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§. 240.

II. Einrichtung einer Regentschaft bei Verhinderung
des Souverains an der Selbstregierung.
Durch den Souverain selbst. Stellvertretung.
Mitregentschaft.

Die Einrichtung einer Regentschaft kann auch noch aus anderen Gründen nothwendig werden, als wegen der Minderjährigkeit des Souverains. Man pflegt die hierher gehörigen Fälle heut zu Tage gewöhnlich unter der Bezeichnung als Verhinderung des Souverains an der Selbstregierung zu begreifen. Die Anordnung der Regentschaft kann in diesen Fällen theils durch den Souverain selbst geschehen, theils muss sie für denselben bewirkt werden.

I. Das Erstere ist der Fall, wenn der Souverain durch eine voraussichtliche längere Abwesenheit ausserhalb des Landes, oder durch andere dieser gleich zu achtende Thatumstände, an der Führung der Regierung behindert wird 1). Es ist nämlich als selbstverständlich zu betrachten, und überdies in vielen deutschen Verfassungsurkunden ist positiv ausgesprochen, dass der Sitz der Landesregierung nicht ausserhalb der Landesgränzen verlegt werden darf2), so wie auch, dass der Fürst seinen wesentlichen Aufenthalt im Lande zu nehmen hat3).

1) So z. B. wird in England, wenn eine Königin regiert, auch die Niederkunft derselben hierher gerechnet, und der Gemahl derselben unter Zustimmung des Parlaments für einen bestimmten Zeitraum als Regent ernannt. Die deutschen Verfassungsurkunden behandeln diesen Fall nicht besonders: doch darf hier sicher die Analogie der Abwesenheit ausserhalb des Landes als massgebend betrachtet werden.

2) Würtemberg, V.-U. 1819. §. 6. „Der Sitz der Regierung kann in keinem Falle ausserhalb des Königreichs verlegt werden." — Uebereinstimmt: Oldenburg, revid. V.-U. 1852. art. 14. §. 1. — Kurhessen, V.-U. 1852. §. 9. Waldeck, V.-U. 1852. §. 13. CoburgGotha, V.-U. 1852. §. 5. Braunschweig, n. L. O. 1832. „Der Sitz

der Landesregierung kann, dringende Nothfälle ausgenommen, nicht ausser Landes verlegt werden." Uebereinstimmt: Hannover, V.-U. 1840. §. 15. Schwarzburg-Sondershausen, V.-U. 1849.

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§. 56. (Als solche Nothfälle bezeichnen einige dieser Gesetze namentlich Krieg und Aufruhr.)

3) Oldenburg, revid. V.-U. 1852, art. 14, §. 2; Coburg-Gotha,

II. In solchem Falle der Abwesenheit oder vorübergehenden Verhinderung gebührt dem Souverain selbst das Recht, eine Stellvertretung in der Regierung, und zwar in der Weise, welche ihm im einzelnen Falle die geeignetste zu sein scheint, anzuordnen ) und zwar ohne Mitwirkung der Landstände 5), sofern nicht die Verfassungsurkunde für diesen Fall besondere Vorschriften enthält ").

III. Anstatt der Anordnung einer Stellvertretung ist mitunter die Erklärung des nächsten Thronfolgeberechtigten) oder auch der Gemahlin des Souverains als Mitregenten beliebt worden ).

V.-U. 1852, §. 13; Waldeck, V.-U. 1852, §. 13.

Ausnahmsfälle zeichnet

K. Sachsen, V.-U.

aus: Coburg-Gotha, V.-U. 1852, §. 4, 8, 9. 1831, §. 5, fordert Zustimmung der Stände, wenn der König seinen wesentlichen Aufenthalt ausserhalb Landes nehmen will.

4) Ueber die Einrichtung der Stellvertretung bei Abwesenheit des Souverains, vergl. R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I. (Tübingen 1860), S. 156. 170.

5) Das Recht des Souverains, in dem Falle der Verhinderung selbst eine Stellvertretung oder Regentschaft anzuordnen, erkennen an: Bayern, V.-U. 1818, Tit. II, §. 11; K. Sachsen, V.-U. 1831, §. 9; Hannover, V.-U. 1840, §. 16: „Vom Könige hängt es ab, ob er (im Falle der Abwesenheit) die Stellvertretung einem Ministerrathe, oder einer Person übertragen will. Im letzteren Falle gelten hinsichtlich der persönlichen Erfordernisse des Stellvertreters die Bestimmungen des 2. Absatzes des §. 18." (Siehe oben §. 239, Note 2.) Oldenburg, revid. V.-U. 1852, art. 16. Waldeck, V.-U. 1852, §. 14. Badischer Entwurf des Regentschaftsgesetzes von 1862, art. 11.

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6) Nach der würtemberg. V.-U. 1819 steht die Regentschaft ohne Unterschied der Fälle stets dem nächsten volljährigen Agnaten zu. Zustimmung der Landstände zu der von dem Souverain für den Fall seiner Abwesenheit zu treffenden Anordnung einer Regentschaft fordert: Reuss, j. L. V.-U. 1852, §. 46.

7) So z. B. im Königreich Sachsen (1830), in Kurhessen (1831). 8) Vergl. über die Ernennung der Herzogin Friederike von AnhaltBernburg, den B.-B. vom 25. Okt. 1855, Prot. §. 289.

§. 241.

2) Anordnung einer Regentschaft für den regierenden Fürsten.

a) Geschichtliches 1).

I. Hinsichtlich der Frage, ob eine Regentschaft (früher sogen. Administration) für den regierenden Herrn unter Verhältnissen anzuordnen sei, unter welchen er selbst (wie z. B. im Falle von Geisteskrankheit) nicht fähig ist, eine Stellvertretung einzurichten, gebührte nach dem zur Reichszeit giltigen Rechte die Entscheidung den fürstlichen Agnaten, welche zu diesem Behufe als Familienrath zusammen traten 2).

II. Auch findet man nicht selten, dass durch väterliche Anordnungen nach Analogie der testamentarischen Anordnung einer Tutel über Minderjährige eine Regentschaft für den Nachfolger angeordnet wurde, wenn sich Gründe der Behinderung desselben an der Selbstführung der Regierung schon bei dem Leben des Vorgängers äusserten.

III. Desgleichen konnte auch durch die obersten Reichsgerichte eine Regentschaft (Adminisration) der Landesregierung angeordnet werden, in welchem Falle das betreffende Dekret bestimmte, wie weit die Befugnisse des Administrators reichen sollten 3). Auch stand den obersten Reichsgerichten die Cognition zu, wenn sich die Interessenten nicht über die Nothwendigkeit der Administration vereinigen konnten.

IV. Nach Umständen, wenn nämlich eine vollständige Suspension von der Landesregierung gegen den Willen des regierenden Herrn eintreten sollte, sollte sogar ein Reichsschluss der Anordnung der Administration vorangehen 1).

1) Die geschichtlichen Belege siche besonders in den oben §. 238 angeführten Schriften von J. J. Moser.

2) Dies Recht der fürstlichen Agnaten konnte umso weniger beanstandet werden, als ihnen sogar die Befugniss zukam, einen Unfähigen von der Regierung ganz auszuschliessen. Siehe unten §. 279.

3) Mitunter bezog sich die Administration nur auf die Verwaltung der Einkünfte (wie eine Sequestration), so dass im Uebrigen der Landesherr befähigt blieb, alle anderen Regierungshandlungen, welche keine Verfügung über die Einkünfte enthielten, vorzunehmen.

4) Siehe oben §. 91, Note 4.

§. 242.

b) Praktisches Recht bezüglich der Anordnung einer Regentschaft für den regierenden Fürsten.

I. Auch heut zu Tage muss es noch gemeinrechtlich als ein Recht der fürstlichen Agnaten betrachtet werden, im Falle der Behinderung des Souverains als Familienrath zusammenzutreten und über die Nothwendigkeit einer Regentschaft allein zu beschliessen 1), sofern nicht ein neueres Verfassungsgesetz darüber Bestimmungen enthält, wonach hierbei die Mitwirkung der Landstände erfordert wird 2).

II. Im Allgemeinen muss dabei die Analogie der Grundsätze über die Regentschaft bei der Minderjährigkeit des Thronfolgers als massgebend betrachtet werden, so dass also, wenn die Nothwendigkeit des Eintritts einer Regentschaft für den Souverain von den Agnaten anerkannt worden ist, diejenige Person, welche nach der Verfassung des Staates oder dem Herkommen des Hauses zur Führung der Regierungsvormundschaft für den minderjährigen Fürsten berufen ist (§. 239), auch für berufen zur Führung der Regentschaft für den behinderten Souverain betrachtet werden muss. Nur wenige Verfassungsurkunden rufen für den Fall der Behinderung des Souverains dessen Gemahlin, mit Vorzug vor den übrigen berechtigten Mitgliedern des Hauses, zur Regentschaft, und meistens nur unter der Voraussetzung, dass ein noch minderjähriger Erbprinz aus derselben Ehe vorhanden ist, und nur für die Dauer von dessen Minderjährigkeit3).

III. Dieselbe Analogie der Grundsätze über die Regentschaft bei Minderjährigkeit des Thronerben muss auch Platz greifen hinsichtlich der Frage, ob der Regierungsvorgänger

1) Der Grund hiervon ist derselbe, wie im §. 241, Note 2, angegeben wurde, indem auch heut zu Tage noch das Recht der Agnaten, einen absolut Unfähigen gänzlich auszuschliessen, als gemeinrechtlich anerkannt wird. Siehe unten §. 279.

2) Vergl. über die zur Mitwirkung zu berufenden Personen, R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I. (Tübingen 1860), S. 174 flg. 3) Reuss, j. L. V.-U. 1852, §. 49; Kurhessen, V.-U. 1831, §. 7; S. Coburg-Gotha, V.-U. 1852, §. 17. Unbedingt ruft die Gemahlin

primo loco nur: Waldeck, V.-U. 1852, §. 20.

befugt ist, für den voraussichtlich an der Regierung behinderten Nachfolger eine Regentschaft anzuordnen.

IV. Die meisten neueren Haus- und Verfassungsgesetze stellen den Fall der Behinderung an der Führung der Regierung dem Falle der Minderjährigkeit ausdrücklich und wenigstens in so weit gleich, dass sie auch in ersterem Falle die Nothwendigkeit der Anordnung einer Regentschaft ausdrücklich aussprechen.

V. Gewöhnlich ist auch in den neueren Verfassungsgetzen 'das Recht des Souverains ausdrücklich anerkannt, für den Fall Anordnungen zu treffen, dass sich schon während seiner Regierung bei dem Thronfolger eine solche Geistes- oder Körperbeschaffenheit zeigt, welche diesem die dereinstige eigene Führung der Regierung unmöglich machen würde, jedoch ist mitunter dabei die Mitwirkung der Landstände d. h. die Errichtung eines Gesetzes vorgeschrieben 4).

VI. In Ermangelung solcher Vorsorge ist ausser der Beschlussfassung durch die Agnaten mehrfach auch die Zustimmung der Landstände vorgeschrieben, oder sogar auch diesen allein, wo Agnaten fehlen, die Entscheidung über die Nothwendigkeit der Anordnung einer Regentschaft und die Ernennung des Regenten zugewiesen worden 5).

4) So z. B. in Würtemberg, V.-U. 1819, §. 13; K. Sachsen, V.-U. 1831, §. 10; Kurhessen, V.-U. 1831, §. 7 und 9; Oldenburg, revid. V.-U. 1852, art. 21; Reuss, j. L. V.-U. 1852, §. 46; Coburg-Gotha, V.-U. 1852, §. 15; Badischer Entwurf eines Regentschaftsgesetzes, 1862, art. 5. Nicht erfordert ist hierbei die ständische Mitwirkung: Hannover, V.-U. 1840, §. 18.

5) Zustimmung der Stände zur Uebernahme der Regentschaft durch den nächsten volljährigen Agnaten, von welchem also auch der Antrag auszugehen hat, verlangen: Bayern, V.-U. 1818, Tit. II, §. 11. Preussen, V.-U. 1850, §. 56. (Ist kein volljähriger Agnat vorhanden, so hat nach der preuss. V.-U. §. 57, das Staatsministerium den Antrag an die Kammern zu bringen. Siehe oben §. 239, Note 17.) — Einen Beschluss durch eine Versammlung (Familienrath) der volljährigen Agnaten, welcher jedoch der zunächst zur Regentschaft berufene Agnat nicht beizuwohnen hat, nebst Zustimmung der Stände verlangen: Würtemberg, V.-U. 1819, §. 13, a linea 2; K. Sachsen, V.-U. 1831, §. 11; Hannover, V.-U. 1840, §. 20; Oldenburg, rev. V.-U. 1852, art. 14; Coburg-Gotha, V.-U. 1852, §. 16. Nach der kurhessischen Verfassung von 1831, §. 8, liegt die nothwendige Einleitung zur Regentschaft dem Gesammtstaatsministerium ob. Nach dem badischen Ent

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