Requisiten Genüge leiste. Da nun Grauer-Frey keine

1 Nur die Taschenuhrenmodelle im Sinne von Calibres sollten offen und unter Beigabe eines Cliché deponiert werden müssen; alle jene Taschenuhrenmodelle, welche sich ausschliesslich auf die Dekoration beziehen, können nach dem Belieben des Deponenten offen oder geheim ohne diese Clichés hinterlegt werden.

2 Propriété industrielle, Jahrg. 1898, S. 198 ff.

Fabrik in Frankreich besitze, so sei ein wichtiges Requisit des Gesetzes nicht erfüllt. Aus diesem Auszug aus dem Urteil des Appellationshofes vom 20. Mai 1898 geht hervor, dass nach der französischen Anschauung nur derjenige in Frankreich ein Muster gültig und wirksam deponieren kann und gegen Nachahmung geschützt wird, der dieses Muster in Frankreich zur Ausführung bringt. Diesem Urteil kommt deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil Frankreich, soweit es die Modeindustrien anbetrifft, allen europäischen Staaten voransteht. Diese Stellung bringt es mit sich, dass alle Fabrikate, welche in Frankreich entstanden sind, eo ipso den Waren der übrigen Staaten vorgezogen werden. Mit Rücksicht auf den durch dieses Urteil geschaffenen Rechtszustand wünschte die schweizerische Industrie, dass eine Bestimmung in das neue Gesetz aufgenommen werde, welche im stande wäre, diesem Rechtszustande ein Ende zu machen.

Die hier skizzierten Beschwerden über das frühere schweizerische Bundesgesetz wurden bei der Beratung des neuen Gesetzes diskutiert und nach Gebühr berücksichtigt.

§ II. Die Revision.

Schon 1895 hatte Nationalrat Wild in der Bundesversammlung folgende Motion gestellt, welche am 11. Dezember 1895 vom Nationalrate als erheblich erklärt worden war. Sie lautete:

Der Bundesrat wird eingeladen, Bericht und Antrag darüber einzubringen, inwiefern die Bestimmung des Bundesgesetzes über den Schutz der gewerblichen Muster und Modelle vom 21. Dezember 1888 betreffend die Art und Weise der Hinterlegung, sowie die Verwahrung der hinterlegten Muster im Sinne der Vereinfachung des Verfahrens und einer bessern Berücksichtigung der Interessen des Hinterlegenden revidiert werden könnte.

Dieser Motion waren zur Wegleitung bei der Revision folgende wörtlich angeführte Sätze beigegeben, welche deutlich zeigten, welche Hauptpunkte für die Fassung des Bundesgesetzes massgebend sein sollten:

1 Stenogr. Bulletin, Jahrg. 1900, S. 98.

1. Die Hinterlegung in versiegelten Paketen ist gestattet. Solche Pakete dürfen einen gewissen Umfang, sowie ein gewisses Gewicht nicht übersteigen. Die Zahl der darin unterzubringenden Muster ist unter diesem Vorbehalte unbeschränkt.

2. Die Dauer der Hinterlegung, respektive des Schutzes, beträgt im Maximum 15 Jahre und zwar in drei Perioden von je fünf Jahren.

3. Für die erste Periode ist die einfache, für die zweite die doppelte, für die dritte die dreifache Taxe zu bezahlen. Diese Taxe soll per Paket nicht mehr als z. B. 3-5 Fr. betragen.

4. Die versiegelt hinterlegten Pakete dürfen vom Amte nicht geöffnet werden. Sie sind daselbst bei der Hinterlegung einfach zu registrieren und unversehrt aufzubewahren.

5. Nach Ablauf einer Periode von fünf Jahren fordert das Amt den Hinterleger zur Bezahlung der Taxe für die folgende Periode auf. Erfolgt diese nicht, so wird dem Hinterleger das versiegelte Paket wieder zugestellt, womit der Schutz ein Ende hat.

6. Der Hinterleger hat das Recht, seine hinterlegten Pakete jederzeit zurückzuziehen. Das Amt stellt sie ihm auf Verlangen gegen Nachnahme der Spesen zu. Ebenso hat das Amt auf Verlangen zuständiger Gerichte die hinterlegten Pakete in versiegeltem Zustande auszuliefern.

7. Pakete, welche nach Ablauf der Schutzfrist nicht an ihre Hinterleger zurückgegeben werden können, werden den gewerblichen oder industriellen Bildungsinstituten der Gegend, aus welcher der Hinterleger stammt (resp. sein Stellvertreter) zu freier Benützung abgegeben. Alle diese Sätze zielten daraufhin, die Hinterlegung so abzuändern, dass sie vereinfacht und damit erleichtert wird, womit auch eine Revision der Taxen verbunden sein sollte.

Was den Umfang der materiellen Gesetzesänderung anbetrifft, so wollte man die Revision nicht etwa dazu benützen, um ein absolutes Verbot gegen jede irgendwie mögliche Nach

ahmung zu erlassen. Der Bundesrat führte in dieser Richtung treffend folgendes aus1:

Wir glauben nicht, dass es zweckmässig sein würde, das Gesetz im Sinne eines voraussetzungslosen Verbotes der Nachahmung zu revidieren; denn :

1. steht das schweizerische Gewerbe noch nicht auf der Stufe, dass auch dem kleinen Gewerbe die Arbeit ausschliesslich nach eigenen Mustern zugemutet werden dürfte, und

2. kennt kein Muster- und Modellschutzgesetz derjenigen Staaten, mit denen die Schweiz in einem bezüglichen Vertragsverhältnisse steht, dieses absolute Nachahmungsverbot. Wenn wir dieses bei uns einführten, so würden alle Muster und Modelle der Vertragsstaaten bedingungslos geschützt sein gegen Nachahmung durch Einheimische, während in den Vertragsstaaten wie jetzt, nur diejenigen Muster und Modelle des schweizerischen Ursprungs geschützt sein würden, für welche die in dem eigenen Staate vorgeschriebenen Bedingungen und Förmlichkeiten erfüllt worden wären.

Die Quintessenz der Ausführungen des Bundesrates liegt also darin, dass bei einem absoluten Nachahmungsverbot der Ausländer besser geschützt wäre als der Inländer. Eine ähnliche Anomalie hatte in der Schweiz zur Zeit der französisch-schweizerischen Staatsverträge von 1864 und 1882 in der That lange genug gedauert, so dass wahrhaftig kein Grund vorlag, von neuem einen ähnlichen, wenig befriedigenden Rechtszustand zu sanktionieren.

Einer weiteren Auseinandersetzung, wie der Gesetzgeber seiner Aufgabe gerecht geworden ist, bedarf es hier nicht. Wir begnügen uns damit, auf die Paragraphen hinzuweisen, welche die jeweiligen Fragen ex professo zu erörtern haben (vergl. unten § 21, Art der Hinterlegung; § 23, Dauer der Hinterlegung; § 26, Gebühren; § 27, Pflichten des eidgenössischen Amtes; § 34, Ende des Schutzes).

'B. Bl. 1899, V., S. 613 ff.

B. Spezieller Teil.

Das neue Bundesgesetz betreffend die gewerblichen Muster und Modelle.'

IV. Kapitel.

§ 12. Die gesetzliche Definition von Muster und Modell.

I. In dem französischen Dekrete von 1806 war keine Definition von Muster gegeben. Bozérian wollte die oben in § 9 wörtlich angeführte Definitionen in seinem Entwurfe von 1879 zur Geltung bringen. Allein die Kommission der Deputiertenkammer, welche diesen Entwurf zu prüfen hatte, fand diese Definitionen für unzureichend und ungenügend. Sie strich dieselben mit Einwilligung Bozérians. Pouillet drückt darüber sein Bedauern aus, weil ein Gesetz ohne Definition kein praktisches Interesse habe und weder die Zeit noch die Mühe lohne, welche man an die Besprechung eines solchen Gesetzes wage.

II. Auch das schweizerische Gesetz von 1888 erhielt keine positive Definition der beiden Begriffe, weil es schwierig sei, eine solche zu geben, wie die Expertenkommission ausführte. Man begnügte sich damit, in Art. 2 des Gesetzes negativ zu bestimmen, dass diejenigen Werke, welche durch das Autorrechtsgesetz von 1883 oder dasjenige über Erfindungspatente von 1888 geschützt würden, dem Schutze dieses Gesetzes nicht unterstellt seien. Man ging dabei von dem Gedanken aus, den besonders

1 Der Wortlaut des neuen Bundesgesetzes ist im Anhange abgedruckt. 2 Pouillet, S. 31.

3 Pouillet, in der « introduction », S. VIII.

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