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lung zu einer Entscheidung durchaus ausgeschlossen. Es müsste daher als eine von der Bundesversammlung selbst ausgeübte oder versuchte Kabinetsjustiz betrachtet werden, wenn die Bundesversammlung durch einen Machtspruch hemmend in den Gang der Rechtspflege der Landesgerichte oder sonstigen rechtsbegründeten Instanzen eingreifen, oder das in einer daselbst anhängigen Sache zu fällende Urtheil vorschreiben wollte 3).

VI. Da die Wiener Schlussakte art. 29 die Bundesversammlung ausdrücklich verpflichtet, solchen Eingriffen in die Unabhängigkeit der Rechtspflege mit ihrer ganzen Autorität entgegenzutreten, wenn solche in einem Bundesstaate von der Landesregierung versucht werden sollten "), so ist eben hiermit die Unstatthaftigkeit ähnlicher Eingriffe durch die Bundesversammlung selbst nicht nur deutlich anerkannt, sondern auch zugleich als ausser dem Bereiche der Möglichkeit stehend, vorausgesetzt). Bisher ist auch noch kein Fall vorgekommen,

an, W. S.-A. art. 24; hinsichtlich der mittelbar gewordenen Fürsten, Grafen und Herren, B.-A. art. 14. — Ein Beispiel einer Feststellung eines Gerichtsstandes durch einen Staatsvertrag, enthält die Uebereinkunft zwischen Oldenburg und dem Grafen von Bentinck (sog. Berliner Abkommen) vom 8. Juni 1825; bei G. v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II. S. 180 flg.

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5) Vergl. meine Abhandlung über das Verhältniss der Beschlüsse des deut. Bundes zu Sachen der streitigen Gerichtsbarkeit oder gerichtlichen Entscheidungen, im civil. Arch. 1844 Bd. 27. Hft. 3, S. 388 flg. Ueber die Versuche, die Bundesversammlung zu einem solchen Machtspruche in dem rechtshängigen Bentinck'schen Prozesse zu veranlassen, siehe insbesondere: W. A. Boden, die von der ehemal. deut. Bundesversammlung und der ehemal. provisor. Centralgewalt für Deutschland in dem gräflich Bentinck'schen Erbfolgestreit beschlossene und auszuführen versuchte Kabinetsjustiz, aus den Bundesprotokollen dargelegt, Frankf. 1850. Der Bentinck'sche Process und die Oldenburger Zeitung. Beitrag zur Charakteristik der öffentlichen Rechtszustände Deutschlands. Oldenbg. 1854. 6) Siehe oben §. 156 a.

7) Ueber die Befugniss der Gerichte gegenüber von solchen Machtsprüchen, wenn solche gegen alle Voraussicht je ergehen sollten, kann kein Zweifel obwalten. Vergl. ausser meiner in Note 5, angef. Abhandlung: H. A. Zachariä, deut. Staatsr. 2. Aufl. §. 95, Note 12.,,Die Bedeutung einer solchen Erklärung der B.-V. für die gerichtliche Entscheidung des anhängigen Rechtsstreites wird zweifellos nach den anerkannten Grundsätzen über Selbstständigkeit des Richteramtes zu beurtheilen

in welchem die Bundesversammlung in die richterliche Entscheidung eines anhängigen Rechtsstreites direkt eingegriffen hätte, sondern sie hat stets an dem Grundsatze festgehalten, dass die Bedeutung eines Bundesbeschlusses für die richterliche Entscheidung eines einzelnen Falles Sache der Gerichte seis).

sein." Selbst die Vertheidiger der klägerischen Ansprüche im Bentinck'schen Process haben nicht vermocht, dieses direkt zu läugnen, sondern haben nur zu läugnen versucht, dass der von ihnen gewünschte Bundesbeschluss ein Machtspruch oder eine von der Bundesversammlung geübte Kabinetsjustiz sein würde. Vergl. K. Vollgraff, kritische Beleuchtung der Schrift des H. Prof. Zoepfl, über das Verhältniss der Beschlüsse des deutschen Bundes zu Sachen der streitigen Gerichtsbarkeit, Frankf. 1845; K. A. Tabor, die Statusfrage des hohen Adels, mit besonderer Beziehung auf die rechtl. Wirkungen des B.-B. v. 12. Juni 1845 auf den gräfl. Aldenburg-Bentinck'schen Erbfolgestreit. Göttingen, 1845; derselbe: Ueber die vorgebliche Kabinetsjustiz der deutschen Bundesversammlung und provisorischen Centralgewalt in der gräfl. Bentinck'schen Sache. Frankf. 1850. - J. Pözl, die Competenzfrage in dem gräfl. Bentinck'schen Successionsstreite, München, 1853. Siehe aber dagegen: Benfey, Einiges über die Bedeutung des die gräfl. Familie Bentinck betr. Bundesbeschlusses vom 12. Juni 1845, Göttingen 1845. — Eckenberg, Antikritischer Beitrag, betr. des H. Prof. Vollgraff s. b. kritische Beleuchtung der Schrift des H. Prof. Zoepfl über das Verhältniss der Beschlüsse des deut. Bundes u. s. w. Leipzig, 1845. Michaelis, über die gegenwärtige Lage des Bentinck'schen Erbfolgestreites (Votum, Hft. 3), Tübingen, 1845. Welcker, der reichsgräfl. Bentinck'sche Erbfolgestreit, Heidelberg, 1847, und insbesondere meine Antikritik der vom H. Prof. K. Vollgraff herausgegebenen sogen. kritischen Beleuchtung etc., Heidelberg, 1845, und meine Schrift: Ueber hohen Adel und Ebenbürtigkeit, Stuttgart, 1853. Wasserschleben, jurist. Abhandlungen. Giessen, 1856.

8) Siehe oben §. 113 VIII, Note 9, u. §. 151, VI, Note 5 (Bentinck'sche Sache); vergl. §. 113, Note 5 u. 8 (Hallberg'sche Sache). Die Bundesversammlung ist in der Bentinck'schen Sache niemals weiter gegangen, als dass sie durch den B.-B. v. 12. Juni 1845 den hohen Adel der gräflichen Familie Bentinck anerkannt hat. Die Anträge der Bentinck'schen Agnaten, diesem Bundesbeschlusse die Deutung zu geben, als sci damit auch die Successionsunfähigkeit des beklagten Besitzers des Bentinck'schen Familienfideicommisses wegen Geburt aus standesungleicher Ehe ausgesprochen, wurden von der Bundesversammlung jederzeit, auch nach ihrer Wiederherstellung, abschlägig beschieden. Dagegen war es den Agnaten gelungen, von der provisorischen Centralgewalt einen Beschluss vom 8. Novbr. 1849 zu erwirken, worin ohne alle Rücksicht auf die Rechtshängigkeit des Bentinck'schen Erbfolgestreites „die aus der

§. 159.

Von der Bundesausträgalinstanz insbesondere1). a) Uebersicht der bundesgesetzlichen Bestimmungen über das Austrägalgericht.

Die bundesgesetzlichen Normen über das Austrägalgericht sind enthalten

I. in der Bundesakte art. 11;

II. in der Wiener Schlussakte art. 21-24;

Verbindung des Grafen W. G. F. Bentinck mit Sara Margaretha Gerdes entsprossene Descendenz als der Familienrechte des gräfl. Bentinck'schen Hauses untheilhaftig und daher als unfähig zur Erbfolge und Regierung in der Herrschaft Kniphausen" erklärt, und die oldenburgische Regierung aufgefordert wurde, „,in Gemässheit dieses Beschlusses das Geeignete zur Herstellung der rechtmässigen Regierung in der Herrschaft Kniphausen zu veranlassen." Auf das Ansinnen der Bentinck'schen Agnaten, diesen Erlass des damaligen Reichsjustizministeriums (R. v. Mohl)

welchen H. A. Zacharia, deutsch. Staatsr. 2. Aufl., §. 95, Note 12, sehr treffend als einen leichtfertigen" bezeichnet, der,.glücklicherweise keinen Erfolg gehabt hat" zu vollziehen, ist die wiederhergestellte Bundesversammlung nicht eingegangen; die hierüber erstatteten Commissionsberichte haben (mit Recht) derselben die Befugniss vindicirt, die unvollzogen gebliebenen Erlasse der provisorischen Centralgewalt nach den bundesgesetzlichen Bestimmungen über ihre eigene Competenz zu prüfen, und haben diese zu einem solchen Erlasse durchaus nicht für begründet erkannt. Vergl. den Commissionsvortrag vom 20. Septbr. 1851; und insbesondere meine Schrift: Ueber hohen Adel und Ebenbürtigkeit, 1853, §. 34 flg.

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1) Literatur: v. Dalwigk, die Austrägalinstanz, zur Erläuterung des art. 11 der B.-A., Mainz, 1817. R. Mohl, die öffentliche Rechtspflege des deutschen Bundes. Stuttgart, 1822. Heffter, Beiträge 1829, Nr. III, S. 165 flg. v. Dresch, Abhandlungen, 1830, Nr. II, S. 27 flg. G. v. Struve, erster Versuch auf dem Felde des deutschen Bundesrechtes, betr. die verfassungsmässige Erledigung der Streitigkeiten zwischen deuschen Bundesgliedern. Bremen, 1830. Arnold, über richterl. und vollziehende Gewalt des Bundes, 1835. Leonhardi, das Austrägalverfahren des deutschen Bundes, I. Bd. Frankfurt, 1838; II. Bd. 1845. F. v. Lindelof, von dem Rechte der Bundesausträgalgerichte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Fristversäumnisse zu ertheilen, Darmstadt, 1838. Vergl. auch die §. 144, Note 4, angef. Schriften.

III. in der vorläufigen Austrägalordnung vom 16. Juni 1817, Prot. §. 2312);

IV. in folgenden Bundesbeschlüssen: 1) Beschluss der Plenarversammlung vom 3. August 1820, §. 2, das bei Aufstellung der Austrägalinstanzen zu beobachtende Verfahren betreffend 3); 2) Bundesbeschluss vom 19. Juni 1823, Prot. §. 106, über die Fristen); 3) Bundesbeschluss vom 22. Mai 1828, §. 91, die Mittheilungen an die Partheien über den Stand der Sache betreffend 5); 4) Bundesbeschluss vom 7. Oktober 1830, Prot. §. 234, über die Vorladungen und Zustellungen an die Partheien "); 5) Bundesbeschluss vom 28. Februar 1833, Prot. §. 70, über unbedingte Mandate); 6) Bundesbeschluss vom 25. Juni 1835, Prot. §. 230, die Unzulässigkeit von Nichtigkeitsklagen betreffend); 7) Bundesbeschluss vom 23. Juni 1836, Prot. §. 171, über die Unanwendbarkeit von von Stempelpapier und Sporteln"); 8) Bundesbeschluss vom 19. Oktober 1838, Prot. §. 320, über die Errichtung besonderer A u str ägalsenate 10) und 9) Bundesbeschluss vom 15. September 1842, Prot. §. 286, über drei Fragen: a) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Fristversäumnisse, b) die Rechtsfolge der Bezeichnung eines Bundesgliedes als Kläger im Falle des art. 30 der Wiener Schlussakte, namentlich hinsichtlich der Beweislast, und c) die Beweiskraft der Erklärung einer Regierung am Bundestag vor dem Gerichtshof betreffend 11).

2) Abgedruckt in G. v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II, S. 47. Diese vorläufige Austrägalordnung vom 16. Juni 1817 ist nach dem B.-B. vom 3. August 1820, Nr. I. so lange zu beobachten, bis eine anderweite Uebereinkunft stattgefunden haben wird. Vergl. W. S.-A. art. 21.

3) G. v. Meyer, Corp. Jur. Confoed. Germ. 3. Aufl. Thl. II. S. 111. 4) Ebendas. Thl. II. S. 148.

5) Ebendas. Thl. II. S. 198.
6) Ebendas. Thl. II. S. 218.
7) Ebendas. Thl. II. S. 285.
8) Ebendas. Thl. II. S. 324.
9) Ebendas. Thl. II. S. 346.

10) Ebendas. Thl. II. S. 353.
11) Ebendas. Thl. II. S. 408. 409.

§. 159 a.

b) Die Bundesversammlung als Bundesausträgalinstanz und das Austrägalgericht.

I. In der Austrägalordnung vom 16. Juni 1817 ist ausdrücklich erklärt, dass die Bundesversammlung selbst und unmittelbar als Austrägalinstanz des Bundes betrachtet werden soll1). Es hat dies seinen Grund darin, dass es unpassend schien, den souverainen Fürsten und freien Städten Deutschlands einen anderen Gerichtsstand, als vor der ihre Gesammtheit repräsentirenden Versammlung anzuweisen. Es sind daher alle Streitigkeiten der Bundesglieder bei der Bundesversammlung anzubringen und ist von dieser die gütliche Vermittelung zu versuchen 2).

II. Die Processleitung und die richterliche Entscheidung geschieht aber nach misslungenem Vermittelungsversuche nicht durch die Bundesversammlung selbst, sondern durch eine dritte oberste Justizstelle eines Bundesgliedes,,im Namen und anstatt der Bundesversammlung, vermöge derselben Auftrags" 3). Die im einzelnen Falle beauftragte oberste Justizstelle ist und heisst in dieser Beziehung Austrägalgericht1); doch wird dieselbe auch als die „gewählte Austrägalinstanz" bezeichnet 5).

III. Obschon der Bundesversammlung nach Ertheilung dieses Auftrags an einen obersten Gerichtshof eines Bundesgliedes alle weitere Einwirkung auf die Processleitung und die Entscheidung des Streites bundesgrundgesetzlich entzogen ist®), so ist doch ihre Erklärung als Austrä galinstanz des

1) Austragalordnung v. 16. Juni 1817, III., 1: „Ausgegangen von dem art. XI der Bundesakte und dem würdevollen Standpunkte sämmtlicher deutscher Regierungen kann die deutsche Bundesversammlung nur sich selbst und keine auswärtige Behörde unmittelbar als Austrägalinstanz anerkennen.“

2) Siehe unten §. 161.

3) Austrägalordnung vom 16. Juni 1817, III, 3; siehe unten §. 162. 4) W. S.-A. art. 21, 23.

5) So z. B. in der Austrägalordnung vom 16. Juni 1817, III, 3; W. S.-A. art. 22.

6) W. S.-A. art. 22; siehe unten §. 163.

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