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von der Gottheit selbst als Erkenntnissquelle gegeben worden ist.

VII. Die religiöse Theorie eröffnet daher, wenn sie richtig aufgefasst wird, eine sehr würdige Ansicht über das Verhältniss der Staatsgewalt zu den Unterthanen.

VIII. Die Innehabung einer Staatsherrschaft erscheint hiernach als göttliche Berufung (jus divinum), wie die bei der Krönung katholischer Kaiser und Könige übliche Salbung andeutet), und somit auch als eine von Gott dem Fürsten erzeigte Gnade, was durch den Souverainetäts-Titel,, von Gottes Gnaden" anerkannt wird, der somit seinem geschichtlichen Ursprunge nach als ein sog. Demuths-Titel aufzufassen ist.

IX. In dem hier angegebenen Sinne ist auch die Lehre von dem göttlichen Ursprunge der Herrschergewalt in dem germanischen Mittelalter aufgefasst und als die Grundlage der kaiserlichen Regierungsgewalt angesehen worden 5).

X. Die religiöse Theorie kann als ein Beweis für das überwiegende sittliche Element in dem Menschen angeführt werden, demgemäss es dem menschlichen Geiste unmöglich ist, sich bei einem Faktum an sich zu beruhigen, sondern er sich unwiderstehlich angetrieben fühlt, bis auf den letzten Grund der Erscheinungen und ihre vernünftige Rechtfertigung durchzudringen. Darum dürfen und können auch die rationalen Theorien über die Entstehung des Staates nicht als Gegensätze (Negationen) der religiösen Theorie, sondern nur als anderweitige Entwickelungsversuche desselben Grandgedankens aufgefasst werden, durch welchen die religiöse Theorie sich über die rein historischen Theorien erhebt 6).

') Derselbe Gedanke lag auch dem Ceremoniale bei der Krönung des Königs von Preussen (1861) zu Grunde.

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5) Sachsensp. Art. 1. ,,Tuei svert lit got in ertrike, to bescermene de kristenheit. Deme pavese is gesat dat geistlike, deme keisere dat wertlike." Constitutio Ludovici Bavari a. 1338: declaramus, quod imperialis dignitas et potestas est immediate a solo Deo." Vergl. meine deutsch. Rechtsgeschichte, 3. Aufl. Stuttg. 1858. Thl. II. §. 47 u. 58. 6) Vertheidigt wird die religiöse Theorie, besonders mit Beziehung auf das christliche Dogma, in den oben, S. 37 u. 38 angeführten Schriften von Ad. Müller, Stahl und v. Krauss; auch mitunter von Franzosen, wie z. B. v. Bonald, le Meistre, de la Mennais, Chateaubriand etc.

Zweite Unterabtheilung.

B) Von der rationalen Begründung des Staates.

§. 41.

Von den Theorien, welche Anspruch darauf machen, als rationale Begründungsweisen des Staates zu gelten, überhaupt: ideale Theorie und Vertragstheorie.

I. Die Theorien, welche einen Anspruch darauf machen, als rationale Theorien über die Entstehung des Staates zu gelten, abstrahiren von der Beantwortung der Frage, wie und auf welche Weise die Staaten historisch entstanden sind; vielmehr suchen sie den allgemein giltigen Grund anzugeben, aus welchem das Bestehen einer obersten Gewalt in den einzelnen Staatsvereinen gerechtfertigt, d. h. als etwas Rechtliches zu betrachten ist.

II. Die beiden Theorien, welche zur Lösung dieser Frage aufgestellt worden sind, stimmen darin überein, dass sie den Staat, und somit das Bestehen einer Beherrschung als eine Vernunftforderung betrachten: jedoch zeigt sich im übrigen unter denselben eine wesentliche Verschiedenheit.

III. Nach der einen Ansicht reicht das Erkennen, d. h. das Bewusstsein dieser Vernunftforderung schon völlig hin zur Rechtfertigung des Staates und der Beherrschung, und ist diese somit schon in dem Begriffe und Wesen des Staates selbst oder in dem Staatszwecke enthalten 4).

IV. Nach der anderen Ansicht wird aber überdies zur Begründung und Rechtfertigung des Staates noch ein Willensakt, ein Vertrag, für nothwendig erachtet, um die anerkannte Vernunftforderung, dass ein Staat und eine Staatsgewalt existiren solle, praktisch zu verwirklichen.

V. Erstere Theorie hat allein Anspruch darauf, als rationale bezeichnet zu werden: man kann sie aber auch füglich die ,,ideale" Theorie nennen, da hiernach die Rechtfertigung des Staates in seine vernünftige Idee ausschliesslich gesetzt

1) Vergl. oben §. 22.

ist). Die andere Theorie ist man gewohnt, als Vertragstheorie zu bezeichnen.

§. 42.

Von der Vertragstheorie insbesondere.

I. Die Vertragstheorie ist aus dem Bestreben hervorgegangen, im Gegensatze der Theorie der Uebermacht und der damit verwandten Theorien, wonach das Individuum stets der Staatsgewalt gegenüber als rechtlos erscheint, den Staat auf eine solche Weise zu begründen, dass auch dem Individuum gegenüber von der Staatsgewalt noch unantastbare Rechte zuerkannt werden können 1). Dadurch, dass man den Rechtsgrund der Beherrschung in einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag setzt, soll das Bestehen der Herrschaft mit der individuellen Freiheit in Einklang gebracht werden 2), indem hiernach die Geltung derselben in einem concreten

*) Diese (ideale) Theorie wurde unter den Neueren zuerst von Kant, (metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797) aufgestellt, und der Staat als gerechtfertigt durch das Rechtsgesetz erklärt. (Ebenso K. S. Zachariä, 40 Bücher, Umarbeitung, I., S. 61). — Uebrigens war die ideale Theorie schon dem klassischen Alterthume nicht fremd, insbesondere insofern sie mit der naturphilosophischen Theorie übereinstimmt. (Vergl. §. 36.) Diese Theorie wird auch (in verschiedenen Modificationen) von allen bedeutenderen deutschen Philosophen vom Fache gehalten: die juristischen Schriftsteller haben sich dagegen meistens der (scheinbar mehr praktischen) Vertragstheorie zugewandt. Nach Hegel, Rechtsphilosophie, §. 258, Note, ist der Staat gerechtfertigt, durch den allgemeinen Willen, als das an und für sich (d. h. seinem Begriffe nach) Vernünftige."

1) Darum begann man in der Zeit, in welcher die Vertragstheorie, durch Rousseau 1762 neu zugerichtet, sich unter den Massen verbreitete, die neuen politischen Organisationen mit einer Erklärung der Menschenrechte. Vergl. die Unabhängigkeitserklärung der nordamerikanischen Freistaaten vom 4. Juli 1776; die Declaration der Menschenrechte durch die französische Nationalversammlung am 4. August 1789; und die erste Constitution von Frankreich vom 3. September 1791, Art. 1 u. f. Uebrigens hatte schon Locke das Eigenthum und die Personalfreiheit als unantastbare Rechte aufgestellt.

2) Diese Richtung tritt schon bei Hobbes hervor. Auch v. Haller kleidet zuletzt die (natürliche) Herrschaft der Mächtigen und die Abhängigkeit und Dienstbarkeit der Schwächeren in die Form von unzähligen Privatver

Kreise auf einen freien und gemeinsamen Willensakt der Individuen (la volonté générale) gestützt wird 3).

II. Uebrigens bestehen unter den Vertheidigern der Vertragstheorie selbst wieder mancherlei Abweichungen in den Ansichten über das Wesen des Staatsvertrages. Nach Einigen ist die Eingehung des Staatsvertrages etwas rein Willkührliches1), nach Anderen ist sie rechtlich nothwendig): Manche sehen in dem Staatsvertrage einen sog. Urvertrag, d. h. einen Vertrag, der von den Staatsgenossen bei der ersten Gründung des Staates ausdrücklich oder stillschweigend geschlossen wurde, und sich in seiner Wirkung auf die folgenden Generationen fortvererbt 6), Andere dagegen fassen den Staatsvertrag ganz in der Bedeutung eines Privat- oder PartikularVertrages auf, welchen jeder Unterthan thatsächlich schliesst, und gleichsam jeden Augenblick stillschweigend erneuert 7). Auch sind die Anhänger der Theorie der Urverträge darin nicht einig, ob der Staatsvertrag nur als ein einziger Akt zu betrachten sei, oder ob nicht in ihm mehrere Momente, wie

trägen ein, wodurch die Schroffheit seiner Theorie der Uebermacht gemildert werden soll.

3) Die Vertragstheorie war längst in England, Frankreich, Holland und Deutschland (durch Hobbes, Bodinus, Justus Brutus [Languet], Locke, Hugo Grotius, Sam. de Pufendorf u. A.) bekannt und in der Schule verbreitet, als Rousseau (1762) in seinem contrat social sie in Frankreich dadurch populär machte, dass er demokratische Consequenzen aus derselben zog. Ueber die Bedeutung der Theorie Rousseau's für die Wissenschaft sagt Hegel, Rechtsphilosophie, §. 258:,,Rousseau hat das Verdienst gehabt, ein Princip, das nicht nur seiner Form nach (wie etwa der Socialitätstrieb, die göttliche Autorität), sondern dem Inhalte nach Gedanke ist, und zwar das Denken selbst ist, nämlich den Willen, als Princip des Staates aufgestellt zu haben." Dahlmann, Politik, §. 234: Rousseau's Princip schmeichelt den selbstständigen Neigungen der Menschen durch ein Minimum des Staatszwanges. Daher der stürmische Beifall." 4) So z. B. Locke und Rousseau.

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5) Z. B. Jordan, Versuche über allgem. Staatsrecht, S. 101 u. f. 6) Die Theorie der Urverträge ist die am meisten verbreitete. Sie findet sich sowohl bei den älteren Schriftstellern (Note 3), als bei Rousseau und den meisten deutschen Publicisten, wie Scheidemantel, Schlözer, Fichte, Pölitz, Krug, v. Weber, v. Rotteck, Welcker, v. Dresch, Jordan u. A.

7) Die Theorie der Privatverträge findet sich am meisten entwickelt bei v. Haller, in seiner Restauration der Staatswissenschaft, und nach ihm bei Schmalz, deutsches Staatsrecht, §. 8-12.

z. B. ein Vereinigungs-, Verfassungs- und Unterwerfungs-Vertrag (pactum unionis, p. ordinationis s. constitutionis et p. subjectionis) unterschieden werden müssten 8).

§. 43.

Kritik der Vertragstheorie.

I. So leicht fasslich und der individuellen Freiheit günstig die Vertragstheorie. auch bei dem ersten Anblicke erscheinen mag, so hat sie dennoch keinen Anspruch darauf, als eine rationale Theorie zu gelten, da sie nicht das Wesen der Beherrschung rechtfertigt1), sondern nur die Form angibt, in welcher die Staatsgewalt (angeblich bei allen Völkern) zur praktischen Bedeutung gelangt.

II. Insofern diese Theorie den Rechtsgrund der Beherrschung in einem wirklich abgeschlossenen, ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrage erkennen will, kann sie eben darum, weil sie sich hiernach auf eine historische Thatsache, den Vertrag, gründet, doch nur für eine historische Theorie geachtet werden, und mag sodann als solche wohl mitunter historische Bedeutung und Giltigkeit haben, nämlich da, wo ein gewisser Staat wirklich durch einen nachweisbaren Vertrag seiner Mitglieder zu Stande gekommen ist 3).

III. Dem Anspruche der Vertragstheorie auf die Anerkennung als eine allgemein giltige, spekulative Theorie steht aber insbesondere entgegen, das gerade durch die Beziehung auf einen Vertrag ein solcher Endzweck der Theorie, die Beherrschung

*) So nimmt z. B. Hobbes (als Vertheidiger der absoluten Monarchie) nur einen Unterwerfungsvertrag an: Rousseau einen Vereinigungs- und Verfassungsvertrag; v. Rotteck nur einen Vereinigungsvertrag, Jordan einen Vereinigungs-, Verfassungs- und Unterwerfungsvertrag.

1) Hierzu bedarf es einer Beziehung auf einen Vertrag überhaupt nicht. Siehe oben §. 6.

*) Dies gibt selbst zu: Jordan, Vers. über allg. Staatsr. S. 101 u. f. 105. 3) Ancillon, die Souverainetät, S. 10. Eine grosse Hinneigung zur vertragsmässigen Ordnung der Beherrschung findet sich von jeher bei den germanischen Völkern. Es erklärt sich dies aus dem volksthümlichen Bestreben, den möglichen absolutistischen Consequenzen des von dem Fürstenstande aufgenommenen Patrimonialprincips (§. 39) entgegen zu wirken. Vergl. K. S. Zachariä, 40 Bücher (Umarbeitung) I., S. 64 u. f.

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