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§. 264.

Von der Erbfolge in das Privatvermögen der Mitglieder des regierenden Hauses.

I. Zur Reichszeit galten für die Erbfolge in das Privatvermögen der Mitglieder reichsständischer Häuser die Grundsätze des gemeinen Civilrechts. Es konnte daher der Erblasser darüber testamentarisch verfügen, musste aber in diesem Falle seine letztwillige Verfügung sowohl der Form, als dem Inhalte nach den Vorschriften des gemeinen Rechtes gemäss einrichten, also auch die Notherben gehörig einsetzen oder enterben, und umgekehrt waren diese befugt, ihre Pflichttheilsrechte geltend zu machen. Auch ein regierender Landesherr durfte sich nicht über die Beobachtung dieser Vorschriften des gemeinen Rechtes hinwegsetzen, da die Landeshoheit wesentlich von einer vollen Souverainetät verschieden war 1). In Ermangelung einer rechtsbeständigen Verftigung über die Privatverlassenschaft trat die Intestaterbfolge des gemeinen Rechtes ein. Die Erben durften sich, wie bei jeder anderen Privaterbschaft, der gesetzlichen Rechtswohlthaten bei der Erbschaftsantretung (beneficium inventarii u. s. w.) bedienen, um sich vor den Nachtheilen der Erwerbung einer überschuldeten Erbschaft zu bewahren 2).

II. Diese Grundsätze sind in Bezug auf die Mitglieder eines souverainen Hauses, abgesehen vom regierenden Herrn, noch heut zu Tage durchaus praktisch 3), sofern ihnen nicht ein Hausgesetz eine völlig freie Verfügung gestattet 4).

1) Siehe oben §. 254.

2) Moser, persönl. Staatsr. II, 588 u. f.

3) Ausdrücklich bestimmt in: Bayern, Hausges. 1819, Tit. VIII, §. 5: ,,Die übrigen Glieder des k. Hauses (ausser dem Könige) sind bei Dispositionen über ihr Privatvermögen an die Beobachtung der bürgerlichen Gesetze gehalten, nach welchen auch die Erbfolge in dasselbe bestimmt wird." Uebereinstimmen: Würtemberg, Hausges. 1828, §. 65. K. Sachsen, Hausges. 1837, §. 59.

4) Dies thut das hannover'sche Hausges. 1836, cap. XI, §. 5: „Die Mitglieder des k. Hauses haben freie Verfügung über ihr Privatvermögen, insofern sie nicht in Absicht ihres Erbvermögens durch besondere Familienfideicommisse beschränkt sind. Insofern sie nicht disponirt haben, kommen die Landesgesetze bei der Vererbung in Anwendung.“

III. In Bezug auf die Privatverlassenschaft der regierenden Herren muss dagegen in Folge ihrer nunmehrigen Souverainetät als gemeingiltiger Grundsatz anerkannt werden, dass dieselben nicht mehr an die Vorschriften des gemeinen Civilrechts, weder in Bezug auf die Form noch auf den Inhalt der letztwilligen Verfügungen über ihren Privatnachlass gebunden sind, also auch dieselben von Notherben weder wegen unförmlicher Enterbung oder Uebergehung angefochten, noch auch Ergänzungen des Pflichttheils verlangt werden können 3), sofern nicht eine besondere hausgesetzliche Bestimmung den Souverain zur Beobachtung der civilrechtlichen Vorschriften oder eines Theiles derselben verpflichtet).

IV. Auch finden sich in den neueren Hausgesetzen einige eigenthümliche Bestimmungen, indem entweder 1) die Intestaterbfolge überhaupt nur bewegliches Vermögen begreifen kann1) und die Prinzessinnen auch von dieser Intestaterbfolge in das bewegliche Privatvermögen des Souverains und des Mannsstammes überhaupt, so lange letzterer blüht, ganz ausgeschlos

5) Die Unbeschränktheit des Souverains bezüglich der letztwilligen Verfügungen über sein Privatvermögen wurde von jeher aus dem Begriffe der Souverainetät abgeleitet. Vergl. Hugo-Grotius, de Jure B. et P. L. II. cap. VII, §. X, XI, XXV. Vergl. auch L. 31. Dig. de leg. (1. 3.) „Princeps legibus solutus est." Ausdrücklich sagt dies: Bayern, Hausges. 1819, Tit. VIII, §. 2: „Der Monarch ist in seiner Disposition an die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes nicht gebunden.“ Uebereinstimmen: Hannover, Hausges. 1836, cap. XI, §. 1. K. Sachsen, Hausgesetz 1837, §. 58.

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6) So z. B. S.-Coburg-Gotha, Hausges. 1855, §. 80: „Ueber sein Privatvermögen kann der Herzog unter Lebenden und auf den Todesfall verfügen: er ist bei letztwilligen Verfügungen sowohl hinsichtlich der Form, als des Inhalts an die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes gebunden; indessen finden die Bestimmungen über das Recht der Nother ben und der falcidischen Quart keine Anwendung auf das Testament des Herzogs. Der Herzog kann weder ein testamentum principi oblatum, noch ein testamentum militis errichten."

7) Bayern, V.-U. 1818, Tit. III, §. 1, a linea 2:,,Auch alle neue Erwerbungen aus Privattiteln, an unbeweglichen Gütern, sie mögen in der Haupt- oder Nebenlinie geschehen, wenn der erste Erwerber während seines Lebens nicht darüber verfügt hat, kommen in den Erbgang des Mannsstammes und werden als der Gesammtmasse (d. h. der Staatsverlassenschaft) einverleibt angesehen." — Vergl. Gesetz v. 9. März 1828, das Staatsgut betreffend.

sen werden ), oder 2) überhaupt gar keine Intestaterbfolge (weder der Söhne noch der Töchter) des Souverains eintreten kann, weil jene Bestandtheile des beweglichen und unbeweglichen Privatvermögens, über welche der Souverain nicht unter Lebenden oder von Todeswegen verfügt hat, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ohne Weiteres (ipso jure) als vereinigt mit dem Hausfideicommiss oder Haus allodium betrachtet und nur mit diesem vererbt werden 9).

§. 265. Regierungsantritt.').

I. Schon zur Reichszeit erkannte man es als gemeinrechtlichen Grundsatz an, dass die Regierung unmittelbar (ipso jure) mit dem Anfalle der Succession an den Nachfolger übergeht und dieser sofort befugt ist, alle Regierungshandlungen vorzunehmen 2). Der neue Landesherr pflegte seinen Regierungsantritt durch Patente im Lande bekannt zu machen, und von seinen Unterthanen und Dienern eine förmliche Huldigung zu verlangen, dagegen aber die Landesgrundverfassung zu bestätigen und besondere Reversalen hierüber zu ertheilen 3).

8) Bayern, Hausges. 1819, Tit. V, §. 3:,,Die Prinzessinnen sind nicht nur von der Regierungsnachfolge, sondern auch von der Intestaterbfolge alles beweglichen Vermögens des Mannsstammes, sowohl in der Hauptlinie als in den Nebenlinien ausgeschlossen, so lange noch männliche Sprossen im k. Hause vorhanden sind." Vergl. ebendaselbst, Tit. VIII, §. 3.

S.-Co

9) So bestimmt in Hannover, Hausges. 1836, cap. XI, §. 1. burg-Gotha, Hausges. 1855, §. 81. Dasselbe bestimmt das k. sächs. Hausges. 1837, §. 56 hinsichtlich jenes Privat-Vermögens, welches der König schon vor der Thronbesteigung bereits besessen hat. Hinsichtlich jenes Vermögens, welches der König erst während seiner Regierung aus irgend einem Privatrechtstitel erwirbt, steht ihm sogar nur eine Verfügung unter Lebenden zu. Ebendas. §. 57.

1) Moser, Staatsr. XVIII, 471 u. f. Dessen persönl. Staatsr. Thl. II, 1 u. f. — Leist, Staatsr. (2. Aufl.) §. 47. — Gönner, Staatsr. §. 243. Weiss, Staatsr. §. 248. H. A. Zachariae, Staatsr. (2. Aufl.),

I, §. 79.

2) Siehe oben §. 248. VII.

3) Vergl. auch Ickstadt, vindiciae potestatis territorialis adversus capitulationum compactatorum et litterarum reversalium abusus. Monachii, 1795 (in opusc.)

II. Auch heut zu Tage sind diese Grundsätze noch als die gemeinrechtlichen zu betrachten.

III. Nach einigen Verfassungsurkunden hat der Souverain bei dem Regierungsantritte in vorgeschriebener Förmlichkeit zu schwören, oder eidlich in einem Patente zu versichern, dass er nach der Verfassung und den Gesetzen des Landes gemäss regieren werde1); in anderen Verfassungsurkunden wird eine gleiche Zusicherung vom Souverain in einer Urkunde bei seinem landesherrlichen Worte) ertheilt. Nach anderen Verfassungsurkunden soll die allgemeine Landeshuldigung oder Huldigung der Landstände erst nach solcher Zusicherung des Souverains stattfinden 6).

IV. In einigen der neuesten Verfassungsurkunden ist sogar ausgesprochen, dass der neue Souverain nur erst von dem Augenblicke an zur Ausübung der Regierung berechtigt sei, wo derselbe die Verfassung in bestimmter Förmlichkeit beschworen hat7).

4) Persönliche Eidesleistung des Königs in einer feierlichen Versammlung der Staatsminister, der Mitglieder des Staatsrathes und einer Deputation der Stände, wenn sie zur Zeit versammelt sind, schreibt vor: Bayern, V.-U. 1818, Tit. X, §. 1; eidliche Gelöbniss in Gegenwart der vereinigten Kammern: Preussen, V.-U. 1850, art. 54; eidliche Zusicherung in Patent: Oldenburg, rev. Staatsgrundges. 1852, art. 197. S.-Coburg-Gotha, V.-U. 1852, §. 157.

§. 106. §. 266.

Waldeck, V.-U. 1852, §. 17. Grossh. Hessen, V.-U. 1820, - S.-Altenburg, V.-U. 1831,

5) Würtemberg, V.-U. 1819, §. 10. K. Sachsen, V.-U. 1831, §. 138. Braunschweig, n. L.-O. 1832, §. 4. — Hannover, Ges. vom 5. Sept. 1848, §. 2. Weimar, revid. Grundges. von 1850, §. 67. Kurhessen, V.-U. 1831, §. 6. — Schwarzburg-Sonders h., Ges. vom 2. Aug. 1852, §. 13, (statt §. 55 der V.-U. v. 1849). — Reuss, j. L., 1852, §. 103.

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V.-U.

6) Würtemberg, V.-U. 1819, §. 10. Hannover, Ges. v. 5. Sept. 1848, §. 2. Weimar, revid. Grundges. 1850, §. 68. Kurhessen, V.-U. 1831, §. 6. - Oldenburg, revid. V.-U. 1852, art. 198. — Waldeck, V.-U. 1852, §. 18.

7) Am Ausführlichsten bestimmte dies: Schwarzburg-Sondersh. V.-U. 1849, §. 55, a linea 3: „Vor der Ablegung des obigen Eides ist der Fürst zur Ausübung der Regierung nicht befugt. In der Zwischenzeit werden die verfassungsmässigen Rechte desselben von dem Ministerium mit Verantwortlichkeit ausgeübt. Diese Bestimmungen kommen auch bei dem Eintritte einer Regentschaft zur Anwendung." Diese Sätze, wonach ein förmliches interregnum eintreten konnte, sind aber durch Ges. v. 2. Aug. 1852, §. 13 aufgehoben worden. Dagegen bestimmt noch: Oldenburg,

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V. Welche Bestimmung aber auch eine Verfassungsurkunde über den Regierungsantritt des Thronfolgers und den Anfang seiner Regierung aufgenommen haben mag, so tritt doch mit dem Ableben des Reg.-Vorgängers niemals in Bezug auf einen Theil des Staatsgebietes eine possessio vacua ein und können überhaupt bei dem durchaus verschiedenen rechtlichen Charakter der Staatssuccession von einer bürgerlichen Erbfolge die civilistischen Grundsätze über eine hereditas jacens keine Anwendung finden $).

§. 266.

Verbindlichkeit des Thronfolgers aus den Regierungsund Privathandlungen des Vorgängers1).

I. Schon in sehr früher Zeit findet man in den Rechts

revid. V.-U. 1852, art. 97, §. 3: „Bis zur Erlassung eines solchen Patents wird die Staatsverwaltung von dem bei der Regierungserledigung vorhandenen Staatsministerium unter verfassungsmässiger Verantwortlichkeit wahrgenommen." Eine gleichlautende Bestimmung, aber nur in Bezug auf den Fall, dass eine Regentschaft eingerichtet wird, hat die preuss. V.-U. 1850, art. 58, a linea 2. - S.-Coburg-Gotha, V.-U. 1852, §. 159: ,,Bevor die über das eidliche Angelöbniss auf die Verfassung ausgestellte Urkunde an den gemeinschaftlichen Landtag abgegeben worden ist, kann der Herzog, beziehentlich der Statthalter, oder der Regierungsverweser keine Regierungshandlung vornehmen. In der Zwischenzeit gehen die nothwendigen Regierungshandlungen von dem Staatsministerium aus. In welcher Form dies geschehen soll, wird durch Gesetz bestimmt." Nach §. 158 dieses Staatsgrundgesetzes tritt der gemeinschaftliche Landtag, wenn der Herzog stirbt, oder wenn die Regierung des Statthalters oder des Regierungsverwesers endigt, spätestens am 4. Tage darauf, ohne Berufung in Gotha zusammen, falls derselbe nicht gerade einberufen ist, um den von Seiten des Regierungsnachfolgers, des Statthalters oder Regierungsverwesers zu leistenden verfassungsmässigen Eid entgegen zu nehmen.

8) Das Gegentheil behauptete Hannover in dem Antrage gegen Schaumburg-Lippe, das Steinhuder Meer betr., Prot. der B.-V. vom 13. Aug. 1861, §. 92, S. 134. Vergl. aber dagegen: die Erklärung von Schaumburg-Lippe, Prot. d. B.-V. 1862, 25. Sitz., §. 211, S. 344 flg. J. J. Moser, deut. Staatsr. Bd. XVIII, S. 471 fl. u. dessen persönl. Staatsr., Thl. II, S. 1 fl. - Gönner, deut. Staatsr., §. 243. Leist, Lehrb., 2. Aufl., §. 47. Maurenbrecher, Grundsätze 1837, §. 242, S. 466. Weiss, System 1843, S. 436. H. A. Zachariae, deut. Staats- u. Bundesrecht, 2. Aufl. Thl. I, (1853), §. 65, S. 304. J. Held, System des Verf.-R., Bd. II, (1857) S. 203. Vergl. oben §. 248, VII. Staatsr. II, 211 u. f.

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1) Moser, persönl.

Pütter, prim. lin., §. 64.

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