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$ 26. Die Vorschriften dieses Gesetzes über den Nachweis wissenschaftlicher Vorbildung und Befähigung finden keine Anwendung auf Personen, welche vor Verkündung dieses Gesetzes im geistlichen Amte. angestellt sind oder die Fähigkeit zur Anstellung im geistlichen Amte erlangt haben.

Ausserdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten ermächtigt, denjenigen Personen, welche vor Verkündung dieses Gesetzes in ihrer Vorbildung zum geistlichen Amte vorgeschritten waren, den in diesem Gesetze vorgeschriebenen Nachweis der Vorbildung ganz oder theilweise zu erlassen.

Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist auch ermächtigt, Ausländer von den Erfordernissen des S 4 dieses Gesetzes zu dispensiren.

$ 27.

Die in den SS 4 und 8 dieses Gesetzes vorgeschriebene Staatsprüfung kann mit der theologischen Prüfung verbunden werden, insofern die Einrichtung dieser letzteren Prüfung und die Bildung der Prüfungskommissionen Behörden zusteht, deren Mitglieder sämmtlich oder theilweise vom Könige ernannt werden.

$ 28. Die Vorschriften dieses Gesetzes über das Einspruchsrecht des Staats (1, 3, 10, 12, 15 und 16) finden in den Fällen keine Anwendung, in welchen die Anstellung durch Behörden erfolgt, deren Mitglieder sämmtlich vom Könige ernannt werden.

$ 29. Soweit die Mitwirkung des Staats bei Besetzung geistlicher Aemter auf Grund des Patronats oder besonderer Rechtstitel anderweit geregelt ist, behält es dabei sein Bewenden.

Desgleichen werden die bestehenden Rechte des Staats bezüglich der Anstellung von Geistlichen beim Militair und an öffentlichen Anstalten durch das vorliegende Gesetz nicht berührt.

$ 30.

Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.

12 mai 1873.

87.

Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des Königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten. Loi sur le pouvoir diciplinaire ecclésiastique et sur l'établissement d'une cour royale pour les affaires ecclésiastiques.

$1.

-

I. Allgemeine Bestimmungen (1).

Die kirchliche Disziplinargewalt über Kirchendiener darf nur

von Deutschen kirchlichen Behörden ausgeübt werden.

$ 2.

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Kirchliche Disziplinarstrafen, welche gegen die Freiheit oder das Vermögen gerichtet sind, dürfen nur nach Anhörung des Beschuldigten verhängt werden.

Der Entfernung aus dem Amte (Entlassung, Versetzung, Suspension, unfreiwillige Emeritirung u. s. w.) muss ein geordnetes prozessualisches Verfahren vorausgehen.

In allen diesen Fällen ist die Entscheidung schriftlich unter Angabe der Gründe zu erlassen.

$ 3.

Die körperliche Züchtigung ist als kirchliche Disziplinarstrafe oder Zuchtmittel unzulässig.

$4. - Geldstrafen dürfen den Betrag von 30 Thalern, oder, wenn das einmonatliche Amtseinkommen höher ist, den Betrag des letzteren nicht übersteigen.

$5. Die Strafe der Freiheitsentziehung (§ 2) darf nur in der Verweisung in eine Demeriten-Anstalt bestehen.

Die Verweisung darf die Dauer von drei Monaten nicht übersteigen und die Vollstreckung derselben wider den Willen des Betroffenen weder begonnen, noch fortgesetzt werden. Die Verweisung in eine ausserdeutsche Demeriten-Anstalt ist unzulässig.

(1) Dispositions générales : Le pouvoir disciplinaire ne peut être exercé que par des autorités ecclésiastiques allemandes (§ 1), il ne peut l'être dans les cas graves qu'après audition des parties, sur procédure régulière et par décision écrite et motivée (§ 2). Châtiments corporels interdits (§3). Maximum des amendes: 30 thalers ou un mois de traitement (§ 4). Les peines privatives de la liberté no peuvent consister que dans la consignation pour trois mois au plus et avec le consentement de l'inculpé dans un établissement de correction situé en Allemagne (S 5). Ces établissements sont soumis à l'inspection de l'État (§§ 6 et 7). Le président supérieur peut, pour empêcher les obstacles à cette inspection, prononcer des amendes répétées jusqu'à 1000 thalers chacune, et au besoin fermer l'établissement (§ 8). L'Etat n'intervient pour assurer l'exécution des peines disciplinaires ccclésiastiques que lorsque le président supérieur, après examen de l'affaire, déclare les peines exécutoires (§ 9).

$6.

Die Demeriten-Anstalten sind der staatlichen Aufsicht unterworfen. Ihre Hausordnung ist dem Oberpräsidenten der Provinz zur Genehmigung einzureichen.

Er is befugt, Visitationen der Demeriten-Anstalten anzuordnen, und von ihren Einrichtungen Kenntniss zu nehmen.

Von der Aufnahme eines Demeriten hat der Vorsteher der Anstalt unter Angabe der Behörde, welche sie verfügt, binnen 24 Stunden dem Oberpräsidenten Anzeige zu machen. Ueber sämmtliche Demeriten ist von dem Vorsteher ein Verzeichniss zu führen, welches den Namen derselben, die gegen sie erkannten Strafen und die Zeit der Aufnahme und Entlassung enthält. Am Schluss jedes Jahres ist das Verzeichniss dem Oberpräsidenten einzureichen.

$ 7. Von jeder kirchlichen Disziplinar-Entscheidung, welche auf eine Geldstrafe von mehr als 20 Thalern, auf Verweisung in eine DemeritenAnstalt für mehr als 14 Tage, oder auf Entfernung aus dem Amte (§ 2) lautet, ist dem Oberpräsidenten, gleichzeitig mit der Zustellung an den Betroffenen, Mittheilung zu machen.

Die Mittheilung muss die Entscheidungsgründe enthalten.

$ 8. Der Oberpräsident ist befugt, die Befolgung der in den SS 5 -7 enthaltenen Vorschriften und der auf Grund derselben von ihm erlassenen Verfügungen durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1000 Thalern zu erzwingen.

Die Androhung und Festsetzung der Strafe darf wiederholt werden, bis dem Gesetze genügt ist.

Ausserdem kann die Demeriten-Anstalt geschlossen werden.

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$ 9. Eine Vollstreckung kirchlicher Disziplinar-Entscheidungen im Wege der Staatsverwaltung findet nur dann statt, wenn dieselben von dem Oberpräsidenten nach erfolgter Prüfung der Sache für vollstreckbar erklärt worden sind.

$10.

II. Berufung an den Staat (1),

Gegen Entscheidungen der kirchlichen Behörden, welche eine Disziplinarstrafe verhängen, steht die Berufung an die Staatsbehörde (§ 52) offen :

(1) Appel à l'État. Il est ouvert lorsque la peine a été prononcée par une autorité non légale ment reconnue, ou en-dehors des conditions du $ 2, ou qu'elle est illégale, ou qu'elle a pour cause l'exercice d'un droit ou d'un devoir public (§ 10), ou bien lorsque le retrait des fonctions ecclésiastiques a été prononcé à titre de peine, pour des motifs évidemment erronés, ou en violation des lo's de l'État ou des principes généraux du droit, ou bien lorsque, sur une suspension provisoire des

1) wenn die Entscheidung von einer durch die Staatsgesetze ausgeschlossenen Behörde ergangen ist;

2) wenn die Vorschriften des § 2 nicht befolgt worden sind;

3) wenn die Strafe gesetzlich unzulässig ist;

4) wenn die Strafe verhängt ist :

a) wegen einer Handlung oder Unterlassung, zu welcher die Staatsgesetze oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten,

b) wegen Ausübung oder Nichtausübung eines öffentlichen Wahl- und Stimmrechts,

c) wegen Gebrauchs der Berufung an die Staatsbehörde (§ 52) auf Grund dieses Gesetzes.

$ 11. Die Berufung findet ausserdem statt, wenn

1) die Entfernung aus dem kirchlichen Amte (§ 2 Abs. 2) als Disziplinarstrafe oder sonst wider den Willen des davon Betroffenen ausgesprochen worden ist, und die Entscheidung der klaren thatsächlichen Lage widerspricht oder die Gesetze des Staates oder allgemeine Rechtsgrundsätze verletzt;

2) nach erfolgter vorläufiger Suspension vom Amte das weitere Verfahren ungebührlich verzögert wird.

$ 12. Die Berufung steht Jedem zu, gegen welchen die Entscheidung ergangen ist, sobald er die dagegen zulässigen Rechtsmittel bei der vorgesetzten kirchlichen Instanz ohne Erfolg geltend gemacht hat.

Liegt ein öffentliches Interesse vor, so steht die Berufung auch dem Oberpräsidenten zu, jedoch erst dann, wenn die bei den kirchlichen Behörden angebrachten Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben sind, oder die Frist zur Einlegung derselben versäumt ist.

$ 13. Die Berufung ist bei dem Königlichen Gerichtshofe für kirchlichen Angelegenheiten schriftlich anzumelden.

Die Frist zur Anmeldung beträgt in den Fällen des § 10 und § 11, Abs. 1 für den durch die Entscheidung Betroffenen vier Wochen. Sie beginnt mit

fonctions, la continuation de l'affaire souffre des retards excessifs (§ 11). Faculté d'appeler pour l'intéressé et pour le président dans l'intérêt public (§ 12). Délai de l'appel (§ 13). L'appel est suspensif, à peine d'amende jusqu'à 1000 Thalers, sauf autorisation d'exécution provisoire par la Cour (§ 14). Justification de l'appel dans les 14 jours, et notification dans les 4 semaines à l'autorité ecclésiastique, laquelle est tenue de communiquer les actes du procès à peine d'amende jusqu'à 1000 Th. (§§ 15 et 16). Procédure. Oralité et publicité en principe. La Cour décide d'après sa libre conviction et prononce le rejet de l'appel ou l'annulation de la décision attaquée (SS 17-22) Le président supérieur est chargé de l'exécution du jugement et peut en assurer l'exécution par une amende allant jusqu'à 1000 Th. L'autorité ecclésiastique peut se pourvoir contre cette disposition devant la Cour (§ 23).

Ablauf des Tages, an welchem die Entscheidung mit Gründen ihm zugestellt ist.

In den Fällen des § 11, Abs. 2, ist die Berufung an keine Frist gebunden. Für den Oberpräsidenten beträgt die Frist, wenn ihm die Entscheidung als endgültige amtlich mitgetheilt ist, drei Monate, andernfalls ist derselbe an keine Frist gebunden.

$ 14. Durch Einlegung der Berufung wird die Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung aufgehalten. Der Gerichtshof ist jedoch befugt, die vorläufige Vollstreckung zu gestatten. Andernfalls kann die Einstellung der Vollstreckung von dem Gerichtshofe durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1000 Thalern erzwungen werden ($ 8, Abs. 2).

-

$ 15. Die Berufung ist innerhalb 14 Tage nach der Anmeldung schriftlich zu rechtfertigen. Diese Frist kann auf Antrag verlängert werden. $ 16. Die Anmeldung und die Rechtfertigungsschrift wird der kirchlichen Behörde zur Abgabe einer schriftlichen Erklärung und Einreichung der Akten innerhalb 4 Wochen zugefertigt. Die Einreichung der Akten kaun erzwungen werden, geeignetenfalls durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1000 Thalern (§ 8, Abs. 2).

S 17. - Der Gerichtshof trifft die zur Aufklärung der Sache erforderlichen Verfügungen. Die Beweisverhandlungen sind unter Zuziehung eines vereideten Protokollführers aufzunehmen.

$ 18. Die Entscheidung erfolgt auf Grund mündlicher Verhandlung in öffentlicher Sitzung.

Die Oeffentlichkeit kann durch Beschluss des Gerichtshofes ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen beschränkt werden.

$ 19. Zu den Verhandlungen (S$ 17 und 18) sind der Berufende und die kirchlichen Behörde zuzuziehen. Dieselben können sich durch einen Advokaten oder Rechtsanwalt vertreten lassen. Im Fall ihres Ausbleibens wird nach Lage der Verhandlungen erkannt.

Ausserdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten zu benachrichtigen, welcher einen Beamten mit seiner Vertretung beauftragen kann. Hat der Oberpräsident die Berufung eingelegt, so übernimmt der von dem Minister bezeichnete Beamte die Vertretung des Berufenden.

$ 20. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung giebt ein von dem Vorsitzenden des Gerichthofes aus der Zahl seiner Mitglieder ernannter Referent eine Darstellung der Sache, wie sie aus den bisherigen Verhandlungen hervorgeht. Hierauf wird der Berufende oder dessen Vertreter, sowie der Vertreter der kirchlichen Behörde und des Ministers der geistlichen Angelegenheiten mit ihren Vor- und Antragen gehört.

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