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Bundes kein blosses oder leeres Ehrenprädikat, indem . ihr sowohl nach der Natur der Sache, als auch nach ihrer bisherigen Uebung das sehr wesentliche Recht zusteht, die Vorfrage zu entscheiden, ob sich eine bei ihr angebrachte Streitsache überhaupt zum Austrägalverfahren eignet oder nicht').

§. 160.

c) Fälle, in welchen das bundesausträgalgerichtliche Verfahren begründet ist oder nicht.

I. Aus der Verbindung, in welche die Anordnung einer Bundesausträgalinstanz mit dem Zwecke der Erhaltung des Landfriedens in Deutschland in der Bundesakte art. 11 gesetzt worden ist, erhellt, dass alle solche Streitigkeiten der Bundesglieder unter einander, welche zu Akten der völkerrechtlichen Selbsthilfe, Krieg oder anderen Gewaltmassregeln Veranlassung geben können, durch ein Verfahren vor der Bundesausträgalinstanz im friedlichen Wege erledigt werden sollen 1).

II. Streitigkeiten unter Bundesgliedern, wobei diese nicht in der Eigenschaft als souveraine Fürsten oder Staaten, sondern als Privatpersonen in Betracht kommen, d. h. solche Streitigkeiten, welche ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine völkerrechtliche Verwickelung herbeizuführen, gehören daher nach dem Geiste des art. 11 der Bundesakte nicht vor die Austrägalinstanz 2).

7) Siehe hierüber unten §. 160 a.

1) B.-A. art. 11. „Die Bundesglieder machen sich ebenfalls verbindlich, einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bei der Bundesversammlung anzubringen," etc.

Heffter,

2) Klüber, öffentl. R. §. 177.- Brunquell, a. a. O. S. 115. Beitr. S. 182, 188 flg. Maurenbrecher, Staatsr. §. 118, Nr. 1.— Weiss, Staatsr. §. 109, 110. v. Leonhardi, Austrägalverfahren, Bd. I, S. 95, Nr. II, 1 u. S. 95, Nr. 2. Die hier im Texte gemachte Unterscheidung macht auch ebenso das austrägalgerichtliche Erkenntniss des O. H. Gerichtes zu Mannheim, in Sachen Lippe-Detmold gegen Lippe, vom 20. Dec. 1838, (bei v. Leonhardi, Austrägalverfahren, Bd. II. S. 229 fl.).

Es wird daselbst ausgesprochen, dass es nicht auf die Eigenschaft der Forderung oder ihres Gegenstandes ankomme, ob diese nämlich staatsrecht

III. Die Bundesakte hat die einzelnen Fälle, welche unter die eine oder die andere Kategorie fallen, nicht einzeln aufgezählt: eben so wenig ist dies in anderen Bundesgesetzen geschehen. Aus der Beschaffenheit der Fälle, welche bereits von der Bundesversammlung an die Austrägalinstanz verwiesen worden sind, lässt sich jedoch entnehmen: A. Beschwerden, welche ein Bundesglied als Privatbesitzer von Gütern, Renten oder Gerechtsamen in dem Gebiete eines anderen Bundesstaates wegen deren Besteuerung, desgleichen auch wegen Besteuerung seiner daselbst gelegenen Domänen, fiskalischer Güter oder Güter der milden Stiftungen seines Landes, oder Einzelner seiner Unterthanen gegen die andere Staatsregierung erheben zu können glaubt, sind, weil das Bundesglied oder dessen Fiskus hier als Forense erscheint, nur vor den Landesbehörden der belegenen Sache anzubringen und von diesen nach den Landesgesetzen zu entscheiden 3). B. Eine Ausnahme findet statt, wenn sich das beschwerte Bundesglied oder dessen Fiskus auf einen Staatsvertrag als Grund der von ihm angesprochenen Befreiung seiner oder seiner Stiftungen und Unterthanen Güter, die im jenseitigen Gebiete liegen, berufen kann. In diesem Falle ist das Bundesausträgalverfahren statthaft). C. Dasselbe gilt, wenn Bundesglieder über die Zuständigkeit von solchen Hoheitsrechten, welche ein Bundesglied in dem Territorium eines anderen überhaupt nach der Bundesverfassung noch haben kann, wie z. B. vertrags

licher oder privatrechtlicher Natur seien, wie z. B. eine Darlehens- oder andere Kapitalforderung, sondern nur darauf komme es an, ob ein Bundesglied das beanspruchte Recht in seiner Eigenschaft als Souverain oder in der Eigenschaft als Privatmann verfolge, und beziehungsweise verfolgen könne.

3) Ausdrücklich ist dies erklärt in den Entscheidungsgründen des von dem k. preuss. geh. Obertribunal zu Berlin in Austrägalsachen. der fürstl. waldeck'schen Regierung, Klägerin, wider die grossh. hessische Regierung, Beklagte, wegen Besteuerung im hessischen Gebiet gelegener waldeck'scher Domänen und Besitzungen waldeck'scher öffentlichen Anstalten und frommen Stiftungen und Privatpersonen ergangenen Urtheils v. 12. Nov. 1845; in den Prot. der B.-V. v. 19. Febr. 1846, §. 62, S. 107.

4) Siehe das eben angeführte austrägalgerichtliche Urtheil des königl. preuss. geh. Obertribunals zu Berlin, in den Prot. der B.-V. v. 19. Febr. 1846, §. 62, S. 107, 108.

mässige Staatsservituten 5), oder über Erbrechte an Landestheilen und die Souverainetät über dieselben streiten 6) : desgleichen D. wegen Nichterfüllung staatsvertragsmässiger Verbindlichkeiten ), insbesondere E. wegen aller Arten von Staatsschuldforderungen oder Schuldverpflichtungen der Staaten, welche mit den Länderabtretungen zusammenhängen oder sonst auf Staatsverträgen beruhen ), und F. wegen aller Sachen, in welchen die Bundesversammlung die Bundesglieder nach Massgabe des art. 30 der Wiener Schlussakte zum Austrägalverfahren gegen einander anweisst 9). G. Ob auch Streitigkeiten über Interessen der Bundesglieder, oder sog. politische Rechte derselben vor das Austrägalgericht gehören, ist in der Bundesversammlung zwar schon Gegenstand lebhafter Erörterungen gewesen, aber durch keinen Bundesbeschluss über diese Frage entschieden worden; aus allgemeinen Gründen muss aber diese Frage der Theorie nach bejaht werden 10).

5) Wird diese Präjudicial-Frage streitig, so hat darüber die Bundesversammlung zu entscheiden. Siehe §. 160 a.

6) Dieser Art war z. B. der Streit zwischen Schaumburg-Lippe und Lippe, wegen Herausgabe der Aemter Schieder und Blomberg, und wegen der im J. 1709 eröffneten Brackischen Erbschaft; siehe v. Leonhardi, a. a. O. Bd. I, S. 383 flg. Das austrägalgerichtliche Urtheil des bad. O. H. Gerichtes zu Mannheim v. 20. Dec. 1838 (ebendas. Bd. II, S. 224 fl.) hebt besonders (S. 230, 231) hervor, dass der klagende Theil nicht blos das bürgerliche oder Patrimonialeigenthum der Aemter Schieder und Lipperode, wie ein apanagirter Prinz in Anspruch nehme, sondern es sich namentlich um die Frage handle, ,, mit welchen hoheitlichen Rechten, und namentlich, ob mit dem Rechte der Souverainetät diese Aemter an Schaumburg-Lippe übergehen sollen ?“

7) So z. B. die gemeinschaftliche Beschwerde (1832) von Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Nassau, Bremen und Frankfurt gegen Kurhessen, wegen verletzter Vertragsverbindlichkeit, durch Eintritt des Kurfürstenthums in den k. preuss. Mauth- und Zollverband; diese Sache wurde von der B.-V. 1833 (Sitz. VII, Prot. §. 55) an die oberste Justizstelle zu Wien als Austrägalgericht gewiesen. Vergl. v. Leonhardi a. a. O. Bd. I, S. 502 flg.

8) Von dieser Art waren die meisten Streitigkeiten unter Bundesgliedern, welche auf den Grund der B.-A. art. 11 u. W. S.-A. art. 21 zur austrägalgerichtlichen Verhandlung kamen. Vergl. die Uebersicht bei v. Leonhardi, a. a. O. Bd. II, S. XII flg.

9) Siehe oben §. 157.

10) Siehe hierüber oben §. 144, Note 4.

H. In Bezug auf persönliche Beleidigungen unter souverainen Bundesgliedern, welche nach völkerrechtlichen Grundsätzen allerdings Veranlassung zu Kriegen werden könnten, enthält die Bundesgesetzgebung keine Bestimmungen, und zwar wohl aus dem Grunde, dass man deren Vorkommen gar nicht für denkbar hielt. Dass in einem solchen Falle aber eine Verweisung der Sache vor ein oberstes Gericht eines Bundesgliedes als Bundesausträgalgericht nicht geeignet sein könnte, erhellt schon daraus, dass es diesem Gerichte an allen Normen für die Entscheidung fehlen würde. Hier würde es jedoch die Aufgabe der Bundesversammlung sein, unter allen Umständen den Landfrieden aufrecht zu erhalten, und die Sache als eine politische Angelegenheit zu vermitteln, beziehungsweise den Beleidiger zu einer entsprechenden Genugthuung nach völkerrechtlichen Grundsätzen anzuhalten 11).

IV. Unstreitig und in zahlreichen Beschlüssen der Bundesversammlung ausgesprochen, ist, dass ist, dass nur Streitigkeiten unter Bundesgliedern von der Bundesversammlung zum austragalgerichtlichen Verfahren verwiesen werden können, also keinerlei Art von Streitigkeiten von Bundesgliedern mit ihren Familiengliedern, Landständen oder anderen Privatpersonen 12). Wohl aber kann in derartigen Sachen die Competenz der Bundesversammlung zur Selbstentscheidung in anderer Weise begründet sein 13).

11) Der Fall, dass ein deutscher Souverain bei der Bundesversammlung förmlichen Antrag gestellt hat, ihm Genugthuung wegen persönlicher Beleidigung durch einen anderen deutschen Souverain zu verschaffen, ist bereits einmal bei Gelegenheit der Streitigkeiten zwischen Hannover und Braunschweig vorgekommen. Vergl. den hannoverschen Vortrag in der Sitzung der B.-V. v. 9. April 1829, Prot. §. 67, S. 138. Der König von Hannover, damals zugleich König von England, verlangte von der Bundesversammlung, die Verschaffung einer „, vollen und schnelleu Genugthuung" von Seiten des Herzogs Karl von Braunschweig, auf den Grund der art. 18, 19, 36 u. 37 der W. S.-A. Dabei wurde von Seiten Hannovers die Unzulässigkeit eines Austrägalverfahrens ausgeführt; ebendas. S. 149. Die Zulässigkeit des Austrägalverfahrens auch in solchen Fällen, behauptet dagegen G. v. Struve, erster Versuch, S. 4 fl. 12) Siehe oben §. 157, Note 2.

13) So z. B. wenn Familienglieder, Landstände oder andere Privatpersonen wegen Justizverweigerung (§. 156) oder wegen Verweigerung bundesgrundgesetzlich gewährleisteter Rechte, oder wegen einseitiger Aufhebung

V. Ueberhaupt findet aber auch bei Streitigkeiten unter Bundesgliedern die Anordnung eines bundesausträgalgerichtlichen Verfahrens in soweit nicht statt, als sich die Bundesversammlung nach den bundesrechtlichen Grundsätzen über ihre Competenz für befugt erachten muss, eine Streitigkeit ohne Verweisung an ein Austrägalgericht selbst in den gewöhnlichen Formen eines Bundesbeschlusses zu entscheiden 14).

§. 160 a.

d) Das Entscheidungsrecht der Bundesversammlung über die Qualifikation eines Falles zur austrägalgerichtlichen Entscheidung.

I. Wenn im einzelnen Fall Zweifel darüber erhoben werden, ob eine Sache sich zum bundesausträgalgerichtlichen Verfahren eignet oder nicht, so entscheidet hierüber die Bundesversammlung selbst in der gewöhnlichen Form ihrer Beschlussfassung.

II. Es ergibt sich dies als selbstverständlich daraus, dass die Bundesversammlung selbst und unmittelbar die Austrägalinstanz ist1), jede Instanz aber über ihre Competenz selbst entscheidet, sowie auch keine andere Autorität vorhanden ist, welche diese präjudicielle Vorfrage zu entscheiden befugt wäre, und überdies die dritte oberste Justizstelle eines Bundesgerichtes überhaupt nur dann und in soweit als Austrägalgericht handeln kann, als sie von der Bundesversammlung hierzu im einzelnen Falle ernannt und beauftragt worden ist 2).

III. Die Competenz der Bundesversammlung zur Selbstentscheidung dieser Vorfrage kann aber um so weniger mit Grund bezweifelt werden, als schon nach der Wortfassung des art. 11 der Bundesakte nur solche Streitigkeiten unter Bundes

in anerkannter Wirksamkeit bestehender Verfassungen (§. 147, 148) Beschwerden erheben.

14) Siehe §. 160a. I.

1) Siehe §. 159 a.

2) Siehe den Vortrag von Hannover in der Sitzung der B.-V. vom 9. April 1829, Prot. §. 67, S. 149.

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