Page images
PDF
EPUB

einzelnen Arbeiter in Beziehung auf die religiöse Bildung, den Unterricht, das Lernen und die Lehre, die Geselligkeit, die Sittlichkeit und die Gesundheit, namentlich aber der Sicherstellung des Familienlebens für Jeden.

Bei dieser seiner gesellschaftlichen und individuellen Zweckmässigkeit ist unter bestimmten Voraussetzungen auch seine Berechtigung begründet. Diese Voraussetzungen haben wir schon kennen gelernt.

Einmal muss eine entschiedene, den besonderen Schutzapparat rechtfertigende Gefährdung aus der Dienstverwendung heraus vorliegen. Sodann darf der Arbeiterschutz nur gegen jene Gefährdungen auftreten, welchen der uralte Selbstschutz, der Familienschutz, der Hilfsprivatschutz, der ausserstaatliche Korporationsschutz, endlich der ordentliche Verwaltungs- und Gerichtsschutz einzeln oder zusammen nicht oder nicht mehr zu wehren vermögen, und er darf auch gegen solche Gefährdungen nur im Masse des Ergänzungsbedürfnisses Platz greifen. Endlich muss gerade der ausserordentliche Staatsschutz, welcher in den einzelnen Massregeln des Arbeiterschutzes liegt, zur Bewältigung der Gefährdung geeignet sein.

Dies vorausgeschickt, wird man bei Betrachtung der einzelnen Thatbestände des Arbeiterschutzes, wie sie in den Beschlüssen der Berliner Konferenz und in der v. Berlepsch'schen Novelle zu Tage treten, nicht einen einzigen finden, welcher diese Grenzen überschritte. Nach Inhalt, Ausdehnung und Organisation geht das geltende und von den Regierungen weiter erstrebte Arbeiterschutzrecht nirgends über das bezeichnete Mass hinaus; eher bleibt es da und dort vorsichtig hinter dem Zulässigen bis auf weiteres noch zurück. Aus den bisherigen Darlegungen geht dies klar hervor. Der Arbeiterschutz, wie er gegenwärtig von der deutschen Regierung erstrebt ist, kann eben deshalb nur als völlig berechtigt anerkannt werden.

Von dieser Schutzpolitik - das zeigten die Abschnitte IV bis Xist nirgends das Absehen darauf gerichtet, den freien Selbst- und Hilfschutz oder den ordentlichen gemeinbürgerlichen Staatsschutz zn verdrängen und zu ersetzen, Nirgends

will Zusatz an Arbeiterschutz gewährt werden, wo kein besonderes Bedürfnis vorliegt. Nirgends soll der Schutz in höherem Masse Platz greifen, als es nötig ist. Es ist nicht davon die Rede, die schutzrechtlich verschiedenen Klassen der gewerblichen Hilfsarbeit überall und in allem über denselben Kamm zu scheren. Vielmehr ist diesfalls die in der Ungleichmässigkeit des Schutzbedürfnisses und in der Ungleichheit der Ausführungsschwierigkeiten tief begründete und daher gauz normale Mannigfaltigkeit der Behandlung, also die Ausserordentlichkeit des Schutzeingriffes nach Inhalt, Recht und Organisation vollständig gewahrt.

Allerdings ist der Arbeiterschutz noch nicht zum vollen Abschlusse gelangt, weder dem Inhalte, noch der Organisation nach. Allein alle weitergehenden, woher immer kommenden Forderungen, soweit sie uns diskutierbar erschienen, verlassen die dem Arbeiterschutz als ausserordentlichem und ergänzendem Staatseingriff gesteckten Grenzen ebenfalls nicht oder doch nur sehr beschränkt. Selbst der Antrag Auer u. G. enthält beim Lichte betrachtet, wenn man von dem allgemeinen achtstündigen Arbeitstag, von gewissen Organisationsforderungen und von der Ausdehnung auf alle Gewerbe absieht mehr scheinbare als wirkliche Uebertreibung; denn derselbe verlangt zwar für alle Gattungen der gewerblichen Arbeit den ganzen Arbeiterschutz, aber der letztere soll im wesentlichen nur dieselben ausserordentlichen Massnahmen umfassen, welche von anderer Seite gefordert und oben begründet sind, nur teilweise in stärkeren Dosen.

Der Arbeiterschutz stellt nicht einmal bisher nicht dagewesene Staatseinmischung dar. Längst besteht ein ordentlicher Verwaltungs- und Gerichtsschutz des Staates für die Arbeit des gewerblichen Lohndienstes und selbst ausserordentliche Eingriffe für Kinder, Jünglinge, Jungfrauen und erwachsene Frauen und für erwachsene Männer giebt es schon länger im Verwendungsschutz, im Truckschutz, im Betriebsschutz, im gewerbeordnungsmässigen Kontraktschutz der nichtfabrikmässigen, wie der fabrikmässigen Arbeit. Der Verwendungsschutz ist also weit entfernt, die Staatseinmischung einer bisher

schrankenlosen Vertragsfreiheit gegenüber erst zu beginnen. Mit den im Zuge befindlichen Weiterbildungen will Nichts geschaffen werden, was nicht anderswo zumal in England, Oesterreich, der Schweiz - meist schon länger versucht und bewährt wäre.

Die volkswirtschaftliche Belastung durch den Arbeiterschutz wird, verglichen mit derjenigen durch die Arbeiterversicherung, eher die weit geringere sein. Diejenigen Schutzmassnahmen, welche am meisten Opfer heischen der Schutz der verheirateten Frau und der Fabrik-Zehnstundenarbeitstag sind allseitig international gleichmässiger Re

gelung empfohlen.

[ocr errors]

Die Vertrags-Freiheit leidet nicht not, da auch die Erwachsenen, soweit sie unter den Arbeiterschutz fallen sollen, thatsächlich besonders schutzbedürftig und zur Selbstverteidigung so unfähig sind, wie im Privatrecht die Minderjährigen; unsere Erörterungen haben dies Punkt um Punkt gezeigt. Gewiss wird man dies auch in England und Belgien, deren Vertreter auf der Berliner Konferenz die Vertragsfreiheit der Erwachsenen so sehr betont haben, bald allgemein anerkennen.

Die völkerrechtliche, exequierbare Festlegung des Arbeiterschutzes ist strenge vermieden.

Der erhöhte Arbeiterschutz der Berliner Konferenz und

[ocr errors]

der v. Berlepsch'schen Novelle Arbeiterschutz überhaupt hat schon bisher nicht gefehlt erscheint daher als ein so berechtigtes wie ungefährliches Seiten- und Ergänzungsstück zur Sozialpolitik des Kaisers Wilhelm I und des Fürsten v. Bismarck. Auf Pfaden wandelnd, welche von einzelnen Staaten teils längst, teils seit einiger Zeit ohne Misserfolg betreten, also bis zu einem gewissen Grade erprobt sind, wird diese Politik wohl zu wenigeren Aenderungen genötigt sein, als die auf ganz neuen Pfaden doch so mächtig und grossartig, nur vielfach viel zu unpraktisch ausgreifende Politik der Arbeiterversicherung.

Der achtstündige Arbeitstag in England, aus der

Litteraturbewegung.

Von Dr. G. Buhland.

Die Bewegung zu Gunsten der Einführung des achtstündigen Arbeitstags ist auch in England unzweifelhaft in der letzten Zeit eine stärkere geworden. Man redet und schreibt heute mehr über diese Frage als je zuvor und sie rückt damit ihrer Entscheidung näher. Man sucht die analogen gesetzlichen Bestimmungen über die ganze Welt zusammen. Man erörtert eingehend die Gründe für und gegen. Und man verteilt entsprechende Gesetzentwürfe zu Tausenden unter das Volk, das in öffentlichen Versammlungen dazu Stellung nimmt. Trotzdem lässt sich natürlich noch keine Geschichte der Bewegung schreiben; wohl aber eine Uebersicht der einschlägigen englischen Litteratur mit den wichtigsten Gesichtspunkten der Argumentation, dem ich schliesslich noch in freier Uebersetzung den am meisten beachtenswerten Gesetzentwurf über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in England folgen zu lassen beabsichtige.

1. Litteraturangaben.

An der Spitze der thätigen Propaganda in England steht die sog. »Fabian Society«, deren Sekretariat sich 2 L, Hyde Park Mansions, Edgware Road London N.W. befindet und die die hervorragendsten sozialdemokratischen Agitatoren vereinigt. Von dieser Gesellschaft ist vor kurzem eine Uebersicht der englischen Litteratur veröffentlicht worden, die ich

im nachfolgenden wiedergebe und dank der gütigen Unterstützung durch Herrn Sidney Webb Beamter des englischen Kolonialamtes und hervorragendes Mitglied der Fabian Society bis auf den heutigen Tag ergänzen konnte.

Ihren legalen Anschluss findet die achtstündige Arbeitstagsbewegung natürlich an die Fabrikgesetzgebung und zwar an das Hauptgesetz 41 Vic. c. 16 »The Factory and Workshop Act< 1878. Der Preis eines englischen Originalabdrucks ist 2 sh. 6 d. Eine Ausgabe mit Noten von A. Redgrave C. B. ist bei Shaw & Sons erschienen, Preis 5 sh. Die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Arbeiter in den Kohlenbergwerken findet sich in der Parlaments Act 50 u. 51 Vic. c. 58 »The Coal Mines Regulation Act« 1887 und jene in Bezug auf andere Bergwerke 35 u. 36 Vic. c. 77 »The Metalliferous Mines Regulation Act 1872, »The Agricultural Gargs Act 1867, > The Canal Boats Acts 1884 und »The Merchant Shipping Acts. Für Personen unter 18 Jahren, welche in Läden beschäftigt werden, gilt das Gesetz 49 u. 50 Vic. c. 55 »The Shops Hours Regulation Act« 1886. Die übrigen Gesetze wie 46 u. 47 Vic. c. 53 (Factories), 38 u. 39 Vic. c. 39, 44 u. 45 Vic. c. 26 und 45 u. 46 Vic. c. 3 (Mines) sind für die vorliegende Frage von geringerer Bedeutung.

Die wichtigsten Parlamentsreporte sind vom Jahre 1861, sowie von den Jahren 1832, 1840-43, 1862-66 und 1876, welche mit Ausnahme der beiden letztgenannten von Engel und Karl Marx freilich in recht einseitiger Weise! d. Ref.

in ihren bekannten Werken benutzt wurden. Die neuesten Angaben finden sich in dem Bericht des Komites des House of Lords » On the Sweating Systems (H. L. 62. 1890).

Die Gesetzgebung der auswärtigen Staaten findet sich nur unvollständig in dem Bericht des englischen auswärtigen Amtes › Commercial No. 25« c. 5866, Preis 5 d. Vollständiger ist

der Bericht der Berliner Arbeiterkonferenz vom Mai 1890. > The first Annual Report of the Federal Commissioner of Labour (Washington 1886) gibt eine sehr gute Zusammenstellung der amerikanischen Arbeitergesetzgebung.

Die Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung ist in

« PreviousContinue »