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kanzler die Gerichtsbarkeit hatte 23); B. über die zum deutschen Reiche gehörigen italienischen Länder mit wenigen Ausnahmen 24); C. in Rechtsstreitigkeiten über die unmittelbar vom Reiche zu Lehen rührenden Fürstenthümer u. dergl. 25); D. in Streitigkeiten über die Giltigkeit, Auslegung und den Verlust kaiserlicher Privilegien, sowie über Erwerb und Verlust des Adels (nicht aber über Adelsprobe und Adelsrechte), den Rang einzelner Reichsstände unter sich, und über kaiserliche Preces 26). E. Der Reichshofrath liess es zwar nicht an Versuchen fehlen, seine ausschliessliche Competenz in Rechtsstreitigkeiten noch weiter auszudehnen: rief aber eben dadurch jederzeit lebhaften Widerspruch hervor 27).

XIV. Besonders ausgedehnt war die Competenz des Reichshofrathes in Gegenständen der sog. willkührlichen Gerichtsbarkeit; denn in dieser Beziehung hatte er nicht nur dieselben Befugnisse wie das Reichskammergericht, sondern es gehörte zu seiner Competenz auch Alles, was in irgend einer Weise den Charakter einer Gnadens a che an sich trug, also namentlich die Ausübung der kaiserlichen Reservatrechte, insbesondere die Verleihung der Reichslehen als oberster Reichslehnhof, und überhaupt alle Arten von Privilegienverleihungen, Verleihung von Grossjährigkeit, Legitimation, Moratorien, Protektorien, Standeserhöhungen, Bestätigungen von Primogeniturordnungen und Hausgesetzen adeliger Familien, worin Abweichungen von dem gemeinen Reichsrechte festgesetzt werden sollten u. dgl. 28).

XV. Die sehr häufigen sog. Officialverfügungen, d. h. Verfügungen von Amtswegen, ohne vorgängiges förmliches processualisches Verfahren, erliess der Reichshofrath nicht in seiner Eigenschaft als Gerichtshof, sondern als Regierungscollegium 29).

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27) Gönner, Staatsr. §. 315. VIII. - Leist, Staatsr. §. 150. - v. Berg,

1. c. §. 117.

28) v. Berg, 1. c. §. 364-375.

29) v. Berg, 1. c. §. 366.

XVI. In Bezug auf die besonders privilegirten Länder, in Achtssachen der Reichsstände, in peinlichen Sachen der Mittelbaren, und in geistlichen Sachen, war die Competenz des Reichshofrathes ganz so ausgeschlossen, wie die des Reichskammergerichts 30).

XVII. Der Reichshofrath hatte im Allgemeinen bei seinem gerichtlichen Verfahren die Kammergerichtsordnung zu beachten 31). Es bestanden aber ausserdem noch besondere Reichshofrathsordnungen, welche von den Kaisern ohne Zuziehung der Reichsstände erlassen wurden, ohne dass deren Widerspruch hiergegen jemals beachtet worden wäre 32). Doch wurde endlich die provisorische Giltigkeit der (neuesten) Reichshofrathsordnung K. Ferdinands III. vom 16. März 1654 in der Wahlkapitulation ausdrücklich anerkannt 33). Ausserdem dienten als Normen einige kaiserliche Dekrete 34) und die Conclusa Pleni des Reichshofrathes selbst, nach Analogie der gemeinen Bescheide des Reichskammergerichtes 35).

XVIII. Das processualische Verfahren hatte am Reichshofrathe manche Eigenthümlichkeit; namentlich wurden die Rescripte stets in einer Form erlassen, als wenn sie von der Person des Kaisers selbst ausgingen, sowie überhaupt die Ein

30) Siehe §. 99. Note 31. 33. 34. 36.

31) J. P. O. art. V. §. 54:,, Ordinatio Camerae imperialis etiam in judicio aulico servabitur per omnia."

32) Die erste Reichshofrathsordnung ist von K. Ferdinand I., 3. Apr. 1559; diese, sowie die nachfolgende Reichshofrathsinstruktion K. Rudolphs II., die Reichshofrathsordnung K. Mathias, 3. Juli 1617 und die neueste, K. Ferdinand III., 16. März 1654, s. bei Uffenbach, 1. c. Anhang I. Die neueste R.-H.-O. von 1654 s. auch bei Schmauss, S. 898.

33) W.-K. art. XXIV. §. 8:,,Wie dann auch von Unserm Reichshofrath bis von uns und dem gesamten Reich eine den heutigen Umständen gemäs eingerichtete vollständige R.-H.-Ordnung verfasst werden kann . . . die alte R.-H.-O. beobachtet werden soll."

34) Die wichtigsten waren das Dekret K. Karls VI. von 1714, und die Dekrete K. Josephs II. vom 5. April 1766 und 19. Oktober 1767; Schmauss, S. 1255. - Faber, N. Staatskanzlei, Thl. XVII. cap. 5; XVIII. cap. 2. Häberlin, Repert. IV. 493.

35) Gerstlacher, Corp. jur. publ. IV. 205.

gaben der Partheien immer an des Kaisers Majestät gerichtet wurden 36). Auch gab es bei dem Reichshofrathe keine Eintheilung in Senate, sondern alle Sachen wurden im vollen Rathe verhandelt 37).

XIX. Der Präsident hatte bei Stimmengleichheit eine entscheidende Stimme 38): er hatte aber auch das Recht in diesem Falle, sowie auch dann, wenn die Majorität nur gering war, und beide Meinungen auf stattlichen Gründen beruhten, die Sache durch ein votum ad imperatorem zur persönlichen Entscheidung des Kaisers zu bringen 39). Trat aber in Religionssachen eine Meinungsverschiedenheit zwischen den katholischen und protestantischen Reichshofräthen ein, so wurde den letzteren eine fingirte Parität der Stimmen beigelegt, und musste daher die Sache an den Reichstag abgegeben werden 40).

XX. Gegen die Erkenntnisse des Reichshofrathes waren dieselben Rechtsmittel, wie gegen die Urtheile des Kammer

36) Es erklärt sich dieses aus der Verbindung des Reichshofrathes mit der Person des Kaisers (siehe oben Note 15). Vergl. Hanzely, Grundlinien S. 10. 30; dessen Anleit. §. 842. v. Berg, 1. c. §. 251. 253. Danz, Grds. des Reichsgerichtsproc. §. 399. Meine Schrift: Ueber hohen Adel und Ebenbürtigkeit (1853) §. 56.

37) Die Bildung von Senaten am Reichshofrath war sogar ausdrücklich verboten. W.-K. art. XXIV. §. 13: „Sollen alle und jede vor Unsern Reichshofrath gehörige Sachen allezeit in Pleno abgehandelt, und weder zuvor noch hernach vor einige Deputationen, Hofkommissionen und was dergleichen ausserordentliche Wege sonst für Namen haben mögen, nimmermehr gezogen. noch deren gerader Rechtslauf unterbrochen oder gehemmt werden. R.-H.-O. 1654. Tit. I. §. 14.

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38) R.-H.-O. 1654. Tit. V. §. 16: Da auch unterschiedliche Vota in der Anzahl gleich wären, so soll Unser Präsident einem Theile mit seiner Stimme Beifall thun, und alsdann auf dasselbige als das Mehrere schliessen."

Vergl.

39) W.-K. art. XVI. §. 15; R.-H.-O. 1654. Tit. V. §. 18. 20. die ausführlichere Nachweisung über das Votum ad imperatorem, oben §. 84. Note 9 u. 10.

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40) J. P. O. art. V. §. 55: .. Postquam in pleno etiam Senatu, pari tamen semper utrinque Judicantium numero examinata fuerint, contrariae oriantur sententiae, Catholicis quidem in unam, Augustanae vero Confessionis Assessoribus in aliam abeuntibus, remittantur ad Comitia imperii universalia.“ Diese Bestimmung ist in wörtlicher Uebersetzung in die R.-H.-O. von 1654. Tit. V. §. 22 übergegangen. Das Verlangen der

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gerichts zulässig 41). Jedoch wurde hier das Rechtsmittel der Revision gewöhnlich auch als „, Supplikation" bezeichnet, und hatte hier nur die Wirkung, dass die Sache vom Reichshofrathe neuerdings mit Aufstellung eines anderen Referenten und Correferenten geprüft werden musste 42).

XXI. Der Rekurs an den Reichstag fand unter denselben Voraussetzungen wie gegen die Urtheile des Kammergerichtes

statt.

XXII. Das Visitationsrecht des Reichshofrathes hatte der Kurerzkanzler (Mainz); es wurde aber niemals ausgeübt 43).

§. 101.

III. Reichs-Untergerichte.

1) Die Austrägal-Instanz 1).

I. Schon lange vor der Errichtung des Reichskammergerichts hatten vielfach Reichsstände und andere Reichsunmit

Protestanten, auch am Reichshofrath eine sog. Real-Parität (Paritas vera), wie am Reichskammergericht, einzurichten, ist ohne Erfolg geblieben. 41) Vergl. oben §. 99. Note 39. 40. 41.

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42) J. P. O. art. V. §. 54: ne partes ibidem (sc. in Judicio aulico) litigantes omni remedio suspensivo destituantur, loco revisionis in Camera usitatae licitum esto parti gravatae, a sententia in iudicio aulico lata, ad caesaream majestatem supplicare, ut acta iudicialia denuo adhibitis aliis gravitati negotii paribus . . . consiliariis, et qui concipiendae et ferendae priori sententiae non interfuerint, aut certe referentium et correferentium partes non sustinuerint, revideantur.“ In wörtlicher Uebersetzung in R.-H.-O. 1654. Tit. V. §. 7. W.-K. art. XVII. §. 14: Mit der im Reichshofrath anstatt der Revision gebräuchlichen Supplikation wollen Wir nach Inhalt des Instrumenti Pacis art. V. §. (54) Quoad Processum judiciarium und nach der R.-H.-O. allerdings verfahren" etc. Die Processualisten behandelten diese Supplikation regelmässig unter dem Namen der Revision. v. Berg, 1. c. §. 346.

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43) J. P. O. art. V. §. 55: Visitatio Consilii Aulici fiat ab Electore Moguntino toties, quoties opus fuerit" etc. Nach der W.-K. art. XXV. §. 6. 7 sollte der Kurerzkanzler alle drei Jahre eine Visitation vornehmen. 1) H. Ch. Senkenberg, flores sparsi ad jus austraegarum, Giess. 1739. Prehn, v. d. Austrägen, 1779. Moser, v. d. deutsch. Justizverf. I. 46. Malblank, Anleitung IV. 420 flg. v. Berg, Grundr. d. reichsger. Verf. §. 39 flg. G. F. Eichhorn, de differentia inter Austraegas et arbitros compromissarios, Götting. 1801.

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Pütter, inst.

telbare unter sich Einrichtungen zu schiedsrichterlicher Erledigung ihrer Streitigkeiten getroffen, wofür die Bezeichnung Austräge gebräuchlich geworden war2).

II. Diese Einrichtungen, welche ursprünglich nur auf Willkühr und gegenseitigem Belieben beruhten, behielten sich die Reichsstände nicht nur bei der Errichtung des Reichskammergerichtes bevor, sondern sie wurden sogar von der Reichsgesetzgebung ausdrücklich bestätigt3), und überdies für die Reichsstände und andere reichsunmittelbare Herren unter gewissen Voraussetzungen gesetzlich angeordnet, ja sogar manchen Personen (oder auch Reichsstädten) das Recht, vor Austrägen belangt zu werden, durch kaiserliche Privilegien verliehen 1). Hiernach unterschied man gewillkührte, gesetzliche und privilegirte Austräge 5).

§. 280 flg.

Gönner, Staatsr. §. 317 flg. Leist, Staatsr. §. 144 flg. Schmid, Staatsr. §. 151. Gohrem, Ursprung u. Entwickelung der Austrägalinstanz in Deutschland, in der Zeitschrift für deutsches Recht,

1858.

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2),, Austragen" bezeichnet überhaupt soviel, als eine Sache freundlich auseinandersetzen und gleichsam die Partheien vergleichen. Der Austragsrichter hiess im barbarischen Latein,, Austraega“.

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3) Von den Austrägen handelte insbesondere die K.-G.-O. 1555. Thl. II. Tit. 2 flg. K.-G.-O. 1495. §. 28, Concept d. K.-G.-O. Thl. II. Tit. 2 princ. Welche sonderliche gewillkürte rechtliche Austräge gegen einander haben, der sollen sie sich laut derselben gegen einander gebrauchen." J. P. O. art. V. §. 56. Caeterum in aulico non minus, quam camerae imperialis judicio privilegium primae instantiae, Austraegarum, ... statibus imperii illibata sunto." W.-K. art. XVIII. §. 4: ,, Sondern einen jeden bei seiner Immedietät item jure austraegarum tam legalium quam conventionalium vel familiarum . . . bleiben lassen."

...

4) Eine spätere Beschränkung enthält: W.-K. art. XVIII. §. 7: Und nach Inhalt des Reichsabschiedes v. J. 1654 (§. 116) mit Konzession der Privilegien erster Instanz oder sonderbarer Austräge, auf diejenigen, welche dieselben bisher nicht gehabt oder hergebracht, förderst an Uns halten.“

5) Je nachdem die gewillkührten Austräge durch Vertrag oder Testament begründet wurden, unterschied man austraegae conventionales und testamentarii. Zu den gewillkührten Austrägen rechnete man die in einigen reichsritterschaftlichen Kantonen eingerichtete Ortsausträgal-Instanz. Kerner, reichsrittersch. Staatsr. Thl. II. S. 400. Malblank, Anl. IV. 463 flg. Die gewillkührten Austräge hatten an sich nur Verbindlichkeit für die Theilnehmer; sollten sie auch Dritte (als Reichsanstalt) verpflichten, so war kaiserliche Bestätigung nöthig.

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