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Vierter Abschnitt.

Von der Staatsgewalt und dem Souverain.

§. 46.

Idee und Begriff der Staatsgewalt1).

I. Die Staatsgewalt ist ihrer Idee nach der im Staate herrschende Wille, d. h. der an sich vernünftige, auf die Erreichung des Staatszweckes gerichtete Wille, der mit der nothwendigen äusseren Macht zu seiner praktischen Geltung ausgerüstet ist2).

II. Objektiv aufgefasst, ist die Staatsgewalt der Inbegriff der dem Staatsherrscher als solchem zustehenden Regierungs- oder sog. Hoheits-Rechte: subjektiv, d. h. als Prädikat eines Subjektes betrachtet, erscheint sie als der Zustand der Innehabung der Hoheitsrechte (exercitium sive quasi-possessio juris imperandi) in einem bestimmten Staatsgebiete und somit auch als das Recht des herrschenden Subjektes, in dem Sinne, wie jeder Besitz, tiber welchem nichts Höheres gedacht werden kann, als ein Recht wirkt. In dieser letzteren Beziehung wird die Staatsgewalt vorzugsweise Souverainetät3), suprema potestas, genannt.

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1) Maurenbrecher, Grundsätze, §. 29. H. A. Zachariä, deutsches Staatsrecht, 2. Aufl. 1853, §. 14. F. Ancillon, von der Souverainetät, 1815. K. S. Zachariä, 40 Bücher (Umarbeitung), I., S. 82 u. f. - Bluntschli, allgem. Staatsrecht, 2. Aufl. 1857. Bd. II. S. 1 flg. J. Held, System des Verfassungsrechtes (1856), Bd. I, S. 233 flg.

2) In dieser Weise, als ein vermögender Wille, findet sich die Staatsgewalt namentlich bei Hegel und K. S. Zachariä aufgefasst. Die Verschiedenheit dieser Auffassung von der volonté générale Rousseau's, die nur arithmetisches Produkt der einzelnen Willen im Staate ist, erhellt von selbst. Vergl. oben §. 42 u. 43.

3) Zuerst findet sich der Ausdruck, Souveraineté, im französischen Entwurf des westphälischen Friedens, Art. 8, jedoch hier in Bezug auf die deutschen Reichsfürsten, als Bezeichnung der ihnen zuständigen Hoheits

§. 47.

Von dem Gegensatze der Macht und der Herrschaft im Begriffe der Staatsgewalt. Autoritäts- und Majoritätsprincip.

I. Versteht man unter Macht im allgemeinen eine Kraft, insofern sie einer anderen Kraft überlegen ist, so ist in diesem Sinne ein jeder Staat eine Macht, d. h. er besitzt als Gemeinwesen Kräfte, durch welche er dem Einzelnen überlegen ist1). Die Staatsmacht ist daher der Inbegriff aller im Staate liegenden Vermögen oder das Collativ-Vermögen des ganzen Staates als Gemeinwesen.

II. Verschieden von der Macht, welche sonach die materielle oder objektive Seite im Begriffe der Staatsgewalt bildet, ist aber die Herrschaft, welche im Gegensatze hiervon die subjektive Seite der Staatsgewalt ausmacht.

III. Das Wesen der Herrschaft besteht in dem Vermögen, über die Staatsmacht zu verfügen.

IV. Dieses Vermögen kann nur bei einem willensfähigen Subjekte sein, und dieses Subjekt ist entweder eine Autorität oder eine Majorität.

V. Das erstere ist der Fall, wenn das herrschende Subjekt den Rechtsgrund seiner Herrschaft in sich selbst (in seinem göttlichen Berufe) findet, d. h. die Anerkennung seines Herrscherrechtes überhaupt wegen einer von dem Volkswillen unabhängigen Thatsache fordert und den Inhalt seiner Verfügungen aus seinem eigenen Willen schöpft2); das andere

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rechte (gleichsam als Umschreibung ihrer Landeshoheit). „Que tous les princes et Estats en général et en particulier seront maintenus dans tous les autres droits de souveraineté, qui leur appartiennent. Gegenwärtig begreift man unter Souverainetät nur eine durchaus von einer höheren Gewalt unabhängige Staatsgewalt, im Gegensatze der Unterordnung, in welcher sich früher die deutschen Landesherren zu Kaiser und Reich befanden. Vergl. Jul. Fröbel, Theorie der Politik, Wien 1861, Bd. I. S. 233 flg.

1) Im Völkerrecht nennt man nur jene Staaten,, Mächte", welche anderen Staaten überlegen sind.

2) Das Wesen aller Autorität liegt im Selbsterschaffen, Selbsterdenken und Selbstgebieten. Eine Autorität ist daher eine Persönlichkeit,

ist der Fall, wo in Ermangelung einer Autorität die grössere Kopfzahl sich an deren Stelle setzt und aus der Thatsache ihres numerischen Verhältnisses den Rechtsgrund ihrer Herrschaft über die Minderzahl ableitet.

§. 48.

Verhältniss des Autoritäts- und Majoritäts-Princips.

I. Alle Autorität beruht auf Intelligenz, d. h. auf geistiger Ueberlegenheit und sittlicher Grösse, also auf einem Gesetze des Geistes: alle Majorität beruht dagegen auf einem Naturgesetze, d. h. auf der Thatsache der physischen Ueberlegenheit der Masse über den Einzelnen 1).

II. Die Herrschaft der Autorität, das sog. Autoritätsprincip, wurzelt in der natürlichen Regierungsbedürftigkeit der Massen: es gründet sich auf die erfahrungsmässige Thatsache, dass die Stärke der geistigen (intellektuellen und moralischen) Eigenschaften weder durch die Kopfzahl bedingt ist, noch mit ihr verhältnissmässig zunimmt, sondern dass vielmehr grosse intellektuelle und moralische Eigenschaften immer nur eine Auszeichnung Weniger oder Einzelner sind.

III. Das Majoritätsprincip geht von der Selbstregierungsfähigkeit der Masse aus und setzt also eine durchschnittlich gleiche Intelligenz und Sittlichkeit aller Volksklassen oder doch der Mehrheit des Volkes voraus. Es stützt sich auf die ebenfalls erfahrungsmässige Thatsache, dass die Macht an sich bei der Menge im Verhältniss zur Minderzahl ist, und dass daher die Masse herrscht, so wie sie nur herrschen will, d. h. zu einem gemeinsamen Gedanken oder Entschlusse gelangt.

IV. Das Autoritätsprincip liegt stets der absoluten Monarchie, das Majoritätsprincip den Republiken za Grunde.

die sich durch ihre Intelligenz, ihre geistige Fähigkeit und innere Bedeutung and deren Aeusserung Anerkennung verschafft.

1) v. Rotteck, Lehrb. des Vernunftrechtes, II. §. 18, hat das Naturgesetz ganz richtig erkannt: er irrt jedoch darin, wenn er, so wie die meisten sog. liberalen politischen Schriftsteller das Autoritätsprincip als durch dieses Naturgesetz völlig ausgeschlossen betrachtet.

V. Das Autoritätsprincip steht und fällt mit dem Glauben an die Herrschertüchtigkeit des Subjektes, welches mit der Autorität bekleidet ist. Die Gefahr, die dem Autoritätsprincip droht und es erschüttern kann, liegt in ihm selbst, da der Träger der Autorität, persönlich betrachtet, der Masse gegenüber stets der Schwächste, und nur so lange, als die Masse seine Autorität anerkennt und ihm gehorcht, der Stärkste, also wirklich mächtig ist.

VI. Aber auch das Majoritätsprincip trägt seine Gefahr und den Keim seines Unterganges in sich selbst; denn eine Majorität enthält, an sich betrachtet, keine Bürgschaft für ihre Vernünftigkeit oder dafür, dass sie Recht hat, wenn sie Recht macht: überdies ist sie ihrem Charakter als Massenherrschaft gemäss, nur dann von Bedeutung und Achtung gebietend, wenn sie selbst sehr gross, und in dieser Grösse beständig, die anders denkende Minderheit aber sehr klein ist 2). Ueberdies leidet das Majoritätsprincip aber regelmässig an einer inneren Unwahrheit, da seine Voraussetzung, die gleiche Tüchtigkeit aller Volksklassen, in der Wirklichkeit, abgesehen von ganz kleinen Staaten mit sehr einfachen Verhältnissen, nie vorhanden ist. Die weit aus überwiegende Mehrzahl ist nämlich entweder von Haus aus politisch unthätig (passiv), oder doch politisch untüchtig und nicht urtheilsfähig, und folgt daher nur dem Anstosse, welchen sie von einzelnen Wortführern (Demagogen) erhält, die den augenblicklichen Neigungen des Volkes schmeicheln und seine Leidenschaften aufstacheln und eben dadurch dem Volke Autoritäten werden, dass sie es für ihre subjektiven Ansichten zu gewinnen und zu stimmen wissen.

VII. Sonach ergibt sich, dass die Autorität der Majorität nicht entbehren kann und sie für sich gewinnen und in Uebereinstimmung der Ansichten mit sich erhalten muss, wenn

2) Wo und soweit eine Verfassung auf dem Majoritätsprincip beruht, hat die Minorität nicht nur den Trieb, sondern auch das Recht, Majoriät zu werden, d. h. sich zu dieser emporzuarbeiten. Dies drückt man im parlamentarischen Leben auch so aus: , der Majorität gehört die Beschlussfassung, der Minorität die Debatte." Davon, dass kleine Majoritäten kein moralisches Gewicht haben, liefert die Geschichte aller parlamentarischen Verhandlungen täglich die schlagendsten Beweise.

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sie auf die Dauer bestehen will3), und umgekehrt kann die Majorität der Autorität nicht entbehren, und muss eine solche, wenn sie keine vorfindet, aus sich selbst erzeugen, d. b. sie in ihren eigenen Wortführern suchen, weil sie in keiner anderen Weise zum Bewusstsein und Ausdruck eines Gedankens oder Grundsatzes kommen kann. Daher macht sich im geschichtlichen Verlaufe des Staatslebens bald eine Neigung zum Autoritätsprincipe, bald zum Majoritätsprincipe bemerklich, je nachdem die Schwächen des einen oder des anderen eine Zeit lang vorzugsweise empfunden worden sind. Die Aufgabe der Politik ist es aber, das Richtige, was in jedem dieser beiden Principien liegt, auszuscheiden und ihren Gegensatz auszugleichen. Dies ist das Ziel, welches insbesondere durch die beschränkte Monarchie zu erreichen gesucht wird.

§. 49.

Rechtlicher Charakter der Staatsgewalt1).

I. Fasst man die Staatsgewalt als das Herrscherrecht über alle im Staate liegenden Vermögen und Kräfte auf (§. 47), so ergibt sich von selbst, dass es im Staate keine höhere Gewalt geben kann, als die Staatsgewalt.

II. Eben darum, weil sie die höchste Gewalt im Staate ist, ist sie auch eine absolute Gewalt im philosophischen Sinne, wonach jede Gewalt so bezeichnet werden kann, welche den obersten Grund ihrer Geltung in ihrer Vernünftigkeit,

3) Jeder Regierung, auch wenn sie auf dem Autoritätsprincip beruht, muss daran gelegen sein, die Massen sich ergeben und zufrieden zu erhalten, weil hierdurch der freiwillige Gehorsam bedingt ist, der für jede Regierung den höchsten Werth hat.

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1) Maurenbrecher, Grundsätze, §. 30. K. S. Zachariä, 40 Bücher (Umarbeitung) I., S. 88 u. f. Schmitthenner, 12 Bücher Tom Staate, Bd. 3, S. 284. - J. Held, System des Verf.-Rs., S. 305 flg. Recht gut hat H. A. Zacharia, deutsches Staatsrecht, I., §. 19, gegen die gewöhnliche Annahme bemerkt, dass Eigenschaften, welche nur Gott zukommen, wie Unfehlbarkeit, Allgegenwart und dergl. der Staatsgewalt nicht zukommen können; nicht richtig ist es aber, wenn er die persönlichen Attribute, welche dem Subjekte der Staatsgewalt wegen deren Innehabung zukommen, wie Unverantwortlichkeit und Heiligkeit, zu den Eigenschaften der Staatsgewalt selbst rechnet.

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