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§. 103.

Die Landeshoheit. Begriff und Wesen1).

I. Für die Regierungsgewalt, welche dem Landesherrscher (der,,Landes obrigkeit") als ein in eigenem Namen, jedoch mit Unterordnung unter die Reichsstaatsgewalt auszuübendes Recht in den einzelnen Territorien zustand, war allmählig die Bezeichnung Landes herrlichkeit oder Landeshoheit, hohe Landes obrigkeit, jus territoriale, oder auch (in grösseren Territorien) Landesfürstlichkeit gebräuchlich geworden 2).

1) Moser, von der Landeshoheit der deutschen Reichsstände überhaupt, 1773; ders. von der deutschen Reichsstände Landen, deren Landständen, Unterthanen etc. 1769; ders. Zusätze z. neuen Staatsr. Bd. II. S. 661 flg.; und im Einzelnen dessen Schriften: von der Landeshoheit in Regierungssachen, in Justizsachen, in Militärsachen 1772; in Cameralsachen; in Polizeisachen; in Gnadensachen; in Steuersachen; im Geistlichen; sämmtlich 1773. Pütter, Beitr. 1777. Thl. I. Nr. VI fig. XVII flg. Ch. H. Biener, de natura et indole dominii in territoriis Germaniae eiusdemque effectibus, 1780. Posse, über das Staatseigenthum in den deutschen Reichslanden, Rostock u. Leipzig 1794. K. S. Zacharia, Geist der deutschen Territorialverfassung, Leipzig 1800. v. Eppeln, über das Princip der deutschen Territorialverfassung, Regensburg 1803. — Gönner, Programm über das rechtliche Princip der deutschen Territorialverfassung, Landshut 1804. Siehe auch Pütter, inst. §. 28. 116. Leist, Staatsr. §. 20 fig. Gönner, Staatsr. §. 226 flg. Meine Schmid, Staatsr. §. 158. deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 53 u. 77; und insbesondere meine Alterthümer des deutsch. Reichs u. Rechts (1860) Bd. I. S. 70—106, Bd. II. S. 8-57.

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2) Der Ausdruck,, Domini terrae" für die politischen Territorialherren, welchem zunächst die Bezeichnung „Landherren oder Landesherren und Landesherrlichkeit" entspricht, findet sich schon in der (oben bei den Grundgesetzen des deutschen Reichs, §. 78. I.) erwähnten Constitutio Friderici II. (Utin.) a. 1232; der Ausdruck „jus territoriale" findet sich im J. P. O. art. VIII. §. 1, wofür in der deutschen Uebersetzung „hohe Landesobrigkeit" steht, woraus die Form „Landeshoheit" hervorging. Gleichbedeutend ist „jus territorii et superioritatis“ in J. P. O. art. V. §. 30 (s. unten Note 4). Officiell gebraucht den Ausdruck Landeshoheit die W.-K. 1792. art. I. §. 8; XV. §. 8. Der Ausdruck,, Landesobrigkeit, landesherrliche Obrigkeit" wurde bald in subjektivem Sinne, bald in objectivem, gleichbedeutend mit Landeshoheit, gebraucht. W.-K. art. XV. §. 1; vergl. mit art. XIX. §. 6.

II. Die Rechte, welche man unter diesem Namen zusammenfasste, waren weder zu allen Zeiten, noch in allen Territorien ganz dieselben; sie konnten auch nicht logisch aus einem Principe abgeleitet werden und wurzelten häufig in sehr verschiedenen von einander unabhängigen Rechtstiteln 3). Abgesehen davon, dass die Landes herren fortwährend mit Glück bestrebt waren, ihre politischen Befugnisse zu vermehren1), so stand naturgemäss der Umfang der landesherrlichen Regierungsrechte mit der Grösse der Länder im Verhältnisse, da kleine Gebiete, namentlich in Bezug auf Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Polizei-, Finanz- und Militärwesen keine so umfassende territoriale Regierungsgewalt erforderten oder vertragen konnten, wie diese in den grösseren Gebieten unentbehrlich war 5).

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3) Aus diesem Grunde enthalten auch die Reichsgrundgesetze keine Begriffsbestimmung der Landeshoheit, sondern sprechen immer nur von den wohlerworbenen und hergebrachten Freiheiten, Rechten u. s. w. der Fürsten und Stände, welche gegen kaiserliche Entziehung und Eingriffe sicher gestellt werden sollen. Vergl. die Const. Friderici II. (Utin.) a. 1232.,, Unusquisque principum libertatibus, Jurisdictionibus, Comitatibus, Centis, sive liberis sive infeodatis, utatur quiete, secundum terrae suae consuetudinem approbatam. J. P. O. art. VIII. §. 1 (s. §. 77. Note 14). W.-K. art. I. §. 9: ,, Sollen und wollen auch Kurfürsten, Fürsten und Ständen, die unmittelbare freie Reichsritterschaft mit eingeschlossen, ihre Regalien, Obrigkeiten, Freiheiten, Privilegien... in beständiger Form confirmiren, sie auch dabei handhaben und schützen." Erst in der W.-K. Leopolds II. (1790) und Franz II. (1792) wurden zum erstenmale in den Text art. I. §. 8 die Worte Landeshoheits- und Regierungs- Sachen als einen Gattungsbegriff bezeichnend eingeschoben. Siehe diese Stelle im §. 77. Note 14.

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4) So wurde den Landesherren im westphälischen Frieden J. P. O. art. VIII. §. 2 (s. §. 77. Note 13) das Recht der Bündnisse unter sich und mit auswärtigen Staaten (somit also auch das Gesandtschaftsrecht) beigelegt, und eben daselbst, art. V. §. 30, war ausdrücklich erklärt worden, dass ex communi per totum Imperium hactenus usitata praxi“, auch das „jus reformandi exercitium religionis" den Landesherren als Ausfluss ihrer Landeshoheit (cum jure territoriï et superioritatis) zustehe.

5) So z. B. hatten nicht alle Reichsritter in ihren kleinen reichsfreien Gebieten die Criminaljurisdiktion und den Blutbann. Kerner, reichsritterschaftl. Staatsr. Thl. I. S. 252 flg. Leist, Staatsr. (2. Aufl.) §. 166. Manche wollten desshalb den Reichsrittern nur eine Landesherrlichkeit, aber keine Landeshoheit beilegen (s. bes. Leist, Staatsr. (1. Aufl.)

III. Man pflegte in der Landeshoheit mehrere Klassen von Rechten zu unterscheiden: 1) die Regalien, welche der Landesherr vom Kaiser und Reich zu Lehen trug, wie die Gerichtsbarkeit in ihren verschiedenen Arten, die Grafschaft, das Herzogthum oder Fürstenthum, ursprünglich in der Bedeutung als Amt, sogenanntes Fürstenamt 6), den Heerbann, das damit zusammenhängende Besteuerungsrecht, jus collectandi; das Zollrecht, das Münzrecht, den Wildbann, die Bergwerke und andere singuläre Privilegien, wie sie z. B. in der pfalzgräflichen Comitive lagen'); 2) lehen herrliche Rechte, als die durch den Geburtsstand oder durch die erlangte Reichs- oder landesherrliche Würde (wie z. B. bei den Bischöfen und Prälaten) bedingte Befugniss, ritterliche Lehensleute zu haben und mit ihnen den Reichskriegsdienst zu leisten;

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§. 46). Allein es war dieses ein reiner Wortstreit, da an sich Landesherrlichkeit und Landeshoheit gleichbedeutend sind (s. oben Note 2) und dadurch, ob man den Reichsrittern Landeshoheit beilegte oder nicht, an der Sache weder in Bezug auf ihre Gebiete noch in Bezug auf ihre Stellung zu anderen Landesherren, das Mindeste geändert wurde. Gönner, Staatsr. §. 265, bezeichnet daher die Regierungsgewalt der Reichsritter in ihren Gebieten als einen „, Inbegriff von Rechten, welche der Landeshoheit ganz analog ist. Auch hiessen die ihrer Regierung unterworfenen Personen ihre Unterthanen, subditi, wie die Mittelbaren in den Ländern der Reichsstände (J. P. O. art. V. §. 28; s. §. 105. Note 23). Ausdrücklich gewährleistet die W.-K. art. I. §. 2 den Reichsrittern die Erhaltung bei ihren Hoheiten", wie den Reichsständen (siehe §. 77. Note 14). S. meine Schrift: Ueber hohen Adel und Ebenbürtigkeit (1853) §. 78. Leibnitz, in der Schrift Caesarinus Fürstenerius, de jure suprematus ac legationis principum Germaniae, 1677, unterschied jus suprematus (Landeshoheit im höheren Sinne) als „jus educendi militem et participiendi negotia publica Europae" und nahm diesen Suprematus für die grösseren Reichsfürsten in Anspruch, im Gegensatze der zunächst auf Gerichtsbarkeit und innere Administration beschränkten Landesherrlichkeit, superioritas territorialis, Landesobrigkeit oder Landeshoheit im niederen Sinne der kleineren Landesherren, welchen er das Recht, Truppen zu halten, nur in dem Umfange zusprach, als nothwendig sei, um die Unterthanen im Gehorsam gegen die Gesetze zu erhalten. Vergl. Pütter, Lit. I. 249. Allein dies alles hat auf den Begriff und das rechtliche Wesen der Landeshoheit keinen Einfluss.

6) Fürsten amt, so bezeichnet ausdrücklich der Schwabenspiegel (v. Lassberg) c. 139 das Herzogthum oder anderes Fürstenthum.

7) Siehe oben §. 85. VIII. IX.

3) schutzherrliche Rechte, d. h. solche, welche eigentlich in der Grund- oder Vogteiherrlichkeit wurzelten, aber vom Landesherrn eben darum ausgeübt wurden, weil er zugleich der Grundherr oder Vogteiherr war; und 4) die sog. landesherrlichen Regalien, d. h. nutzbare Rechte, welche sich der Landesherr nach dem Landesbrauch oder Landesgesetzen ausschliesslich beilegte 8).

IV. Da der Landesherr mitunter nicht alle gewöhnlich in der Landeshoheit liegenden Rechte hatte, wie z. B. wenn die Criminalgerichtsbarkeit, die sog. Zentgerichtsbarkeit oder der Blutbann) einem anderen Herrn zustand, so unterschied man vollständige und unvollständige Landeshoheit 10). Es fehlte daher nicht an Landeshoheitsstreitigkeiten, die, abgesehen von den zahlreichen Versuchen der Selbsthilfe und den dadurch veranlassten Fehden und Kriegen, zu unzähligen und weitläufigen petitorischen und possessorischen Processen Veranlassung gaben und zu deren Beurtheilung sich die Publicisten in der Aufstellung und Bestreitung von Vermuthungsgründen überboten 11).

V. Geschichtlich hat sich die Landeshoheit hauptsächlich aus der höheren Gerichtsbarkeit und zwar auf zweifache

8) Siehe unten §. 541.

9) Mitunter wurde sogar die Zentgerichtsbarkeit und der Blutbann von einander unterschieden und von verschiedenen Herren in Anspruch genommen. Siehe meine Alterthümer des deutschen Reichs und Rechts Bd. II. (1860) S. 54, Siehe über die Criminaljurisdiktion noch

hier unten Note 19.

10) So z. B. war in Franken die Landeshoheit nicht ein,,complexus omnium regalium", sondern nur „possessio quorundum regalium eminentissimorum“, wohin man dort nur die Fraisch (Criminaljurisdiktion), den Wildbann u. das Landgericht rechnete. Schneidt, Thesaurus jur Franc. Abschnitt I. Heft 18. S. 3291.

11) Ausser dem Besitze der hohen Gerichtsbarkeit, welcher immer als der stärkste Beweis der Innehabung der Landeshoheit galt, rechnete man hierher: die Grundherrlichkeit oder das Eigenthum an einem Orte, die Lage des Ortes, die Erhebung von Steuern oder Ausübung des jus collectandi; die Ausübung des jus circa sacra oder des jus reformandi (siehe unten Note 19); die Leistung eines homagium durch die Einwohner; das Erscheinen der Ritter, Prälaten und Städte auf den fürstlichen Landtagen. D. G. Struben, vom Beweis der Landeshoheit, in dessen Nebenstunden, Bd. IV. Abhandl. XXV. S. 142.

Zopfl, Staatsrecht. 5. Aufl. I.

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Weise entwickelt, indem 1) eines Theils auf dieselbe, wo sie durch Grafen, Herzoge und Fürsten ursprünglich als Reichsbeamte verwaltet wurde, allmählig, und zwar vielfach unter Einflüssen des Feudalismus, der patrimoniale Charakter der Erblichkeit übertragen, oder auch sie bleibend (wie ein Patrimonium) geistlichen und weltlichen Corporationen verliehen worden war; und 2) anderen Theils die Grundherren oder Landes herren im älteren Sinne häufig durch kaiserliche Verleihung eine höhere Gerichtsbarkeit als die blos vogteiliche oder Niedergerichtsbarkeit bleibend erwarben 12).

VI. Hieraus erklärt sich, wie sich seit dem XIII. Jahrhundert ein neuer, höherer, rein politischer Begriff von Landherrlichkeit oder Landes herrlichkeit, nämlich im Sinne von Landeshoheit oder Landesfürstlichkeit bilden konnte und musste 13), und wie seitdem auch die Ausdrücke ,,Zwing und Bann, hohe und niedere Gerichte", oder „, alle Gerichte", die alten Synonyma von Gerichtsbarkeit, für völlig gleichbedeutend mit dieser Landesherrlichkeit oder der Landeshoheit geachtet werden mussten 14), und zwar um so mehr, als nicht nur die kaiserlichen Lehenbriefe jene älteren Bezeichnungen beibehielten und fortwährend ausschliesslich gebrauchten 15), sondern auch das politische Terri

19) Vergl. oben §. 39; meine deutsche Rechtsgesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 53; und besonders meine Alterthümer des deutschen Reichs u. Rechts, 1860. Bd. I. S. 70 flg.; Bd. II. S. 8 flg. Im Wesentlichen das Richtige erkannte schon D. G. Struben, vom Ursprung der Landeshoheit, in dessen Nebenstunden Bd. IV. Abhandl. XXII., indem er den Ursprung der Landeshoheit in die Erblichkeit der hohen Gerichtsbarkeit im Lande, und in den allmähligen Ausschluss der concurrirenden kaiserlichen Jurisdiktion setzt.

13) Ueber die Entstehung der zweifachen Bedeutung von Landherr als Grundherr und Landes herr, Landherrn der Fürsten und Landherrn des Kaisers, und die allmählige Feststellung des Ausdrucks Landesherr für den politischen Territorialherrn, siehe meine Alterthümer des deutsch. Reichs und Rechts. Bd. I. (1860) S. 71 flg. 86 flg. 91–96. Ueber den Unterschied von Landesherrlichkeit (Landeshoheit) und Grundherrlichkeit: ebendaselbst, Bd. II. (1860) S. 35-37. Siehe auch hier oben §. 39. IV. und die daselbst Note 10 angeführten Schriften; besonders Posse, vom Staatseigenthum in den deutschen Reichslanden, 1794. S. 27. 33 flg.

14) Meine Alterthümer des deutschen Reichs u. Rechts, 1860. Bd. I. S. 38. 15) Ebendaselbst, Bd. II. S. 35–37.

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