Page images
PDF
EPUB

worden sind 3), oder das gleiche publicistische Verhältniss auch in Deutschland schon der Natur der Sache nach vorkommt 4).

III. Insbesondere sind das römische und canonische Recht und die Libri Feudorum von wenigstens mittelbarer Bedeutung für das praktische Staatsrecht, so weit sie subsidiäre Quelle des deutschen Privatfürstenrechts sind 5).

IV. Unbedenklich dürfen auch das römische und canonische Recht als praktisch in jenen Materien betrachtet werden, welche als allgemeine und logische Lehren (doctrinae universales) in das Staatsrecht ebenso, wie in alle anderen Rechtstheile einschlagen"). Dies erkennt namentlich die Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820 Art. 23 an, indem sie das Bundesausträgalgericht bei Ermangelung von besonderen Entscheidungsnormen auf die von den Reichsgerichten subsidiarisch befolgten Rechtsquellen verweist.

V. Eine vorzüglich hohe Bedeutung hatten die Libri Feudorum für das deutsche Staatsrecht, so lange noch die Reichs`verbindung bestand, und das Lehenwesen der Reichsverfassung zur Grundlage diente). Heut zu Tage lässt sich aber für das Lehenrecht überhaupt nur noch insofern ein praktischer Einfluss auf staatsrechtliche Fragen behaupten, als es sich entweder um die Beurtheilung älterer Verhältnisse handelt, oder lehenrechtliche Analogien in dem Privatfürstenrechte Platz greifen können.

3) Besonders ist das canon. Recht noch mehrfach praktische Quelle für das Staatskirchenrecht.

4) Die Bedeutung, Wirkung u. Anfechtung der rescripta principis u. dgl. 5) Klüber, öffentl. Recht, §. 73, Note a.

6) Z. B. die Lehre von den allgemeinen Erfordernissen der Verträge, vom dolus, error, vis, possessio, protestatio u. dgl.

7) Genau zu unterscheiden sind aber in den Libris feudorum jene Constitutionen deutscher Kaiser, welche nur für Italien bestimmt waren, z. B. die Const. Frid. I. in II. Feud. 56. Quae sint regalia. Pütter, Beitr. I. S. 207.

[ocr errors]

§. 74.

Von der praktischen Anwendbarkeit des allgemeinen Staatsrechts in Deutschland.

Die Frage, ob das allgemeine oder sogenannte natürliche Staatsrecht in Deutscland als praktisches Recht zu betrachten sei und neben den Quellen des historischen Rechts zu subsidiärer Anwendung kommen könne, ist in neuerer Zeit vielfach streitig geworden 1).

I. Einige verneinen dies aus dem Grunde, weil das allgemeine oder philosophische Staatsrecht nur ein Recht sei, welches nach der Idee des Staates gelten könne oder solle, womit aber noch nicht bestimmt sei, was in einem Staate wirklich gelte: auch wird hierbei hervorgehoben, dass das philosophische Staatsrecht an sich etwas Willkührliches, und nie allgemein anerkannt sei 2).

II. Andere läugnen die praktische Anwendbarkeit des philosophischen Staatsrechts darum, weil mit dem Begriffe eines Volkes auch stets zugleich der Begriff einer demselben eigenthümlichen, seine sämmtlichen Lebensverhältnisse umfassenden conkreten Rechtsanschauung, und mithin ein positives Recht gesetzt sei, daher auch bei keinem Volke jemals ein anderes, als sein positives Recht gelten könne, und zwar in Bezug auf alle Rechtstheile 3).

III. Allein der erstere Einwand beruht auf einer irrigen Vorstellung von dem Vernünftigen, wobei sein Charakter als sittlich Nothwendiges und folglich an sich Praktisches

Wenn auch hier die praktische Anwendbarkeit des allgemeinen Staatsrechts in Deutschland vertheidigt wird, so durfte es doch nicht unter den Quellen des deutschen Staatsrechts aufgezählt werden, insofern hierunter nur das besondere, historisch national und eigenthümlich ausgeprägte Staatsrecht zu verstehen ist.

2) Vergl. Maurenbrecher, Grunds., §. 7.

3) v. Savigny, System des heutigen röm. Rechts, I., §. 7., S. 14. v. Wächter, würtemb. Privatr., Bd. II., §. 13, vergl. mit Bd. I., Abth. 2, §. 131.

nicht gehörig aufgefasst ist 4). Ueberdies könnte man aber auch gegen das ganze positive Recht den gleichen Einwand vorbringen, dass es nie allgemein, sondern nur individuell erkannt werden könne 5), wenigstens insoweit als es sich um seine Anwendung auf die einzelnen Fälle handelt, worin eben allein die praktische Bedeutung des Rechts erst hervortritt 6).

IV. Was aber den zweiten Einwand anbelangt, so liegt demselben ein Missverständniss des Begriffes vom positiven Rechte zu Grunde. Indem man nämlich anfing, das mit dem Begriffe eines Volkes zugleich gesetzte, in dessen Bewusstsein lebendige Recht), sein positives Recht zu nennen, selbst bevor es noch eine äusserlich erkennbare Form als Gesetz, Herkommen, oder Urtheil gewonnen hat, während nach dem früheren juristischen Sprachgebrauche die Bezeichnung,,positives Recht" erst dann für statthaft gehalten wurde, wenn das mit dem Begriffe des Volkes gesetzte Rechtsbewusstsein bereits eine solche äussere Form der Erkennbarkeit erlangt hatte, so warf man den Begriff des Positiven im philosophischen Sinne und den Begriff des Positiven im historischen Sinne durcheinander. In ersterer Beziehung ist nämlich alles positiv, was wirklich ist, wenn es auch noch keine äussere Gestaltung gewonnen hat; in letzterem

4) In dieser Beziehung gehört auch alles das hieher, was gleich nachfolgend bei der Prüfung des zweiten Einwandes über die Bedeutung des Positiven im philosophischen Sinne angegeben werden wird.

5) Wie viele Gesetze sind nicht einer mehrfachen Auffassung und verschiedenen Auslegung fähig! Die unzähligen Controversen im römischen Rechte geben davon ein schlagendes Beispiel. Auch die Analogie wird nur individuell erkannt, und doch ist sie bisher überall für eine praktische Rechtsquelle geachtet worden.

6) Es gibt nun einmal für die Menschheit keine andere Weise der Erkenntniss der Wahrheit, als nur die individuell erkannte: nicht die Menschheit denkt als Ganzes, sondern nur der Mensch als Individuum denkt und kann das allgemein Menschliche denken! Da aller positiven Rechtsquellen (wie Gesetze) ungeachtet, das Recht nur individuell im conkreten Falle erkannt werden kann, d. h. da eben im conkreten Falle immer wieder in Frage steht, was als positives Recht hier anzuerkennen sei, so hat man in allen Staaten das formelle (judicatmässige) Recht erfunden, und sich damit begnügen lernen müssen.

7) Vergl. oben §. 12.

Sinne ist aber nur das positiv, was bereits äusserlich erkennbar hervorgetreten ist. In dem ersteren Sinne ist daher auch alles sogenannte philosophische oder allgemeine Recht ein positives, da der allgemeine Menschengeist auch ein positiver, d. h. ein wirklicher ist. Diejenigen, welche das im lebendigen Bewusstsein eines jeden Volkes liegende Recht als positives bezeichnen, befinden sich daher in einer Täuschung, wenn sie glauben, hiermit das sogenannte allgemeine Recht beseitigt zu haben, indem sie es vielmehr nur unter dem Namen des positiven untergebracht haben 8).

V. Ueberdies werden sogar eben jene nationalen Rechtsideen, welche uranfänglich als Rechtsgefühl im Volke liegen, und sich zuerst in einzelnen Urtheilen und in praktischer, gleichsam instinktartiger Uebung äussern (auf welcher Basis sodann allmählig erst Herkommen, Gerichtsgebrauch und Gesetz erwachsen) naturgemäss von jedem Volke für allgemein giltiges oder rationales (ideales) Recht gehalten, d. h. das Volk hält sie für natürliches Recht, weil sie ihm nach dem Grundtypus seines Charakters natürlich sind, wenn sie gleich etwa von einem höheren, universelleren Standpunkte aus betrachtet, nur für ein individuell ausgeprägtes, oder nationales Recht geachtet werden können. Diese Verwechselung oder vielmehr Identificirung des rationalen (idealen) und nationalen Rechts 1st für jedes Volk unvermeidlich "), weil es sich als eine Darstellung der Menschheit und des allgemeinen menschlichen Geistes in conkreter Staatsform begreift 10).

VI. Auf dieses sein natürliches Recht greift jedes Volk bei dem Stillschweigen seiner positiven Quellen als auf die

5) Wer das Allgemeine oder Philosophische Positives nennt, für den kann es freilich kein Allgemeines mehr geben. Es ergibt sich aber eben hieraus, dass eine solche Terminologie in der Jurisprudenz nur unpassend und verwirrend ist.

*) Nur der Einzelne kann sich von dieser Verwechslung losmachen, wenn er anfängt, die Rechte verschiedener Völker zu vergleichen. Völker, die ein tüchtiges unvermischtes Nationalrecht besitzen, haben nie eine hochstehende Rechtsphilosophie als Wissenschaft des allgemeinen Rechts im Gegensatze des Volksrechts, und empfinden auch nicht das Bedürfniss derselben.

10) Vergl. meinen Aufsatz über nationales und rationales Recht, in der Zeitschrift für deutsches Recht, 1841, Bd. 4, S. 1 u. f.

oberste Wurzel derselben zurück, und in diesem Sinne, als Inbegriff der Volksphilosophie über das Recht, d. h. als Ausdruck des sogenannten gesunden Menschenverstandes hat das natürliche Recht in jedem Volke fortwährende praktische Bedeutung, und ist sogar durchaus unentbehrlich, indem sonst die doch jedenfalls für unerlässlich zu erkennende Rechtsprechung über neu entstehende, noch durch kein Gesetz oder Herkommen oder Gerichtsgebrauch regulirte Rechtsfragen eine Unmöglichkeit sein würde 11).

VII. Dieses natürliche Recht ist aber nichts anderes, als eine logische Anwendung des allgemeinen und eben darum auch volksmässigen Rechtsbegriffes auf die Verhältnisse des nationalen Lebens, und somit ist das, was man in der neueren Zeit, als im Volksbewusstsein lebendig gesetzt, positives Recht nennen wollte, in seinem Wesen eben dasselbe, was in der frühern Zeit die (juristische) Natur der Sache genannt wurde 12).

VIII. Erwägt man aber endlich, dass kein Volk, seiner nationalen Individualität ungeachtet, jemals aufhört, ein Theil der Menschheit zu sein, so kann es nicht fehlen, dass nicht das nationale Recht eines jeden Volkes auch solche Rechtsgrundsätze in grosser Anzahl in sich begreift, welche wirklich den Charakter der allgemeinen Vernünftigkeit und somit der allgemeinen Giltigkeit an sich tragen; denn auch das sogenannte allgemeine, natürliche oder Vernunftrecht ist kein willkührlich gemachtes Recht, sondern ein in der sittlichen Natur des Menschen liegendes, mit dem Begriffe des Menschen und der

41) Jede Rechtsfrage, über deren Entscheidung sich ein Gerichtsgebrauch gebildet hat, war einmal zum erstenmale da, und ist entschieden worden, und musste entschieden werden, und wenn dies nicht nach dem hier erörterten allgemeinen oder sog. natürlichen Rechte geschehen wäre, so würde nie die Bildung eines Gerichtsgebrauches möglich gewesen sein.

[ocr errors]

12) Auch das, was von v. Wächter, würtemberg. Privatr., II., §. 13, ,Rechts-Analogie" im Gegensatze von Gesetzes-Analogie, genannt wird, fällt zum Theil unter diesen Gesichtspunkt. Gärtner, über die wissenschaftliche Behandlung des deutsch. Staatsrechts, Bonn 1839. Dass das sog. natürliche Staatsrecht unentbehrlich ist für die rationelle Begründung gewisser staatsrechtlichen Fundamentalbegriffe, erkennt an: H. A. Zachariä, deutsch. Staatsr. §. 4.

« PreviousContinue »