Page images
PDF
EPUB

ist es ein offenbarer und durch die Geschichte aller Zeiten widerlegter Irrthum, dass eben so, wie man logisch die Herrschaft von Einem, Mehreren oder Vielen unterscheiden kann, darum auch das weltgeschichtliche Gesetz der Staatenentwickelung in dem Uebergang der Monarchie in Aristokratie und dieser in Demokratie, und hierin also die Vollendung zu erkennen sei). Diese irrige Vorstellung hängt mit der nicht minder irrigen, schon von Aristoteles bekämpften Meinung zusammen, als ob die Demokratie die beste und vollkommenste Staatsform sei. Es gibt aber überhaupt keine absolut beste, noch für alle Zeiten und für alle Völker passende Staatsform 7).

§. 61.

Von der Bedeutung der aristokratischen Elemente in jeder Beherrschungsform.

I. Abgesehen von der Bezeichnung einer gewissen Staatsform (§. 59) verbindet sich mit dem Worte Aristokratie noch eine andere Bedeutung, nämlich die als Inbegriff der herrschaftstüchtigen oder geltungsfähigen Elemente, welche überhaupt in einer Nation liegen. In jedem Staate finden sich nämlich tüchtige und untüchtige Elemente: dass aber Macht (Vermögen, Reichthum), Intelligenz und Willenskraft sich gegenüber von der Schwäche (Mittellosigkeit), Unfähigkeit und Trägheit geltend machen, also im Vergleich zu diesen herrschen, ist ein allgemeines und unabänderliches Naturgesetz.

II. Eine Aristokratie in diesem Sinne findet sich in jedem Staate, gleichviel ob die Form seiner Beherrschung sich als Republik oder als Monarchie ausgebildet hat, und muss sich in ihm finden, wenn er nicht an eigener Unfähigkeit und Schwäche zu Grunde gehen soll. Selbst die Republik kann

6) Vergl. meine Schrift, die Demokratie in Deutschland, 2. Aufl. Stuttgart 1853.

7) Ueber Staatsformen und Staatsverfassungen, vergl. Jul. Fröbel, Theorie der Politik, Wien 1861, Thl. I. S. 203 flg. Eine sehr gute Kritik der Vortheile und Nachtheile der Monarchie und der Republik (Demokratie) siehe in: Ausland, Jahrgang 1858. Nr. 18.

derartige aristokratische Elemente, wie z. B. geistige Capacitäten u. s. w. nicht entbehren: noch weniger könnte dies die Monarchie, deren Wesen vorzugsweise in der Verbindung sämmtlicher herrschaftstüchtigen Elemente mit dem Staatsherrscher (der Autorität) besteht.

III. Die aristokratischen Elemente sind nicht überall und in allen Zeiten dieselben: auch sie haben ihre Geschichte, und bald hat das eine, bald das andere vorwiegende Bedeutung. Nach den gegenwärtig bestehenden Verhältnissen in den europäischen Staaten kann man vier Klassen aristokratischer Elemente unterscheiden: 1) die Geburtsaristokratie, als Aristokratie des grossen, geschlossenen und unveräusserlichen Grundbesitzes, früher auch als Aristokratie der Wehrkraft von Bedeutung; 2) die Aristokratie der Intelligenz, früher hauptsächlich bei der Geistlichkeit, jetzt überhaupt bei den sog. gebildeten Ständen, und namentlich im Staatsdienste als Beamtenaristokratie oder Bureaukratie hervortretend; 3) die Geld-Aristokratie oder Plutokratie als Aristokratie des Reichthums in beweglichem Vermögen, in Handel und Fabrikation, deren Einfluss sich besonders in Bezug auf den Staatskredit (auf der Börse) geltend macht; und 4) die Aristokratie der Wehrkraft, welche in dem stehenden Heere liegt, und deren Bedeutung für die Bewältigung staatsgefährlicher Ereignisse im Inneren und Aeusseren von selbst einleuchtet.

IV. In diesem Sinne kann man sagen, dass kein Staat in seinem Wesen etwas anderes sein solle, als eine Aristokratie, d. h. ein Zustand, in welchem alle geltungsfähigen Elemente auch zur entsprechenden Geltung gelangen '). Je mehr eine jede tüchtige Kraft an die rechte Stelle gebracht und die gehörige Entfaltung möglich gemacht wird, desto mehr wird auch die Macht des Staates und das Ansehen der Regierung gewinnen, und das wahre Beste des Volkes gefördert werden.

1) Die Ansicht, dass jeder Staat im Wesen eine Aristokratie sein solle, d. h. dass die besten und tüchtigsten Elemente zur Herrschaft gebracht werden sollen, findet sich schon bei Aristoteles.

Fünfter Abschnitt.

Von der Verbindung mehrerer Staaten.

§. 62.

Begriff von Staatensystem und dessen Unterarten.

I. Unter Staaten, welche neben einander in demselben Welttheile bestehen und daher mit einander allmählig in vielfachen Verkehr kommen, entwickeln sich unvermeidlich im Laufe der Zeit gewisse völkerrechtliche Grundsätze, welche sie als gemeinverbindlich unter sich anerkennen, ohne dass darum einer dieser Staaten seiner Selbstständigkeit entsagte. Solche Staaten, welche in voller Unabhängigkeit neben einander bestehend, nur durch die Gemeinschaftlichkeit der völkerrechtlichen Grundsätze verbunden sind, bilden ein sog. Staatensystem, und in diesem Sinne spricht man von einem europäischen Staatensysteme, welches sich seit dem XVI. Jahrhundert zu bilden angefangen, und allmählig so erweitert hat, dass es jetzt sämmtliche Staaten Europas umfasst 1).

II. Es bilden sich aber geschichtlich unter den Staaten häufig noch besondere, engere Verbindungen, welche man im Allgemeinen als Unionen zu bezeichnen pflegt, theils zu vorübergehenden Zwecken, sog. Allianzen, theils zu bleibenden und umfassenderen Zwecken, so dass die Verbindung selbst mehr oder minder einen staatenähnlichen Charakter annimmt, oder sogar zur vollkommenen Verschmelzung mehrerer Staaten zu einem Staate hinführt.

III. Die Veranlassung zu solchen bleibenden Verbindungen mehrerer Staaten liegt theils in dem Bedürfnisse der ursprünglich kleinen Staaten, durch eine bleibende Ver

1) Vergl. Hälschner, in Eberty, Zeitschr. f. volksth. Recht, 1844. Bd. I. S. 59.

bindung unter sich oder mit einem grösseren Staate ihr Bestehen zu sichern und die Vortheile zu erlangen, die ein grosses Staatswesen allein zu gewähren vermag: theils liegt die Veranlassung in Friedensschlüssen, theils tritt eine solche Verbindung als eine geschichtliche Nothwendigkeit hervor, wo ein zahlreiches Volk, wie das deutsche, durch den naturwüchsigen Partikularismus seiner einzelnen Stämme gehindert ist, einen Einheitsstaat zu erschaffen oder in demselben fortzubestehen, aber nichts desto weniger eine seiner Gesammtnationalität entsprechende Einigung nicht entbehren kann.

IV. Solche bleibende Verbindungen unter mehreren Staaten nennt man im Allgemeinen auch Staatensysteme 2): meistens aber bezeichnet man sie mit besonderen Ausdrücken, je nach ihren verschiedenen Arten, und unterscheidet demnach den Staatenbund, den Bundesstaat (oder Staatenstaat) und die verschiedenen Arten der sog. Unionen im engeren Sinne, wie die Personal-Union, die Realunion und die Incorporation.

§. 63.

Staatenbund und Bundesstaat (Staatenstaat)').
1) Gemeinschaftliches.

I. Die Hauptformen, in welchen sich eine Mehrzahl von Staaten zu einem organisirten, bleibenden Staatensysteme zu verbinden pflegt, sind der Staatenbund (confoederatio civitatum) und der Bundesstaat oder Staaten staat (civitas foederata 8. composita). Zwischen Bundesstaat und Staatenstaat ist kein Unterschied, ausser hinsichtlich der

2) Systema civitatum confoederatarum, etc.

1) Vergl. überhaupt, P. A. Pfizer, über die Entwickelung des öffentlichen Rechts in Deutschland, Stuttgart 1835, S. 41 ff. Welcker, wichtige Urkunden, Mannheim 1844, S. 34 ff. Bluntschli, allgem. Staatsr., 2. Aufl. (1857) Bd. I. S. 32. 209. H. A. Zacharia, deutsch. Staatsr. (2. Aufl.) §. 25 ff. J. Held, System des Verf.-Rechts (1856) Bd. I. S. 390 flg. Vollgraff, wodurch unterscheiden sich Staatenbund, Bundesstaat und Einheitsstaat von einander, und was sind sonach der deutsche Bund, die nordamerikanische Union und die neue schweizerische Eidgenossenschaft? Marburg 1859. Heidelberger Jahrbücher der

Lit., 1860. Nr. 9. p. 130.

Entstehung: erstere Bezeichnung gebraucht man nämlich, wenn die Gesammtstaatsverbindung auf Vertrag der Einzelnstaaten, wie ein Staatenbund, beruht: die letztere Bezeichnung wird dagegen dann gebraucht, wenn die Bildung des Gesammtstaates in anderer Weise vor sich gegangen ist, und daher unter Umständen selbst nicht einmal als eine freiwillige erscheint 2).

II. Das System des Staatenbundes und des Bundesstaates stimmen darin überein: 1) dass jeder der verbundenen Staaten seine besondere Regierung behält; 2) dass die vereinigten Staaten über sich als Gesammtorgan eine Centralgewalt anerkennen, welcher legislative und richterliche Befugnisse und eine vollziehende Gewalt beigelegt sind; 3) dass die Verbindung eine immerwährende ist, wodurch sie sich namentlich von einem einfachen Bündnisse oder einer Allianz (§. 62) unterscheidet; 4) dass die Verbindung in völkerrechtlicher Beziehung den Charakter eines politischen Gemeinwesens in Anspruch nimmt, und 5) dass die Verfassung der einzelnen Staaten nicht im Widerspruch mit der Gesammtverfassung stehen darf3).

§. 64.

2) Unterschiede zwischen dem Staatenbunde und dem Bundesstaate oder Staatenstaate1).

Der Unterschied zwischen dem Staatenbunde und dem. Bundesstaate oder Staaten staate zeigt sich vorzugsweise in folgenden Beziehungen:

2) Vergl. §. 64. Nr. IV.

3) Ueber die Anerkennung dieses Grundsatzes in der deutsch. Bundesverfassung, siehe unten §. 335. 338.

1) Die Unterschiede zwischen dem Staatenbund und Bundesstaat sind besonders bei den Verhandlungen über eine deutsche Reichsverfassung in den Jahren 1848 und 1849 zur Sprache gekommen. Es sind überhaupt drei Staatensysteme, in welchen diese Fragen, und zwar in verschiedener Weise, bereits zu praktischer Erörterung und Darstellung gekommen sind: der deutsche Bund, die Schweizer Eidgenossenschaft und die Nordamerikanische Union.

« PreviousContinue »