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in der Wahlkapitulation die gleiche Beschränkung des Kaisers durch Aufzählung der einzelnen Fälle neu bestätigt und eingeschärft 2).

III. Die Mitwirkung der Reichsstände hatte die Eigenschaft eines wahren Zustimmungsrechts (consensus), nicht blos eines Beirathes (consultatio) 3).

IV. Die Zustimmung musste regelmässig als Comitialbewilligung, d. h. von den Reichsständen als Reichstag (comitia) 4), oder doch in forma deputationis, d. h. durch die ordentliche Reichsdeputation gegeben werden, welche in der Zeit, wo kein Reichstag versammelt war, dessen Stelle vertrat 5).

V. Die Reichsstände ertheilten ihre Zustimmung regelmässig nach Stimmenmehrheit °). Durch den westphälischen Frieden

sertim ubi leges ferendae vel interpretandae, bellum decernendum, tributa indicenda, delectus aut hospitationes militum instituendae, nova munimenta intra Statuum ditiones exstruenda nomine publico, veterave firmanda praesidiis, nec non ubi Pax aut foedera facienda aliave ejusmodi negotia peragenda fuerint, nihil horum aut quicquam simile posthac unquam fiat vel admittatur, nisi de Comitiali liberoque omnium Imperii Statuum suffragio et consensu.

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2) W.-K. art. II. §. 3; art. IV. §. 1. 9. 11; art. V. §. 1.

3) J. P. O. art VIII. §. 2 (siehe Note 1). W.-K. art. IV. §. 1. „In allen Berathschlagungen über die Reichsgeschäfte, insbesondere diejenige, welche in dem Instrumento Pacis namentlich exprimirt, und dergleichen, sollen und wollen Wir, die Churfürsten, Fürsten und Stände des Reichs ihres Juris suffragii sich gebrauchen lassen, und ohne derselbigen reichstägige freie Beistimmung in selbigen Dingen nichts fürnehmen noch ge

statten."

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4) Siehe Note 1 u. 3. 5) W.-K. art. II. §. 3. unter keinerlei Vorwand ... ohne Churfürsten, Fürsten und Ständen auf einem Reichs- oder ordinari-Deputationstage vorgehende Bewilligung. Die ordentliche Reichsdeputation bestand aus Abgeordneten der Kurfürsten, und bestimmten (Anfangs 10, später 24) Reichsständen. Sie verhandelte in zwei Collegien, dem kurfürstlichen, unter dem Vorsitze von Kur-Mainz, und dem Colleg der Stände, unter dem Vorsitze von Oesterreich. Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 73. I. Sie trat seit dem J. 1663 nicht mehr zusammen, weil seitdem der Reichstag selbst permanent geworden Von hier an wurden nur noch sog. ausserordentliche Reichsdeputationen zur Erledigung einzelner Geschäfte bestellt.

war.

6) Vergl. die reichsgesetzlichen Bestimmungen bei Pütter, inst. §. 175. Leist, Staatsr. §. 84; Gönner, Staatsr. §. 166.

waren aber drei Fälle ausgezeichnet worden, in welchen ein Beschluss nur allein durch freundliche Verständigung zu Stande kommen konnte 7): nämlich 1) in Religionssachen, 2) wenn jura singulorum in Frage standen ), und 3) wenn itio in partes stattfand, d. h. so oft die Katholiken oder Protestanten als Religionstheil, sog. Corpus Catholicorum and Corpus Evangelicorum ), in irgend einer Sache, wenn sie auch keine Religionssache war, erklärten, dass sie dieselbe als eine Korporationssache betrachteten 10).

VI. Die Zustimmung des Reichstages sollte regelmässig vor der Vornahme einer Regierungshandlung eingeholt werden 11); doch war auch nachträgliche Zustimmung nicht ausgeschlossen 12).

7) J. P. O. art. V. §. 52.,, In causis religionis, omnibusque alliis negotiis ubi status tanquam unum corpus considerari nequeunt, ut etiam Catholicis et Augustanae confessionis statibus in duas partes euntibus, sola amicabilis compositio lites dirimat, non attenta votorum pluralitate.

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*) Als Gegensatz des reichsständischen Körpers in seiner Einheit betrachtete man die Einzelnen mit ihren wohlerworbenen Rechten: diese konnten zum Nachtheil des Berechtigten durch keine Majorität, sondern nur durch freie Uebereinkunft desselben mit der gesammten Reichsgewalt geändert werden. Gönner, Staatsr. §. 167. 198. Leist, Staatsr. §. 85. Es fehlte nicht an Anträgen, auch die Reichssteuersachen (materia collectandi) unter diesen Begriff zu ziehen und dabei auch die Stimmenmehrheit auszuschliessen: allein der westphälische Frieden (J. P. O. art. 52 i. f.) verwies die Entscheidung hierüber auf den nächsten Reichstag, and da diese nicht erfolgte, blieb die Praxis hier bei der Stimmenmehrheit stehen. Gönner, Staatsr. §. 167. a. E. - Pütter, inst. §. 176.

Siehe unten §. 91. IX.

*) Darüber, dass die Behauptung falsch sei, als wenn die itio in partes ebenfalls nur in Religionssachen hätte stattfinden dürfen, sondern dass vielmehr dieselbe von jedem Religionstheile in jeder beliebigen Sache gebraucht werden könne, und dass eben hierin ein grosses und für unentbehrlich geachtetes Sicherungsmittel eines jeden Religionstheils gegen Uebergriffe des anderen liege, waren seit dem vorigen Jahrhundert sowohl die ausgezeichnetsten katholischen wie protestantischen Publicisten einverstanden. Gönner, Staatsr. §. 167. 198. 200; Pütter, inst. §. 177. — Leist, Staatsr. §. 85. Note 5 u. 6. Vergl. die Literatur bei Schmid,

Staatsrecht §. 142. Note *).

11) W.-K. art. II. §. 3 (siehe Note 5).
**) Gönner, Staatṣr. §. 98. VII,

VII. Die Reichsstände stellten in ihrer Versammlung (den Reichstage) das Reich in seiner Gesammtheit vor, ohne aber desshalb als Repräsentanten der einzelnen Lände betrachtet zu werden. Die Ideen des modernen Repräsentativ systems dürfen hier nicht eingemischt werden. Ob den Reichs ständen ein Mitregierungsrecht zustehe, war daher nur eir Wortstreit. Gewiss aber war, dass sie durch ihre Zustimmung zu den Reichsgesetzen sofort alle Reichsangehörige ver pflichteten 13).

§. 82.

Der Kaiser. Dessen persönliche Befähigung1).

Die persönlichen Eigenschaften, welche reichsgesetzlich die Fähigkeit, zum Kaiser gewählt zu werden, bedingten,

waren:

I. Nur ein unbescholtener, regierungstüchtiger Mann durfte zum Kaiser gewählt werden 2).

II. Es verstand sich von selbst, dass er von hohem Geschlechte sein musste. Ausdrücklich sagt dies zwar nur der Schwabenspiegel 3); allein hieran hielt die Praxis unver brüchlich und ausnahmslos fest.

III. Es war in keinem Reichsgesetze vorgeschrieben, dass der Kaiser Katholik sein musste, und kann daher auch nicht

13) Gönner, Staatsr. §. 98. IX. X.

1) Pütter, instit. §. 56; Leist, Staatsr. §. 62. Gönner, Staatsrecht §. 108. Moser, von dem röm. Kaiser, röm. König u. den Reichsvicarien, 1764. Maurenbrecher, Staatsr. §. 72. Meine deutsche

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Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 46.
2) Gold. Bull. c. II. §. 1.
Sachsensp. Ldr. III. 54. §. 3.
aussätzigen) man, noch den de in des
mut man nicht to koninge kiesen."
setzt noch bei: „(noch den) der in der ahte (Acht) ist.“

hominem bonum, justum et utilem."
Lamen man, noch meselseken (d. h.
paves ban mit rehte komen. den ne
Der Schwabensp. Ldr. c. 122

3) Schwabensp. Ldr. c. 123: Wer ze Kunige edel genug ist. Die fursten suln kiesen einen Kiunig. der ein vrier herre si. vnde also vri. daz sin vater und sin muter vri gewesen si. vnd der (deren) vater vnd der (deren) muter vri gewesen si. vnde suln nit mitel vrien si. Si suln nut (nicht) sin man. wan der phaffenfursten man. vnd suln mitel vrien ze man han."

bezweifelt werden, dass auch ein protestantischer Fürst hätte zum Kaiser gewählt werden können 4). Doch ist es Thatsache, dass nie ein protestantischer Fürst zum Kaiser gewählt worden ist, und dass die Reichsgesetze, da wo es sich einerseits um den Schutz der katholischen Kirche und des Papstes, anderseits um die Sicherstellung der Rechte der Protestanten handelte, immer von der Voraussetzung ausgingen, dass der Kaiser katholisch sei 5). Es erklärt sich dies daraus, dass in den letzten dreihundert Jahren die Kaiser fast ohne Unterbrechung aus dem Oesterreichischen Hause gewählt wurden, weil man einsah, dass kaum. ein anderes Haus die deutsche Krone mit dem erforderlichen Glanze, Macht und Würde hätte tragen können.

IV. Der Kaiser musste vom weltlichen Stande sein 6). Deutsche Geburt war nicht erforderlich).

§. 83.

Rechte des Kaisers.

a) Ehrenrechte.

Die Ehrenrechte des Kaisers waren:

I. Der Vorrang vor allen christlichen Monarchen 1).

4) Pütter, Rechtsfälle, III. 788.

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*) Z. B. W.-K. art. I. §. 1. Zum Ersten, dass Wir. . die Christenheit, den Stuhl zu Rom, Päpstliche Heiligkeit und christliche Kirche als derselben advocat in gutem treulichen Schutz und Schirm halten wollen." Vergl. der Evangelischen Vorbehalt wegen der päpstlichen Advocatie, ebendas. art. I. §. 10.

6) Dies sagte zwar kein Reichsgesetz, es galt aber als ausgemacht. Doch soll sich K. Maximilian I. darum beworben haben, auch zum Papste gewählt zu werden. Zedler, allg. Chronik, 1735, Bd. VI. S. 213. Siehe besonders: Lochner, Zeugnisse über das deutsche Mittelalter, Nürnberg 1850. Bd. II. Nr. XLVIII. S. 331.

7) So waren Alphons von Castilien und K. Karl V., als Könige von Spanien, Ausländer. Gleichzeitig mit Karl V. bewarb sich der König Franz L von Frankreich um die deutsche Kaiserkrone.

1) Siehe oben §. 76. Note 5,

II. Im Titel die Prädikate:,,von Gottes Gnaden; erwählter römischer Kaiser 2); zu allen Zeiten Mehrer des Reichs (Semper Augustus)").

III. Ein Reichshofstaat, und zwar a) ein ausserordentlicher, bestehend aus sog. Erzämtern (archiofficia, archiministeria) des Reichs, welche den weltlichen Kurfürsten reichsverfassungsmässig zustanden 1), von diesen aber nur bei ausserordentlichen Feierlichkeiten, wie z. B. bei der Krönung, in Person oder durch erbliche adelige, von den Kurfürsten mit der Stellvertretung belehnte Stellvertreter, die sog. Reichs-Erbämter oder Reichs-Erbbeamte, ausgeübt wurden 5); und b) ein ordentlicher Reichshofstaat, welcher den gewöhnlichen Dienst verrichtete und vom Kaiser aus Personen von Adel angestellt und besoldet wurde).

IV. Auch die Kaiserin hatte einen entsprechenden Titel und einen besonderen Hofstaat. Die Kinder des Kaisers hatten aber als solche keine Auszeichnung, weil das Reich Wahlreich war1).

2) Dieser Beisatz wurde seit Maximilian I. gebräuchlich, um auszudrücken, dass der Kaiser mit der Wahl sofort alle kaiserlichen Rechte und Würden habe, wenn auch keine Krönung durch den Papst stattfand. (Siehe oben §. 76. II.). In früheren Zeiten führte der Gewählte vor der Krönung durch den Papst nur den Königstitel. Sachsensp. III. 52. §. 1. Schwabensp. (v. Lassberg) c. 118. Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 46. Note 4. - Noch die Goldene Bulle, cap. II. §. 9, unterscheidet zwischen dem ,,regale nomen", welches der Erwählte sofort führt, und dem durch die päpstliche Krönung dazu kommenden „,imperialis titulus“. Daher heisst auch in der Gold. Bulle cap. V. §. 1, der zu wählende Kaiser,,futurus Rex Romanorum“.

3) Schon der Schwabenspiegel, c. 122 erwähnt es als eine Eidespflicht des Kaisers, dass er das Reich ,, zu aller Zeit mehre und nicht ärmer mache." Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. (1858) Thl. II. §. 46. Note 12. Im R.-A. v. 1512 (Schmauss, S. 66) klagt Maximilian I. selbst darüber,,, wie eine gute Zeit das hl. Reich in merklich abnehmen kommen". 4) Siehe unten §. 93. Note 9.

5) Die Aufzählung der Erbämter s. in meiner deutschen Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 68. (Siehe auch unten §. 93. Note 10). - Es gab auch einige selbstständige Erbämter ohne correspondirende Erzämter, z. B. das Reichserbthürhüteramt der Grafen von Werthern, das Reichsjägermeisteramt der Grafen von Urach, später von Würtemberg behauptet u. s. w. 6) Vergl. überhaupt: Pütter, inst. §. 60 flg. Leist, Staatsrecht

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