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einen solchen sogar (zeitweilig) begründen muss, weil Land und Volk während der Zeit, wo es der legitimen Dynastie unmöglich war, zu regieren, doch nicht ohne Regierung bleiben konnten, und daher eben so berechtigt, wie genöthigt waren, die unter allen Umständen unentbehrliche Staatspersönlichkeit (§. 57.) in der nach den Umständen allein möglichen Weise, d. h. durch Anerkennung der Zwischenherrschaft, aufrecht zu erhalten 2).

III. Die Umstände, welche.in solchem Falle die legitime Dynastie an der Regierung hinderten, sind daher ebenso als eine vis major, oder als ein casus aufzufassen, als es die restaurirte Dynastie als einen Glücksfall zu betrachten hat, dass sie durch neuere Ereignisse ihr Herrscherrecht wieder aufleben sieht. Wenn daher auch die vertriebene Dynastie den Rechtsgrund ihrer Restauration in ihrem alten Rechtstitel finden darf und muss, und um dies auszudrücken, ihre Regierungsjahre so fortzuzählen pflegt, als wenn eine Unterbrechung (Suspension) ihrer Regierung nie stattgefunden hätte, so ist doch ihre Herrschaft dem Volke und den Grossmächten und anderen europäischen Staaten gegenüber, der Sache nach doch nur von jetzt an (ex nunc) wieder hergestellt, d. h. sie ist eben so wenig befugt, dem Lande oder Volke, welches sie in dem legitimen Zustande zu erhalten und zu schützen bisher keine Macht gehabt hatte, einen Vorwurf daraus zu machen, dass es dem Usurpator gehorcht hat3), als sie befugt ist, den Grossmächten oder anderen Staaten einen Vorwurf daraus zu machen, dass sie den Zwischenherrscher als regierenden Souverain anerkannt hatten und mit demselben in diplomatischen Verkehr getreten waren.

2) Für die Staatspersönlichkeit ist es ganz gleichgiltig, wer der Staatsherrscher ist, ob er legitim ist oder nicht; sie besteht so lange als überhaupt irgend ein Herrscher vorhanden ist; darum besteht sie auch, wie oben §. 57 gezeigt wurde, sowohl neben der Fürsten- als Volkssouverainetät.

3) Hiermit ist keineswegs gesagt, dass die restaurirte legitime Regierung nicht das Recht hätte, diejenigen Individuen, welche bei ihrer Vertreibung oder dem Umsturze der Verfassung als Urheber oder handelnde Theilnehmer in verbrecherischer Weise thätig waren, zur Verantwortung und Strafe zu ziehen. Doch pflegt häufig in solchen Fällen eine mehr oder minder ausgedehnte Amnestie ertheilt zu werden.

IV. Es kann daher die restaurirte Dynastie nur das als ein Unrecht betrachten, dass sich der Usurpator im Widerspruche mit ihrem Rechtstitel in den Kronbesitz gesetzt hat, nicht aber das, dass er hiernach regiert, d. h. dass er das gethan hat, was nach den Zeitverhältnissen ihr selbst zu thun unmöglich war, aber doch nichts desto weniger geschehen musste, wenn nicht volle Anarchie eintreten sollte, auf deren Eintritt, d. h. auf den gänzlichen Zerfall des Staates oder den Untergang der Staatspersönlichkeit (§. 57.) keine gestürzte Dynastie ein Recht haben kann.

V. Hieraus ergibt sich nun ein wesentlicher Unterschied der Stellung der restaurirten Dynastie zu den verschiedenen von der Zwischenherrschaft getroffenen Einrichtungen und vorgenommenen Regierungshandlungen, je nachdem dieselben mit ihrem nie erloschenen Rechtstitel (ihrem besonderen Rechte) zur Herrschaft im Widerspruche stehen, oder nur in Folge der nun einmal thatsächlich eingetretenen und durch keine Macht, selbst durch keine Fiktion mehr ungeschehen zu machenden Suspension der Regierung der legitimen Dynastie, also in Folge der für das Land und Volk fortdauernden Nothwendigkeit einer Regierung überhaupt, getroffen und vorgenommen worden sind 4).

VI. In der ersteren Beziehung ist die restaurirte Dynastie befugt, alles, was ihrem rechtlich nie erloschenen Rechtstitel widerspricht, sofort als rechtswidrig zu erklären und dasselbe zu beseitigen; sie muss dies sogar thun, um ihrem eigenen Rechtstitel fortan wieder die gebührende praktische Geltung zu verschaffen. Aus diesem Grunde ist daher die restaurirte Dynastie nicht verbunden, die von dem Usurpator eingeführte Verfassung anzuerkennen: diese tritt vielmehr ipso jure mit der Restauration ausser Wirksamkeit; dagegen lebt ebenso ipso jure die frühere Verfassung wieder auf, weil diese den Rechtstitel für den Wiedereintritt in die Herrschaft für die restaurirte Dynastie selbst enthält.

VII. In zweiter Beziehung hören dagegen die von dem Zwischenherrscher getroffenen Einrichtungen (Organisationen) keineswegs von selbst zu bestehen auf, und eben so wenig

4) Siehe oben §. 207, IV. V.

verlieren die von ihm erlassenen Gesetze und Verordnungen und seine anderen Regierungshandlungen von selbst ihre Giltigkeit: sie gelten vielmehr ununterbrochen fort, selbst ohne ausdrückliche Bestätigung von Seiten des restaurirten Souverains, so lange sie von demselben nicht ausdrücklich aufgehoben und ausser Kraft gesetzt, oder durch neue Gesetze und Verordnungen (die auf Grundlage der früheren, oder einer von dem restaurirten Fürsten etwa neu errichteten Verfassung gegeben oder erlassen werden) ersetzt worden sind 5).

VIII. Der restaurirte Souverain befindet sich daher den Gesetzen und allgemeinen Verordnungen des Zwischenherrschers gegenüber aus den oben angegebenen Gründen praktisch in einer ähnlichen rechtlichen Stellung, wie gegenüber von den Gesetzen und allgemeinen Verordnungen eines legitimen Regierungsvorgängers. Daraus folgt aber nicht, dass man seinen Wiedereintritt in die Regierung als eine Staatssuccession zu bezeichnen und aufzufassen nothwendig hätte auch würde diese an sich hier unpassende Bezeichnung zu neuen Verwirrungen und Streitigkeiten führen, weil über das Wesen und die Wirkungen der sog. Staatssuccession selbst wieder mancherlei Meinungsverschiedenheit besteht ").

5) Die Nichtanerkennung dieses Grundsatzes würde die grenzenloseste Verwirrung in die restaurirte Regierung bringen, besonders dann, wenn die Zwischenherrschaft sich längere Zeit behauptet und wirklich kräftig und tüchtig regiert und durchgreifend neu und zeitgemäss organisirt hat. Am deutlichsten zeigte sich dieser Grundsatz praktisch in Frankreich nach der Restauration der Bourbonen gegen Napoleon I.

6) H. A. Zachariae, in der Tübing. Zeitschr. Bd. IX. S. 98 u. f. fasst den Wiedereintritt des legitimen Souverains als eine wirkliche Rechtsnachfolge oder Staatssuccession, nicht blos als ein derselben in einiger Wirkung analoges, aber auf einer ganz anderen rechtlichen Grundlage beruhendes Verhältniss auf. Indem er sodann glaubt, zwischen Fällen unterscheiden zu können, wo von dieser „Rechtsnachfolge in dieselbe Staatsgewalt" nach Beseitigung der Zwischenherrschaft überhaupt die Rede sein könne oder nicht, gelangt er hinsichtlich der westphälischen Staatsschulden zu ganz unrichtigen Folgerungen. Vergl. unten §. 210. Note 3. In Bezug auf das Königreich Westphalen hat E. Wippermann, in der Schrift: Steht die Grafschaft Waldeck unter hessischer Lehensherrlichkeit? Halle 1847. S. 93 flg. noch insbesondere die Ansicht aufgestellt, dass die Staaten, aus welchen dieses Königreich

§. 210.

2) Verbindlichkeit des restaurirten Fürsten aus den Regierungshandlungen des Zwischenherrschers im Einzelnen.

I. So viel die Verbindlichkeit oder Unverbindlichkeit der Regierungshandlungen des Zwischenherrschers im Einzelnen, abgesehen von dessen Gesetzen und allgemeinen Verordnungen, anbetrifft, so darf unbedenklich als Grundsatz ausgesprochen werden, dass der restaurirte Souverain jedenfalls jene Regierungshandlungen des Zwischenherrschers als giltig und verbindlich anerkennen muss, welche auch ein blos in der Ausübung seiner Regierung durch eine provisorische Regierung zeitweise gestörter Souverain anerkennen müsste. Der restaurirte Souverain muss daher als giltig geschehen anerkennen: 1) alle von den Unterthanen während der Zwischenherrschaft geleisteten Steuerzahlungen, so dass dieselben zu keiner abermaligen Zahlung derselben Steuern angehalten werden können; 2) die Einhebung der Aktivkapitalien des Staates, so weit die Schuldner durch rechtskräftige Urtheile der Gerichte oder Zwangsmassregeln zur Zahlung angehalten worden sind; und 3) die von dem Usurpator aufgelegten Zwangsanleihen und Zwangslieferungen, so dass die Staatskasse für deren Rückzahlung oder Ersatz einzustehen, beziehungsweise die Regierung, deren Repartition auf alle Gemeinden oder Steuerpflichtigen zu veranlassen hat 1).

gebildet worden, sowohl faktisch als rechtlich untergegangen wären, so dass das Königreich Westphalen (1806) als ein völlig neuer Staat entstanden wäre; ebenso wäre sodann im J. 1813 das Königreich Westphalen gänzlich untergegangen und das Königreich Hannover, sowie das Kurfürstenthum Hessen und das Herzogthum Braunschweig, als neuer Staat, d. h. weder als Fortsetzung des Königreichs Westphalen noch der früher (vor 1806) bestandenen Staaten Hannover, Kurhessen und Braunschweig, entstanden, wonach also die restaurirten Regierungen in keiner Weise befugt wären, gegen irgend eine Handlung der untergegangenen k. westphälischen Regierung zu reclamiren. Diese Ansicht steht in offenbarem Widerspruch mit dem Begriffe einer Restauration, und fallen daher auch alle hieraus gezogenen Consequenzen als unstatthaft von selbst hinweg.

4) Siehe §. 208, IV. V. XI.

II. Es muss aber der gegen einen eigentlichen Zwischenherrscher restaurirte Souverain noch ausserdem vieles als giltig geschehen anerkennen, was, wenn es von einer blos provisorischen Regierung geschehen wäre, nicht für rechtsbeständig zu achten wäre: nämlich

1) die mit auswärtigen Kronen geschlossenen Staatsverträge, so weit sie nicht auf den Ausschluss der restaurirten Dynastie vom Throne abzielen, sondern allgemeine Landesinteressen, wie Handels- und Schifffahrtsverträge u. dergl. zum Gegenstande haben 2). Sind durch solche Staatsverträge von dem Zwischenherrn einzelne Kronrechte in dem Territorium anderer Fürsten, z. B. eine Lehensherrlichkeit über deren Gebiete aufgegeben, oder Landestheile abgetreten worden 3), so bleiben die hierdurch begründeten Rechtszustände auch nach der Restauration bestehen, bis es dem restaurirten Souverain gelingt, durch neue Staatsverträge diese Rechte oder Gebietstheile zurückzuerwerben. Denn wenn der restaurirte Souverain sich auch darauf berufen kann, dass die Verträge des Zwischenherrschers für ihn unverbindlich und die fraglichen Rechte somit für ihn nicht erloschen sind 4), so bleiben sie doch vorerst unwirksam, weil die anderen Kronen nach völkerrechtlichen Grundsätzen berechtigt waren, mit dem Zwischenherrscher solche Staatsverträge zu schliessen und als Rechtstitel zu betrachten, und weil die Restauration von dem zurückkehrenden Fürsten jedenfalls nur innerhalb seines Staatsgebietes, d. h. nur so weit, als seine gesetzgebende und verordnende Gewalt reicht, einseitig mit praktischer Wirkung durchgeführt werden kann. Diese Unwirksamkeit der gedachten Rechte des restaurirten Fürsten ist nach völkerrechtlichen Grundsätzen um so weniger da zu bezweifeln, wo den neuen Erwerbern deren Erwerb durch fortbestehende Staatsverträge mit den europäischen Grossmächten gewährleistet worden ist. Selbstverständlich sind die früher bestandenen Rechts

2) Wheaton, éléments du droit international 1848, I, p. 41.
3) Siehe unten §. 259.

4) Diesen Einwand erhebt: L. Alsberg, Beitrag zur Beantwortung der Frage, ob die Grafschaft Waldeck unter Hessischer Lehenshoheit stehe? Cassel 1848. S. 32. 33.

Zöpfl, Staatsrecht. 5. Aufl. I.

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