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§. 120.

Titelveränderungen einzelner Bundesglieder.

Seit der Stiftung des deutschen Bundes haben bisher folgende Veränderungen in der Bezeichnung und den Prädikaten der einzelnen Bundesglieder stattgefunden: A) Die Stimme von Dänemark als Herzog von Holstein wird in Folge der Erwerbung des Herzogthumes Sachsen-Lauenburg als Holsteinische und Sachsen- Lauenburgische Stimme geführt 1). B) Seit dem Jahre 1824 wird von HolsteinOldenburg die Stimme am Bundestage in Folge der seit der Erwerbung der Erbherrschaft Jever von dem Herzoge vorgenommenen Titel - Veränderung nur als Oldenburg geführt 2), und seit dem 28. Mai 1829 von Oldenburg der grossherzogliche Titel gebraucht, welcher diesem Hause schon durch die Wiener Congressakte, art. 34, zugestanden worden war 3). C) In Folge der Succession in die Herzoglich Sachsen-Gothaund Altenburgischen Lande nach dem Erlöschen dieses Hauses im Mannstamme am 11. Febr. 1825, bestehen anstatt der herzoglich sächsischen Häuser Sachsen-Gotha, Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Hildburghausen nunmehr die Herzogthümer Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, Sachsen-Altenburg und Sachsen-CoburgGotha1). D) Am 16. Aug. 1844 hat die Bundesversammlung beschlossen, dass von Seiten des deutschen Bundes den die Regierung führenden Herzogen von Braunschweig, Nassau, Sachsen-Coburg Gotha, Sachsen - Meiningen, SachsenAltenburg, Anhalt-Dessau, Anhalt-Bernburg und AnhaltKöthen für ihre Person statt des bisher geführten Prädikats ,,Durchlaucht" das Prädikat ,,Hoheit" werde beigelegt werden, sobald die erforderliche Notifikation über die dessfalls

1) Vergl. §. 116, Note 5.

2) Prot. der B.-V. v. 15. Januar 1824, §. 2. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II., S. 152.)

(v. Meyer, Corp. Jur.

3) Protok. der B.-V. vom 4. Juni 1829, §. 88. (v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II. S. 212.)

4) Vergl. die B.-A., art. 6, und Prot. der B.-V. v. 25. Jan. 1827, §. 4. (Dieses, nebst dem gemeinschaftlichen Patente der Herzoge von Sachsen, v. 12. u. 15. Nov. 1826, s. bei v. Meyer, a. a. O. Thl. II. S. 185 u. flg.)

beliebte Veränderung des Prädikats von Seite der regierenden Herzoge bei der Bundesversammlung eingegangen sein wird. In der vertrauensvollen Erwartung, dass die gedachten Herzoge weder in deutscher noch in einer fremden Sprache sich einer Bezeichnung bedienen, oder eine solche in Anspruch nehmen werden, wodurch Zweifel darüber entstehen könnten, dass durch das Prädikat,,Hoheit" ein anderes als das der ,,herzoglichen" Hoheit gemeint sei, wird von der näheren Bezeichnung desselben Umgang genommen. Ausdrücklich wurde noch beigefügt, dass dieser, nur die Courtoisie-Frage der regierenden Herzoge erledigende Beschluss die wechselseitigen Rangverhältnisse unter den souverainen Häusern durchaus nicht berühren und vielmehr hinsichtlich des Ranges und Vortrittes alles und jedes in der bisherigen Lage verbleiben solle 5). E) Noch im Jahre 1848 führte das Königreich der Niederlande die Stimme nur für „,Luxemburg"; seit der Wiederherstellung der Bundesversammlung (1850) aber, für Luxemburg und Limburg).

§. 121.

Subjekt der Bundesgewalt. Bundesversammlung. Bundespräsidium.

I. Subjekt der Bundesgewalt ist die Gesammtheit aller Bundesglieder, welche aber nicht selbst zusammentreten,

5) Separat. Protok. der B.-V. vom 16. August 1844, Sitzung XXVII. (v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II. S. 431.) — Vergl. Die Praedikatsfrage, eine Abhandlung aus dem Gebiete des deutschen Staatsrechts. Giessen 1845.

6) Die Veranlassung zu dieser Veränderung liegt in den Vorgängen des Jahres 1849 (s. unten §. 186, Note 6). Es soll dadurch ausgedrückt werden, dass Limburg nicht ein mit Luxemburg, sondern mit dem Königreich der Niederlande vereinigtes Herzogthum ist, und in demselben auch nur die niederländische Verfassung gilt. Auch hat sowohl Luxemburg als Limburg eine besondere Regierung, deren jede unabhängig von der anderen, Instruktionen an den gemeinschaftlichen Bundestagsgesandten erlässt. Uebrigens bilden Luxemburg und Limburg keine Curie, auch erkennt die B.-V. nicht deren lokale Regierungen, sondern nur deren gemeinschaftliches Staatsoberhaupt, den König der Niederlande, als alleinigen Inhaber der elften Stimme im engeren Rathe an.

sondern durch einen permanenten Congress ihrer Bevollmächtigten zu Frankfurt a. M. die Bundesversammlung, oder den Bundestag (eröffnet am 5. Nov. 1816) repräsentirt werden 1).

II. Die einzelnen Bundestagsgesandten bilden übrigens kein selbstständiges und unabhängiges Collegium, sondern sie sind nach ausdrücklicher Bestimmung in der W. S.-A. art. 8 durchgängig und unbedingt in allen Verhältnissen an die von ihren Committenten ertheilten, oder von denselben einzuholenden Instruktionen gebunden, und diesen allein wegen deren getreuer Befolgung, sowie wegen ihrer Geschäftsführung überhaupt, verantwortlich.

III. Den Vorsitz bei der Bundesversammlung hat Oesterreich 2).

§. 122.

Innere Organisation der Bundesversammlung.
Engerer Rath und Plenum.

Die Bundesversammlung hat grundgesetzlich zwei verschiedene Verhandlungsarten bei ihren Geschäften und Schlussfassungen. Sie verhandelt nämlich entweder

1) im engeren Rath, der die regelmässige Form der Verhandlung bildet (Bundesakte, Art. 4); oder

2) im Plenum, als ausnahmsweiser Verhandlungsform in gewissen bundesgesetzlich bestimmten Fällen (Bundesakte, Art. 6).

§. 123.

Unterschiede zwischen dem engeren Rathe und dem Plenum, insbesondere Zahl und Verhältniss der Stimmen im engeren Rathe und im Plenum.

Die Unterschiede zwischen beiden Formen der Verhandlung liegen:

1) In der Zahl der Stimmen und in der Verschiedenheit des Stimmgewichtes, welches den einzelnen Bundesgliedern

1) Die Grundgesetze des Bundes gebrauchen gewöhnlich die Bezeichnung „Bundesversammlung"; doch findet sich auch die Bezeichnung Bundestag" z. B. in W. S.-A. art. 8. Als französische Uebersetzung wird „la Diète“ gebraucht,

2) B.-A. art. 5.

in dem Plenum oder in dem engeren Rathe zukommt. Im Plenum sind nämlich nach art. 6 der B.-A. 69 Stimmen unter die ursprünglichen 38 Bundesglieder vertheilt, so dass jedes Bundesmitglied wenigstens eine Stimme führt, vierzehn Staaten aber mehrere Stimmen (4, 3 oder 2) und zusammen 45 Stimmen haben. In Folge der oben (§. 114) erwähnten Veränderungen in der Bundesmitgliedschaft bestehen gegenwärtig im Plenum nur noch 66 Stimmen. Im engeren Rathe sind dagegen die ursprünglichen 38 (jetzt 35) Bundesglieder durch die B.-A. art. 4 in 17 Stimmen eingetheilt, so dass nur elf Staaten einzelne Stimmen führen, von den sieben und zwanzig übrigen aber immer mehrere in eine Gesammtstimme oder Curie vereinigt sind, und sonach sechs Curiatstimmen bestehen 1).

2) Ein anderer Unterschied besteht zwischen der Verhandlung in dem Plenum und im engeren Rathe in der Verschiedenheit der Berechnung der Majorität. Im engeren Rathe entscheidet nämlich nach der B.-A. art. 7 Abs. 2 absolute Majorität, d. h. es genügt, wenn sich für eine Meinung überhaupt mehr als die Hälfte aller Votanten ausgesprochen hat. In dem Plenum entscheidet aber nur eine Majorität von zwei Drittheilen der Votanten, d. h. der Bundesglieder, welche ihre Stimme wirklich abgegeben haben 2). Eine eigenthümliche Ausnahme

1) Hessen-Homburg ist erst durch B.-B. v. 17. Mai 1838, §. 138, in eine Curie eingetheilt, und stimmt hiernach im engeren Rathe in der XVI. Stimme, im Plenum vor den freien Städten.

2) Dies will die B.-A. art. 7, Abs. 2, durch die Wortfassung ausdrücken, dass im engeren Rathe die absolute, im Plenum aber nur eine auf zwei Drittheilen,,der Abstimmung" beruhende Mehrheit entscheidet. A. M.

war Brunnquell, a. a. O., I., S. 98. Vergl. aber A. Doerr, Beitr. zu der Lehre von der Organisation der Bundesregierung, in der Zeitschr. f. deut. R. v. Reyscher und Wilda, 1843. Bd. VII. Heft 2, S. 243 fl. Die Bestimmung in der vorläufigen Geschäftsordnung der B.-V. vom 14. Nov. 1816, I., dass zu einer giltigen Beschlussnahme im engeren Rathe die Abgabe von wenigstens 9, im Plenum von wenigstens 46 einverstandenen Stimmen gehöre, gab aber Anlass zu Zweifeln, obschon dieselbe, richtig verstanden, nur von dem Falle sprach, wenn alle Stimmen wirklich

von diesen Grundsätzen findet bei der Wahl von Mitgliedern zu Bundestagscommissionen statt 3).

3) Nur im engeren Rathe kann die Berathung oder Erörterung eines Gegenstandes stattfinden, selbst wenn die Beschlussfassung im Plenum zu geschehen hat 4).

§. 124.

Von den Curiatstimmen im engeren Rathe insbesondere.

I. Die im engeren Rathe bestehenden Gesammtstimmen dürfen immer nur von dem Bundestagsgesandten eines der in der Curie verbundenen Staaten geführt, d. h. abgegeben werden: doch dürfen auch die nicht-stimmführenden Gesandten der übrigen Mitglieder der Curie in den Sitzungen der Bundesversammlung gegenwärtig sein 1), und zum Zwecke der Erläuterung und zur Beförderung eines allgemeinen Einverständnisses ihre besonderen Ansichten und Gründe, beziehungsweise die ihrer Regierungen, gleichsam als ein votum consultativum, darlegen 2).

II. Es ist den Mitgliedern der Curiatstimmen überlassen, in welcher Weise sie sich über die Führung der Curiatstimme unter einander verständigen wollen. Halbe u. dergl. Bruchtheile von Stimmen können in der Bundesversammlung nicht abgegeben werden. Jedoch ist in der neuesten Zeit der Fall vorgekommen, dass Bundesregierungen, welche in eine Curie

abgegeben worden waren. Nunmehr ist die Sache durch die revidirte Geschäftsordnung der B.-V. vom 16. Juni 1854, §. 11, geordnet. Siehe unten §. 128, III, C.

3) Vergl. unten §. 135. Mit Unrecht behauptet eine gleiche Ausnahme auch für die Wahl eines Oberfeldherrn des Bundes, Doerr, a. a. O. S. 258. Jedenfalls ist der Streit hierüber durch die revidirte Geschäftsordnung der B.-V. vom 16. Juni 1854, §. 10 u. 25, unpraktisch geworden. (Siehe unten §. 128.)

4) B.-A. art. 7; W. S.-A. art. 12.

1) Dies war schon in der vorläufigen Geschäftsordnung der B.-V. v. 14. Nov. 1816, I, a. E. bestimmt. Damit stimmt überein die revidirte Geschäftsordnung v. 16. Juni 1854, §. 17.

2) B.-B. v. 26. März 1821, Protok. §. 73, in G. v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II. S. 131. Ausdrücklich sagt dies auch die revidirte Geschäftsordnung v. 16. Juni 1854, §. 17.

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