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XI. Streitig war unter den Publicisten, ob auch das Einlösungsrecht bei einer Pfandschaft (sogen. Territorialpfandschaft), welche ein Rheinbundsfürst von einem Anderen inne hatte, unter jenem Verzichte begriffen sei; es hat jedoch diese Frage aus Mangel an Fällen niemals praktische Bedeutung erhalten 20).

XII. Die zur Zeit der Reichsverbindung den bisherigen Landesherren gegenüber wohlbegründeten Rechte der Landstände und einzelner Unterthanen oder Klassen derselben wurden, an sich betrachtet, durch die Auflösung des Reiches in keiner Weise berührt. In der Erweiterung, welche die Landesherrlichkeit durch die Umbildung in eine volle Souverainetät erhielt, kann daher auch kein Rechtsgrund gefunden werden, aus welchem sich der bisherige Landesherr oder dessen nunmehriger Nachfolger von der Verpflichtung zur Anerkennung und Achtung der landständischen und anderen wohlerworbenen Rechte der Unterthanen hätte loszählen können. Jedoch wurde in manchen Staaten auch in dieser Beziehung sehr willkührlich verfahren 21). Das Beispiel der Missachtung historisch begründeter Rechte und deren eigenmächtiger Beseitigung unter dem Vorwande des öffentlichen Wohles, welches damals nicht selten

20) Man war darüber einig, dass die durch Pfandschaft (als eine Art von Staatsvertrag) begründeten Rechte Staatsberechtigungen seien. Sodann unterschied man mehrere Fälle: 1) war die Pfandschaft ein selbstständiges Gebiet, so sollte man den art. 34 gar nicht darauf beziehen, weil sie hier der Pfandinhaber nicht als sein Gebiet inne habe, daher er also dem Verpfänder die Einlösung nicht weigern könne; 2) war das Pfandobjekt ein Hoheitsrecht, welches im Lande des Pfandschuldners selbst auszuüben war, so erlosch das Ausübungsrecht des Gläubigers, als droit actuet in fremdem Gebiete kraft des art. 34 der Rheinbundsakte; er behielt aber sein Forderungsrecht auf Rückzahlung der Schuld; 3) war das Pfandobjekt eine Staatsberechtigung, die der Schuldner in dem Lande des Gläubigers (des Pfandbesitzers) selbst auszuüben hatte, so erlosch aus gleichem Grunde, wie im vorigen Falle, das Einlösungsrecht des Schuldners, weil seine bisherige (von ihm verpfändete) Staatsberechtigung an sich nicht mehr im Gebiete eines bundesverwandten Fürsten bestehen konnte: folgerichtig hatte er aber auch weiter keine Einlösungspflicht, da der Gläubiger das verpfändete Objekt sich aneignen durfte. Vergl. über diese Streitfrage Klüber, Abhdl. I, S. 31 fl. (der jedoch den letztern Fall ganz übergangen hat).

21) Siehe oben §. 72. Note 3.

von oben herunter gegeben wurde, hat nicht verfehlt, in der neueren Zeit vielfache Nachahmung von Unten, zum merklichen Schaden des monarchischen Principes selbst, hervorzurufen 22).

XIII. Weder bei der Gründung des Rheinbundes, noch bei der Auflösung des Reiches war eine Vorsorge für die Bezahlung der allgemeinen Reichsschulden, (Schulden der Reichsoperationskasse), noch auch für die Versorgung der Angestellten des Reiches, wie z. B. des Reichskammergerichtspersonals, getroffen worden 23). Nur hinsichtlich der Kreisschulden erkannten die Rheinbundsfürsten die Verpflichtung an, dieselben nach dem Verhältniss ihrer nunmehrigen Territorien zu bezahlen 24).

XIV. Die Bestimmungen der Rheinbundsakte über die Organisation des Rheinbundes sind niemals ins Leben getreten. Die projektirte Bundesversammlung sollte ihren Sitz zu Frankfurt haben und in zwei getrennten Collegien, einem Colleg der Könige und Grossherzoge, und einem Colleg der Fürsten verhandeln, was an die Einrichtung der früheren ordentlichen Reichsdeputation erinnert 25), und in so ferne nicht unzweckmässig ausgedacht war, als voraussichtlich nach erfolgter Verständigung unter den grösseren Bundesgliedern die Zustimmung der kleineren mit Sicherheit zu erwarten war.

22) Mit Recht nennt auch H. A. Zachariä, Staatsrecht, §. 37, V. den in der Rheinbundszeit häufig aufgestellten Satz, dass alle Rechte der Unterthanen, insbesondere auch der Mediatisirten, einer willkührlichen Bestimmung durch die Souveraine unterlägen, soferne sie nicht durch die Rheinbundsakte neu bestimmt, oder durch das natürliche Staatsrecht als nothwendig gesetzt seien, eine despotisch-revolutionäre Lehre.

23) Ueber die Frage, ob mit dem Untergang des deutschen Reiches auch die von der Reichsgewalt contrahirten Schulden erloschen sind, siehe unten in der Lehre von der Finanzhoheit.

24) Rheinbundsakte, art. 29,,,Les Etats confédérés contribueront au payement des dettes actuelles des cercles, non seulement pour leurs possessions anciennes, mais aussi pour les territoires, qui doivent être respectivement soumis à leur souveraineté."

25) Siehe oben §. 81. Note 5.

Neunter Abschnitt.

Die deutsche Bundesverfassung.

Literatur.

Klüber, Akten des Wiener Congresses. 2. Aufl. Erlangen 1833;

dessen Uebersicht der diplomatischen Verhandlungen des Wiener Congresses. Frankfurt 1816; und dessen: Oeffentliches Recht des deutschen Bundes und der Bundesstaaten. 4. Aufl. Frankfurt 1840.

de Pradt, du congrès de Vienne. Paris 1818. Histoire du congrès de Vienne. Par l'auteur de la diplomatie française. Paris 1829. III. Vol. v. Dresch, öffentliches Recht des deutschen Bundes. Tübingen 1822; dessen: Beiträge zu dem öffentlichen Rechte des deutschen Bundes. Tübingen 1822, und desselben: Abhandlungen über Gegenstände des öffentlichen Rechtes, sowohl des deutschen Bundes überhaupt, als der deutschen Bundesstaaten. München 1830.

W. J. Behr, von den rechtlichen Gränzen der Einwirkung des deutschen Bundes auf die Verfassung, Gesetzgebung und Rechtspflege seiner Gliederstaaten. Stuttgart 1820.

Rudhardt, das Recht des deutschen Bundes. Stuttgart 1822.

A. Brunquell, Staatsrecht des deutschen Bundes und der Bundesstaaten. Erfurt 1824.

Jordan, Lehrbuch des allgemeinen und deutschen Staatsrechtes. 1. Abthl. Cassel 1831.

L. A. Reyscher, publicistische Versuche. Stuttgart 1832.

P. A. Pfizer, über die Entwicklung des öffentlichen Rechtes in Deutschland durch die Verfassung des Bundes. Stuttgart 1835.

Freiherr F. v. Gruben, Abhandlungen über Gegenstände des öffentlichen Rechts des deutschen Bundes und des Staatsrechts der Bundesstaaten. II Hefte. Stuttgart 1835-36.

Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts. Frankfurt 1837. §. 99-125.

K. E. Weiss, System des deutschen Staatsrechts. Regensburg 1843. §. 26-220.

H. A. Zachariä, deutsches Staats- und Bundesrecht. Göttingen 1845; 2. Aufl. Bd. I. 1853, §. 39-42; Bd. II. 1854, §. 243–296.

G. A. Grotefend, System des öffentlichen Rechts der deutschen Staaten. I. Abth. Cassel 1860.

Otto Mejer, Einleitung in das deutsche Staatsrecht. Rostock 1861.

C. Welcker, wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, mit eigenhändigen Anmerkungen von J. L. Klüber, aus dessen Papieren mitgetheilt und erläutert. Mannheim 1844.

G. v. Meyer, Repertorium der Verhandl. der deut. B. V. in einer system. Uebersicht. 4 Hefte. Frkf. 1820-22.

C. Nauwerk, die Thätigkeit der deutschen Bundesversammlung (bis 1824) III Hefte. Berlin 1846.

G. v. Struve, das öffentl. Recht des deut. Bundes. 2 Thle. Mannh. 1846. F. D. de Schütz, la confédération germanique. Aperçu des lois et des autres institutions fédérales. Wiesbade 1847.

Die Verhandlungen der Bundesversamml. von den revolutionären Bewegungen des J. 1830 bis zu den geh. Wiener Ministerialconferenzen, ihrem wesentl. Inhalt nach mitgetheilt aus den Protokollen des Bundes. Heidelberg 1846; (Fortsetzung bis 1845) 1848.

Bundesrechtliche Fragen; aktenmässig dargestellt. Halle 1851.
J. F. Ilse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung. Marburg 1860.
Heft 1.

C. v. Kaltenborn, Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806-1856. 2 Bde. Berlin 1857.

J. B. Th. v. Linde, Archiv für das öffentl. Recht der deutschen Bundesstaaten. Giessen 1850-1861. IV Bde.

Quellensammlungen: Klüber, Quellensamml. zu dem öffentl. R. des deutschen Bundes. 3. Aufl. Erlangen 1830. 33.

Insbesondere siehe das oben S. 148 angeführte Corp. Jur. Confoeder. Germ. von G. v. Meyer, dritte, von mir ergänzte und fortgeführte Auflage. Frankfurt. 2 Thle. u. 1 Heft Fortsetzung. 1858, 1859, 1862; (wird fortgesetzt).

§. 108.

Entstehungsgeschichte des deutschen Bundes.

Der Zustand staatsrechtlicher Vereinzelung, welcher für die deutschen Länder durch die Auflösung des deutschen Reiches herbeigeführt worden war, so wie auch der Rheinbund, welcher für seine Mitglieder gewissermassen die Stelle des Reichsverbandes vertreten sollte, waren glücklicher Weise von keiner langen Dauer. Nachdem zwischen Russland und Preussen im J. 1813 (28. Febr.) ein Bündniss zu Kalisch gegen Napoleon I. geschlossen worden war1), hatte sich der rheinische Bund durch den allmähligen Beitritt seiner Mitglieder zu diesem

1) Martens, suppl. V., p. 234.

Vertrage stillschweigend aufgelöst. Hierauf wurde zuerst durch den Art. 6 des ersten Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 festgesetzt, dass die deutschen Staaten unabhängig und durch einen Föderativ-Verband vereinigt sein sollten 2). Die weitere Organisation des Bundes wurde nach dem ersten geheimen Artikel dieses Friedens dem 2 Monate später zu eröffnenden Wiener Congresse vorbehalten 3). Die Eröffnung des Wiener Congresses verzögerte sich jedoch noch bis zum 1. November 1814. Hier erklärten sich fünf deutsche Höfe: Oesterreich, Preussen, Bayern, Hannover und Würtemberg, als ein Comité zur Regulirung der deutschen Verfassungsangelegenheiten. Dieses Comité löste sich aber schon am 16. Nov. 1814 nach 13 Sitzungen wieder auf, ohne ein Resultat geliefert zu haben 4). Da Bayern und Würtemberg gegen die von Preussen und Hannover vorgelegten Verfassungsentwürfe Widerspruch erhoben, und die übrigen deutschen Staaten durch eine Note vom 16. Novbr. 1814 Theilnahme an den Beratungen verlangt hatten, so gerieth das deutsche Verfassungswerk in's Stocken, und überhaupt stand der ganze Congress auf dem Punkte, sich ohne Beschlussfassung aufzulösen, weil sich unter den Grossmächten eine Meinungsverschiedenheit über das künftige Schicksal von Sachsen und Polen ergeben hatte. Als aber endlich am 11. März 1815 die Nachricht von Napoléon's Flucht aus Elba und von seinem Wiedererscheinen in Frankreich eintraf, fühlten sich die Monarchen neuerdings zur Einigkeit und Eile gedrungen, und nun wurden die deutschen Angelegenheiten in 11 Sitzungen, vom 23. Mai bis 10. Juni 1815, verhandelt, wozu diesmal die Bevollmächtigten von 36 ehemaligen deutschen Reichsständen zugezogen wurden. Baden und Würtemberg hielten sich jedoch jetzt aus Besorgniss vor Napoleon von der Berathung entfernt. Auch hatte HessenHomburg keinen Antheil daran. In jenen 11 Sitzungen kamen 20 Artikel zu Stande, die von 36 deutschen Staaten, zuerst einzeln am 8. Juni 1815 angenommen, und dann zusammen

2) I. Pariser Frieden, v. 30. Mai 1814, Art. 6. „Les états de l'Allemagne seront indépendants et unis par un lien fédératif.“ (Bei v. Meyer, Corp. Jur. Conföd. Germ. 3. Aufl. Thl. I. S. 242.

3) Klüber, Uebersicht, S. 122 A.

4) Klüber, Uebersicht, S. 59 fl.

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