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Landständen vorzubeugen, hat die Bundesversammlung zu deren friedlicher Erledigung eine entscheidende Instanz unter dem Namen eines Bundesschiedsgericht es durch Bundesbeschluss vom 30. Oktbr. 1834 angeordnet.

§. 156.

c) Bundesgrundgesetzliche Bestimmungen in Bezug auf die Rechtspflege in den Bundesstaaten: 1) Nothwendigkeit von Gerichten dritter Instanz: Aktenversendung.

I. Obgleich sich die Stifter des deutschen Bundes nicht über die Einrichtung eines beständigen Bundesgerichtshofes mit einer ähnlichen Competenz, wie die des Reichskammergerichts gewesen war, verständigen konnten, und obgleich somit der auf die Landfriedens-Idee gebauten Rechtsverfassung der eigentliche Schlussstein fehlt 1), so war es doch nicht ihre Meinung, die Rechtspflege in den einzelnen Bundesstaaten nunmehr lediglich der Willkühr der einzelnen Regierungen zu überlassen und den Unterthanen jeden Schutz gegen Verkümmerung der Rechtspflege, welchen sie zur Zeit des Reichsverbandes durch Anrufen der Reichsstaatsgewalt oder der Reichsgerichte finden konnten, zu entziehen.

II. Um den Unterthanen der Bundesstaaten für den Wegfall der höchsten Reichsgerichte wenigstens einen theilweisen Ersatz zu gewähren, wurde in der Bundesakte art. 12 die Justizpflege nach drei Instanzen als ein im deutschen Bunde für alle Bundesstaaten festgestellter Grundsatz ausgesprochen 2), und somit den Staaten, in welchen bisher noch keine dritte Instanz eingerichtet gewesen war, weil ihnen die Reichsgerichte als solche gedient hatten, die Einrichtung einer solchen zu Pflicht gemacht. Von der Art und Weise, wie dieser bundesgrundgesetzlichen Vorschrift in den einzelnen, insbesondere in den kleineren Staaten zu genügen ist, so wie von

1) Siehe oben §. 153.

2) In dieser Weise erklärt sich über den Sinn des art. 12 der Bundesakte, die provisor. Competenzbestimmung der B.-V. v. 12. Juni 1817, §. 5, Nr. 3, Lit. a, Abs. 2.

dem hierbei unter gewissen Voraussetzungen bundesgrundgesetzlich den Parteien gestatteten Rechte der Aktenversendung an eine deutsche Juristenfakultät oder einen Schöffenstuhl wird im §. 446 ausführlich gehandelt.

§. 156 a.

2) Bundesgrundgesetzliche Zusicherungen von Abhilfe im Falle einer Justizverweigerung.

I. So wie sich schon die Reichsgesetzgebung ernstlichst hatte angelegen sein lassen, die Unterthanen in den einzelnen Ländern gegen Justizverweigerung und Verzögerung der Rechtspflege zu schützen, so hat auch die Bundesgesetzgebung nicht unterlassen, in gleicher Weise schützende Normen aufzustellen1). Schon in der provisorischen Competenzbestimmung der Bundesversammlung vom 12. Juni 1817, §. 5, Nr. 3, Lit. a. wurde es als eine selbstverständliche Folgerung aus der eben erwähnten Bestimmung des art. 12 der Bundesakte erklärt, dass, wenn der Fall einer in Rechtssachen eintretenden Justizverweigerung oder einer derselben gleich zu achtenden Verzögerung vorkommen sollte, die Bundesversammlung so befugt als verpflichtet sein würde, erwiesene begründete Beschwerden über wirklich gehemmte oder verweigerte Rechtspflege anzunehmen, um darauf die gerichtliche Hilfe in den einzelnen Bundesstaaten durch ihre Verwendung zu bewirken.

II. Hiermit übereinstimmend wurde sodann in die Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820, art. 29 die Bestimmung aufgenommen: " Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justiz-Verweigerung eintritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hilfe nicht erlangt werden kann, so liegt der Bundesversammlung ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen jedes

1) Unabhängige, unparteiische Rechtspflege und Unterlassen aller Kabinetsjustiz wird insbesondere anbefohlen in der W. K. (1792) art. XVI, §. 4; XVII, §. 6, 7; XVIII, §. 3, 4; XIX, §. 3, 4; XXI, §. 5, 6. (Siehe auch oben §. 84; §. 99, XI, D; §. 102, IV, c.)

Landes zu beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche Hilfe bei der Bundesregierung, die zu Beschwerde Anlass gegeben hat, zu bewirken.“

III. Die Fassung der Bestimmung über das Einschreiten der Bundesversammlung im Falle einer Justizverweigerung in der Competenzbestimmung vom 12. Juni 1817 und in der Wiener Schlussakte unterscheidet sich sehr wesentlich dadurch, dass nach der ersteren Fassung nur von einer „Verwendung" der Bundesversammlung, in der letzteren Fassung aber von einem „, Bewirken" der gerichtlichen Hilfe die Rede ist. Die Bundesversammlung hat also nach der Wiener Schlussakte das Recht, der Bundesregierung, welche zu Beschwerde gegründeten Anlass gegeben hat, durch einen förmlichen, nach der Regel der Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluss, die Bewirkung der Abhilfe eben so bestimmt aufzugeben und Nachweis über den Vollzug zu begehren, wie in den anderen Fällen, in welchen eine Regierung ihrer bundesmässigen Verpflichtung nicht nachkommen würde 2).

IV. Wo ein Gericht einen Kläger abgewiesen, oder gegen eine Partei entschieden hat, lässt sich nicht behaupten, dass eine Justizverweigerung vorliegt 3). Zu einer „, sachlichen Prüfung" ergangener gerichtlicher Erkenntnisse ist die Bun

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2) Oben §. 151. Ganz diesen Grundsätzen gemäss hat die B.-V. in der Sitzung vom 7. Oktober 1830, Prot. §. 236, auf die Beschwerde des Freiherrn v. Sierstorpff wider den Herzog Karl von Braunschweig wegen Cassirung eines zum Vortheil des ersteren ergangenen landesgerichtlichen Urtheils, beschlossen: 1) Die am 9. Jänner 1. J. auf Befehl Sr. Durchlaucht des Herzogs von Braunschweig vorgenommene Cassation des vom herzoglichen Landesgerichte unter d. 4. desselben Monats abgegebenen und publicirten Erkenntnisses in der Sache des Freiherrn v. S., wegen verletzter Ehrerbietung gegen Se. herzogl. Durchlaucht, wird für wirkungslos erklärt und die herzogliche Regierung wird aufgefordert, die Ausführung dieses Erkenntnisses nicht zu behindern. 2) Wird einhellig erkannt, es verstehe sich von selbst, dass aus Anlass der vorliegenden Beschwerde der Rückkehr des Freih. v. S. und seiner Familie nach Braunschweig und seinem Aufenthalte daselbst von Seiten Sr. Durchlaucht des Herzogs kein Hinderniss weiter in den Weg gelegt werden könne."

3) Eben so äussert sich ein Bericht der Reklamationscommission, Sitzung v. 3. März 1853, Prot. §. 50, S. 206.

desversammlung überhaupt nicht competent1): sie ist es daher selbst dann nicht, wenn sie die Ueberzeugung gewänne, dass die Landesgerichte den Fall unrichtig entschieden hätten, da sie weder Appellhof noch Cassationshof in dem Sinne ist, wie dies die ehemaligen obersten Reichsgerichte waren 5).

V. Desgleichen ist nach dem Wortlaute und Sinne des art. 29 der Wiener Schlussakte die Bundesversammlung nicht competent, eine Beschwerde über Justizverweigerung in Sachen auzunehmen, welche durch die Landesgesetzgebung ausdrücklich der Cognition der Gerichte entzogen sind, wie dies z. B. nach dem k. Hannover'schen Landesverfassungsgesetz vom 6. August 1840 §. 39 bezüglich behaupteter Verletzung wohlerworbener Rechte durch einen Staatsvertrag oder durch die Gesetzgebung der Fall ist 6).

4) Ausdrücklich erklärt dies der über die Beschwerde des Dr. Eduard Freyberg zu Berlin wegen angeblich verweigerter Justiz ergangene B.-B. v. 26. März 1858, 12. Sitzung, Prot. §. 160, in G. v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II. S. 679.

5) In dieser Weise hat sich die B.-V. über die Beschwerde des Grafen v. Hallberg ausgesprochen. (Prot. d. B.-V. 24. März 1824, §. 72. (Siehe oben §. 113, Note 5 u. 8.)

6) Auch Preussen hat bei mehrfachen Gelegenheiten in der Bundesversammlung geltend gemacht, dass nach seiner Rechtsverfassung (Kabinetsordren v. 2. Nov. 1822 u. 4. Dec. 1831) keineswegs allgemein in Ansehung der aus Staatsverträgen abgeleiteten Rechte und Verpflichtungen die richterliche Cognition statthaft sei, sondern nur in Fällen, wo Sinn und Bedeutung der Staatsverträge zweifelhaft sei (vergl. Prot. der B.-V. vom 26. März 1841, §. 99, S. 162; Prot. v. 24. Aug. 1844, §. 262, S. 777, 779): und nach einer k. Verordnung v. 25. Jan. 1823, Ges. Samml. S. 19, haben überdies die Gerichte vor Abfassung eines Erkenntnisses die Aeusserung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten einzuholen „,und sich darnach bei der Entscheidung lediglich zu richten". Noch bestimmter erklärte sich Preussen in einer an das Reichsministerium gerichteten Erklärung v. 19. Febr. 1849, dass die Ausschliessung des Rechtswegs nicht etwa eine lediglich in Bezug auf die westphälischen Ansprüche angeordnete Massregel sei, sondern eine allgemeine gesetzliche Bestimmung, wodurch kein neuer Rechtsstand eingeführt, sondern nur die bestehende Unterscheidung festgehalten werde, vermöge welcher die Verbindlichkeiten, welche nicht von irgend einer fiskalischen Behörde begründet seien, sondern bei welchen das Staatsoberhaupt selbst in seinem Hoheitsrechte, durch Friedensschlüsse sich zu verpflichten oder nicht zu verpflichten, in Betracht komme, eine richterliche Cognition

VI. In der Wiener Schlussakte art. 63 wird den mittelbar gewordenen Fürsten, Grafen und Herren unter gewissen Voraussetzungen wegen verweigerter gesetzlicher und verfassungsmässiger Rechtshilfe ein ganz besonderer Schutz der Bundesversammlung zugesichert, wovon im §. 158 Nr. VI. 2 besonders gehandelt wird.

§. 156 b.

3) Der Bundesbeschluss vom 8. August 1861, XXVIII. Sitzung, Prot. §. 238. die in den deutschen Bundesstaaten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gegenseitig zu gewährende Rechtshilfe betreffend.

Um einem längst allgemein gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen, wurde der in Nürnberg zur Berathung des Handelsgesetzbuches niedergesetzten Commission von der Bundesversammlung der Auftrag ertheilt, einen Gesetzentwurf über die in den deutschen Bundesstaaten in bürgerlichen Rechtsstreitig

überall nicht zulässig sei. Die Bundesversammlung hat demgemäss auch bisher die gegen Preussen auf den Grund des art. 29 der W. S.-A. erhobenen Beschwerden westphälischer Gläubiger wegen Justizverweigerung abgewiesen. Vergl. den Vortrag der Reklamations commission v. 3. März 1853, Protok. §. 50, S. 206. Sehr bemerkenswerth ist dagegen das bayerische Votum, in der Sitzung der B.-V. vom 24. Aug. 1844, Prot. §. 262, S. 795 flg., worin ausgeführt wird, dass derartige Grundsätze nicht nur in keinem anderen deutschen Staate gelten, sondern dass sich auch die B.-V. selbst in Sachen des Grafen v. Kielmann segge gegen die k. dänische Regierung (Prot. 1837, §. 251) in einem förmlichen Beschluss bereits gegen die Richtigkeit des Satzes,,,dass auch die Entscheidung über die aus einem Staatsvertrage abzuleitenden Rechte und Verpflichtungen dem Rechtswege entzogen sein solle," ausgesprochen hat, und dass endlich nach einer neueren k. preuss. Verordnung v. 26. Nov. 1843 (Ges.-Samml. Nr. 33, S. 369) den Gerichten die selbstige Auslegung von Staatsverträgen wieder eingeräumt und dabei nur die Verpflichtung auferlegt worden sei, in Prozessen, bei deren Entscheidung es auf die völkerrechtliche Giltigkeit, die Anwendbarkeit oder die Auslegung von Staatsverträgen ankommt, vom Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten die zum Zweck der rechtlichen Beurtheilung erforderliche Auskunft einzuholen. Auf die exorbitante und singuläre Beschaffenheit der k. preuss. Verordnung v. 25. Jan. 1823 hat schon Heffter, Beitr. 1829, Vorwort, S. XIV, hingewiesen. Vergl. auch J. L. Klüber, die Selbstständigkeit des Richteramtes im Verhältniss zu einer preuss. Verordnung v. 25. Jänner 1823. Frankf. a. M. 1832.

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