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XI. Die Maxime der Staatentrennung äusserte sich aber gerade darin, dass dem Kaiser reichsconstitutionsmässig untersagt war, in die Landeshoheit einzugreifen, so lange der Landesherr verfassungsmässig regierte 14).

§. 78.

Grundgesetze des deutschen Reichs 1).

Als die wichtigsten Verfassungsgesetze (Grundgesetze) des deutschen Reichs betrachtete man:

14) Das erste kaiserliche Versprechen, in die landesherrliche Regierung nicht eingreifen zu wollen, findet sich in: Const. Utin. Friderici II. a. 1232. ,,Unusquisque Principum libertatibus Jurisdictionibus, comitatibus, centis, sive liberis sive infeodatis, utatur quiete, secundum terrae suae consuetudinem approbatam. Centumgravii recipiant centas a Domino terrae vel ab eo, qui per Dominum terrae fuerit infeodatus. Locum centae nemo mutabit sine consensu Domini terrae. Nullam novam monetam in terra alicujus principis cudi faciemus, per quam moneta ejus principis deterioretur." Instr. Pac. Osnabr. art. VIII. §. 1: „. . . Omnes et singuli Electores, Principes et Status Imp. Romani in antiquis suis juribus, praerogativis, libertate, privilegiis, libero juris territorialis tam in ecclesiasticis quam in politicis exercitio, ditionibus, regalibus, horumque omnium possessione ita stabiliti firmatique sunto, ut a nullo unquam sub quocunque praetextu de facto turbari possint vel debeant." Hiermit stimmt überein die Wahlkap. art. I. §. 2. . (Wie wir) dann auch die Fürsten, Prälaten, Grafen, Herren und Stände (die unmittelbare freie Reichsritterschaft mitbegriffen) bei ihren Hoheiten, geist- und weltlichen Würden, Gerechtigkeiten, Macht und Gewalt, sonst auch einen jeden bei seinem Stand und Wesen lassen. Noch bestimmter lautet: Wahlkap. art I. §. 8: „, Der Landeshoheit und Pactis nicht einzugreifen. Wir wollen auch weder den Reichsgerichten, noch sonst jemand, wer der auch seye, gestatten, dass denen Ständen in ihren Territoriis (Zusatz 1790. 1792. „,in ihre Landeshoheits- und Regierungs- Sachen besonders") in Religions-, Politischen-, Justiz-, Cameral- und Criminal-Sachen sub quocunque praetextu wider die Reichsgesetze, den Friedensschluss oder aufgerichtete und verbindliche Pacta vor- oder eingegriffen werde.

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1) Literatur: J. St. Pütter, histor. Entwickelung der Staatsverf. d. deutsch. Reichs. III Bde. Götting. (2. Aufl.). 1788. — Moser, v. Deutschland u. d. deutsch. Staatsverf. überhaupt, Stuttg. 1766. S. 195 flg. Häberlin, Handbuch, Bd. I. S. 179 flg. Abhandlungen über Gegenstände des allgemeinen Staatenrechts in Norddeutschland, Carlsruhe 1824, S. 11. 21 fig. Die Sammlungen der Reichsgesetze, siehe oben bei der Literatur des deutschen Staatsrechts S. 147.

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I. Die Urkunden K. Friedrichs II. v. J. 1220 (Constitutio Francof. de juribus Principum ecclesiasticorum) und v. J. 1232 (Constit. Utin. de juribus Principum saecularium), worin er zuerst die geistlichen, sodann auch die weltlichen Reichsfürsten in ihren hergebrachten Regalien, d. h. in der sog. Landeshoheit bestätigte, und somit den Grundsatz der Staatentrennung positiv anerkannte 2).

II. Die Constitution K. Ludwigs des Bayern (Constitutio Francofurtensis de jure et excellentia imperii) v. J. 1338 3). Hierdurch wurde die Unabhängigkeit der deutschen Königswahl vom päpstlichen Stuhle und die unmittelbare Berechtigung des von den Kurfürsten gewählten deutschen Königs, sich sofort als römischer Kaiser zu betrachten, und die Entscheidung der Stimmenmehrheit bei der durch die Kurfürsten vorzunehmenden Wahl ausgesprochen.

III. Die goldene Bulle (Aurea Bulla) K. Karls IV. v. J. 1356 4). Sie bestimmte, welche Fürsten fortan die Kurwürde haben sollten; Unveräusserlichkeit und Untheilbarkeit der Kurfürstenthümer, und die Primogeniturordnung bei der Erbfolge in dieselben; Grundsätze über Regierungsfähigkeit und Regierungsvormundschaft. Sie bestätigt zugleich die Regierungsrechte und Privilegien der Kurfürsten in ihren Staaten und enthält sodann noch einige Bestimmungen über Landfrieden, Pfahlbürger und städtische Verbindungen.

IV. Der ewige Landfrieden K. Maximilians I. v. J. 14955); eigentlich ein Criminalgesetz des Reichs, aber

*) Abdrücke dieser Urkunden s. bei Schmauss (Edit. v. 1774) S. 4 flg.; Pertz, Monum. Germ. Legg. T. II. p. 236. 292. Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 53, und besonders meine Alterthümer des deutschen Rechts, Heidelb. u. Leipz. 1860. Bd. I. S. 98 flg.

3) Abgedruckt bei Schmauss, S. 9. - Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 58.

4) v. Ludewig, vollst. Erläuterung der goldenen Bulle, Frkf. 1716. 1719. Ohlenschlager, Erläuterung der G.-B. Frkf. u. Leipz. 1766. Pütter, Entwickelung des deutschen Staatsverf. I, 237 flg. Moser, v. Deutschland §. 214 flg. Oertel, Staatsgrundges. S. 50. Meine deutsche Rechtsgesch, 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 59. v. Leonhardi, Etwas über die G.-B. (aus d. Wetzlar. Beitr. bes. abgedr.) Frkf. 1840.

5) Abgedruckt in der neuen Samml. der Reichsabschiede, II. S. 1; bei Schmauss (1774) S. 56. 126. Datt, de pace publica, 1698.

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zu den Grundgesetzen darum gerechnet, weil durch ihn die Reichsverfassung eine wesentlich neue Grundlage durch das Verbot aller und jeder Fehde erhielt; später mehrfach erneuert, declarirt und bestätigt (1521, 1522, 1542, 1548).

V. Die Reichskammergerichtsordnung v. J. 1495, revidirt 1555, und die Reichshofrathsordnung v. J. 1518, revidirt 1654, d. h. die Gerichtsordnungen für die beiden obersten Reichsgerichte ").

VI. Die Kaiserliche Wahlkapitulation (Capitulatio Caesarea)), d. h. ein Staatsgrundgesetz, welches seit K. Karl V. (1519) bei jeder Kaiserwahl zwischen dem Kaiser und den Kurfürsten im Namen der sämmtlichen Reichsstände über seine Wahl vertragsmässig errichtet wurde und die Bedingungen derselben, sowie die Beschränkungen seiner Regierungsgewalt enthielt. Dies war die eigentliche Verfassungsurkunde des Reichs, aber immer nur für das Leben eines Kaisers giltig. Sie wurde bei jeder Wahl erneuert und zeitgemäss verändert. Im Jahre 1711 (Juli 8) einigte man sich nach langen Verhandlungen über eine beständige Wahlkapitulation (Capitulatio Caesarea perpetua), deren man sich auch seit der Wahl K. Karls VI. bediente. Demungeachtet kamen doch noch Zusätze in die folgenden Wahlkapitulationen, welche zu machen die Kurfürsten als ihr besonderes Recht (Jus adcapitulandi) behaupteten, obschon die anderen Reichsstände manchen solchen neuen Zusätzen die Anerkennung verweigerten (sog. Passus contradicti) *).

Meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 60.
P. Wigand, Wetzlar. Beitr. Heft 2. S. 152.

Vergl.

6) Abgedruckt ist die R.-K.-G.-O. v. 1495 in der neuen Sammlung der R.-A. II. 6; die R.-K.-G.-O. v. 1555, ebendas. III. 43; die R.-H.-R.-O. s. bei Schmauss, S. 889. Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858.

Thl. II. §. 61. (Siehe unten §. 99. Note 19).

2 Thle. 1777. 1778. Prag 1781.

7) Moser, von der kais. W.-K. (neu bearbeitet von Häberlin), Nürnberg 1772. Dessen Betrachtungen über d. W.-K. Joseph's II. v. Riegger, harmon. Wahlkapitul. Joseph's II. Häberlin, pragmat. Gesch. der neuesten (Leopold II.) kais. W.-K. Leipz. 1792. 1793. Schmelzer, die W.-K. Franz II. Helmst. 1792. v. Berg, die W.-K. Franz II. in syst. Ordnung, Göttingen 1792. Crome, die W.-K. Leopold II. und Franz II. mit Anmerkungen, Lemgo 1794; auch bei Oertel, S. 442.

8) Vergl. Pütter, hist. Entwickelung d. deutsch. Staatsverf. I, 351 fig.; II. 118. 260. 372. Meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. Thl. II. §. 62.

VII. Die sog. deutschen Religionsverträge, nämlich der sog. Passauer Vertrag 1552, als provisorisches Toleranzgesetz 9) und sodann der Religionsfrieden von Augsburg v. J. 1555 als definitives Toleranzgesetz 10), worin zuerst unwiderruflich die Berechtigung der protestantischen Kirche (der sog. Augsburger Religionsverwandten, Status Augustanae Confessioni addicti) in Deutschland und ihre Befreiung von der kirchlichen Jurisdiktion der katholischen Bischöfe anerkannt wurde 11).

VIII. Die Concordate der deutschen Nation mit dem päpstlichen Stuhle 12), nämlich

1) das Wormser Concordat (Concordatum Calixtinum) v. J. 1122, wodurch die freie Bischofswahl durch die Domkapitel, unter Anwesenheit eines kaiserlichen Commissärs festgesetzt, und zugleich bestimmt wurde, dass die Belehnung der geistlichen Fürsten als Reichsfürsten mit den Regalien durch den Kaiser fortan mit dem Scepter geschehen sollte, die Investitur der Bischöfe mit Stab und Ring aber, die als geistliche Symbole anerkannt wurden, dem Papste überlassen sein solle 13); 2) das Wiener (auch ungenau sog. Aschaffenburger) Concordat v. J. 1448, wodurch mehrere Streitigkeiten zwischen der deutschen Nation und dem römischen Stuhl, insbesondere Rentenbezüge (Annaten) und die Besetzung geistlicher Pfründen betreffend, erledigt, und namentlich dem Papste ein von Monat zu Monat abwechselndes

9) Abgedruckt in N. Samml. d. R.-A. III. 3.

10) Abgedruckt in N. Samml. d. R.-A. III. 16.

original. de pace relig. Frkf. 1631.

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44) Vergl. Pütter, hist. Entwickelung der deutschen Staatsverf. I. 405. - Dessen Lit. II. §. 687 flg.; III. §. 877 flg. Meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 63.

Sämmtliche Concordate der deutschen Nation mit dem päpstlichen Stuhle sind abgedruckt in: Concordata nationis Germanicae integra. Frkf. et Lips. 1771.

13) Pütter, hist. Entwickelung I. 151. Meine deutsche Rechtsgeschichte 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 56. VI., und besonders meine Alterthümer des deutschen Reichs und Rechts, Heidelb. u. Leipz. 1860. Bd. I. S. 112. 113; Bd. II. S. 19. 27. 33. 58.

Zöpfl, Staatsrecht. 5. Aufl. I.

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Besetzungsrecht der Pfründen neben dem ordinarius collator eingeräumt wurde 14).

IX. Der sog. westphälische Frieden v. J. 1648, abgefasst in zwei im Wesentlichen gleichlautenden Instrumenten, dem Münsterischen und Osnabrückischen Friedensinstrument 15). Das erstere enthält den Friedensschluss des Kaisers mit Frankreich, das Andere mit Schweden. Abgesehen von Länderabtretungen an Frankreich und Schweden, Amnestien und Restitutionen vertriebener Fürstenhäuser und geistlicher Korporationen, bei welchen letzteren vielfach der 1. Januar 1624 als Normal-Jahr und Tag (annus et dies decretorius) hinsichtlich des Besitzstandes zu Grunde gelegt wurde, erhielt die Reichsverfassung durch den westphälischen Frieden vielfach eine neue bleibende Grundlage: 1) durch die Erledigung der sog. gravamina ecclesiastica, d. h. durch die Anerkennung und Durchführung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit der Protestanten mit den Katholiken in allen reichsstaatsrechtlichen Beziehungen, und durch die Aufstellung von Grundsätzen für die Ausübung des religiösen Kultus der anerkannten Religionstheile, und die Einschränkung des landesherrlichen Reformationsrechts; und 2) durch die Erledigung des sog. gravamina politica, d. h. durch Anerkennung der Theilnahme der Reichsstände an der Reichsregierung, insbesondere durch Anerkennung ihres Rechts zu Bündnissen mit fremden Staaten und Sonderbündnissen unter sich 16).

44) Pütter, hist. Entwickelung I. 298; III. 179. Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 64.

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Meine deutsche

15) Ausgaben nach authentischen Quellen: J. G. de Meiern, Instrumenta Pacis Caes. Suec. et Caes. Gall. Götting. 1738. Oertel, Staatsgrundges. S. 260. Die Urkunden der Friedensschlüsse von Osnabrück und Münster, nebst darauf bezüglichen Aktenstücken, histor. Uebersicht, Bücherkunde und Anmerkungen, Zürich 1848. Auch in N. Samml. der R.-A. III. 574; bei Schmauss, Nr. 53. 54. Die Verhandlungen finden sich in: W. Gärtner, westphäl. Friedenskanzlei, XI Thle. Leipz. 1731-37 (bis 31. Mai 1646); am vollständigsten bei J. G. v. Meiern, Acta pacis Westphal. publ. VI Thle. Hannov. 1734 fl. (dazu das Register von Walther, Göttingen 1740).

16) Pütter, hist. Entwickelung II. 48 flg. Dessen Geist des westphäl. Friedens, Göttingen 1795. Moser, Erläuterungen des westphäl. Friedens aus reichshofräthl. Handlungen, II Thle. Erlangen 1775. 1776.

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