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II. Andere verstehen dagegen unter Nationalsouverainetät den Grundsatz, dass unter Voraussetzung einer in Einzeln staaten gegliederten Nation, die Ansprüche des Partikularismus zurücktreten müssen, es möge sich nun um die Wiederherstellung des faktisch zerrissenen Bandes oder um eine dem wahren Bedürfnisse der Nation entsprechende Umgestaltung der Gesammtverfassung handeln 4). So richtig dieser Grundsatz an sich ist, so ist doch dessen Bezeichnung als Nationalsouverainetät nichts desto weniger durchaus unpassend, weil nun einmal Grundsätze keine Souverainetäten sind und sein können, sondern stets ein mit der Souverainetät wirklich bekleidetes, also wirklich herrschendes Subjekt voraussetzen, durch welches sie zur Geltung gebracht werden können). Eine Nationalsouverainetät ist also unter der Voraussetzung einer mehrere Einzelnstaaten umfassenden Nationalität erst dann vorhanden, wenn sich eine Nation in ihrer Gesammtheit für souverain erklärt und die sie vertretende Versammlung sich wirklich in den Besitz einer souverainen Herrschaft über die Einzelnstaaten gesetzt hat.

III. Der Weg, wie die Nation zu dem Besitze dieser Herrschaft über die Einzelnstaaten gelangen kann, ist entweder ein friedlicher und gesetzlicher, sofern die bisher souverainen Einzelnstaaten, beziehungsweise deren bisherige Centralgewalt, ! der Nationalversammlung die Gesammtsouverainetät selbst beilegen; oder es ist dieser Weg ein gewaltsamer und revolutionärer, wenn die Nation oder die Nationalversammlung die Gesammtsouverainetät sich einseitig selbst beilegt und sich darin behauptet.

IV. Auch kann die Ausübung der nationalen GesammtSouverainetät in zweifacher Form geschehen, nämlich entweder in republikanischer Form, in welchem Falle die National

Souverainetät: dass sie nämlich eines Theils nichts anderes ist, als die Volkssouverainetät, theils ein Princip mit der Thatsache der Herrschaft verwechselt. Vergl. §. 54.

4) In diesem Sinne stellt das Wesen der Nationalsouverainetät dar H. A. Zacharia, deutsch. Staatsr. 2. Aufl. §. 18. III.

5) Vergl. oben §. 54.

souverainetät von der Volkssouverainetät in nichts verschieden ist); oder sie kann in monarchischer Form geschehen, in welchem Falle eine Fürsten souverainetät als Gesammtkönigthum ins Leben tritt). Bis aber das eine oder das andere geschieht, ist die sog. Nationalsouverainetät nichts anderes, als die Forderung der Anerkennung eines Grundsatzes, verbunden mit der Behauptung der rechtlichen Nothwendigkeit seiner Geltung, d. h. eine staatsrechtliche Prätension.

§. 57.

Die Staatspersönlichkeit als Ausfluss sowohl der
Volkssouverainetät als der Fürstensouverainetät1).

I. Wenn gleich von einer Persönlichkeit des Staates nicht die Rede sein kann, so lange noch kein Subjekt, sei es ein Individuum oder das Volk in seiner Gesammtheit, als Staatsherrscher anerkannt ist, weil vorher eben gar kein Staat besteht, und wenn es demnach, wie (§. 54) gezeigt wurde, ganz unrichtig ist, wenn man die sog. Staatssouverainetät als die Quelle der Volks- oder Fürstensouverainetät betrachten wollte, und wenn demnach der ,,Staat" auch nie eine Persönlichkeit dem Souverain gegenüber haben kann 2), so folgt hieraus keineswegs, dass der Staat als Produkt des Daseins von Volk und Herrscher (§. 15) nicht auch eine Persönlichkeit haben könne. Dies zu läugnen, wäre ein Widerspruch gegen den Begriff des Staates als Gemeinwesen (§. 5), und wirklich hat auch der Staat Persönlichkeit, so wie er

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6) Diese republikanische Form der nationalen Gesammtsouverainetät besteht in der nordamerikanischen Union und in der Schweiz.

7) Dies war der Fall zur Zeit des deutschen Reiches. Dasselbe war auch durch die zu Frankfurt von der deutschen Nationalversammlung abgefasste Reichsverfassung vom 28. März 1849 beabsichtigt.

4) J. Held, System des Verf.-Rechts (1856) Bd. I. S. 184 flg.

2) Etwas anderes ist es mit dem Volke: dass dies dem Fürsten gegenüber allerdings eine juristische Persönlichkeit, nämlich in der Landesvertretung, haben kann, ist schon oben §. 54 angegeben

worden.

einen Herrscher hat, durch, in und mit seinem Herrscher, denn eben durch dessen Dasein ist die Verbindung der Volksmassen selbst erst Staat, d. h. Gemeinwesen.

II. In Bezug auf die Republik ist dies von selbst klar und einleuchtend: denn so lange sich eine Volksmasse die Souverainetät nicht beigelegt hat, ist keine Republik vorhanden: so wie sie aber sich selbst als Staatsherrscher erklärt, so ist sie eben damit staatliches Gemeinwesen geworden. Die Sache ist hier darum einfach und begreiflich, weil hier die Masse der Gehorchenden, der Herrscher und das durch sie erzeugte Gemeinwesen in einem und demselben Subjekte, dem Volke, zusammentreffen.

III. Aber auch in der Monarchie verhält sich die Sache ganz in gleicher Weise. Auch hier ist kein staatliches Gemeinwesen da, so lange nicht ein Staatsherrscher vorhanden ist, und sowie ein Individuum als Fürst anerkannt ist, so ist eben hiermit auch das staatliche Gemeinwesen vorhanden. Der Unterschied von der Republik besteht nur darin, dass in der Monarchie der Staatsherrscher ein von dem Volke (den Gehorchenden) unterschiedenes Subjekt ist.

IV. Das staatliche Gemeinwesen, als Produkt der beiden Faktoren Volk und Herrscher, hat eine Persönlichkeit in allen denkbaren Beziehungen, in welche es als Ganzes kommen kann 3). Es erscheint aber diese Staatspersönlichkeit geschichtlich handlungsfähig und handelnd unter allen Umständen nur in der Person des Herrschers, oder der von diesem bestellten Organe, es mag der Herrscher das souveraine Volk selbst oder ein Fürst sein 4).

3) Maurenbrecher, in der Schrift, die deutschen Fürsten u. s. w. wollte nur in einzelnen von ihm besonders aufgezählten Beziehungen eine Staatspersönlichkeit annehmen: es sind dies allerdings die hauptsächlichsten Fälle, wo dieselbe zur Erscheinung kommt (siehe unten Nr. VIII. 1, 2 u. 3 in diesem §.); allein sie selbst sind nur Ausflüsse eines von ihm verkannten Princips.

4) In der Monarchie sind diese Organe stets nur Beamte des Souverains, in der Republik pflegen die Organe des souverainen Volkes theils Beamte (Magistrate), theils Volksrepräsentanten zu sein. In der constitutionellen Monarchie, wie sie in Deutschland vorkommt, ist die Aufgabe der Volksvertretung aber eine andere, als die Rechte des Staatsherrschers auszuüben.

V. Der Unterschied dieser Theorie von der gewöhnlichen Theorie der sog. Staatssouverainetät (§. 54) besteht also darin, dass sie nicht, wie diese, die Souverainetät (das Herrscherrecht) aus der Staatspersönlichkeit ableitet, sondern letztere als die nothwendige Folge und Wirkung einer bestehenden Volks- oder Fürsten-Souverainetät auffasst. Darum muss auch bei aller Anerkennung der Staatspersönlichkeit deren Bezeichnung als Staatssouverainetät als durchaus unpassend und begriffsverwirrend verworfen werden 5): denn wenn auch durch und mit dem Herrscher das staatliche Gemeinwesen, der Staatszustand, in das Leben gerufen wird, so ist und bleibt nichts desto weniger der Herrscher allein der Souverain und die Personifikation (§. 54) dieses Gemeinwesens, dieses selbst aber immer nur ein Begriff, welcher ohne solche Personifikation in seinem Herrscher willens- und handlungsunfähig, und damit auch rechtsunfähig

wäre.

VI. Da die Staatspersönlichkeit unmittelbar mit dem Dasein des Staatsherrschers (souveraines Volk oder Fürst) gegeben ist, so ist es auch ganz unrichtig, wenn behauptet werden will, dass der Staat nur in soweit Persönlichkeit habe, als der Herrscher sie ihm beilege'); im Gegentheile hat der Staat darum eine vollkommene juristische Persönlichkeit, und somit Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, weil sein Herrscher eine vollständige Persönlichkeit und ein rechtsund handlungsfähiges Subjekt ist, und er hat sie in und mit dieser Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit seines Herrschers.

VII. Eben hieraus erklärt sich, warum man im gemeinen Leben oft von Rechten des Staates spricht, während man genau genommen von Rechten des Staatsherrschers sprechen sollte. Es ist aber zwischen den sog. Rechten des Staates und den Rechten des Staatsherrschers nie ein Unterschied im Wesen.

VIII. Praktisch aufgefasst äussert sich die Staatspersönlichkeit hauptsächlich in drei Beziehungen: 1) in Bezug

3) Siehe oben §. 54.

6) Dies ist einer der grössten Irrthümer in der Maurenbrecher'schen Schrift: die deutschen Fürsten u. s. w. S. 275 ff.

auf die Vermögensverhältnisse des Staates, d. h. in Bezug auf Staatseigenthum, Staatsnutzungsrechte, wie Regalien und dergl., Domänennutzungen, Staatslehen und Staatsschulden, in welcher Beziehung die Staatspersönlichkeit noch jetzt allgemein nach dem römischen Sprachgebrauche als Fiskus bezeichnet wird; 2) in Bezug auf den Staatsdienst, und 3) in Bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten. Aber in allen diesen Beziehungen sind die Rechte des Staates keine anderen als die des Staatsherrschers, sondern nur diesem kraft der in ihm personificirten Staatsidee zukommende Rechte, und werden in keinem Staate jemals von einem anderen Subjekte als dem Staatsherrscher ausgeübt 7).

§. 58.

Verhältniss des Souverains zur Staatsgewalt.
Territorialprincip.

I. Jeder Staatsorganismus, die Staatsform sei welche sie wolle, beruht auf der Rechtsfiktion, dass der Wille des Souverains der vernünftige Wille sei (§. 54). Die Staatsgewalt ist daher das innere juristische Wesen des Souverains: sie ist dem Unterthan gegenüber sein Recht, welches ihm kraft seines Begriffes an sich und ohne weitere Vermittelung zusteht (§. 54).

II. Um diesen absoluten Charakter der Souverainetät, d. h. ihre Unabhängigkeit von jeder anderen Gewalt auszudrücken, hat man sie mitunter als das Eigenthum (dominium politicum) des Souverains bezeichnet 1). Hierdurch ist auch wirklich der Souverain von einem Magistratus, Beamten oder sog. Depositar der Staatsgewalt unterschieden, welcher stets ein Subjekt der Staatsgewalt voraussetzt, von welchem

Siehe oben §. 54. Dies hat recht gut (Fr. Nebelthau) Wahrheit und Irrthum in der Maurenbrecher'schen Schrift u. s. w. S. 26 flg. ausgeführt.

1) Dies that z. B. Maurenbrecher, die deutsch. Fürsten etc. S. 167 u. f. Die ähnliche Auffassung in der älteren Schule, z. B. bei Hugo Grotius, siehe oben bei der Darstellung des Patrimonialprincips, §. 39. Note 11 u. 12.

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