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steht, aus Rücksicht auf das Sakrament aufrecht 8), tritt jedoch dem weltlichen Rechte nicht entgegen, sofern dieses auf die Kinder aus solchen Ehen die Unfreiheit des einen Elterntheils vererben lässt. Nur darin machte das canonische Recht eine wesentliche Aenderung, dass es, was bis dahin die Volksrechte, so wie auch das römische Recht, nicht anerkennen wollten, auch unter Unfreien unter einander eine wirkliche Ehe annahm) und daher den Herren derselben das willkührliche Trennen der Ehen der Unfreien untersagte 10). Es ist daher ganz falsch, wenn man behauptet, das canonische Recht habe zuerst die altdeutsche Lehre von den Missheirathen unter verschiedenen Klassen der Freien zu erschüttern versucht, denn es gab noch keine derartige germanische Missheirathslehre, als die Kirche auf die deutschen Völker einzuwirken anfing 11).

IV. Im XII. Jahrhundert überwog sogar nach dem Zeugnisse der Rechtsbücher und Urkunden aus dem XIII. und XIV. Jahrhundert die Ansicht, dass das Ehekind stets frei geboren sei, wenn auch nur der eine Elterntheil frei war; insbesondere galt dies, wenn die Mutter eine freie Frau war, so dass mindestens der Grundsatz: „partus sequitur ventrem“ zu Gunsten der Freiheit als massgebend betrachtet wurde 12). Es entwickelte sich sogar hieraus eine an vielen Orten bis in das XVIII. Jahrhundert (partikularrechtlich) praktisch gebliebene Lehre von Nachtheilen der freien Geburt für das mit einer freien Frau ehelich erzeugte Kind eines hörigen, eigenen

filii ex libero et ancilla (d. h. aus einer Ehe eines Freien mit einer Unfreien) servilis conditionis sunt. Semper enim, qui nascitur, deteriorem (parentis) statum sumit... Isti vero, qui non sunt de legitimo matrimonio, matrem potius quam patrem sequuntur" (d. h. sie können sogar frei sein, wenn ihre uneheliche Mutter eine Freigeborene ist).

8) Causa 29, Qu. 2. can. 2, 3.

9) Dies ist die Bedeutung von

c. 3 (siehe oben Note 6).

coaequales" in Causa 32, Qu. 2.

10) Siehe die Beweisstellen in meiner deut. R.-Gesch. 3. Aufl. (1858)

Thl. II, §. 26. Note 23.

44) Meine Schrift: Ueber Missheirathen, §. 4.

12) Vergl. Sachsens p. Landr. III. §. 72; Sächs. Weichbild (v. Daniels) art. 6. Vergl. die Nachweisungen und Erörterungen in meinen Alterthümern des deut. Reichs u. Rechts, Bd. II (1860), S. 230. 236 flg.

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oder Dienstmannes, gleichsam eine umgekehrte Missheirathslehre, indem man ein solches Kind nicht zur Erbfolge in das väterliche Zins- oder Dienstgut zuliess, wenn es sich nicht in die Hörigkeit, Leibeigenschaft oder Dienstbarkeit ergeben wollte 13). Daneben kam aber allmählig die Ansicht auf, dass die Söhne dem Stande des Vaters, die Töchter dem Stande der Mutter folgten, und endlich gewann im Ausgange des XII. Jahrhunderts wieder die ältere, schon in der karolingischen Zeit bemerkte Ansicht die Oberhand, dass das Kind unter allen Umständen dem Stande des dienstpflichtigen oder unfreien Elterntheils, gleichviel ob Vater oder Mutter, folgen müsse 14). Diese letztgedachte Umbildung des Rechtes, auf welche allein die Parömie geht: „,das Kind folgt der ärgeren Hand" 15), wurde übrigens noch im XIV. Jahrhundert mitunter als eine grosse Härte und durch Willkühr des Herrenstandes dem Volke in der hohenstaufischen Zeit aufgedrungene Neuerung betrachtet 16).

V. Im Uebrigen hält noch im dreizehnten Jahrhundert der Sachsenspiegel genau und streng an der wahren altdeutschen Theorie fest, dass das von vollfreien Eltern erzeugte Kind unbedingt seines Vaters landrechtlichen Geburtsstand (Recht) und dessen lehenrechtlichen Rang (Schild) als fahnlehnfähig oder ritterlehnfähig hat, je nachdem nämlich der Vater zu dem reichsständischen Herrenstande, d. h. zu den damals allein sog. Edlen (Adel), oder zu den ritterlehnfähigen, schöffenbarfreien Geschlechtern gehörte 17). Daher sagt

13) Vergl. meine Alterthümer, Bd. II (1860), Abhandl. VII. „Die umgekehrte Missheirath", S. 228-258.

14) Ebendas. S. 236 flg.

45) Schwabens p. Landr. (v. Lassberg) c. 67; Sächs. Weichbild (v. Daniels) art. 6. §. 3. Auf Ehen unter den verschiedenen Klassen der Vollfreien wird diese Parömie nie in den Quellen bezogen. Nicht entgegen steht die sententia Rudolphi I. a. 1282, bei Pertz, Legg. II, 439; siehe die Nachweisung, dass unter den hier genannten,,rustici, vel rusticae, qui liberi dicuntur", nur Censuales, Latenleute u. dergl. zu verstehen sind, meine Alterthümer, Bd. II (1860), S. 143 flg. 168 flg. 239.

16) Sächs. Weichbild (v. Daniels) art. 6. §. 3. Alterthümer, Bd. II (1860), S. 237 flg.

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Vergl. meine

17) Sachsensp. Ldr. (Homeyer) I, 16. §. 2. Svart kind is vri unde echt, dar behalt it sines vaters recht." Ebendas. III. 72. „Dat

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der Sachsenspiegel sogar ausdrücklich, dass ein Kind einer freien Mutter besser geboren sein könne als diese selbst, was nur möglich ist, wenn die Mutter einfach geburtsfrei, der Vater aber vom ritterlehnfähigen, schöffenbarfreien Stande oder vom Herrenstande war 18). Im Uebrigen findet sich im Sachsenspiegel noch erwähnt, dass Kinder einer Frau höherer Klasse, welche sich mit einem Manne niederer Klasse verheirathet, nicht das besondere Standesrecht der Mutter haben können 19), was, wie schon oben (unter No. II) erwähnt wurde, aber keine Besonderheit, sondern Consequenz des Principes der Ehen unter Freien ist; auch wird noch ganz in Uebereinstimmung mit dem älteren und, wie eben angeführt wurde, nach einiger Schwankung seit dem Ausgange des XII. Jahrhunderts wiederhergestellten Rechte angegeben, dass, wenn freie Leute mit Dienstleuten oder eigenen Leuten sich verheirathen, die Dienstpflicht des unfreien Elterntheils auf die Kinder vererbt 20).

VI. Der Spiegel deutscher Leute und der Schwabenspiegel dagegen, wenn auch etwas jünger als der Sachsenspiegel, doch immerhin noch dem XIII. Jahrhunderte angehörig, sprechen zum erstenmale einen Satz aus, der eine Missheirathstheorie in dem heut zu Tage angenommenen Sinne zeigt, indem sie den Kindern eines Mannes vom Herrenstande und einer Frau aus den mittelfreien (ritterlichen, vasallitischen oder

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echte kind und vri behalt sines vaters schilt und nimt sin erve unde der muder also, of it ir evenburdich is, oder bat (d. h. besser) geboren." 18) Sachsensp. Ldr. III, 72. (s. Note 17.) Vergl. Sachsensp. I, 51. §. 2.,,Ein wif mag gewinnen echt kint, adel kint, egen kint, unde keves (uneheliches) kint." Siehe meine Schrift: Ueber Missheirathen, §. 6. Meine deut. R.-Gesch. 3. Aufl. Thl. II (1858), §. 90.

19) Sachsensp. Ldr. III, 73. „,Nimt aber en vri scepenbare wif enen birgelden oder enen landseten, vnde wint sie kindere bi ime, di ne sint ire nicht ebenburdich an bute und an wergelde, wende se hebben irs vater recht unde nicht der muter, dar umme ne nemen sie der muter erve nicht." Meine Meine Schrift: Ueber Missheirathen, §. 8. deut. Rechtsgesch. 3. Aufl. (1858) Thl. II, §. 90. Vergl. meine Alterthümer, Bd. II (1860), S. 167.

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,,Is aber die vater oder de muter als it in geboren is.“ Meine Meine deut. R.-Gesch. 3. Aufl.

schöffenbarfreien Stande) den Rang und Stand des Vaters absprechen und ihnen nur den ihrer Mutter beilegen 21). Mag man dieser ihrer Bedeutung und ihrem Werthe nach sehr zweifelhaften Aeusserung des Spiegels deutscher Leute und des Schwabenspiegels aber noch so viel Gewicht beilegen, so kann daraus, bei dem geraden Widerspruche des in voller Geltung neben demselben fortbestehenden Sachsenspiegels, doch nimmermehr auf ein damals schon vorhandenes gemeines deutsches Herkommen geschlossen werden 22).

VII. Dazu kommt aber noch überdies, dass gerade aus kaiserlichen Urkunden des XIII. Jahrhunderts, also aus gleichzeitigen Urkunden, namentlich eines Kaisers aus einem süddeutschen Hause, Rudolph's von Habsburg, sich mit Bestimmtheit ergibt, dass der Kaiser, nach des Reiches damals geltenden Rechten, für die Successionsfähigkeit der Kinder eines Reichsfürsten in Land und Leute durchaus nichts voraussetzte, als dass die Gemahlin eine freie Frau (kein Dienstweib) sei, daher er denn auch in betreffenden Fällen den Frauen nur Freilassungsbriefe, aber keine Standeserhöhungen (im Sinne

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21) Der Spiegel deutscher Leute, herausgegeben von J. Ficker, Innsbruck, 1859. c. 62. Schwabensp. Ldr. (Lassbg.) c. 70. „Ez ís niemen semper vri. wan des vater und muter. und der (d. h. deren) vater und muter semper vri warn ... und ist ioch div muter semper vri. und der vater mitel vri. div kint werdent mitel vrien. vnd ist der vater semper vri und div muter mitel vri. div kint werdent aber mitel vrien." — Vergl. über den wahren Sinn dieser Stelle und den Begriff von Semperfreien und Mittelfreien besonders meine Alterthümer, Bd. II, (1860) S. 217 flg. - Bemerkenswerth ist, dass der Schwabenspiegel über den Fall, wenn ein mittelfreier Mann eine Frau aus dem freien Bauernstande (nach seiner Terminologie eine Landsassenfreie) heirathet, gar nichts sagt: ebenso erwähnt er Ehen mit Frauen aus dem Stande der Städtebürger gar nicht. Es scheint darin schon eine Andeutung von dem zu liegen, was fortwährend in Bezug auf Ehen von Männern des ritterlichen Adels mit bürgerlichen Frauen als Recht gegolten hat und noch gilt, dass nämlich jedenfalls eine solche Ehe nach unzweifelhaftem Herkommen keine Missheirath ist. Pütter, Missheirathen, S. 486. 540; Eichhorn, deut. Priv.-R. §. 293. - Jenaer Urtheil, S. 289. — Vergl. meine Alterthümer, Bd. II (1860), S. 225.

22) Ueber die fast allgemein vollständig übersehenen scharfen Gegensätze des Sachsenspiegels und des Schwabenspiegels in dieser Lehre und insbesondere des Ständesystems der beiden Spiegel, siehe meine Schrift: Ueber Missheirathen, §. 9-13.

von hohen Adelsverleihungen) ertheilte, welcher letzteren sie eben so wenig bedurften, als dergleichen überhaupt damals noch gar nicht eingeführt und gebräuchlich waren 23).

VIII. Auch die im XIV. Jahrhunderte abgefasste Glosse des Sachsenspiegels lehrt noch ausdrücklich, dass eine freie Ehefrau ohne alle Einschränkung an dem Standesrechte des höher geborenen Gemahls Antheil nimmt 24): die volle Rechtswirkung der Ehe für die Kinder ergibt sich hiernach von selbst.

§. 223.

4) Geschichtliches über Missheirathen und unstandesmässige Ehen vom XV. Jahrhunderte bis zur Abfassung der Wahlkapitulation K. Karl's VII. 1742.

I. In den folgenden Jahrhunderten, namentlich im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert bis kurze Zeit vor der Errichtung der Wahlkapitulation K. Karl's VII. 1742 betrachtete die Doktrin fast einstimmig die Ehen zwischen Fürsten und Frauen vom ritterlichen Adel oder Bürgerstande als vollgiltig wirkende Ehen und erkannte durchaus kein gemeines Herkommen an, wonach solche Ehen Missheirathen sein sollten. Die wenigen Stimmen, überdies nur Personen von geringer juristischer Bedeutung angehörig, welche es in dieser Zeit wagten, das Gegentheil zu behaupten, fanden sofort von den angesehensten Männern des Faches eine derbe Abfertigung, und wurde denselben geradezu entgegen gehalten, dass das gemeine un

23) Die Erklärung der Urkunden Rudolph's I. (Urk. a. 1278 betreff. die Ehe des Markgrafen Heinrich des Erlauchten von Meissen mit Elisabeth von Maltitz, und Urk. v. 1273 und 1287 betreffend die Ehe des edeln Herrn Reinhard von Hanau mit Adelheit von Münzenberg), welche von Pütter, Missheirathen S. 35 u. f., ganz missverstanden worden sind, siehe in meiner Schrift: Ueber Missheirathen, §. 14-20.

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24) Glosse zu Sachsensp. Landr. III, 45. §..3. Wisse des Mannes Ehre zieret oder schmücket das Weib, und er adelt sie, sintemal sie seine Genossin wird, alsbald sie in sein Bette tritt." — Vergl. §. 223 Note 4.

Dieselbe Rechtsansicht drückt in Bezug auf den Ritterstand die Parömie aus:,,Rittersweib hat Rittersrecht."

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