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also in sich selbst trägt. Hiermit ist aber keineswegs gesagt, dass die Staatsgewalt auch im politischen Sinne, d. h. hinsichtlich des Umfanges ihrer Thätigkeit eine absolute, d. b. unbeschränkte und willkührlich zu gebrauchende Gewalt sei2).

III. Die Staatsgewalt ist ferner als höchste Gewalt auch unwiderstehlich in dem Sinne, dass, wenn es irgend einer Macht gelingen würde, der Wirksamkeit der Staatsgewalt innerhalb ihrer Sphäre mit Erfolg einen von ihr nicht überwindlichen Widerstand entgegenzusetzen, damit die Staatsgewalt selbst vernichtet und aufgehoben wäre.

IV. Als höchste Gewalt ist die Staatsgewalt der Theorie nach auch in appellabel: in der Praxis hat jedoch die Rücksicht darauf, dass die Staatsgewalt nur durch vielerlei Organe handeln kann, überall zu einer Abstufung ihres Organismus geführt, so dass eine Berufung von den Erlassen der niederen an die höheren Instanzen zugelassen wird. Desgleichen hat die Rücksicht darauf, dass Rechtsverletzungen im Staate an sich nicht stattfinden sollen (§. 45) und dass auch die höchste Gewalt vernünftigerweise nie eine Rechtsverletzung beabsichtigen kann, in den meisten Staaten dahin geführt, Einrichtungen zu treffen, wonach, wenn nicht über die Zweckmässigkeit, sondern über die Rechtlichkeit der Handlungen der Staatsgewalt gestritten wird, ein Verfahren vor den Gerichten stattfinden kann 3).

V. Wegen der Einheit ihres Zweckes und ihrem Begriffe als höchste Gewalt zufolge ist die Staatsgewalt endlich auch ihrem Wesen nach eine untheilbare Gewalt 4). Etwas Anderes ist die Theilung der Arbeiten der Staatsgewalt unter verschiedene Organe. Es ist daher ein Missverständniss, von einer eigentlichen Theilung der Staatsgewalt selbst eine Sicherung der Freiheit und Gerechtigkeit zu erwarten. Ueberdies wäre eine äussere Darstellung derselben nur im Gebiete der nie

2) Siehe unten §. 52.

3) Das Weitere siehe unten bei der Darstellung der Lehre von der Competenz der Gerichte, §. 449 flg.

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4) Tacit. Annal. I. 6. Ea est conditio imperandi, ut non aliter ratio constet, quam si uni reddatur." Für die deutschen monarchischen Bundesstaaten ist die Untheilbarkeit der Staatsgewalt positiv in der Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820, art. 57 ausgesprochen. Siehe unten §. 334.

deren Politik möglich: im Gebiete der höheren Politik ist überhaupt damit nichts auszurichten 5).

§. 50.

Von der Uebertragung der Staatsgewalt.

I. Die Macht, als die Thatsache der überlegenen Kraft (§. 47), ist ihrer Natur nach unveräusserlich: darum kann sie auch gar nicht an ein Subjekt übertragen werden, sondern sie bleibt, als physische Kraft betrachtet, stets bei der Masse, resp. bei dem schlagfertigen und kampfgerüsteten Theile des Volkes, als moralische Kraft aber bleibt sie stets bei dem oder den Subjekten, welche die geistige Ueberlegenheit, d. h. die höhere Intelligenz und Willenskraft besitzen.

II. Mit dieser höheren Intelligenz und Willenskraft ist aber auch die Möglichkeit der Verfügung, d. h. die Herrschaft (imperium) über die physische Macht (die Massen) von selbst gegeben, da in der Masse das Bedürfniss und eben darum auch die Fähigkeit der Anerkennung der Intelligenz und Willenskraft in den begabten Subjekten liegt.

III. Diese Verfügung über die physische Macht und die niederen Intelligenzen, welche das Wesen der Herrschaft bildet, ist aber auch alles und allein das, was bei einem intelligenten Subjekte sein kann 1), so wie umgekehrt keine Staatsform ohne das Bestehen einer solchen Verfügung, d. h. Herrschaft, gedacht werden kann.

IV. Was nun aber den Grund der Zuständigkeit der Herrschaft anbelangt, so ist es eine sehr häufige Behauptung, dass die Staatsgewalt eine dem regierenden Subjekte vom Volke übertragene Gewalt sei.

V. Insofern diese Behauptung auf allgemeine Giltigkeit in allen Staaten und Staatsformen Anspruch machen will,

5) Julius Fröbel, Theorie der Politik, Wien 1861. S. 182. 185. 193. 1) Im Jahre 1525 schrieb Johann von Schwarzenberg an seinen Sohn Friedrich: „Und handel genetich mit den leuten. . . So du die leut in diesen leuften dir hessig machest, wurde dir grossen Nachtheil bringen und du kanst nit yderman allein erschlagen. Dis verstee im besten." Siehe diesen Brief in meinen Alterthümern des deutschen Reichs und Rechts, 1860. Bd. II. S. 436 flg.

stellt sie sich als eine Folgerung aus der Vertragstheorie (§. 42) dar, und fällt daher von selbst mit dem Nachweise der Unrichtigkeit dieser Theorie (§. 43). Wer jede bestehende Staatsgewalt als auf einer Uebertragung durch das Volk beruhend betrachten wollte, würde sich theils eine historische Unrichtigkeit zu Schulden kommen lassen 2), theils sich genöthigt sehen, zu gehaltlosen Fiktionen zu greifen 3), um die Geltung einer Herrschaft als Staatsgewalt da zu erklären, wo sie erweislich ohne solche Uebertragung durch das Volk entstanden ist1).

VI. Ueberhaupt aber ist auch die Frage nach der Uebertragung der Staatsgewalt keine Frage der Spekulation, sondern nur der Geschichte, und hat überdies als solche nur für die monarchische Staatsform Bedeutung: d. h. es kann wohl die monarchische Souverainetät einem gewissen Staate, wie dermal in England, Frankreich und Belgien, auf einer Uebertragung durch das Volk beruhen, es ist dies aber keine principielle Nothwendigkeit.

VII. In den Republiken kann dagegen, da diese auf dem Principe der Volkssouverainetät beruhen, ohnehin nur von einer Uebertragung der Ausübung der Staatsgewalt an Beamte im Namen des souverainen Volkes, nicht aber von einer Uebertragung der Souverainetät selbst die Rede sein, weil letztere vom Volke als mit seinem Dasein als Republik von selbst gegeben und ihm unmittelbar zuständig betrachtet wird.

VIII. Offenbar sind die Vertheidiger der Meinung, dass die Staatsgewalt in den monarchischen Staaten allgemein als dem Staatsherrscher durch das Volk übertragen betrachtet werden müsse, in der Meinung befangen, dass einestheils nur durch eine solche Fiktion dem Volke Rechte gegenüber vom Staatsherrscher erhalten werden könnten, anderntheils aber kein Subjekt auf andere Weise einen vom Volke anzuerkennen

2) Nicht jeder Staatsform ist eine Demokratie oder Volkssouverainetät vorhergegangen; im Gegentheile tritt historisch erweislich die republikanische Verfassung meistens nur erst später nach dem Sturze anfänglich monarchischer Verfassungen hervor.

3) Z. B. nachfolgende stillschweigende Genehmigung des Volkes u. s. w. 4) Z. B. da, wo in Folge einer Eroberung oder eines Friedensschlusses ein Landstrich an einen neuen Herrscher übergeht.

den Rechtstitel zur Herrschaft erlangen könne, und daher die Uebertragung der Staatsgewalt durch das Volk mindestens fingirt werden müsse.

IX. Eine solche Fiktion ist aber in ersterer Beziehung ganz unnöthig: die Rechte und Pflichten des Staatsherrschers und des Volkes bleiben stets dieselben, wie auch immer die Herrschaft geschichtlich entstanden sein mag (§. 45).

X. In zweiter Beziehung ist aber diese Fiktion ebenfalls bedeutungslos, weil nun einmal die geschichtliche Entwickelung des Staatslebens bei den europäischen Völkern auch die Anerkennung anderer Rechtstitel zur Herrschaft, die vom Volkswillen ganz unabhängig sind, festgestellt hat (§. 44)3).

§. 51.

Von der Widerruflichkeit der Staatsgewalt.

I. So wie die Vertragstheorie hauptsächlich aus dem Bestreben hervorgegangen ist, um die (allerdings durchaus unrichtige) Ansicht zu bekämpfen, als ob das Volk dem Staatsherrscher gegenüber rechtlos wäre, und so wie man desshalb glaubte, seine Zuflucht zu der Fiktion nehmen zu müssen, dass alle Staatsgewalt dem Souverain vom Volke unter Vorbehalt seiner Rechte übertragen sei (§. 50), so musste man bei consequenter Entwickelung der Vertragstheorie auch dahin gelangen, dem Volke das Recht beizulegen, die Staatsgewalt dem Herrscher wieder zu entziehen, d. h. dieselbe wie ein Mandat oder Depositum zu widerrufen, wo sie auf eine dem Volkswillen missfällige Art ausgeübt werde. Es lässt sich sogar nicht verkennen, dass die Vertragstheorie hauptsächlich zu dem Zwecke aufgebracht wurde, um die Widerruflichkeit der Staatsgewalt aus einem (angeblich) allgemeinen Principe ableiten zu können. Ueberzeugt man sich aber von der Unrichtigkeit obiger Voraussetzungen, so hat man sofort auch gegen die Widerruflichkeit der Staatsgewalt entschieden.

5) Anerkennung ist Bewusstsein von dem, was wirklich Geltendes ist, und daher ihrem Begriffe nach gleichgiltig, ob sie freiwillig oder unfreiwillig und mit Widerstreben geschieht.

II. Wer die Widerruflichkeit der Staatsgewalt behauptet, huldigt, vielleicht ohne sich dessen selbst bewusst zu sein, der Theorie Rousseau's über die Volkssouverainetät, und verwechselt den Staatsherrscher mit dem Beamten einer Republik, welchem die Ausübung der exekutiven Gewalt vom souverainen Volke als ein Amt übertragen ist. Jedoch hat die unvermeidliche Rücksicht auf die unentbehrliche Stätigkeit der Staatsverwaltung sogar in allen Republiken dahin geführt, dass mindestens der erste Vollzugsbeamte für eine bestimmte Zahl von Jahren ernannt wird, innerhalb deren seine Amtsführung vom Volke nicht willkührlich widerrufen werden darf 1). Von einem Widerrufen der Souverainetät des Volkes selbst ist nach der Natur der Sache bei der republikanischen Staatsform, so lange die Republik besteht, an sich nicht die Rede: das Aufgeben der Volkssouverainetät fällt hier mit dem Wechsel der Staatsform, d. h. mit dem Uebergang in die monarchische Staatsform in Eines zusammen.

III. Aber auch in den Monarchien, welche mehr oder minder auf dem Autoritätsprincipe (§. 47) beruhen, d. h. in welchen der Souverain sein Herrscherrecht nicht vom Volkswillen ableitet, kann von einer Widerruflichkeit der Staatsgewalt nicht die Rede sein, da derjenige, der nichts gegeben oder übertragen hat, überhaupt nichts widerrufen kann. Hier kann nur die Frage aufgeworfen werden, ob und wie weit und unter welchen Voraussetzungen ein Volk seinem Fürsten den Gehorsam verweigern, Widerstand leisten oder etwa sogar zur Revolution schreiten dürfe, wovon an einem anderen Orte zu handeln ist 2). Sehr häufig hat man aber diese Frage, welche wesentlich eine andere ist, als die nach der Widerruflichkeit der Staatsgewalt, mit dieser verwechselt.

IV. Auch da, wo das Volk eine Dynastie auf den Thron beruft, geschieht die Berufung regelmässig unwiderruflich.

V. Nur bei Wahlmonarchien findet man mitunter, dass das wahlberechtigte Collegium auch die Befugniss in Anspruch nimmt, den gewählten Fürsten wieder abzusetzen,

') Die Verfassung von Nordamerika Art. II. §. 1, setzt die Amtsdauer des Präsidenten auf 4 Jahre fest.

2) Siehe unten §. 280. 283.

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