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gegenstände, und sollte dieselben längstens innerhalb zweier Monate nach dem Einlaufe zur Berathung bringen. Die Notifikation an die Reichstagsgesandten geschah durch Ansagezettel, welche die Einladung zur Sitzung enthielten; dann folgte die Aufforderung zur Instruktionseinholung und die Verlassnahme, d. h. die Uebereinkunft der Gesandten über einen Termin zur Eröffnung des Abstimmungsprotokolls ),,, stando in circulo", d. h. ohne ordentliche collegienweise Sitzung und ohne förmlichen Aufruf zur Abstimmung. Am bestimmten Tage erfolgte sodann die DirektorialProposition, d. h. der Vorschlag zur Beschlussfassung von Seiten des Reichsdirektoriums in circulo, und hierüber wurde nunmehr in den einzelnen Collegien berathen und abgestimmt und jede einzelne Abstimmung zu Protokoll genommen.

VI. Hierauf folgte sodann die Re- und Correlation, d. h. dasjenige der beiden ersten Collegien, welches mit seinem Beschlusse zuerst fertig war, theilte diesen dem anderen mit (sog. Relation): die hierauf folgende Erklärung des anderen hiess sodann Correlation. Das Kurfürstencolleg und der Fürstenrath setzten in solcher Weise ihre gegenseitige Verhandlung fort, bis eine Vereinbarung erzielt, oder Gewissheit erlangt war, dass sich diese beiden Collegien über den betreffenden Gegenstand nicht einigen würden. In letzterem Falle blieb die Sache beruhen; hatten sich aber diese beiden Collegien über einen Beschluss vereinigt, so ging die Sache nunmehr zu gleicher Re- und Correlation an das Collegium der Reichsstädte, sofern deren Zustimmung nöthig war').

VII. Stimmten hierauf die Reichsstädte ebenfalls bei, so hiess der Beschluss commune trium (sc. collegiorum) und der Aufsatz darüber Reichsgutachten (consultum 8. suffragium imperii). Stimmte das Collegium der Reichsstädte aber nicht

6) W.- K. art. XIII. §. 8: „Darob besonders zu halten, dass die beim Reichskonvent einkommenden gravamina und desideria statuum . . . von dem Reichsdirektorium, nach vorgängiger herkömmlicher und gebührlicher Verlassnehmung, längstens innerhalb zwei Monaten, oder wo periculum in mora ist, noch eher, zur Proposition und Berathschlagung gebracht werden." Gewöhnlich bestimmte man sechs Wochen: mindestens aber zehn

Tage.

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7) Siehe oben §. 95. III.

bei, so war die Sache ebenfalls abgethan und beseitigt, da zwischen den drei reichsständischen Collegien unter sich keine Majorität galt, und auch der Kaiser bei Meinungsverschiedenheit der Reichscollegien keine entscheidende Stimme hatte.

VIII. Auf dieses Reichsgutachten sollte der Kaiser schleunig nach Beirath des Reichsvicekanzlers durch eine sog. kaiserliche Resolution seine Genehmigung oder Nichtgenehmigung erklären ). Wenn der Kaiser das Reichsgutachten ratificirte, so war es hiermit in einen Reichsschluss (conclusum imperii) verwandelt, d. h. es war der Beschluss jetzt publikationsfähig und vollziehbar 9).

IX. Bevor der Reichstag zu Regensburg permanent geworden war, pflegte man die auf einem Reichstage zu Stande gekommenen Reichsschlüsse nicht sofort einzeln zu publiciren, sondern man verschob ihre Publikation regelmässig bis zu dem Ende des Reichstags, und verkündete sie sodann zusammen und gleichzeitig in einer Urkunde, welche Reichsabschied (recessus imperii) genannt wurde. Der letzte, sog. jüngste Reichsabschied (recessus imperii novissimus) ist vom Jahre 1654.

§. 97.

Von der Reichsregierung.

A. Reichsministerium').

Da die Reichsregierung wegen des neben dem Principe der Reichseinheit zur vorwiegenden Geltung gekommenen Principes der Staatentrennung (§. 77) hauptsächlich nur das Verhältniss der Stände zum Kaiser und Reiche, die Erhaltung der äussern und innern Sicherheit Deutschlands, den sog. Landfrieden, und eine beschränkte Aufsicht über die Landesregierungen zum Gegenstand hatte, so bedurfte man auch nur weniger ständiger Reichsbehörden.

I. Der oberste Reichsbeamte und gleichsam geborene Reichsminister war der Reichs-Erzkanzler (Mainz), welcher

8) Siehe oben §. 84. Note 3.

9) Ob ein Reichsbeschluss als Reichsgesetz publicirt werden konnte, hing von seinem Gegenstande ab.

1) Pütter, inst. §. 68. 69. 132 sq. Gönner, Staatsr. §. 203 flg. Schmid, Staatsr. §. 145.

Zöpfl, Staatsrecht. 5. Aufl. I.

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sein Amt theils aus seinem Kabinet, theils durch Gesandte, theils durch einen von ihm. ohne Rücksicht auf ein Standesverhältniss ernannten Stellvertreter am kaiserlichen Hofe, den Reichshofvicekanzler oder Reichs vicekanzler ausübte 2). Dieser wurde als der eigentliche constitutionelle Reichsminister betrachtet, indem er dem Kaiser über alle Reichsangelegenheiten Vortrag zu erstatten hatte, und der Kaiser ohne dessen Einvernehmung nichts beschliessen konnte, wenn er gleich an dessen Gutachten nicht gebunden war 3). Derselbe hatte auch alle kaiserlichen Erlasse zu contrasigniren), und führte zugleich (als Reichssiegelbewahrer) die Aufsicht über die Reichssigille. Es wurde (mit Recht) als eine der grössten Eigenthümlichkeiten der deutschen Reichsverfassung betrachtet, dass der Kaiser seinen ersten Minister aus der Hand eines Reichsstandes empfing, welcher bei dessen Ernennung völlig unabhängig von aller Zustimmung des Kaisers war. Der Reichsvicekanzler hatte auch von Amtswegen im Reichshofrathe Sitz und Stimme, und das Recht, bei Verhinderung des Präsidenten, das Direktorium darin zu führen. Dem Reichsvicekanzler standen bis zum J. 1803 zwei Reichsreferendarien, einer für die lateinische, der andere für die deutsche Expedition (seit 1803 nur noch einer), als vortragende Räthe und Sekretäre im Reichsministerium zur Seite, welche ebenfalls der Reichserzkanzler ernannte.

II. Der zweite Minister war der Reichshofrathspräsident als verfassungsmässiger Justizminister des Reichs 3):

2) Der Reichserzkanzler, der zugleich das allgemeine Reichstagsdirektorium (§. 95) und das Direktorium im Kurfürstenkolleg (§. 92) hatte, war demnach der ausgezeichnetste Reichsstand. Auch war er der Chef aller Reichskanzleien, und hatte das Recht, sie zu besetzen und die Kanzleigefälle zu beziehen, wovon er aber den Unterhalt des nöthigen Personals bestreiten musste. Auch war ihm provisorisch die Visitation des Reichshofraths übertragen. J. P. O. art. V. §. 85. W.-K. art. XXIV. §. 6. 7; art. XXV. §. 1.

3) W.-K. art. XXV. §. 4.

4) Nach der W.-K. art. XXII. §. 7 durften alle kaiserlichen,, Expeditionen" nur bei der Reichskanzlei geschehen: es mussten daher auch jene Expeditionen vom Reichsvicekanzler unterzeichnet werden, welche der Kaiser nicht selbst unterschrieb.

5) Ausser dem Reichsvicekanzler und dem Reichshofrathspräsidenten gab es keine anderen Reichsminister.

dieser wurde, sowie der gesammte Reichshofrath, von dem Kaiser ernannt. Bei Berathschlagungen über Justizsachen mussten von dem Kaiser, ausser dem Reichsvicekanzler und dem Reichshofrathspräsidenten, auch noch einige Reichshofräthe, mindestens noch der Referent und der Correferent, zugezogen werden ").

III. Das eigentliche Regierungscollegium des Reichs (Staatsrath) war der kaiserliche Reichshofrath, und diese Eigenschaft verblieb ihm, auch nachdem er nebenbei zu einem höchsten Reichsgerichte ausgebildet worden war. Der Kaiser musste sich bei Behandlung aller Regierungssachen, wohin man auch alle Gnaden- und Reichslehensachen rechnete, des Reichshofrathes reichsverfassungsmässig bedienen; es stand ihm aber frei, nebenbei sich noch ein besonderes Kabinet und Rathgeber (kaiserliches geheimes Rathskollegium, kaiserlichen Hofkriegsrath oder andere Minister) zu halten; jedoch durften diese nicht in die reichsgesetzlichen Befugnisse des Reichshofrathes eingreifen 7). Der Reichshofrath durfte nur mit deutschen Räthen besetzt werden ).

6) W.-K. art. XVI. §. 15: Wo auch im Reichshofrath in wichtigen Justizsachen ein Votum oder Gutachten abgefasst und Uns referirt werden sollte, wollen Wir solches anders nicht, als in Anwesen des Reichshofrathspräsidenten und Reichsvicekanzlern mit Zuziehung der Re- und Correferenten und anderer Reichshofräthen beider Religion, wann die Sache beiderseits Religionsverwandten betrifft, vortragen lassen, mit denselben darüber berathschlagen und in keinem anderen Rath resolviren." Ueber die Fälle, wenn es zu einem solchen votum ad imperatorem kam, siehe oben §. 84. Note 9.

7) W.-K. (seit 1658) art. XVI. §. 12. 13. ,, Auch wollen Wir nicht gestatten... dass andere unsere Räthe und Minister . . . sich in des Reichs Sachen, welche vor den Reichshofrath gehören, einmischen" etc. W.-K. (seit 1711) art. XVI. §. 14: „,. . . und das gesammte Reichshofrathskollegium bei der ihm gebührenden Autorität gegen andere Unsere Räthe und Minister ernst- und kräftiglich handhaben.“ W.-K. art. XVII. §. 6. ,,Wie dann auch kein Stand des Reichs in Sachen, so praeviam causae cognitionem erfordern, und obverstandener massen vor den Reichshofrath gehören, mit kaiserlichen Dekreten aus Unserm geheimen Rath beschwert, noch dieselben in judicio angezogen werden sollen.“

8) Ausdrücklich sicherte dies zu der Passauer Vertrag 1552. §. 14.

§. 98.

B. Reichsgerichte.

I. Fürstenrecht. Der Reichstag als Gerichtshof.

I. Nach altem Herkommen hatten die Fürsten (d. h. die reichsständischen Herren) zufolge des allgemeinen Grundsatzes, dass jeder Mann von seinen Standesgenossen gerichtet werden müsse, das Recht, wenn es sich um eine Achtserklärung oder Criminalstrafe handelte, nur von Fürsten unter dem Vorsitze des Kaisers gerichtet zu werden 1). Dies nannte man das Fürstenrecht (Fürstengericht, judicium parium) 2). Dieses Recht der Fürsten wurde noch ausdrücklich als fortbestehend in dem mainzer Landfrieden v. 1235 anerkannt, worin K. Friedrich II. für die übrigen Reichsangehörigen bereits ein ständiges, d. h. mit einem Hofrichter von hohem Adel ununterbrochen besetztes Reichshofgericht angeordnet hatte 3).

1) Sachsensp. III. 55:,,Over der vorsten lif unde ire gesunt ne mut neman richtere sin, wan die Koning." Schwabensp. Ldr. cap. 138: „... der Kunc sol mit der Fursten vrdeil den Fursten ze achte tun. der sol ze minsten siben sin. vnd als sol man den vrien herren. vnd ieden man mit sinen genozen ze achte tun. vmbe die sculde hat ein iegelich man daz (selbe) reht." Ueber das Recht des Pfalzgrafen bei Rhein, an des Kaisers

Statt über die Fürsten zu richten, s. oben §. 89. Note 2.
Schmid, Staatsr. §. 147.

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2) Gönner, Staatsr. §. 310. Entwickel. d. deutsch. Staatsverf. Bd. I. S. 211. reichsgerichtl. Verf. und Praxis, S. 9.

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Pütter,

v. Berg, Grundriss der

3) Landfrieden v. 1235. §. 15 (bei Pertz, Monum. Germ. Legg. T. II. 317):,,Statuimus igitur, ut curia nostra iustitiarium habeat, virum liberae conditionis (alte Uebersetzung, ebendas. p. 561: der ein Fryman sey“), qui in eodem persistat officio ad minus per annum, si bene et juste se gesserit. Hic singulis diebus judicio praesideat, exceptis diebus dominicis et aliis festis majoribus, jus reddens omnibus querulantibus, praeterquam de principibus et aliis personis sublimibus (alte Uebersetzung ,,hohe lute") in causis quae tangunt personas, ius, honorem, feoda, proprietatem vel hereditatem eorundem et nisi de causis maximis; praedictorum etenim discussionem et judicium nostrae Celsitudini reservamus. Dass diese Constitution K. Friedrichs II. von der Einrichtung eines ständigen kaiserlichen Hofgerichts zu verstehen sei, bestreitet Otto Franklin, de iustitiariis curiae imperialis, Vratislaw. 1860. Pütter, Entwickel. d. deutsch. Staatsverf. I. 210 bestritt, dass sich aus dieser curia

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