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kalsten Republikanern anschloss und die Hinrichtung des Königs durchaus ordnungsmässig, nützlich und notwendig fand; um schliesslich auf den Kaiser der Franzosen lateinische Lobgedichte zu schreiben. Eine Wandlung, die freilich noch viele und ganz anders bedeutende Männer in jener Zeit durchgemacht haben.

Es darf allerdings, um Boissel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht verschwiegen werden, dass er seine Ansichten über die soziale Wiedergeburt der Menschheit und die Mittel zu deren Herbeiführung niemals verläugnete. Das Lobgedicht auf Napoleon unterschrieb er als auctor catechismi generis humani sive artis socialis. Auf die Festhaltung seiner politischen Meinungen hingegen hat er offenbar kein so grosses Gewicht gelegt. Wozu auch? Alle politischen Fragen, mit denen er sich, wie wir gesehen haben, eifrig beschäftigte, erschienen ihm als von für die Zukunft nur sekundärer Bedeutung. Denn sie interessierten ja lediglich die in den Vorurteilen der Vergangenheit aufgewachsenen Geschlechter. Die neuen Generationen, in andern Grundsätzen erzogen, andern wahren und dauernden Idealen zugethan, würden von der zur Zeit noch vorherrschenden antisozialen Ordnung der Dinge, und damit auch von der ganzen Reihe der sich weiter an dieselbe knüpfenden politischen Probleme weder etwas wissen, noch wissen wollen. Indem ihm so diese vor den sozialen und ökonomischen zurücktraten, fand er darin auch wohl eine Rechtfertigung dafür, in seinen politischen Meinungen nicht zu beharren.

Wie dem aber auch immer sei: das alles thut natürlich der Thatsache keinen Abbruch, dass Boissel als einer der kühnsten und konsequentesten Vorläufer des modernen Sozialismus angesehen werden muss und in der Entwicklungsgeschichte des letztern seinen bedeutenden Platz beanspruchen darf.

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Die Forderung des Rechtes auf Existenz und - als Surrogat desselben innerhalb unserer Privatrechtsordnung des Rechtes auf Arbeit; die Idee, dass alle kulturellen wissenschaftlichen, religiösen, politischen - Erscheinungen von den wirtschaftlichen Machtverhältnissen abhängig seien; der in neue

252 Dr. Grünberg: Beiträge zum modernen Sozialismus. ster Zeit auch von gelehrten Juristen stark betonte Gedanke 1), dass die ganze Rechtsordnung von den besitzenden Klassen mit ausschliesslicher Rücksicht auf ihre Interessen und zum Dienste dieser letztern geschaffen worden; die Forderung der allgemeinen Schulpflicht; des gleichen, öffentlichen und unentgeltlichen Unterrichtes und der Erhaltung der Zöglinge während der Unterrichtsperiode auf öffentliche Kosten; der Frauenemanzipation und der Gleichstellung beider Geschlechter in allen Beziehungen; der freien Scheidung; des ewigen Friedens und der Beseitigung aller Kriege etc. Alles das findet sich, neben einer vernichtenden Kritik der Grundlagen unserer Privatrechtsordnung in Boissel's Schriften.

Eines fehlt die Kritik der kapitalistischen Produktionsweise. Aber nichts ist natürlicher. Im Frankreich von damals war noch immer der Grundbesitz der bedeutendste wirtschaftliche Machtfaktor. Alle politische Macht lag noch immer in seinen Händen. Das mobile Kapital so mächtig sein Einfluss thatsächlich bereits sein mochte, hatte die rechtliche Anerkennung dieser Machtstellung noch nicht durchgesetzt. Das geschieht ja erst durch die Revolution. Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion ist ebenfalls erst eine Folge des durch die Revolution herbeigeführten vollständigen Sieges des wirtschaftlichen Liberalismus. So sieht und bekämpft denn Boissel in erster Linie das Privateigentum an Grund und Boden. Dass er aber dabei allein nicht stehen bleibt, haben wir gesehen. Die späteren sozialistischen Schulen werden seine Kritik da, wo er einhalten musste, wieder aufnehmen und weiter verfolgen.

So haben wir in Boissel einen Denker zu erblicken, der die letzte Entwicklungsphase aus dem alten utopischen in den modernen Sozialismus darstellt.

1) Vgl. insbes. Anton Menger: »Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen« in Braun's Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik II. und III. Bd. (1889 und 1890); auch als Sep.-Abdr. in L. und II. Auflage bei H. Laupp in Tübingen 1890.

Württembergische Steuerreformfragen.

Von Dr. Georg von Mayr.

Der Wirtschaftsplan des Staates ist im allgemeinen nicht der Ort, an welchem man Aufschluss über die in einem Lande mit näherer oder entfernterer Aussicht auf Verwirklichung schwebenden Steuerreformfragen findet. Nach der strengsten Auffassung findet eine Steuerreform in ihrer etatsmässigen Wirkung erst dann Ausdruck, wenn sie bereits Gesetz geworden ist; eine mildere Praxis gestattet im Entwurf des Haushaltungsetats die Wirkungen einer Steuerreform vorweg zu veranschlagen, falls darauf bezügliche Gesetzentwürfe mindestens der Volksvertretung zur Vorlage gebracht sind. Was aber sonst an Reformfragen die Kreise der Politiker und Interessenten bewegt, findet im Etatsentwurf in der Regel keine Erwähnung, mag es auch infolge früherer Gesetzesvorschläge, Initiativanträge oder Resolutionen der gesetzgebenden Körper irgendwie ins parlamentarische Leben eingedrungen sein. Bei der Beratung des Staatshaushalts pflegen allerdings die Steuerreformfragen Erwähnung zu finden; es hängt aber von dem zufälligen Gang der Redeschlachten ab, ob diese Erwähnung irgendwie vollständig ausfällt.

Eine beachtenswerte Ausnahme von der offiziellen Schweigsamkeit über die schwebenden Finanzreformfragen macht der >Hauptfinanzetat des Königreichs Württemberg«. Schlagen wir den jüngsten Etat für die Finanzperiode vom 1. April 1891 bis 31. März 1893 auf, so finden wir in besonderen » Anlagen << zum Etat der Steuern eine interessante Darlegung der durch

eine parlamentarische Vorbehandlung irgend welcher Art angeregten Steuerreformfragen grossen und kleinen Styls. Die Sorgfalt der Erörterung erleidet dabei durch den Umstand, dass die Finanzverwaltung in der Hauptsache bei Beurteilung der in Frage stehenden Reformen zu negativem Ergebnisse kommt, keine Einbusse.

Durch diese dankenswerten Ausführungen der württembergischen Finanzverwaltung wird der Hauptfinanzetat dieses Landes, der auch sonst durch ausserordentliche Genauheit und Klarheit der Aufstellung sich auszeichnet, zu einer beachtenswerten Quelle für Finanzpolitik und Finanzwissenchaft. Auf diese Eigenschaft des württembergischen Etats hinzuweisen, ist der Zweck dieser Zeilen. In den folgenden Erörterungen finden sämtliche in den Anlagen zum Etat der Steuern seitens der Finanzverwaltung erörterte Punkte, mit Ausnahme eines einzigen 1), nähere Berücksichtigung.

1. Ueberweisungspolitik.

In etwas verhüllter Weise kam der Gedanke der Ueberweisung ursprünglich staatlicher Steuereinnahmen an die Gemeinden in dem Beschlusse der Kammer der Abgeordneten vom 13. Juni 1889 zum Ausdruck, »die k. Regierung zu bitten:

a) es wolle das Kapital-, Renten-, Dienst- und Berufseinkommen von der nächsten Etatsperiode an mit dem gleichen Prozentsatz besteuert werden, welcher für das Grund-, Gebäude- und Gewerbekataster bestimmt wird;

b) es wolle von dem gleichen Zeitpunkt an eine Aenderung des Gesetzes vom 15. Juni 1853 in dem Sinne herbeigeführt werden, dass den Amtskörperschaften und Gemeinden eine

1) Es betrifft dies eine seitens der Kammer der Abgeordneten der königl. Regierung lediglich zur Kenntnisnahme mitgeteilte Eingabe betreffend Gleichstellung der Kapitalien und der Besoldungen in der Besteuerung. Eine der fraglichen Eingabe entsprechende Ausdehnung des Existenzminimums sowie der Degression auf die Kapitalsteuer würde, wie die Finanzverwaltung ausführt, einen Ausfall von nicht weniger als 2040000 M. ergeben; ausserdem würde wohl die gewünschte Gleichstellung auch auf die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer ausgedehnt werden müssen.

der Ermässigung der Staatssteuer entsprechende höhere Besteuerung des Kapital-, Renten-, Dienst- und Berufseinkommens ermöglicht wird.

Zum Verständnis dieses Beschlusses muss man sich zunächst daran erinnern, dass Württemberg das vollendetste auf neuzeitlicher Durchbildung beruhende - vielleicht geschichtlich letzte System der Ertragsbesteuerung besitzt. Für alle gesondert zur Besteuerung heranzuziehenden Ertragsquellen sind umfangreiche Katasterwerke hergestellt, welche den steuerbaren Jahresertrag für die Steuerobjekte ausweisen. Der Steuersatz fehlt allgemein in den Steuergesetzen und wird jeweils erst im Finanzgesetz für die sämtlichen Ertragssteuern bestimmt. Nach der bisherigen wie nach der im neuen Etatsentwurf in gleicher Weise vorgeschlagenen Festsetzung ist aber der Steuersatz nicht gleichmässig, sondern für die Personalsteuern höher als für die Objektsteuern bestimmt; es beträgt nämlich die Steuer aus Grundeigentum und Gefällen 3,5 Proz. des Steueranschlags der Grundstücke und Gefälle, die Steuer aus Gebäuden gleichfalls 3,5 Proz. der steuerbaren Jahresrente der Gebäude, die Steuer aus Gewerben ebenfalls 3,5 Proz. des steuerbaren Jahresbetrags des Gewerbeeinkommens. Dagegen wird die Steuer von den Apanagen und übrigen hausgesetzlichen Bezügen der Mitglieder des königl. Hauses, von dem Einkommen aus Kapitalien und Renten und von dem Dienst- und Berufseinkommen mit einem höheren Satze, nämlich mit 4,4 Proz. des steuerbaren Jahresertrags erhoben.

Diesen höheren Satz der staatlichen Personalbesteuerung bezweckt der Antrag auf den Satz der Objektsteuern zu ermässigen, die Ermässigungsquote aber gleichzeitig den Kommunalverbänden im Bedürfnisfall zur Verfügung zu stellen. Diese sind nämlich in den Zuschlägen zur Staatssteuer auf Kapital-, Renten-, Dienst- und Berufseinkommen zur Zeit gesetzlich nicht nur insoweit beschränkt, als solche Zuschläge nur unter der Voraussetzung erhoben werden dürfen, dass die primäre Kommunalsteuer, nämlich die nach der staatlichen Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer bemessene » Umlage< besteht, sondern auch weiter noch durch die Bestimmung,

Zeitschr. f. Staatsw. 1891. II. Heft,

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