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über das positive Recht zum Kriege und den Stand der bezüglichen Wissenschaft zu informieren, viel klüger geworden die Blätter zur Seite legt. Ich wenigstens habe aus dem zum Teil nichts weniger wie erquicklichen Studium aller dieser oft sehr umfangreichen Monographieen nichts weiter mitgebracht, als die Kenntnis davon, wie man es nicht angreifen muß, um über die Frage wissenschaftliche Klarheit und positive Daten zu be kommen. Freilich, wenn noch so viele andere unzweifelhaft einen falschen Weg eingeschlagen haben, so bietet das noch lange keine Gewähr dafür, daß meine Methode den richtigen getroffen, und noch viel weniger, daß die erarbeiteten Resultate einen positiven wissenschaftlichen Fortschritt bedeuten. Habent sua fata libelli! Nur dieses negative Verdienst glaube ich der Arbeit sicher vindicieren zu dürfen, daß sie den Beweis davon geliefert habe, nicht nur wie schwierig das Unternehmen ist, sondern auch davon, wie sehr es im Interesse der gegenwärtigen Wissenschaft liegt, mit der fraglichen Materie eingehender und ernster wie bisher sich zu beschäftigen.

Jm II. Bande seines Völkerrechts der Gegenwart", deutsch von Bergbohm S. 476 sagt C. F. Martens, indem er sich anschickt, eine Definition des Krieges zu geben: „Jedermann weiß, was der Krieg ist, aber ihn wissenschaftlich korrekt zu definieren, scheint nicht so einfach; die bisherigen Begriffsbestimmungen weisen die größte Verschiedenheit auf.“ Ich habe es nun für meinen Zweck von Bedeutung gehalten, diese Verschiedenheiten in den historischen, Schule machenden Vertretern der Wissenschaft vorzuweisen und zu untersuchen, ob dieselben nicht in einem notwendigen kausalen Zusammenhang ständen mit der prinzipiellen Verschiedenheit, nach welcher jene Autoren ihre Systeme des Völkerrechts konstruieren. Ich glaube im allgemeinen einen solchen Zusammenhang nachgewiesen zu haben, und wenn einzelne Autoren auch die Kette zuweilen durchbrechen, so ist das nicht meine Schuld. In der That, die prinzipiell verschiedene Auffassung des Völkerrechts als eines naturrechtlichen, d. h. philosophischen Systems und als eines positivrechtlichen ist auch in der wissenschaftlichen Definition des Krieges seitens ihrer Autoren zur Geltung gekommen. Leider aber haben die Positivisten keine irgendwie wissenschaftliche Definition des Krieges gegeben, und die Philosophen zwar eine sehr wissenschaftliche aber keine positive. Die Wahl kann nun hiebei nicht wehe thun, denn auf jede Weise kommt für die Wissenschaft gleich wenig heraus. Bei dieser mißlichen Sachlage war nur eine vollständige Emanzipation von der alten Theorie und ihrer Methode angezeigt. Ich suchte daher vor allem den historischen Begriff des Krieges festzustellen und für

diesen einen Plaß im Systeme der völkerrechtlichen Beziehungen zu gewinnen ganz im Gegensatz zu der bisherigen Methode, die erst ihr System und dann einen dazu passenden Kriegsbegriff konstruierte, gleichviel, ob dieser der geschichtlichen Funktion des Krieges gerecht wurde oder nicht.

Die Erarbeitung eines positiven Begriffes des Krieges war die notwendige Voraussetzung aller Untersuchung seines Rechts. Das Recht zum Kriege! Ein Recht welchen gewaltigen Inhalts, von welcher eminenten Bedeutung jedenfalls für jedes wissenschaftliche System des Völkerrechts! Ich habe mich erwartungsvoll an das Studium der bisherigen Theorieen gemacht und habe, was da zu finden war, begierig aufgegriffen, aber ich habe keine Theorie über das Recht zum Kriege erhalten können, welche die Säure wissenschaftlicher Logik zugleich und den Prüfftein der Geschichte zu bestehen vermochte, nicht einmal eine Lehre, welche wenigstens das stolze Bewußtsein davon verraten hätte, wie unendlich wichtig ihr Inhalt überhaupt für das Völkerrecht ist, bezw. sein könnte. So war ich denn auch hier genötigt, einsame Pfade zu wandeln unangenehm genug für den, der sie zum erstenmale beschreiten muß und nicht weiß, wo er herauskommen wird. Selbstverständlich kam es mir zu, um die Berechtigung eines selbständigen Vorgehens zu legitimieren, meine Überzeugung von der Unzulänglichkeit, ja der vollständigen Verfehltheit der bisherigen Theorie über diese Materie zu begründen. Zwei Extreme standen sich hier schroff gegenüber: Das eine repräsentierte mir v. Moser, der Vater des Positivismus, das andere v. Bulmerinc q, der Begründer der heutigen Systematik. Jedenfalls haben beide wenigstens eine positive Offenbarung für das Recht zum Kriege; man erfährt, was sie wollen, und sie geben, was sie können. Alle andern aber fühlen sich offenbar mehr wie unbehaglich in dieser Gegend des Völkerrechts; zwar können sie nicht gut umhin, etwas weniges an der unheimlichen Stelle zu verweilen, aber sie lassen so dürftige und so konfuse Spuren ihres geistigen Daseins zurück, daß sie nirgends so recht faßbar sind. Bei dem einen von den beiden nun, die Beachtung verdienen, bei v. Moser, fiel es mir nicht schwer zu zeigen, daß was er bringt alles, aber keine Wissenschaft ist: ich ließ ihn selber reden. Ernster war die Kritik bei v. Bulmerincq. Dieser eminente Gelehrte ist in dem nicht genug zu würdigenden Streben nach wahrhaft wissenschaftlicher Verarbeitung des vorhandenen positiven Materiales nicht selten, am auffallendsten aber gerade hier ausgeglitten und unvermerkt auf den Boden der Hypothese geraten; er hat freilich ein stupendes systematisches Gebäude konstruiert, aber er

hat nicht alle Balken zu diesem so symmetrisch abgezirkelten Bau aus der Rüstkammer des praktischen Völkerrechts genommen, kurz, er hat seine Positivität, nach der er sichtlich überall in seinem trefflichen und stoffreichen Handbuch gerungen, wenigstens bei dieser Materie dem Kultus seiner Systematik geopfert: Das v. Bulmerincqfche Recht zum Kriege habe ich absolut nicht als positiv erfinden können, und ein besseres haben wir nicht. Dies war das zweite negative Resultat, das ich erarbeitete, aber es war geeignet, den Boden für ein positives vorzubereiten. Nur muß, wer gerade hier Positives zu Tage fördern will, nicht nur gegenüber den Einflüsterungen des bösen Naturrechts, das selbst seine nüchternsten Verächter manchmal in schwachen Stunden beschleicht, völlig taub sein können, sondern er muß auch die Kunst verstehen, der Weltgeschichte zwischen den Zeilen zu lesen, die Rechtsüberzeugungen der Völker nicht aus den Worten ihrer Sprecher, sondern aus den geschehenen Thaten erkennen, und er muß endlich genügende Selbstüberwindung besigen, um das was er solchermaßen gefunden, auch wirklich als positives, weil thatsächlich die Beziehungen der Völker beherrschendes Recht darzustellen.

Die Ausführung dieses Rezeptes führte mitten in das Feld der Geschichte. Und in der That kann nur aus dieser, wie alles historisch Gewordene, so auch der Krieg in Zweck und Inhalt vollkommen begriffen werden; er zumal ist die allgemeinste aller historischen Erscheinungen, gleich gemeinsam jeder Zeit und jedem Raume. Eben deshalb schien eines sofort klar: Wenn die Völker des barbarischen Altertums, wenn die Naturvölker der ozeanischen Inseln eben sowol die Erscheinung des Krieges produzieren, wie das moderne Europa, dann kann er auch aus dem Völkerrecht, das ein gänzlich modernes und auch heute noch kein universales, sondern ein welt-partikulares System ist, allein nicht begriffen werden. Der Krieg ist älter als das Völkerrecht, ist beständiger, allgemeiner, gewaltiger wie jenes. Nicht der Krieg hat sich darum mit dem Völkerrecht abzufinden, sondern das Völkerrecht mit dem Kriege! Und die Wissenschaft mag allerdings versuchen, ihn mit ihrem abstrakten Rüstzeug zu begreifen, ihn in systematische Beziehung zu verwandten Begriffen zu seßen; aber wenn das nicht möglich ist, so darf sie keinen Begriff aus ihm konstruieren, dessen Merkmale er nicht teilt, darf sie ihm keine Rolle zuweisen, die er in Wirklichkeit nicht erfüllt. Es bleibt ihr dann mir übrig, zu Gunsten eines sicheren Restes alles Zweifelhafte und Fremde, und wenn es auch noch so großartig und noch zu verlockend zum systematischen Aufbauen wäre, unbedenklich zu opfern. Aber zu diesem Opfer konnte die Völkerrechtswissenschaft sich nicht verstehen; lieber gab sie Logik und

historischen Charakter preis und würdigte sich zur blinden Nachbeterin mancher Praris herab, die ihrerseits allerdings zuweilen ein Interesse daran haben mochte, Arbeit und Wirkung des Krieges unter das Irrlicht eines künstlichen abstrakten Begriffes zu stellen. Es war das Naturrecht, welches der Praxis diese wunderliche und überflüssige Konzession machte, es war das Naturrecht, welches den Verkehrsakt zum Rechtsakt, welches den Krieg zum Prozesse metamorphosierte.

Die Geschichte allein konnte und mußte gegen diese Vorstellung zeugen. Sie selbst mußte es bethätigen, daß sie dem Kriege eine andere Rolle zugewiesen, als die des Prozeßmittels. Und indem sie eine vollkommen abgeschlossene, lediglich durch den Krieg charakterisierte, lediglich von ihm erfüllte Periode des Verkehrs flar bis in alle Details von Anfang bis zu Ende vor unseren Augen sich entwickeln läßt, führt sie die Wissenschaft ad absurdum. Es ist die Geschichte der Privatkriege, welche zu dieser Erkenntnis zwingt, die Geschichte jener blutigen Periode im Werdeprozeß großer Staatengebilde, wo alles Rechtsleben im Rechte der Selbsthilfe Anfang und Ende findet. Es genügte, in einer einzigen und zwar am charakteristischsten in der Entwickelung gerade des eigenen deutschen Volkswesens jenen Beweis durchzuführen, aber der Gewinn für die völkerrechtliche Erkenntnis und für die juristische Schäßung des gegenwärtigen internationalen Rechtslebens war bedeutsam genug, um diese eine Durchführung in breiteren Rahmen zu rechtfertigen. Auch die Privatkriege hat die Praris dereinst mittels der sanften Maske des Rechtsstreites zu humanisieren versucht, und die Wissenschaft hat ihr bereit willigst die Phraseologie und den technischen Wortschat dazu geliefert. Nichtsdestoweniger hat die Gesellschaft, die eben nach eigenen realen Gesezen und nicht nach den Meimingen künstlicher Abstraktionen sich fortbildet, endlich einmütig und unermüdlich gegen diesen Rechtsstreit" sich erhoben, und heute nach Jahrhunderten ist niemand Ernsthafter mehr, der die kaiserlose, d. h. die rechtlose, die schreckliche Zeit, als die der „kriegerischen Prozesse" zu bezeichnen wagte. Die Zeit des Faustrechts nennt man sie heute, d. h. der Gewalt, und erkennt damit, daß es sich dorten nicht um einen Rechtsstreit gehandelt hat, sondern um eine elementare Form des Erwerbes, um eine für unsere moderne Kultur immane Form. der Daseins, der Kraftbethätigung.

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Für diese Form ist innerhalb des modernen Staates, ist innerhalb des Rechtsstaates kein Raum mehr. Aber der Staat selbst als wirtschaftender, Kräfte bedürfender Organismus, weil er vermöge der lockeren Organisation der Staatengemeinschaft, welcher er angehört, nicht wie der

heutige Private vor dem lucrum cessans des Unterlassens geschüßt ist, kann auf das Mittel nicht verzichten, das er seinen Bürgern anzuwenden verboten hat: Ebenso frei, aber auch ebenso schußlos lediglich auf die eigene Kraft angewiesen, wie ehemals jene innerhalb seiner Grenzen, ist er noch heute innerhalb der internationalen Rechtsgemeinschaft. Will er nicht gewärtigen, die Vorteile, welche die Gewalt etwa zu verschaffen im stande ist, von einem anderen vorweggenommen zu sehen, so muß er sich ihrer bedienen, so bald er sie für sein Interesse notwendig erachtet. Die Überzeugung von solcher Notwendigkeit ist sein Recht zum Kriege!

Dieses Recht ist ein positives, d. h. ein thatsächlich geübtes. Den Nachweis des Gegenteils führen zu wollen, hieße nichts anderes, wie den Staaten die Thorheit insinuieren, als ob sie ihr eigenes Interesse zu Gunsten anderer nicht der Gesamtheit, welche keine werbende ist außer acht ließen. Das Selbstinteresse ist die Basis, von welcher aus alles Recht des Krieges, so lange ein solcher existiert, naturgemäß seine oberste, ja seine einzige Direktive erhält.

Allein im Laufe der Jahrhunderte hat diese eherne Basis, die übrigens nur von oberflächlichen Denkern für einen Tummelplay brutaler Willkür gehalten werden könnte, durch nicht minder positives Recht Einschränkungen erfahren, welche in ihrer Gesamtheit einen unendlichen Fortschritt der menschheitlichen Gesittung und des heutigen praktischen Völkerrechts gegenüber dem der vergangenen Epochen bedeuten. Und zwar in doppelter Weise ist dieser Fortschritt evident geworden. Einmal durch die Erweiterung und Erstarkung des konventionellen Rechts, der klarsten Erscheinungsform positiven Völkerrechts. In ganz eigentümlicher, ja verblüffender Weise hat dieses dem generalen Recht zum Kriege Schranken errichtet. Denn indem es eine Anzahl von Subjekten und Objekten völkerrechtlicher Beziehung mit dem Benefizium der ständigen Befriedung be-. gabte, hat es dieselben überhaupt der kriegerischen Rechtssphäre entrückt: Es eristiert zufolge gemeinsamen Übereinkommens der Staaten überhaupt kein Recht zum Kriege gegen einen neutralisierten, neutralen Staat, kein Recht zur Gewaltanwendung gegen irgend ein ständig befriedetes Objekt. Solchermaßen, als rechtliche Modifikation des obersten Sahes, wird das Recht der Neutralisation in engste lebendige Beziehung eben zur wichtigsten Materie des Völkerrechts, zum Kriegsrecht, gesezt und erhält hierdurch die theoretische Anerkennung seiner genetischen Beziehung und Bedeutung. Denn diese Anerkennung hat ihm die Theorie bisher versagt; sie hat es nicht vermocht, das Recht der Neutralisation nach Inhalt und Zweck in flarer und wahrhaft wissenschaftlicher Weise zu erfassen, und sie hat

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