staates zu fesseln und hierdurch eine haltbare politische Nationalität (§. 13) zu begrtinden, der erste Schritt zum Verfalle eines Staates, wenn gleichwohl diese Katastrophe durch die Staatskunst Jahrhunderte lang hinausgeschoben werden kann. IV. Eben so kann eine übermässige Vermehrung der Bevölkerung einem Staate Verlegenheiten bereiten: allein hier bietet die Auswanderung eine natürliche Abhilfe. V. Auch die Staaten haben ihr Alter, und durchlaufen ähnliche Entwickelungsstufen, wie die Individuen. Noch kein europäischer Staat hat sich über tausend Jahre ohne Umwälzung erhalten. Wo aber und soweit eine ungemischte und scharf ausgeprägte Nationalität besteht, da ist in derselben ein unzerstörlicher Keim vorhanden, aus welchem das Staatsleben sich von Zeit zu Zeit regeneriren und mit verjüngter Kraft zu einer neuen Entwickelungsperiode übergehen kann 3). Dritter Abschnitt. Von dem Rechtsgrunde und der Entstehung des Staates. §. 34. Von dem Verhältnisse der Untersuchungen über den Rechtsgrund und die Entstehung des Staates zu einander überhaupt1). I. Da der Staat als souveraines Gemeinwesen sich als herrschend über das Individuum stellt (§. 6), so ist hiermit 5) In eine solche neue Periode ist Deutschland im Jahre 1815 durch die Stiftung des deutschen Bundes getreten. 1) Uebersichten der verschiedenen Theorien gewähren besonders die oben, S. 37-40, angeführten Schriften von Haller (Restauration der Staatswiss.), v. Raumer u. Weitzel; auch K. S. Zachariä, 40 Bücher, I, S. 61 u. f. Schmitthenner, 12 Bücher v. Staate, I. Bd., S. 10 u. f. Hüllmann, Urgeschichte d. Staates, 1817. Maurenbrecher, Grunds. §. 31 u. f. H. A. Zachariä, deutsch. Staats- und Bundesrecht, 2. Aufl. 1853. Bd. I, §. 14 u. folg. Bluntschli, allg. Staatsrecht, 2. Aufl. 1857. J. Held, Syst. d. Verf.-Rechts (1856), Bd. I, S. 288 flg. Bd. I, S. 201 flg. - ein Gegensatz zwischen dem Staate und der individuellen Freiheit gegeben, welcher nicht verfehlen konnte, eine Reihe von Untersuchungen über den Rechtsgrund, d. h. den Rechtfertigungsgrund dieser Herrschaft des Staates und der Unterordnung des Individuums hervorzurufen. II. Hierbei ging man aber häufig von der (unrichtigen) Unterstellung aus, dass jeder sociale Zustand, dessen Bestehen als eine Quelle von Rechtsverhältnissen anerkannt werden soll, nothwendig auch rechtlich entstanden sein müsse 2). Man nahm daher häufig die Frage nach dem Rechtsgrunde des Staates und die Frage nach seiner Entstehung für gleichbedeutend und forschte demgemäss nach einer allgemeinen rechtlichen Entstehungsweise des Staates. Dabei unterschied man zwar regelmässig die Frage nach der Entstehung der einzelnen Staaten als eine historische Frage, stellte es aber dagegen als ein Problem der philosophischen Spekulation auf, zu ergründen, wie der Staat überhaupt als rechtlich entstanden gedacht werden müsse? III. Diese Frage ist aber an sich unklar und fehlerhaft, da vernünftigerweise kein Ding anders entstanden gedacht werden kann, als es wirklich entstanden ist. Der Staat in der Idee aber entsteht gar nicht, sondern er ist mit dem Gedanken selbst vorhanden, weil er selbst nur ein Gedachtes ist. Die Frage nach der Entstehung des Staates ist daher in aller Hinsicht nur eine geschichtliche. IV. Die Frage aber, welche die philosophische Spekulation zu beantworten hat, kann nur folgende sein: wodurch ist das Dasein des Staates und seine Herrschaft über das Individuum an sich gerechtfertigt?" Hierbei ist nun allerdings möglich, ja sogar regelmässig der Fall, dass der philosophische Rechtsgrund bei einem Volke lange Zeit hindurch nicht zu einem klaren Bewusstsein gelangt und zuerst nur ein instinktartiger Trieb zu den Anfängen eines geordneten socialen Zustandes hinführt. Allein diese Thatsache schneidet keines *) Die Unrichtigkeit einer solchen Unterstellung lässt sich auch in privatrechtlichen Verhältnissen nachweisen. So z. B. kann die Erzeugung eines unehelichen Kindes an sich als widerrechtlich betrachtet werden; einmal geboren, ist es aber dennoch ein Rechtssubjekt. wegs die Untersuchung über den Rechtsgrund des Staates ab, wenn das Bewusstsein erwacht und der Geist beginnt, dem Wesen der Erscheinungen nachzuforschen. §. 35. Eintheilung der Theorien über den Rechtsgrund und die Entstehung des Staates. I. Die verschiedenen Theorien über die Entstehung und den Rechtsgrund des Staates lassen sich am zweckmässigsten in zwei Klassen, historische und rationale Theorien, eintheilen, je nachdem nämlich der Staat entweder durch Bezugnahme auf eine historische Thatsache, oder lediglich durch Bezugnahme auf seine vernünftige Idee gerechtfertigt werden will. II. Mitunter hat man auch als solche Hauptklassen Vertragstheorien und Nothwendigkeitstheorien unterschieden 1). Allein bei dieser Eintheilung sind die Gegensätze der einzelnen Theorien nicht scharf genug hervorgehoben. Einerseits ist es nämlich unpassend, Theorien, welche den aus einer oder der anderen Art von Naturnothwendigkeit hervorgehen lassen und durch die Verweisung hierauf sein Dasein gerechtfertigt erklären, mit jenen Theorien in eine Klasse zusammenzustellen, welche den Staat auf Vernunftnothwendigkeit, und also auf sittliche Freiheit gründen: anderseits will aber auch die Vertragstheorie als Unterart dieser letzteren Theorie gelten, und muss also auch von diesem Standpunkte aus geprüft werden. III. Noch Andere unterscheiden Willkühr-Staaten (auch sog. Gewalt- oder Natur-Staaten), Glaubens-Staaten und Rechts-Staaten, je nachdem nämlich das gewillkührte, das geoffenbarte oder das mit sittlicher Freiheit erkannte Recht darin vorwaltet, d. h. je nachdem Willkühr und Macht (das Recht des Stärkeren und patriarchalische Verhältnisse), oder Offenbarung, oder sittliche Freiheit den Rechtsgrund der Herrschaft des Staates über das Individuum bilden, und somit der Rechtsbegriff als auf Naturgesetz, Glauben oder Vernunft 1) H. A. Zachariä, deutsch. Staatsr., I, §. 16. beruhend anerkannt wird 2). Diese Eintheilung stimmt im Wesentlichen mit der Unterscheidung historischer und rationaler Theorien überein, da der Glaubens - Staat, je nach der Auffassung des religiösen Principes der einen oder der andern dieser Klassen beizuzählen ist3), und daher gleichsam den Uebergang von der ersteren zu der letzteren vermittelt. IV. Ueberhaupt lässt sich unter den Theorien über die Entstehung und den Rechtsgrund des Staates ein innerer Zusammenhang erkennen und darf auch unbedenklich einer jeden derselben in einer oder der anderen Beziehung mit gehöriger Beschränkung eine gewisse, wenn auch nur theilweise, Richtigkeit zugestanden werden 1). Die Abweichungen der einzelnen Theorien unter einander erklären sich nämlich als nothwendige Folge der Verschiedenheit des (meistens mehr oder minder einseitigen) Standpunktes, von welchem man bei der Eröffnung der Untersuchungen ausging, so dass die Mannigfaltigkeit der Theorien im Wesentlichen nur die verschiedenen möglichen Entwickelungsstufen des Bewusstseins der einen und universellen Staatsidee bezeichnet. Erste Unterabtheilung. A) Von den historischen Theorien. 1) Naturgeschichtliche (Natur- oder Geschichts- I. Da der Staat als geschichtliche Thatsache überall gefunden wird, wo eine Völkerschaft zu einer gewissen Stufe der Entwickelung gelangt ist, so drängt sich die Auffassung seiner Entstehung als einer natürlichen oder historischen Nothwendig 2) Z. B. P. A. Pfizer, Gedanken über Recht, Staat und Kirche, I., S. 151, II., S. 8 u. f. Aehnlich unterschied Maurenbrecher, Staatsr. §. 32, geschichtliche, religiöse und nationale Begründungen. Als Unterarten der Naturstaaten pflegt man Heerstaaten, Patriarchalstaaten and Patrimonialstaaten aufzuzählen. 3) Vergl. unten §. 40. 4) Sicher würde die Wissenschaft weiter gefördert werden, wenn man sich mehr bemühte, in den Ansichten Anderer das wirklich Gute und Richtige anzuerkennen, als blos die Mängel derselben hervorzuheben. keit von selbst auf1). Uebrigens besteht hierbei selbst wieder eine mehrfache Meinungsverschiedenheit, indem Einige den Staat nur als ein instinktartiges Produkt eines sinnlichen Triebes, Andere als das Produkt einer psychologischen Nothwendigkeit oder beider zugleich auffassen 2). II. Unverkennbar hat diese Theorie, selbst sogar bei solcher einseitigen Entwickelung, eine Seite vom Wesen des Staates ganz richtig erfasst. Nie wird geleugnet werden können, dass nicht bei der Bildung der Staaten das gegen. seitige Bedürfniss und die menschlichen Triebe, insbesondere der Socialitätstrieb, als wesentlich wirkende Momente in Anschlag zu bringen wären, und dass nicht Staaten, welche aus einem überlegten, freien und selbstbewussten Willensakte der Staatsgenossen hervorgegangen sind, zu den seltensten Erscheinungen in der Geschichte gehörten. Es muss daher dieser Theorie das Verdienst zuerkannt werden, auf das natürliche und psychologische Element, welches bei jeder Staatenbildung mehr oder minder mitwirkt, vorzugsweise aufmerksam gemacht zu haben. Der Staat ist sonach mit Nothwendigkeit vorhanden, so wie seine Elemente oder Factoren (§. 15) vorhanden sind: er ist also mit dem Dasein einer sesshaften Völkerschaft von selbst gesetzt. Hiermit ist die Frage nach dem Rechtsgrunde des Staates völlig abgethan und durchgeschnitten: der Staat bedarf hiernach gar keiner weiteren Rechtfertigung, sondern der Rechtsgrund seines Daseins liegt in diesem Dasein selbst als einer nothwendigen Thatsache 3). 1) Diese Theorie findet sich schon bei Aristoteles (siehe oben §. 31, Note) und überhaupt bei den griechischen Philosophen: eben so bei Cicero, de rep., I., 25. prima causa coeundi non est tam imbecillitas, quam naturalis quaedam hominum quasi congregatio: non est enim singulare aut solivagum genus hoc." 2) Hiernach wird bald der Socialitätstrieb (Hugo Grotius), die Sympathie, die Hilfsbedürftigkeit, die gegenseitige Unentbehrlichkeit, das ewige Bedürfniss (Hume, Ancillon), oder die Furcht und die Beseitigung des sonst in Folge des Selbsterhaltungstriebes und des Egoismus eintretenden Nothstandes (Hobbes) als Grund der Entstehung des Staates angegeben. 66 3) Wie das Individuum, sagt hiernach der Staat von sich selbst: „, Sum quia sum. Was keiner Rechtfertigung bedarf, weil es seinen Rechtsgrund in sich selbst trägt, ist eben darum absolut gerechtfertigt. |