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tig gebrochen. Das Volk verschwindet für lange Zeit vom Schauplatze der öffentlichen Ereignisse.

Für den Liberalismus ist damit die Revolution zu Ende wirtschaftlich. Denn was immer auch die kommenden Jahre bringen mögen: die Säbelherrschaft eines siegreichen Generals, die Invasionen des koalierten Europa, die Restauration der alten Dynastie; an den Code civil wird nicht getastet werden. In diesem aber sind die wirtschaftlichen Errungenschaften der Revolution kodificiert. Diese werden nicht mehr ernstlich in Frage gestellt werden, und das ist für den Liberalismus die Hauptsache.

Jetzt aber beginnt der vierte Stand seinerseits über die Schlagworte der Revolution nachzusinnen und sie weiter und zu Ende zu denken. Und jene Tage des Germinal und Prairial an III. — eine so unbedeutende Episode in der Geschichte der Revolution sie zu bilden scheinen sind für die Entwicklungsgeschichte des modernen Sozialismus von grösster Wichtigkeit. Denn damals beginnt sich dieser aus einer Theorie zu einer Thatsache zu verdichten und aus der Studierstube utopistischer Gelehrter auf die Strasse zu treten. Es keimt und wächst in den besitzlosen Volksklassen sehr langsam noch und unklar das Nachdenken über die Bedeutung des Begriffes >Gleichheit«, über den Wert des Erreichten und dasjenige, was sie anzustreben haben.

Was hatten die besitzlosen Massen, wenn sie die Bilanz der Revolution zogen, gewonnen?

Die alten ständischen Privilegien waren beseitigt, die ererbten Titel und Adelsprädikate abgeschafft: den Vorteil davon hatten die besitzenden Klassen. Der Verkauf der Nationalgüter hatte auch nur ihnen Vorteil gebracht. Sie hatten sich ausschliesslich der politischen Gewalt bemächtigt. Die Gewerbefreiheit und die entfesselte Konkurrenz mussten die wirtschaftlich Schwachen widerstandslos in die Hände der Stärkern liefern 1). Die Revolution gewährte wohl die abstrakte Gleich

1) Jene empfanden dies auch sofort und suchten sich, allerdings auf ganz verfehlte Weise, dagegen zu schützen. So musste das Gesetz vom 14. und 17. Juni 1791 geschaffen werden., um die Wiedererrichtung der Zünfte und Innungen zu verhindern. Vgl. darüber E. Glasson :

heit vor dem Gesetze; dafür aber erhielt sie die Ungleichheit auf wirtschaftlichem Gebiete für alle Zeiten aufrecht, Man hatte alle geschichtlich gewordenen Ungleichheiten im Namen der Gleichheit bekämpft. Warum war man auf halbem Wege stehen geblieben? War die Beseitigung der Ungleichheit im Besitze nicht auch eine Forderung der Gerechtigkeit ?

Dieses Raisonnement ist vorhanden. Allerdings erst noch in den Köpfen Weniger. Ihr Führer wird Gracchus Babeuf. Er ist der Erste, der auf dem Wege der Gewalt Staat und Gesellschaft ausschliesslich den Aspirationen der niederen Volksklassen dienstbar machen will. In ihm und durch ihn wird die Lehre von der materiellen Gleichheit so roh sie auch ist und mit so kindischen Mitteln ihre Durchführung versucht wird 1) zuerst zur That, um von da an immer tiefer in die Massen zu dringen und schliesslich den Weiterbestand der herrschenden Wirtschafts-, Gesellschafts- und Rechtsordnung auf das Ernstlichste zu bedrohen.

Auch bei Babeuf mangelt zwar die Kritik der modernen liberalen Gesellschaftsordnung und der kapitalistischen Produktionsweise aus dem einfachen Grunde, weil diese in Frankreich zu seiner Zeit noch nicht genügend stark entwickelt war. - Erst die St. Simonisten und die späteren sozialistischen Schulen konnten sie üben. Auch giengen andererseits die conservativeren Vertreter der abstrakten Gleichheit, die Anhänger der reinen Demokratie mit den Vertretern der materiellen Gleichheit, mit der Sozialdemokratie, weiterhin noch zusammen und schieden sich erst in den Dreissigerjahren; gleichwohl muss doch schon die Babeuf'sche Verschwörung als eine modernsozialistische, also als sozialdemokratische bezeichnet werden. Andererseits aber darf die Kontinuität zwischen Babeuf und früheren Vertretern sozialistischer Ideen nicht übersehen werden. Wenn dies so oft geschieht 2) und wenn man mitunter

Le code civil et la question ouvrière (Paris 1886) S. 7-8 u. cit. Litter. 1) Die Verschwornen verfügten über einen Fonds von 240 Frcs.! — ce qui serait sublime, si le bon sens n'était pas une condition de la grandeur.. (Quinet a. a. O.)

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2) So behauptet z. B. Paul Janet a. a. O. S. 116: que le commu

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geneigt ist, die Babeuf'sche Verschwörung als etwas Isoliertes und als ein wie aus der Pistole geschossenes Ereignis an usehen, so ist dies nur dadurch zu erklären, dass wir und dies gilt namentlich für Deutschland 1) noch immer keine wirklich auf Quellenstudien beruhende Geschichte des älteren französischen Sozialismus besitzen. Sonst würde sich die Kontinuität der den sozialistischen Theorien zugrunde liegenden Ideen seit Meslier 2), Morelly und Mably bis auf Babeuf deutlich erweisen. Der Boden für den Babouvismus war durch die kommunistischen Schriftsteller des XVIII. Jahrhunderts theoretisch wohl vorbereitet. Durch diese dürften viele der Teilnehmer an der Verschwörung Babeuf's, unabhängig von diesem, ebenso zu kommunistischen Ideen geführt worden sein, wie er selbst sich seine Inspirationen aus Morelly holte.

Die nachfolgenden Blätter bezwecken die Bekanntschaft eines bisher gänzlich übersehenen sozialistischen Schriftstellers des XVIII. Jahrhunderts zu vermitteln und so mit einen Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Sozialismus zu liefern.

In der Sitzung der Nationalversammlung vom 4. November 1789 ) erhob sich der Bischof von Clermont François de Bonal, um ein kurz vorher erschienenes Buch: Le catéchisme du genre humain, als voll der heftigsten Angriffe gegen Religion, Eigentum und Familie zu denunzieren. Er beantragte daher, dasselbe dem Comité des recherches zuzuweisen und den königlichen Prokurator mit der Ausfindigmachung und Bestrafnisme systématique n'avait été soutenu par personne avant Babeuf. Nichts ist unrichtiger und oberflächlicher, als diese allgemeine Behauptung.

1) Aus neuerer Zeit verdient genannt zu werden Eugen Jäger: Geschichte der sozialen Bewegung und des Sozialismus in Frankreich I. Bd. (II. Ausgabe, Berlin 1879). Der II. Band (Berlin 1890) hat leider in keiner Weise gehalten, was der erste versprochen.

2) Vgl. über diesen meine Studie: Jean Meslier, un précurseur oublié du socialisme contemporain in der Revue d'économie politique II. 1888. (S. 277-288).

3) Vgl. Buchez-Roux: Histoire parlementaire de la Révolution I. und die Sitzungsberichte in Nr. 83 des I. Bds. des Moniteur universel.

ung des Verfassers und Buchdruckers zu beauftragen. Die Versammlung aber war wenig geneigt, freie Meinungsäusserungen, namentlich wenn sie sich in erster Linie gegen die Religion und die Kirche zu richten schienen, zu verfolgen. Ueber Antrag des Repräsentanten Le Chapelier wurde daher der Catéchisme du genre humain vorerst dem Comité des rapports zur Berichterstattung über Inhalt und Tendenz zugewiesen. Damit scheint die Angelegenheit begraben worden zu sein. Es ist mir wenigstens nicht gelungen, einen darauf bezüglichen Ausschussbericht aufzufinden 1).

Uebrigens hatte der Verfasser des so heftig angegriffenen Werkes selbst dafür Sorge getragen, dasselbe gerade in den offiziellen Kreisen möglichst bekannt zu machen und eine genaue Prüfung der darin niedergelegten Ideen hervorzurufen. Vom Enthusiasmus seiner Zeit ergriffen, glaubte auch er den Augenblick einer vollständigen Wiedergeburt des Menschengeschlechtes gekommen. Da galt es nun, mit den Vorschlägen zu ihrer gedeihlichen und raschen Durchführung möglichst bei

1) Der Catéchisme ist in zwei Auflagen erschienen. Der vollständige Titel der ersten Auflage lautet: Le Catéchisme du genre humain, que sous les auspices de la Nature et de son véritable auteur, qui me l'ont dicté, je mets sous les yeux de la Nation françoise et de l'Europe éclairée pour l'établissement essentiel et indispensable du véritable ordre moral et de l'éducation sociale des hommes, dans la connoissance, la pratique, l'amour et l'habitude des principes et des moyens de se rendre et de se conserver heureux les uns par les autres« 1789, ohne Angabe des Druckortes, 206 S. in 8°. R. 2806/B. 1. Ich gebe hier, wie auch für die anderen Schriften Boissels die Katalogbezeichnung der Pariser Nationalbibliothek an. Der Titel der II. Auflage lautet: Le Cathéchisme du genre humain dénoncé par le ci-devant Évêque de Clermont à la Séance du 5. Novembre 1789 de l'Assemblée Nationale; précédé d'un Discours sur les causes de la division, de l'esclavage et de la destruction des Hommes les uns par les autres et sur les moyens d'en garantir les générations futures; avec deux Adresses très importantes à la Nation Françoise, l'une en faveur de sa Constitution ou nouvelle existence politique, qui est excellente, l'autre contre les principales institutions de son nouveau régime ou gouvernement, qui sont très mauvaises, et avec quelques opuscules relatifs au nouvel ordre des choses. Seconde édition, revue, corrigée et augmentée. Paris 1792. 241 und 40 S. Ich werde in Folgendem bloss die II. Auflage, und zwar einfach nach der Seitenzahl, citieren.

der Hand zu sein. Wie alle Ideologen versprach natürlich auch er sich von einer Prüfung seiner Theorien deren sofortige Anerkennung, allgemeine Annahme und Durchführung. Er hatte daher schon im August 1789 ein Exemplar des Katechismus der Nationalversammlung zugestellt und wiederholt deren Präsidenten Clermont-Tonerre und Le Chapelier eine rasche und genaue Prüfung seiner Vorschläge zur Regenerierung der Menschheit ans Herz gelegt 1).

Die Drucklegung des Catéchisme hatte dem Verfasser nicht geringe Schwierigkeiten bereitet. Es ist dies aus einer an die Generalstände gerichteten Bittschrift zu ersehen 2). »Ich bin< - heisst es dort in höchst schwülstiger Sprache >>so innig >überzeugt, dass die menschenmörderische, antisoziale und auf >allgemeiner Versklavung (mercennaire) beruhende Ordnung der >Dinge, welche der Egoismus, das der menschlichen Natur inne>wohnende Laster, begründet hat, und welche durch die Betrüge>>reien und Heucheleien des gleich ungebändigten und blinden » Eigennutzes der Listigen und Klugen für heilig erklärt wurde, >die eigentliche Ursache der Zwietracht und des Unglückes unter >den Menschen, sowie ihrer gegenseitigen Herabsetzung und >> Vernichtung ist . . . dass ich glaubte, mich Tag und Nacht > mit der wahren Moralordnung beschäftigen zu sollen > Ich hielt es auch für unumgänglich notwendig, mich >> mit der sozialen Erziehung zu beschäftigen und habe die >Grundsätze derselben in einem Werke dargelegt, welches den >Titel führt: Le catéchisme de genre humain.< Es habe es jedoch kein Buchdrucker, trotz der sonst herrschenden Zügellosigkeit der Presse, gewagt, dieses Werk zu veröffentlichen. Er erbitte sich daher die Erlaubnis, dasselbe auf eigene Kosten drucken zu dürfen. Ob ihm diese erteilt wurde, oder ob sie im Drange der Zeit unnötig geworden, ist nicht ersichtlich. Er scheint sie übrigens gar nicht abgewartet, sondern gleich

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1) Vgl. die in der II. Aufl. S. 75-80 abgedruckten Briefe von Rabaud de St. Etienne an Boissel und dieses an jenen und an das Comité des rapports.

2) › Aux États généraux de France assemblés à Versailles« (ohne Datum und Unterschrift), 3 S. in 4°. Lb 39/7261.

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