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VII. Die Reichsstände stellten in ihrer Versammlung (dem Reichstage) das Reich in seiner Gesammtheit vor, ohne aber desshalb als Repräsentanten der einzelnen Länder betrachtet zu werden. Die Ideen des modernen Repräsentativsystems dürfen hier nicht eingemischt werden. Ob den Reichsständen ein Mitregierungsrecht zustehe, war daher nur ein Wortstreit. Gewiss aber war, dass sie durch ihre Zustimmung zu den Reichsgesetzen sofort alle Reichsangehörige verpflichteten 13).

§. 82.

Der Kaiser. Dessen persönliche Befähigung1).

Die persönlichen Eigenschaften, welche reichsgesetzlich die Fähigkeit, zum Kaiser gewählt zu werden, bedingten,

waren:

I. Nur ein unbescholtener, regierungstüchtiger Mann durfte zum Kaiser gewählt werden 2).

II. Es verstand sich von selbst, dass er von hohem Geschlechte sein musste. Ausdrücklich sagt dies zwar nur der Schwabenspiegel 3); allein hieran hielt die Praxis unverbrüchlich und ausnahmslos fest.

III. Es war in keinem Reichsgesetze vorgeschrieben, dass der Kaiser Katholik sein musste, und kann daher auch nicht

13) Gönner, Staatsr. §. 98. IX. X.

1) Pütter, instit. §. 56; Leist, Staatsr. §. 62.

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Gönner, Staats

recht §. 108. Moser, von dem röm. Kaiser, röm. König u. den Reichsvicarien, 1764. Maurenbrecher, Staatsr. §. 72. Meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 46.

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2) Gold. Bull. c. II. §. 1. hominem bonum, justum et utilem.“ Sachsensp. Ldr. III. 54. §. 3. ,Lamen man, noch meselseken (d. h. aussätzigen) man, noch den de in des paves ban mit rehte komen. den ne mut man nicht to koninge kiesen." Der Schwabens p. Ldr. c. 122 setzt noch bei: „, (noch den) der in der ahte (Acht) ist."

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3) Schwabensp. Ldr. c. 123: Wer ze Kunige edel genug ist. Die fursten suln kiesen einen Kiunig. der ein vrier herre si. vnde also vri. daz sin vater und sin muter vri gewesen si. vnd der (deren) vater vnd der (deren) muter vri gewesen si. vnde suln nit mitel vrien si. Si suln nut (nicht) sin man. wan der phaffenfursten man. vnd suln mitel vrien ze man

han."

bezweifelt werden, dass auch ein protestantischer Fürst hätte zum Kaiser gewählt werden können 4). Doch ist es Thatsache, dass nie ein protestantischer Fürst zum Kaiser gewählt worden ist, und dass die Reichsgesetze, da wo es sich einerseits um den Schutz der katholischen Kirche und des Papstes, anderseits um die Sicherstellung der Rechte der Protestanten handelte, immer von der Voraussetzung ausgingen, dass der Kaiser katholisch sei). Es erklärt sich dies daraus, dass in den letzten dreihundert Jahren die Kaiser fast ohne Unterbrechung aus dem Oesterreichischen Hause gewählt wurden, weil man einsah, dass kaum. ein anderes Haus die deutsche Krone mit dem erforderlichen Glanze, Macht und Würde hätte tragen können.

IV. Der Kaiser musste vom weltlichen Stande sein 6). Deutsche Geburt war nicht erforderlich).

§. 83.

Rechte des Kaisers.

a) Ehrenrechte.

Die Ehrenrechte des Kaisers waren:

I. Der Vorrang vor allen christlichen Monarchen 1).

Pütter, Rechtsfälle, III. 788.

*) Z. B. W.-K. art. I. §. 1. „, Zum Ersten, dass Wir. . die Christenheit, den Stuhl zu Rom, Päpstliche Heiligkeit und christliche Kirche als derselben advocat in gutem treulichen Schutz und Schirm halten wollen." Vergl. der Evangelischen Vorbehalt wegen der päpstlichen Advocatie, ebendas. art. I. §. 10.

6) Dies sagte zwar kein Reichsgesetz, es galt aber als ausgemacht. Doch soll sich K. Maximilian I. darum beworben haben, auch zum Papste gewählt zu werden. Zedler, allg. Chronik, 1735, Bd. VI. S. 213. Siehe besonders: Lochner, Zeugnisse über das deutsche Mittelalter, Nürnberg 1850. Bd. II. Nr. XLVIII. S. 331.

7) So waren Alphons von Castilien und K. Karl V., als Könige von Spanien, Ausländer. Gleichzeitig mit Karl V. bewarb sich der König Franz I. von Frankreich um die deutsche Kaiserkrone.

1) Siehe oben §. 76. Note 5.

II. Im Titel die Prädikate:,,von Gottes Gnaden; erwählter römischer Kaiser 2); zu allen Zeiten Mehrer des Reichs (Semper Augustus)" 3).

III. Ein Reichshofstaat, und zwar a) ein ausserordentlicher, bestehend aus sog. Erzämtern (archiofficia, archiministeria) des Reichs, welche den weltlichen Kurfürsten reichsverfassungsmässig zustanden ), von diesen aber nur bei ausserordentlichen Feierlichkeiten, wie z. B. bei der Krönung, in Person oder durch erbliche adelige, von den Kurfürsten mit der Stellvertretung belehnte Stellvertreter, die sog. Reichs-Erbämter oder Reichs-Erbbeamte, ausgeübt wurden 5); und b) ein ordentlicher Reichshofstaat, welcher den gewöhnlichen Dienst verrichtete und vom Kaiser aus Personen von Adel angestellt und besoldet wurde).

IV. Auch die Kaiserin hatte einen entsprechenden Titel und einen besonderen Hofstaat. Die Kinder des Kaisers hatten aber als solche keine Auszeichnung, weil das Reich Wahlreich war).

2) Dieser Beisatz wurde seit Maximilian I. gebräuchlich, um auszudrücken, dass der Kaiser mit der Wahl sofort alle kaiserlichen Rechte und Würden habe, wenn auch keine Krönung durch den Papst stattfand. (Siehe oben §. 76. II.). In früheren Zeiten führte der Gewählte vor der Krönung durch den Papst nur den Königstitel. Sachsensp. III. 52. §. 1. Schwabensp. (v. Lassberg) c. 118. Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 46. Note 4. Noch die Goldene Bulle, cap. II. §. 9, unterscheidet zwischen dem ,,regale nomen", welches der Erwählte sofort führt, und dem durch die päpstliche Krönung dazu kommenden imperialis titulus“. Daher heisst auch in der Gold. Bulle cap. V. §. 1, der zu wählende Kaiser „,futurus Rex Romanorum“.

3) Schon der Schwabenspiegel, c. 122 erwähnt es als eine Eidespflicht des Kaisers, dass er das Reich ,, zu aller Zeit mehre und nicht ärmer mache." Vergl. meine deutsche Rechtsgesch. (1858) Thl. II. §. 46. Note 12. Im R.-A. v. 1512 (Schmauss, S. 66) klagt Maximilian I. selbst darüber,,, wie eine gute Zeit das hl. Reich in merklich abnehmen kommen“. 4) Siehe unten §. 93. Note 9.

5) Die Aufzählung der Erbämter s. in meiner deutschen Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 68. (Siehe auch unten §. 93. Note 10). — Es gab auch einige selbstständige Erbämter ohne correspondirende Erzämter, z. B. das Reichserbthürhüteramt der Grafen von Werthern, das Reichsjägermeisteramt der Grafen von Urach, später von Würtemberg behauptet u. s. w. 6) Vergl. überhaupt: Pütter, inst. §. 60 flg. Leist, Staatsrecht

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V. Das kaiserliche oder Reichswappen war ein zweiköpfiger schwarzer Adler im goldenen Felde mit des Kaisers Hauswappen auf der Brusts).

VI. Die kaiserlichen oder Reichsfarben waren Gold und Schwarz 9).

§. 84.

b) Eigentliche Regierungsrechte.

I. Dem Kaiser standen im Allgemeinen alle Regierungsrechte zu, welche aus dem Begriffe der Reichsgewalt flossen, jedoch unter den durch die Reichsverfassung festgesetzten Beschränkungen.

II. Nach der mittelalterlichen Vorstellung wurde die kaiserliche Regierungsgewalt als oberste Gerichtsbarkeit (jurisdictio) aufgefasst, worunter man aber die obrigkeitliche Gewalt überhaupt, die Rechtshandhabung insbesondere das verstand, was man jetzt die vollziehende Gewalt zu nennen pflegt1).

III. Im Einzelnen betrachtet hatte der Kaiser folgende Rechte: 1) Die gesammte Reichsregierung im Innern, aber unter grundgesetzlicher Mitwirkung der Reichsstände 2). 2) Das Recht der Proposition, Sanktion und Publikation der Reichsgesetze, und überhaupt das unbeschränkte Ratifikationsrecht aller Reichsgeschäfte, mithin ein absolutes

*) Pütter, §. 59; Gönner, Staatsr. §. 100.

Ueber den Reichsadler

und insbesondere die Abänderung, wann der Reichsadler golden und das Feld schwarz war, s. meine Alterthümer d. deutschen Reichs u. Rechts, Bd. III. (1861) S. 47. 48.

9) Gönner, Staatsr. §. 100. IV.

Zeichen, Fahnen und Farben des
Es gab zur Reichs-

deutsch. Reichs, hist. erört. Frkf. a. M. 1848. S. 12. zeit keine deutsche Tricolore, so wie die ganze Heraldik nichts von Dreifarbigkeit weiss. Wohl aber wurde bei kaiserlichen Belehnungen mit dem Blutbann eine besondere rothe Fahne, die Blutfahne, gebraucht. Siehe meine Alterthümer des deutschen Reichs u. Rechts, Bd. III. (1861) S. 63. 64. 107. 153.

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1) Sachsensp. Ldr. III. 52. §. 2. Den Konig küset man to richtere over egen unde len unde over jewelkes mannes lif." Meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 47.

*) Siehe oben §. 81.

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Veto3). 3) Der Kaiser galt stets als die Quelle aller Gerichtsbarkeit, und hiess in diesem Sinne der oberste Richter in Deutschland 1). Er hatte jedoch in eigentlichen streitigen Justizsachen regelmässig kein Selbstentscheidungsrecht), sondern musste reichs constitutionsmässig seine Gerichtsbarkeit durch die Reichsgerichte ) und die landesherrlichen Gerichte ausüben 7). Bei dem Reichskammergerichte war dem Kaiser reichs constitutionsmässig jede Einmischung in die Rechtspflege ohne Ausnahme untersagt): nur der

3) Der Kaiser sollte nach der W.-K. art XIII. §. 5, seine Resolution ,,schleunigst" ertheilen, und sich (W.-K. art. XXV. §. 4) dabei des Beirathes des Reichsvicekanzlers bedienen: im Uebrigen war seine Entschliessung völlig frei. Pütter, inst. §. 154. - Leist, Staatsr. §. 84. - Gönner, Staatsr. §. 188.

4) v. Berg, Grundriss der reichsgerichtl. Verf. u. Praxis, 1797. §. 4. Das Reichsoberhaupt war und blieb höchster Richter im Reich und Quelle aller untergeordneten Staatsgerichtsbarkeit".

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5) Uebereinstimmt H. A. Zachariä, deutsch. Staatsrecht §. 30. II. Schon nach dem älteren Reichsrechte hatte der Kaiser nur das Recht, Gerichte anzuordnen, und darin den Vorsitz zu führen: die eigentliche Rechtsprechung aber war Sache der Schöffen oder der Standesgleichen (pares). Schwabensp. Ldr. (Lassberg) c. 138. „Der kunc sol mit der fursten Urdeil den fursten ze ahte tun . . . vnd als sol man den vrien herren. vnd ieden man mit sinen genozen ze ahte tun.“ Meine deutsch. Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 47.

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6) W.-K. art. XVI. §. 3. Wir sollen und wollen auch kein altes Reichsgericht verändern, noch ein neues aufrichten“ ... §. 4. „Wir wollen die Justiz nach Inhalt des Instrumenti Pacis beim Kammergericht und Reichshofrathe unpartheilich administriren lassen" . . . §. 7. „,Dem Processe dieser Reichsgerichte seinen starken Lauf, auch keinem von dem andern eingreifen, oder Processe avociren, vielweniger über die sententias und judicata camerae von unserem Reichshofrathe, unter was für Prätext es sei, cognosciren lassen, dem Kammergerichte durch keine absonderlichen kaiserlichen Rescripte die Hände binden... überhaupt dem Reichshofrath und Kammergerichte keinen Einhalt thun.

7) Die reichsconstitutionsmässige Zusicherung, dass in die landesherrliche Gerichtsbarkeit nicht eingegriffen werden solle, enthält die W.-K. art. I. §. 8.

8) W.-K. art. XVI. §. 7 (s. Note 6); W.-K. art. XVI. §. 8.,,Insonderheit wollen Wir an das Reichskammergericht für Uns allein keine Instruktionen und Inhibitionen, eben so wenig auch in particulari an Unsern und des Reiches Kammerrichter in Justizsachen keine Verfügung, noch auch

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