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II. Auch durch die Errichtung des Reichskammergerichtes und des Reichshofrathes war das altherkömmliche Fürstenrecht ursprünglich keineswegs vollständig beseitigt; doch wurden seitdem die Sachen, welche bisher vor ein Fürstenrecht gebracht worden waren, nicht selten vor dem Reichshofrathe verhandelt 4), dessen Befugniss sich eben hierdurch allmählig auf eine unbeschränkte Ausübung der kaiserlichen Jurisdiktion erweiterte, während die des Reichskammergerichtes fortwährend in einigen Beziehungen beschränkt blieb 5). Insbesondere erkannte man in der Bestimmung des westphälischen Friedens, wodurch dem Kaiser freigestellt wurde, in vorzüglich wichtigen

imperii der spätere Reichshofrath entwickelt habe, und wollte vielmehr eine Aehnlichkeit mit dem späteren Reichskammergerichte darin erkennen (S. 211), dass dieselbe die kaiserliche Gerichtsbarkeit nicht unbeschränkt in allen und jeden Sachen auszuüben gehabt habe. Allein diese Beschränkung der curia imperii, welche Friedrich II. einrichtete, und die sich nachweislich bis zur Mitte des XV. Jahrhunderts in Thätigkeit erhielt (Pütter, 1. c. S. 210), ist durchaus kein Grund gegen die spätere Entwickelung des Reichshofrathes aus derselben, sondern erklärt sich aus dem Fortbestande des uralten Fürstenrechts neben dieser curia imperii, und eben als dieses Fürstenrecht abkam, trat der Reichshofrath als Organ der unbeschränkten kaiserlichen Gerichtsbarkeit ins Leben. Vergl. besonders meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 47. VI. Note 23. Die Entstehung des Reichskammergerichts ist dagegen notorisch völlig unabhängig von allen älteren kaiserlichen Hofgerichten. Vergl. auch v. Berg, 1. c. S. 17. Ueber die Beisitzer bei diesem kaiserlichen Hofgericht s. unten §. 100. 4) v. Berg, 1. c. S. 36.

Ein Beispiel eines Fürstenrechts, gehalten unter K. Maximilian I., 1504, s. bei Pütter, Entwickel. Bd. I. S. 319.

5) In die Reichsregimentsordnung (auf dem Reichstage zu Worms 1521 errichtet) §. 7 wurde der Vorbehalt eingerückt: „, Ob auch Sachen fürfielen, Fürstenthum, Herzogthum, Grafschaft etc. belangend, so vom Reich zu Lehen rühren, so einem Theil gänzlich und endlich abgesprochen werden sollten, derselben Erkenntniss wollen Wir Uns hierin auch vorbehalten haben." Diese Bestimmung wurde auch in die Kammergerichsordnung v. 1555 als Thl. II. Tit. VII. aufgenommen und blieb daher praktisches Recht. Ueber die Streitigkeiten wegen der Ausdehnung dieser Bestimmung s. Leist, Staatsr. §. 150. §. 117. - Vergl. auch Pütter, Entwickel. Bd. II. S. 111. sich aber von selbst, dass in dieser Sache der Kaiser nicht ohne Vernehmung des Reichshofrathes entscheiden konnte. Vergl. oben §. 84. Note 9 u. 10;

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v. Berg, 1. c.

Es verstand

und §. 97. Note 6 u. 7. Meine Schrift über hohen Adel und Ebenbürtigkeit (1853) S. 96. Note *).

an dem Reichshofrath verhandelten Sachen einige Kurfürsten und Fürsten beiderlei Religion zu Rathe zu ziehen "), eine stillschweigende Abschaffung des alten Fürstenrechts, und eine Uebertragung seiner Befugnisse an den Reichshofrath 7).

III. Da jedoch der Einfluss, welchen der Kaiser auf die Erkenntnisse des Reichshofrathes ausüben konnte, für die reichsständische Freiheit bedenklich schien, so wurden einige Fälle ausgezeichnet, in welchen ein Erkenntniss nur durch einen förmlichen Reichsschluss zu Stande kommen sollte, nämlich 1) wenn bei der Abstimmung in Streitsachen reichsständischer oder doch reichsunmittelbarer Personen eine itio in partes der katholischen und protestantischen Beisitzer bei einem der beiden obersten Reichsgerichte (Reichskammergericht und Reichshofrath) eintrat ); 2) wenn es sich um die Achtserklärung eines Reichsstandes handelte"), oder um Entsetzung eines solchen von der Reichsstandschaft oder Landeshoheit, oder um Suspension in ihrer Ausübung 1o); auch war 3) durch die Praxis ein Rekurs an den Reichstag

6) J. P. O. art. V. §. 54. „,. . . liberumque sit Suae Majestati in causis majoribus et unde tumultus in imperio timeri possint, insuper etiam quorundam utriusque religionis Electorum et Principum sententias et vota-requirere. Beispiele von solchem Einfordern von Gutachten der Kurfürsten finden sich schon in früherer Zeit, z. B. unter K. Rudolph II., 1580. Pütter, Entwickel. Bd. II. S. 210.

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7) v. Berg, 1. c. S. 37.

8) Ausdrücklich war dies nur für den Process am Reichshofrath vorgeschrieben: J. P. O. art. V. §. 55; Reichshofrathsordnung, Tit. V. §. 22 (s. §. 100. Note 40): wegen Gleichheit des Grundes wurde aber auch das Gleiche angenommen, wenn der Fall am Reichskammergericht eintrat. Gönner, Staatsr. §. 311. Nr. XXVII. Siehe unten §. 99. VIII. Note 16. 18.

9) Schon im J. P. O. art. VIII. §. 3 war auf Feststellung des Verfahrens bei der Achtserklärung eines Reichsstandes gedrungen worden; sie erfolgte aber erst in der W.-K. Karls VI. (1711) art. XX. Danach sollte die Sache bis zum Aktenschluss von einem der beiden höchsten Reichsgerichte verhandelt, sodann aber an den Reichstag abgegeben, von einer besonders aus den drei Reichstagscollégien in gleicher Anzahl der Religionen zu ernennenden Deputation geprüft und auf deren Relation ein förmlicher Reichsschluss gefasst werden. J. Carrach, reichsgrundgesetzmässiger Bericht von der Reichsacht, Halle 1758. Pütter, Entwickel. II. 114.

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gegen die Erkenntnisse der beiden obersten Reichsgerichte eingeführt und für zulässig erachtet worden, wenn eine Ueberschreitung ihrer verfassungsmässigen Befugnisse behauptet wurde 11). So grosser und anerkannter Missbrauch mit diesem Rekurse an den Reichstag getrieben wurde, so kam doch die Reichsgesetzgebung nicht dazu, hier eine ernstliche Abhilfe zu schaffen 12).

IV. Vollziehbar war jedoch ein solcher Reichsschluss nur nach erlangter kaiserlicher Bestätigung (§. 92. VIII.).

§. 99.

II. Höchste Reichsgerichte.

1) Das kaiserliche und Reichskammergericht').

I. Die Aufrichtung des ewigen Landfriedens unter Kaiser Maximilian I. auf dem Reichstage zu Worms 1495 liess die

44) Der Rekurs an den Reichstag sollte eigentlich nur da statt haben, wo ein ordentliches Rechsmittel (remedium revisionis s. supplicationis) gegen ein Erkenntniss der obersten Reichsgerichte nicht statthaft war. Er selbst galt nicht als ordentliches Rechtsmittel: er war daher weder an Formalien noch an Fatalien gebunden und hatte auch keinen Suspensiveffekt; doch konnte die Reichsversammlung Inhibitorien erlassen, wenn sie die Rekursbeschwerden für begründet hielt. Moser, histor. und rechtl. Betrachtung des Rekurses etc. an den Reichskonvent, Frkf. 1737. (F. W. Grimm) der Rekurs an die allg. Reichsversamml., Regensb. 1784. Lutterloh, de recursus etc. ad comitia genuino fundamento, Lips. 1789. Pütter, Abbildung des heut. Zustandes beider höchster Reichsgerichte, Gött. 1794. v. Berg, 1. c. S. 449. Danz, Grundsätze des Reichsgerichtsproc. S. 698.

12) Die hauptsächlichste Veranlassung, warum die Rekurse an den Reichstag immer häufiger geworden waren, lag darin, dass wegen des Unterbleibens der Reichskammergerichtsvisitationen (§. 99. XV.) das remedium revisionis nicht mehr gebraucht werden konnte. Da diese Visitationen nicht mehr in Gang gesetzt werden konnten, so blieb auch das kaiserliche Versprechen in der W.-K. art. XVII. §. 3: Den in letzteren Zeiten ad comitia genommenen häufigen recursibus Ziel und Maass zu setzen" ohne Wirkung.

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Moser,

1) v. Fahnenberg, Lit. d. R.-K.-Gerichts, Wetzlar 1792. von der Justizverfassung, 1774 (N. St.-R. VIII.). v. Senckenberg, von der kais. höchsten Gerichtsbarkeit, Frkf. 1760. Malblank, Anleitung zur Kenntniss d. Verf. des kais. u. R.-K.-G. u. s. w. IV Thle. Nürn

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Einsetzung eines ständigen Collegialgerichtshofes als obersten Reichsgerichtshofes, bei welchem nicht nur der Vorsitzende, sondern auch die übrigen Mitglieder fortwährend angestellt und versammelt wären, als eine Nothwendigkeit erscheinen 2). Diese Einrichtung wurde sonach auch zu Worms am 7. August 1495 unter dem Namen,,kaiserliches und Reichskammergericht" (Camerae Imperialis Judicium) beschlossen, und dieses am 31. Oktober 1495 zu Frankfurt eröffnet. Nach mehrfacher Verlegung seines Sitzes kam es endlich 1689 nach Wetzlar, wo es bis zur Auflösung des Reichs verblieb.

II. Die besondere Eigenthümlichkeit dieses Gerichtes war, dass es nicht, wie die älteren kaiserlichen Hofgerichte, von dem Kaiser allein, sondern von dem Kaiser und den Reichsständen gemeinschaftlich besetzt und unterhalten wurde. Hierin liegt der Grund, wesshalb K. Maximilian I. sich nur sehr schwer entschloss, zur Errichtung des Kammergerichtes seine Zustimmung zu geben, indem er durch die Einräumung des Mitbesetzungsrechtes an die Reichsstände die hergebrachten Rechte des Kaisers zum Nachtheile der Nach

berg u. Altdorf 1791-95 (besonders Bd. I. II. u. IV.). — v. Harpprecht, Staatsarchiv des R.-K.-G., Ulm 1757-69. VI.; dessen Gesch. d. R.-K.-G. in d. J. 1545-58, Ulm 1785. Reuss, Beitr. z. neuesten Geschichte der reichsger. Verf. u. Prax., Ulm 1785-92. III. Hoscher, Jahrbücher des R.-K.-G., Lemgo 1789-91. Brainl, Lehrsätze über die Praktik der Pütter, inst. §. 263 flg..

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beiden höchsten Reichsgerichte, Wien 1776. Gönner, Staatsr. §. 311. Leist, Staatsr. §. 125 flg. Schmid, Staatsr. §. 146. 148. Meine deutsche Rechtsgesch. 1858. Thl. II. §. 61. §. 73. III. Ueber das Verfahren am Kammergerichte und Reichshofrath siehe Pütter: Nova epitome processus imperii amborum tribunalium supremorum. Edit. IV. Götting. 1786. Danz, Grunds. des Reichsgerichtsprocesses, Stuttgart 1795; besonders: v. Berg, Grundr. der reichsgerichtl. Verfassung und Praxis, Göttingen 1797.

2) Pütter, Entwickel. I. 308. - Durch die Anstellung ständiger Urtheiler ausser dem Vorsitzenden (Richter) unterschied sich die Einrichtung des Reichskammergerichts wesentlich von der Einrichtung des Reichshofgerichts unter K. Friedrich II. 1235 (oben §. 98. Note 3). Nur in diesem Sinne war übrigens das Reichskammergericht das erste stehende Reichsgericht (s. unten §. 100). - Pütter, Entwickel. I. 310. deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 61.

Vergl. meine

folger auf dem kaiserlichen Throne ungebührlich zu schmälern befürchtete 3).

III. Das Kammergericht war ursprünglich hauptsächlich bestimmt, als Gerichtshof in Landfriedensbruchsachen zu dienen 1), und behielt auch die Gerichtsbarkeit in diesen Sachen bis zur Auflösung des Reichs"); es gewann aber allmählig den entschiedensten Einfluss auf die Bildung des gesammten gemeinen deutschen Rechts und erschien fortan als der Bewahrer der Rechtseinheit in Deutschland, und seine Praxis wurde das massgebende Vorbild für die Rechtspflege in den einzelnen Territorien.

IV. Ueberhaupt stand das Kammergericht wegen seiner Unabhängigkeit von kaiserlichen Weisungen in dem höchsten Ansehen als reichs constitutionsmässig unantastbares Bollwerk des gesammten deutschen Rechtszustandes "); daher kann nur sehr bedauert werden, dass es in der dermaligen deutschen Bundesverfassung durch keine andere ähnliche Einrichtung ersetzt worden ist.

V. Ursprünglich bestand das Reichskammergericht aus einem Kammerrichter als Vorsitzenden, der ein Fürst oder ein Graf, mindestens ein Reichs-Freiherr sein musste, und aus sechszehn Beisitzern (Assessoren), zur Hälfte Doctoren des Rechts, zur Hälfte von Adel). Später wurde die Zahl

3) Hieraus erklären sich auch die Vorbehalte der kaiserlichen Gerichtsbarkeit, wovon oben §. 84. Note 9. 10 und §. 98. Note 5. 6 gehandelt worden ist.

4) Landfrieden v. 1495. §. 1.

5) Die Reichsgerichte konnten in Landfriedensbruchsachen sowohl auf Antrag der Beschädigten, als des kaiserlichen Fiskals, als auch von Amtswegen verfahren. v. Berg, Grundriss der reichsgerichtl. Verf. u. Prax.

S. 330 flg.

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6) Eine Reihe von ausdrücklichen Garantien der Unabhängigkeit des Reichskammergerichts, sowohl gegen persönliche Einmischung des Kaisers als des Reichshofraths, enthält die W.-K. art. XVI. §. 4. 6. 7. 8. 16 u. 17. (Siehe oben §. 84. Note 8).

7) K.-G.-O. 1495. §. 1: „Zum ersten das Camergericht zu besetzen mit eynem Richter, der ein Geistlich oder Weltlich Fürst, oder ein Graf oder Freiherr sei, und sechzehn Vrtailern, die all wir mit Rat und Willen der Samblung (Reichsversammlung) yetzt hie kiesen werden, aus dem Reych teutscher Nacion, dye redlichs, erbars Wesens, Wissens,

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