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der Kleinheit ihrer Territorien, und der Unmöglichkeit, darauf vollständig gentigende Staatseinrichtungen herzustellen, in der Ausübung mancher landesherrlichen Rechte grossen Beschränkungen unterworfen, theils durch die Reichsgewalt, theils durch das Cantonsdirektorium, wie namentlich in Bezug auf Criminalsachen 24), die Militärgewalt und die Besteuerung ihrer Unterthanen 25).

IX. Seit dem J. 1653 wurde die Reichsritterschaft in den Wahlkapitulationen überall neben den Reichsständen genannt, wo es sich um die Zusicherung des Schutzes landesherrlicher und anderer hergebrachten Rechte und Freiheiten handelte 26).

X. Die Reichsritter hatten auch wie die Reichsstände, das Recht der Austräge: die Austrägalinstanz bildete aber für sie das Cantonsdirektorium 27), welchem auch die Voruntersuchung in Strafsachen der Reichsritter oblag; auch war dieses für sie in Folge besonderen kaiserlichen Auftrags obervormundschaftliche Behörde. Streitig war, ob ein Reichsritter, der bei einem Fürsten in Dienste stand, hinsichtlich seines Dienstes der Gerichtsbarkeit dieses Fürsten unterworfen sei 28).

territorii vel domicilii aliis Statibus reperiantur subjecti, vigore Pacis religiosae et praesentis conventionis in juribus religionem concernen tibus et beneficiis inde promanantibus, idem ius habeant, quod supra dictis Electoribus, Principibus et Statibus competit."- Auch das Begnadigungsrecht verurtheilter Verbrecher wurde von den Reichsrittern, die Criminaljurisdiction hatten, in Anspruch genommen, und ohne Widerspruch des Kaisers ausgeübt. Kerner, a. a. O. I. §. 79.

24) Siehe §. 103. Note 20.

25) Man unterschied Steuern, welche das Rittercorpus ausschrieb, und Privatsteuern, d. h. solche, welche der einzelne Reichsritter in seinem Gebiet erhob. In Bezug auf erstere hatte der Reichsritter ein sog. Subcollectations-Recht (untergeordnetes Erhebungsrecht). Letztere hielt man nur für zulässig auf Grund von Verträgen mit den Unterthanen, oder Herkommen, oder reichsgerichtlicher Urtheile. Kerner, a. a. O. I. §. 64.

26) W.-K. art. I. §. 2 (s. §. 77. Note 14). W.-K. art. I. §. 9; III. §. 6; XV. §. 6. 8. Siehe auch oben §. 90. Note 11.

27) Siehe §. 101. Note 5. u. 10. Leist, Staatsr. §. 144. Note 6; §. 145. Note 6.

28) (Anonym): Rechtsbeantwortung der Frage, ob ein unmittelbarer Reichsritter, welcher bei einem Fürsten in Diensten steht, dessen Forum in Ansehung seines Dienstes agnosciren müsse? Nürnb. u. Leipz. 1757. Vergl. Gönner, Staatsrecht §. 265. — Diese Frage könnte ein praktisches

XI. In Bezug auf die Reichsritterschaft war unbestritten anerkannt, dass ihre Statuten und Ritterordnungen ohne kaiserliche Confirmation keine Giltigkeit hatten 29). Eben so bedurften auch die Hausstatuten der reichsritterlichen Familien, wenn sie vom gemeinen Reichsrechte abweichende Bestimmungen aufstellen wollten, der kaiserlichen Bestätigung 30).

XII. In einer ähnlichen politischen Stellung zum Reiche, wie die Reichsritterschaft, befanden sich auch einige sogen. adelige Ganerbschaften 31).

Interesse in dem analogen Falle gewinnen, wenn ein souverainer deutscher Fürst bei einem anderen eine hohe Militär- oder Civilbedienung übernehmen sollte. Siehe unten §. 249.

29) Gönner, Staatsr. §. 266. IV.

30) Da sich schon ein unbeschränktes Autonomierecht der Reichsstände in ihren Familienverhältnissen nicht vertheidigen lässt, (s. oben §. 91 VI; §. 214 III.) so kann ein solches noch viel weniger hinsichtlich der reichsritterschaftlichen Familien angenommen werden, hinsichtlich deren man darüber einverstanden war, dass sie in jeder Rücksicht Reichsunterthanen und den Reichsgerichten unterworfen waren.

31) Moser, v. d. deut. Reichsständen S. 1493 fl. Dessen: Zusätze z. neuen Staatsr. S. 1010. Mader, sichere Nachricht von der kais. etc. Burg Friedberg, 1766–1774. 3 Thle. - Ganerben, so wie Anerben, sind überhaupt gesetzlich berufene Erben in absteigender Linie (Sachsensp. Ldr. I, 17. §. 1.). Unter einer adeligen Ganerbschaft verstand man ritterliche Familien, welche eine Burg oder ein Haus gemeinschaftlich hatten, und unter sich, regelmässig sowohl auf Weiber und Männer, vererbten. Siehe besonders Wehner, obs. pract. voce,,Ganerben". Meine deut. R.-Gesch. 3. Aufl. Thl. II. §. 118. Note 14.

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Achter Abschnitt.

Staatsrechtliche Veränderungen zur Zeit des Rheinbundes.

§. 106.

Die Auflösung des Reiches. Stiftung des Rheinbundes. Oesterreich als Kaiserreich erklärt. Projekt eines preussischen Kaiserthumes von Norddeutschland1).

I. Die Unhaltbarkeit der deutschen Reichsverfassung war eigentlich schon seit dem westphälischen Frieden entschieden: ihr Sturz war unausbleiblich und unaufhaltsam näher gerückt, seitdem Deutschland in dem Luneviller Frieden (1801) das ganze linke Rheinufer verloren hatte 2) und von dem Uebermuthe Frankreichs höhnend darauf angewiesen worden war, sich für diesen Verlust aus sich selbst zu entschädigen 3). Die Säkularisation der geistlichen Territorien und die Mediatisirung der Mehrzahl der Reichsstände, wozu man der Durchführung des Entschädigungswerkes halben greifen musste 4), war ein offenbarer, wenn auch nothgedrungener, Rechtsbruch an

1) Die Literatur über das Staatsrecht des Rheinbundes siehe oben S. 150. Die politische Literatur für diesen Zeitabschnitt s. in meiner deut. R.-Gesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 79. Note 2.

2) Siehe den Abdruck des Lüneviller Friedens v. 9. Febr. 1801 in G. v. Meyer, Corpus Jur. Confoederationis Germ. 3. Aufl. Thl. I. S. 1.

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3) Lüneviller Frieden art. VII. Nachdem gesagt ist, dass das deutsche Reich die Verluste auf dem linken Rheinufer als Gesammtheit (,,collectivement") zu tragen habe, heisst es wörtlich: . . . l'Empire sera tenu de donner aux Princes héréditaires, qui se trouvent à la rive gauche du Rhin, un dédommagement, qui sera pris dans le sein de l'Empire.“ 4) Den Abschluss des Entschädigungswerkes enthält der Reichsdeputationshauptschluss v. 25. Febr. 1803. Siehe oben §. 78. X. Vergl. die Uebersicht des Inhalts, in meiner deut. R.-Gesch. 3. Aufl. 1858. Thl. II. §. 79 II.

an

diesen bisherigen Reichsständen, und der Todesstreich, welchem das Reich selbst zu Grunde ging 5), da nunmehr klar vorlag, dass der in den Reichsgesetzen und Wahlkapitulationen sämmtlichen Reichsangehörigen zugesicherte Reichsschutz nur noch ein leerer Name war.

II. Da überdies die beiden mächtigsten Staaten in Deutschland, Oesterreich und Preussen, keine einheitliche Politik verfolgten "), und daher alsbald, einer nach dem anderen, die tiefsten Demüthigungen von Frankreich erdulden mussten"), das deutsche Reich aber so weit herunterkam, dass ihm Frankreich (im Pressburger Frieden) sogar nicht einmal mehr seinen althergebrachten officiellen Titel gab, sondern nur noch von einer Conféderation Germanique sprach ), so war klar geworden, dass die mittleren und kleinen deutschen Staaten nirgends mehr einen Stützpunkt in Deutschland finden konnten. Somit waren namentlich die süd- und westdeutschen Staaten, Bayern an der Spitze, ihrer Selbsterhaltung wegen, und durch das Drängen Frankreichs genöthigt, sich zu einem besonderen politischen Körper, dem sogen. Rheinbund, zu vereinigen, über welchen der Kaiser der Franzosen Napoleon I. das Protektorat übernahm, und dadurch der Verwirklichung seiner ausgesprochenen Idee, das Reich Karl's d. Gr. als Frankenreich wieder herzustellen, um keinen geringen Schritt näher rückte. Am 12. Juli 1806 wurde die Rheinbundsakte zu München unterzeichnet "). Am 1. August 1806 zeigten die Rheinbundsglieder ihre Lossagung vom deutschen Reichsver

5) Sehr treffend nannte Klüber, öffentl. R. §. 26. den R.-D.-H.-S. v. 25. Febr. 1803 die „, Vorakte des Rheinbundes."

*) Diese unselige Trennungspolitik begann schon mit dem preussischen Separatfrieden zu Basel, 5. April 1795.

7) So Oesterreich im Pressburger Frieden vom 26. December 1805. Preussen erreichte sein Schicksal im Tilsiter Frieden vom 9. Juli 1807.

8) Pressburger Frieden, 1805, 26. Dec. art. VII:,,Les Electeurs de Bavière et de Würtemberg, ayant pris le titre de Roy, sans néanmoins cesser d'appartenir à la confédération germanique, Sa Majesté l'Empereur d'Allemagne et d'Autriche les reconnait en cette qualité.“

9) Abgedruckt in G. v. Meyer, Corp. Jur. Conföderat. Germ. 3. Aufl, Thl. I. S. 79.

bande an 10): und am 6. August 1806 legte Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder, indem er es für eine Unmöglichkeit erklärte, nach der gänzlichen Lossagung mehrerer vorzüglichen Stände vom Reiche und ihrer Vereinigung zu einer besonderen Conföderation, die Pflichten des kaiserlichen Amtes länger zu erfüllen. Zugleich entband derselbe die sämmtlichen Reichsstände und Reichsangehörigen der Pflichten, mit welchen sie an ihn als das bisherige reichsconstitutionsmässige Oberhaupt gebunden waren, und vereinigte seine deutschen Reichsländer mit den übrigen Besitzungen des österreichischen Hauses zu einem Staatskörper, unter Annahme des Titels als Kaiser von Oesterreich 11). Hiermit war das deutsche Reich vollständig aufgelöst. Preussen, von dieser Wendung der Dinge eben so überrascht wie die kleineren norddeutschen Staaten, machte den Versuch, einen norddeutschen Reichsbund zu gründen. Bei dieser Gelegenheit tauchte zum erstenmale die Idee eines preussischen Kaiserthumes als Kaiser

10) Vergl. die Lossagungsurkunde v. 1. Aug. 1806 bei v. Meyer, Corp. Jur. Conföd. Germ. 3. Aufl. Thl. I. S. 70 fl. Hierin findet sich folgende Hauptstelle: ,,Indem sie sich durch gegenwärtige Erklärung von ihrer bisherigen Verbindung mit dem deutschen Reichskörper lossagen, befolgen sie blos das durch frühere Vorgänge und selbst durch Erklärungen der mächtigeren Reichsstände aufgestellte System." (Das Beispiel Preussens im Baseler Frieden!) „Sie hätten zwar den leeren Schein einer erloschenen Verfassung beibehalten können, allein sie haben im Gegentheil ihrer Würde und der Reinheit ihrer Zwecke angemessener geglaubt, eine offene freie Erklärung ihres Entschlusses und der Beweggründe, durch welche sie geleitet worden sind, abzugeben. Vergeblich aber würden sie sich geschmeichelt haben, den gewünschten Endzweck zu erreichen, wenn sie sich nicht zugleich eines mächtigen Schutzes versichert hätten, wozu sich nunmehr der nämliche Monarch (Napoleon I.), dessen Absichten sich stets mit dem wahren Interesse Deutschlands übereinstimmend gezeigt haben, (sic!) verbindet." Mit ungemeiner Naivetät erklärte der französische Geschäftsträger am Reichstag, Bacher, in einer gleichzeitigen Note v. 1. August 1806 (in G. v. Meyer, Corp. Jur. Conföd. Germ. 3. Aufl. Thl. I. S. 68.), dass der (von Frankreich 10 Monate zuvor diktirte) Pressburger Frieden der Grund sei, warum Deutschland als ein Reichsstaat nicht mehr bestehen könne!

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11) Die Abdankungsurkunde K. Franz II. v. 6. Aug. 1806, siehe bei v. Meyer, Corp. Jur. Conföd. Germ. 3. Aufl. Thl. I. S. 71.

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