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V. Der Unterschied dieser Theorie von der gewöhnlichen Theorie der sog. Staatssouverainetät (§. 54) besteht also darin, dass sie nicht, wie diese, die Souverainetät (das Herrscherrecht) aus der Staatspersönlichkeit ableitet, sondern letztere als die nothwendige Folge und Wirkung einer bestehenden Volks- oder Fürsten-Souverainetät auffasst. Darum muss auch bei aller Anerkennung der Staatspersönlichkeit deren Bezeichnung als Staatssouverainetät als durchaus unpassend und begriffsverwirrend verworfen werden 5): denn wenn auch durch und mit dem Herrscher das staatliche Gemeinwesen, der Staatszustand, in das Leben gerufen wird, so ist und bleibt nichts desto weniger der Herrscher allein der Souverain und die Personifikation (§. 54) dieses Gemeinwesens, dieses selbst aber immer nur ein Begriff, welcher ohne solche Personifikation in seinem Herrscher willens- und handlungsunfähig, und damit auch rechtsunfähig

wäre.

VI. Da die Staatspersönlichkeit unmittelbar mit dem Dasein des Staatsherrschers (souveraines Volk oder Fürst) gegeben ist, so ist es auch ganz unrichtig, wenn behauptet werden will, dass der Staat nur in soweit Persönlichkeit habe, als der Herrscher sie ihm beilege"); im Gegentheile hat der Staat darum eine vollkommene juristische Persönlichkeit, und somit Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, weil sein Herrscher eine vollständige Persönlichkeit und ein rechtsund handlungsfähiges Subjekt ist, und er hat sie in und mit dieser Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit seines Herrschers.

VII. Eben hieraus erklärt sich, warum man im gemeinen Leben oft von Rechten des Staates spricht, während man genau genommen von Rechten des Staatsherrschers sprechen sollte. Es ist aber zwischen den sog. Rechten des Staates und den Rechten des Staatsherrschers nie ein Unterschied im Wesen.

VIII. Praktisch aufgefasst äussert sich die Staatspersönlichkeit hauptsächlich in drei Beziehungen: 1) in Bezug

*) Siehe oben §. 54.

6) Dies ist einer der grössten Irrthümer in der Maurenbrecher'schen Schrift: die deutschen Fürsten u. s. w. S. 275 ff.

auf die Vermögensverhältnisse des Staates, d. h. in Bezug auf Staatseigenthum, Staatsnutzungsrechte, wie Regalien und dergl., Domänennutzungen, Staatslehen und Staatsschulden, in welcher Beziehung die Staatspersönlichkeit noch jetzt allgemein nach dem römischen Sprachgebrauche als Fiskus bezeichnet wird; 2) in Bezug auf den Staatsdienst, und 3) in Bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten. Aber in allen diesen Beziehungen sind die Rechte des Staates keine anderen. als die des Staatsherrschers, sondern nur diesem kraft der in ihm personificirten Staatsidee zukommende Rechte, und werden in keinem Staate jemals von einem anderen Subjekte als dem Staatsherrscher ausgeübt 7).

§. 58.

Verhältniss des Souverains zur Staatsgewalt.
Territorialprincip.

I. Jeder Staatsorganismus, die Staatsform sei welche sie wolle, beruht auf der Rechtsfiktion, dass der Wille des Souverains der vernünftige Wille sei (§. 54). Die Staatsgewalt ist daher das innere juristische Wesen des Souverains: sie ist dem Unterthan gegenüber sein. Recht, welches ihm kraft seines Begriffes an sich und ohne weitere Vermittelung zusteht (§. 54).

II. Um diesen absoluten Charakter der Souverainetät, d. h. ihre Unabhängigkeit von jeder anderen Gewalt auszudrücken, hat man sie mitunter als das Eigenthum (dominium politicum) des Souverains bezeichnet 1). Hierdurch ist auch wirklich der Souverain von einem Magistratus, Beamten oder sog. Depositar der Staatsgewalt unterschieden, welcher stets ein Subjekt der Staatsgewalt voraussetzt, von welchem

Siehe oben §. 54. Dies hat recht gut (Fr. Nebelthau) Wahrheit und Irrthum in der Maurenbrecher'schen Schrift u. s. w. S. 26 flg. ausgeführt.

1) Dies that z. B. Maurenbrecher, die deutsch. Fürsten etc. S. 167 u. f. Die ähnliche Auffassung in der älteren Schule, z. B. bei Hugo Grotius, siehe oben bei der Darstellung des Patrimonialprincips, §. 39. Note 11 u. 12.

er seine Gewalt ableitet 2). Bedenklich und Missverständnissen ausgesetzt und daher besser ganz zu vermeiden ist aber die Bezeichnung der Souverainetät als dominium aus dem Grunde, weil sich mit diesem Worte, besonders nach dem römischen Sachenrechte, welchem es entlehnt ist, der Begriff eines willkührlichen Gebrauchs- und Verfügungsrechtes verbindet, was dem Begriffe der Staatsgewalt als sittlicher Gewalt (§. 52) widerspricht 3).

III. Nach der Vorstellungsweise der germanischen Völker erschien alle Regierungsgewalt als ein politisches und zwar als das höchste politische Immobili arrecht und somit als eine der Gewere und Investitur fähige, ja sogar regelmässig durch letztere bedingte Innehabung1). Sogar in Bezug auf den Kaiser selbst sprach man von einem Investiren desselben durch die Kurfürsten 5). Ein Anklang an diese mittelalterliche Form der Erwerbung einer Landesherrschaft hat sich sogar in dem noch heut zu Tage üblichen Sprachgebrauche erhalten, dass der Fürst mit der höchsten Gewalt bekleidet sei. Hiermit hängen auch zum Theile die mit Souverain und Souverainetät heut zu Tage im Allgemeinen als gleichbedeutend gebrauchten Bezeichnungen „Landesherr" und ", Landesherrschaft" zusammen, desgleichen die Benennung des Staatsherrschers nach dem Lande, z. B. als Kaiser von Oesterreich, König von Preussen, Bayern u. s. w. 6).

2) Es ist daher eine unrichtige und verwirrende Bezeichnung, wenn Rousseau, contr. soc. L. 3. c. 1., dem ersten Executiv- Beamten seiner Republik den Namen Souverain beilegt.

3) Der wesentliche Unterschied zwischen Eigenthum und Staatsgewalt, wesshalb auch jede Verweisung auf eine Analogie des Ersteren unpassend erscheint, liegt darin, dass das Eigenthum nur eine Gewalt über Sachen ist, und in der Befugniss des willkührlichen Verfügens besteht, was alles bei der Staatsgewalt nicht stattfindet (§. 46 u. 52).

4) Vergl. meine deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl. (1858) Thl. II. §. 51. 53.

5) So sagte der Erzbischof von Mainz bei der Absetzung K. Heinrich's IV. (Berthold a. 1068): „,Nonne officii nostri est, regem consecratum investire?... Quem merito investivimus, cur immeritum non divestiamus ?“ Siehe meine deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl. (1858) Thl. II. §. 46. Note 14. S. 464.

6) Um den Schein einer Anerkennung des mit dieser Auffassung im Mittelalter verflochtenen Patrimonialprincips (§. 39) zu vermeiden,

IV. Diese Auffassung der Staatsgewalt als ein Immobiliarrecht kann sogar, wenn man nur von der nicht mehr praktischen Form der Investitur absieht, auf allgemeine Giltigkeit Anspruch machen, da die Ausübung der Staatsgewalt stets durch die Innehabung (den Besitz) eines Landes bedingt ist und mit dem Lande erworben und verloren wird, daher sie also für den Souverain selbst hinsichtlich ihrer praktischen Geltung Ausfluss (Rechts- Wirkung) seines Territorialbesitzes, mithin ein Recht des Besitzes (jus possessionis im Gegensatze von jus possidendi) ist').

V. Der Grundsatz, dass der Besitz des Landes an sich die unerlässliche thatsächliche Voraussetzung der praktischen Geltung (Ausübung) der Staatsgewalt in demselben, d. h. der Möglichkeit einer Regierung überhaupt ist ein Grundsatz, der wegen seiner durchgreifenden Giltigkeit zugleich als der oberste Grundsatz des gesammten praktischen Staatsrechtes erscheint - wird das Territorial princip genannt).

ist in der neueren Zeit in den Titeln der Souveraine, deren Herrschaft durch einen Akt der Volkssouverainetät gegründet worden ist, die Bezeichnung des Herrschers nach dem Volke, z. B. Roi oder Empereur des Français, Roi des Grecs etc. Sitte geworden.

7) Vergl. oben §. 46.

) Das Territorialprincip war zwar bisher den publicistischen Schriftstellern nicht unbekannt; jedoch beschränkte man sich darauf, es in iner einzelnen Lehre (von dem Staatsgebiete oder der Gebietshoheit) an die Spitze zu stellen. Es ist aber diesem Princip in Bezug auf das praktische Staatsrecht unbedingt der Platz an der Spitze des ganzen Systems anzuweisen, wodurch auch erst Zusammenhang in seine einzelnen Conquenzen gebracht wird. Das Territorial princip unterscheidet sich von dem Patrimonial princip dadurch, dass es 1) nicht das Eigenthum an Grund und Boden zum Grunde der Staatsgewalt selbst macht, sondern Ear die Thatsache der Unterwürfigkeit des Landes als die nothwendige Voraussetzung der Wirksamkeit der Staatsgewalt in demselben darstellt, und 2) dadurch, dass es die Frage, wie und aus welchem Rechtstitel das Land oder die Herrschaft darin besessen werde, ob als ein patrimoniales oder als ein von der Volkssouverainetät u. s. w. abgeleitetes Recht, überhaupt gar nicht berührt.

§. 59.

Beherrschungsformen der Staaten nach dem Principe der Volkssouverainetät und der Fürstensouverainetät. Monarchien und Republiken, nebst deren Unterarten, Aristokratien und Demokratien').

I. Je nachdem die Herrschaft bei einem Individuum, dem Fürsten, oder bei Mehreren, insbesondere bei gewissen Geschlechtern oder bei dem Volke in seiner Gesammtheit (bei Allen) ist, pflegt man als staatliche Beherrschungsformen die Monarchie, die Aristokratie und die Demokratie zu unterscheiden 2).

II. Da aber doch die Aristokratie im Princip die Volkssouverainetät anerkennt, wenn sie gleich für die bevorzugten Geschlechter einen überwiegenden Einfluss auf deren Ausübung in Anspruch nimmt, so ist es logisch richtiger, wenn man entsprechend den beiden allein geschichtlichen Formen, in welchen die Souverainetät praktisch hervortritt, nämlich der Volkssouverainetät und der Fürstensouverainetät, auch nur zwei Hauptformen des Staates, nämlich Monarchien (Einherrschaften) und Republiken (Volksherrschaften, auch sog. Freistaaten) unterscheidet, und die Aristokratie und Demokratie als Unterarten der Republik auffasst 3).

1) J. Held, Syst. des Verf.-Rechts (1856) Bd. I. S. 338.

2) Diese Terminologie war schon bei den Römern gebräuchlich; so z. B. findet sie sich bei Cicero de republica. Aristoteles gebrauchte für die Herrschaft des gesammten Volkes den Ausdruck noмırɛla; die Demokratie erklärte er als den Verfall der noλivɛla, d. h. einen Zustand der Pöbelherrschaft (auch sog. Ochlokratie), der kaum mehr von der Anarchie verschieden ist. Eben so erklärte er die Oligarchie als Ausartung der Aristokratie, die Tugarris als Ausartung des Königthums. Montesquieu stellte als Princip der Monarchie die Ehre, als das der Aristokratie die Mässigung, als das der Republik die Gleicheit auf.

3) An sich betrachtet bezeichnete respublica überhaupt einen Staat, oder bürgerliches Gemeinwesen (siehe oben §. 2 und §. 5); daher sprach man fortwährend selbst in der Zeit der despotischen Imperatorenherrschaft von der respublica Romanorum. Cicero versteht unter respublica gewöhnlich die aristokratische römische Staatseinrichtung, welche durch die Demokratie (die Parthei Cäsar's) bedroht wurde.

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