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VI. Dagegen bestehen noch Zweifel darüber, ob nicht aus Rücksicht auf den Fall des Herzogs Anton Ulrich von S. Meiningen, da dieser zunächst die Aufnahme einer gesetzlichen Bestimmung in die Wahlkapitulation veranlasst hat, die Ehe eines Herrn aus reichsständischem Hause mit einer bürgerlichen Frau fortan gemeinrechtlich als Missheirath betrachtet werden müsse? Die Bejahung dieser Frage ist aber darum bedenklich, weil der Herzog Anton Ulrich einem Hause angehörte, in welchem schon früher hausgesetzlich strenge Ebenbürtigkeitsgrundsätze in Bezug auf die Ehen eingeführt worden waren, daher auch seine Ehe mit einer Bürgerlichen vom Kaiser und Reiche wohl als eine notorische Missheirath erklärt werden konnte, ohne dass damit ein Princip als gemeinrechtliches ausgesprochen war.

VII. Uebrigens könnte aus der Beziehung, in welcher der Fall des Herzogs Anton Ulrich von S. Meiningen zu der Bestimmung in der W.-K. Art. XXII. §. 4 steht, doch in keinem Falle mehr abgeleitet werden, als dass Ehen von Herren aus reichsfürstlichen Häusern mit bürgerlichen Frauen als gemeinrechtlich notorische Miss heirathen betrachtet werden könnten ").

VIII. Hinsichtlich der wirklich auf den Reichstagen Sitz und Stimme führenden Reichsgrafen ist gewiss, dass auch sie ein Recht auf die Erfüllung der in der Wahlkapitulation gegebenen kaiserlichen Zusage des Schutzes gegen die aus Missheirathen entsprungene Descendenz haben, da dieser kaiserliche Schutz nicht blos den Reichsfürsten, sondern überhaupt allen Ständen des Reiches versprochen ist). Allein daraus folgt noch nicht, dass auch hinsichtlich ihrer alle jene Ehen als unstreitige notorische Missheirathen zu betrachten wären, die es hinsichtlich des Fürstenstandes sind. Höchstens könnte dies noch in Bezug auf die altgräflichen reichsständischen Familien gelten, da die Reichsfürsten diese allein

8) So erklärt sich Moser, Staatsrecht, S. 367; ebenso das Jenaer Urtheil, S. 283. „Nur der eine Satz ist reichsgesetzlich entschieden, dass die Ehe einer Person bürgerlichen Standes mit einem Reichsfürsten für eine Missheirath zu halten sei" etc.

9) Jenaer Urtheil, S. 284.

sich vollkommen als in diesem Theile des Standesrechtes gleichgestellt betrachteten 10).

IX. Hinsichtlich der neugräflichen Häuser aber, welche wirklich Sitz und Stimme auf dem Reichstage führten, konnte von unstreitig notorischer Missheirath ihrer Mitglieder, abgesehen von Ehen mit unfreien Frauen, erst dann die Rede sein, wenn sie desshalb ein vom Kaiser bestätigtes Familienstatut errichteten, weil sie selbst erst aus dem niederen Stande hervorgegangen waren, also ein notorisches Familienherkommen in dieser Beziehung gar nicht haben konnten, und überdies von den fürstlichen und altgräflichen Häusern selbst eine Verbindung mit den neugräflichen Häusern vielfach als unstandesmässig, wenn gleich nicht als unstreitig notorische Missheirath, angesehen wurde 11). Die Erwerbung der Reichsstandschaft begründete aber für ein neugräfliches Haus eben so wenig eine Verpflichtung, bei sich Missheirathsgrundsätze einzuführen, als diese von selbst (ipso jure) mit dem Erwerb der Reichsstandschaft eintraten.

X. Auf jene neugräflichen oder titulargräflichen Häuser, welche noch nicht wirklich zu Sitz und Stimme auf dem Reichstage aufgenommen worden waren, findet die Bestimmung der Wahlkapitulation Art. XXII. §. 4 so wenig Anwendung, als auf den übrigen nicht-reichsständischen, unmittelbaren oder landsässigen Adel 12).

§. 225 a.

7) Der angebliche Einfluss der Auflösung des deutschen Reiches auf die Lehre von den Missheirathen.

I. Alsbald nach der Auflösung des deutschen Reiches wurde die Frage angeregt, ob nicht hierdurch und insbeson

10) Jenaer Urtheil, S. 282.

11) Siehe oben §. 224, Note 2.

12) Auch Pütter, Missheirathen, S. 331, erklärt sich ausdrücklich dahin, dass nur die Reichsgrafen von alten reichsständischen Häusern an den eigenthümlichen Instituten des deutschen Fürstenrechts Antheil nehmen. Sehr ausführlich und bestimmt sprach sich in gleichem Sinne aus: K. F. Eichhorn, Rechtsgutachten, betr. die Succession in die reichsgräfl. Bentinck'schen Herrschaften. 1829. (Als Manuscr. gedruckt, Heidelberg, 1847, S. 12 u. f.)

dere durch den Art. II der Rheinbundsakte, welcher die fernere Unverbindlichkeit der Reichsgesetze für die Rheinbundsfürsten, ihre Staaten und Unterthanen aussprach1), die Verbindlichkeit der Bestimmungen der Wahlkapitulation Art. XXII. §. 4 über die Missheirathen aufgehoben, beziehungsweise die ganze Missheirathslehre unpraktisch geworden sei, so dass überhaupt keine Ehe eines Herrn aus jetzt souverainem oder standesherrlichem Hause fernerhin von den Agnaten als Missheirath angefochten werden dürfe 2). Es kommt aber hiergegen in Betracht, dass die Wahlkapitulation nur das kaiserliche Recht beschränkt hatte, durch Standeserhöhungen die nach dem Herkommen selbstverständlich eintretende Rechtsfolge der Successionsunfähigkeit der aus notorischer Missheirath erzeugten Kinder zum Nachtheile der Agnaten abzuwenden 3). Die aus dem Missbrauche dieses kaiserlichen Rechtes den Agnaten drohende Gefahr allein ist es daher, was durch die Auflösung des deutschen Reiches und zwar von selbst hinweggefallen ist, und in soweit ist allerdings die Bestimmung in der Wahlkapitulation Art. XXII. §. 4 gegenstandlos geworden. Im Uebrigen konnte weder die Auflösung des deutschen Reiches noch der Art. II. der Rheinbundsakte einen Einfluss auf die fortdauernde Giltigkeit der alten Miss heirathsgrundsätze äussern, weil dieselben nicht in der Wahlkapitulation, überhaupt in keinem Reichsgesetze, sondern nur in dem Herkommen und in den rechtsbeständigen Hausgesetzen der ehemals reichsständischen Häuser wurzeln 4), und es notorisch nicht im Entferntesten in der Absicht der Rheinbundsglieder lag, hieran etwas zu ändern3). Auch haben nicht nur alle souverainen deutschen Fürsten

1) Siehe oben §. 72, Note 4.

2) Diese Frage bejahte Gönner im Archiv für Gesetzgebung und Reform des juristischen Studiums, Bd. I (1808), Nr. XVII, S. 290–310. 3) Siehe oben §. 225.

4) Ueber die Fortdauer der auf Herkommen beruhenden staatsrechtlichen Grundsätze nach der Auflösung des Reiches, siehe oben §. 72, I, 3.

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5) Für diese Ansicht, und somit gegen Gönner, haben sich sämmtliche übrige Schriftsteller erklärt, welche diese Frage behandeln. Vergl. G. M. Weber, Handb. des Lehnrechts, Bd. III, S. 203-218. Heffter, Beitr. z. deut. Staats- u. Fürstenr., S. 70 flg. Gründler, Polemik des germ. Rechts, Bd. III, S. 107-109. Klüber, öffentl. R. d. deut. Bundes etc. 4. Aufl. §. 245. Gengler, Lehrb. d. deut. Privatr. (1855) S. 831 flg.

häuser an den reichsrechtlichen Grundsätzen über Missheirathen fortwährend festgehalten, sondern mehrere derselben haben sich überdies veranlasst gefunden, noch strengere Grundsätze aufzustellen, als zur Reichszeit für gemein rechtliche geachtet werden konnten ").

§. 226.

8) Neuere haus- und grundgesetzliche Bestimmungen über Missheirathen. Praktisches Recht überhaupt.

I. In mehreren deutschen regierenden Häusern ist nunmehr theils durch Hausgesetze, theils durch Verfassungsurkunden, die Abstammung aus ebenbürtiger Ehe als Bedingung der Thronfolgefähigkeit der Descendenz vorgeschrieben worden 1). Eine ausdrückliche Begriffsbestimmung, was jetzt als ebenbürtige Ehe zu betrachten sei, enthalten jedoch nur allein das hannover'sche Hausgesetz von 18362) und das s. coburg-gothaische Hausgesetz von 1855 3).

6) Siehe den folgenden §. 226.

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1) A) Hausgesetze: Bayern v. 1819. Tit. 1. §. 1, a. Würtemberg v. 1828. Art. 1, c, d. Hannover v. 1836. Cap. III, §. 1. - K. Sachsen 1837, §. 1, d, e. §. 10. S.-Coburg-Gotha, 1855, §. 94. B) Verfassungsurkunden: Bayern, 1818, Tit. II, §. 2. K. Sachsen, 1831, §. 6. Hannover, 1840, §. 12. Würtemberg, 1819, §. 8. Kurhessen, 1852, §. 3. Grossh. Hessen, 1820, Art. 5. -Nur für die Succession des Weibsstammes ist die Abstammung aus ebenbürtiger Ehe der Prinzessinnen gefordert, in der Declaration (Grundlage des Hausgesetzes) des Grossh. Karl von Baden v. 4. Okt. 1817, §. 3.

2) Hannoversches Hausgesetz v. 1836. ,,Als ebenbürtig werden diejenigen Ehen betrachtet, welche Mitglieder des Hauses entweder unter sich abschliessen, oder mit Mitgliedern eines anderen souverainen Hauses, oder aber mit ebenbürtigen Mitgliedern solcher Häuser, welche laut Art. 14. der deutschen Bundesakte den Souverains ebenbürtig sind." Einen ähnlichen Satz enthielt die Verfassungsurkunde von Schwarzburg-Sondershausen v. 1841, §. 7; in der Verfassungs-Urkunde von 1849 ist derselbe weggeblieben.

3) S.-Coburg-Gotha, Hausges. 1855, §. 94: ,,Hinsichtlich der Ebenbürtigkeit der Ehe verbleibt es zunächst bei den in dem Testamente des Herzogs Franz Josias v. 1. Okt. 1733 etc. enthaltenen Bestimmungen, denen zufolge seine Nachkommen sich an keine andere als Fürstliche oder gut Gräfliche Häuser und Familien verheirathen sollen.“ (Vergl. noch Note 5).

II. Als ebenbürtige Ehen sind nach dem strengeren Geiste, in welchem diese neueren Bestimmungen überhaupt abgefasst wurden, zunächst und unstreitig Ehen mit Mitgliedern souverainer Häuser zu verstehen. Diesen gleich geachtet werden nach ausdrücklicher Bestimmung in der deutschen Bundesakte Ehen mit Mitgliedern der deutschen standes herrlichen Häuser, d. h. derjenigen früher reichsständischen, fürstlichen und reichsgräflichen Häuser, welche seit 1806 mediatisirt worden sind 4).

III. Wegen Gleichheit des Grundes müssen auch noch hierher gezählt werden: 1) Ehen mit Mitgliedern jener ehemals reichsständischen Häuser, welche schon vor 1806 mediatisirt worden waren 5); 2) Ehen mit Mitgliedern jener Familien, welchen die Bundesversammlung durch besondere Bundesbeschlüsse die gleiche persönliche Rechtsstellung mit den eigentlichen standesherrlichen Familien einräumt, obschon sie zur Reichszeit keine Reichs- Standschaft besassen); und 3) nach der notorischen Praxis, Ehen mit Mitgliedern solcher europäischen Regentenfamilien, welche zwar durch Revolution ihre Krone verloren haben, jedoch zu der Zeit, als sie dieselbe trugen, notorisch als legitime Regentenfamilien betrachtet wurden 7). 4) Da der Ausschluss der in einer Missheirath erzeugten Kinder überhaupt nur zu Gunsten der Agnaten eingeführt ist, so steht es auch bei dem Dasein eines neuen strengen Hausgesetzes in deren Befugniss, noch andere Ehen als ebenbürtige anzuerkennen, wozu eine Verpflich

4) Die B.-A. Art. 14. erklärt ausdrücklich, dass den standesherrlichen Häusern ,,das Recht der Ebenbürtigkeit, in dem bisher damit verbundenen Sinne, verbleibe."

5) Die Bundesakte hatte keine Veranlassung, von diesen Familien besonders zu sprechen. Es darf daher daraus, dass sie (Art. 14.) nur von den seit 1806 Mediatisirten spricht, nicht gefolgert werden, als habe sie den früher Mediatisirten an ihren selbstverständlichen Standesrechten etwas abbrechen wollen. Will sie doch auch den seit 1806 Mediatisirten nicht etwa erst die Ebenburt verleihen, sondern nur deren Fortbestand gegen etwaige Zweifel sichern. (Siehe Note 4.)

6) Dies ist z. B. in Bezug auf die Grafen von Pappenheim, von Rechberg und von Bentinck geschehen. Siehe oben §. 113. Note 6. 7. 7) Dahin gehören z. B. die Familien Wasa und Bourbon.

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