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Individualisierung der Löhne ist in Australien im allgemeinen eine geringere. Es kommen mehr die Klassenlöhne in Betracht, sobald das Arbeitseinkommen in seinen verschiedenen Kategorien ganz vor das Forum der Oeffentlichkeit gezogen wird. Und schon deshalb liegt es nahe, dass sich auch bald die vernachlässigten Unternehmerklassen an den Staat und an die Oeffentlichkeit wenden werden. Die wirtschaftspolitischen Aufgaben des Staates wie der Berufsgenossen werden damit ungemein erweitert und ungemein erschwert. Und das alles ist gewiss nicht bloss freude- sondern auch sorgeerweckend. Einen Trost aber glaube ich hier mit aller Bestimmtheit entnehmen zu können:

>Die Zukunft wird das Problem der gerechten Arbeitsbelohnung lösen, ohne Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Und entwicklungsgeschichtlich lässt sich folgern, dass die Freiheit des Vertrags die Koalitionsfreiheit fordert und die Koalitionsfreiheit aber die alte Freiheit des Vertrags vernichtet.

A n m. Ich sehe mich veranlasst, zu den vorstehenden Ausführungen ausdrücklich zu erklären, dass sie lediglich und alleine meine Privatmeinung repräsentieren.

Der Begriff der Dringlichkeit.

Von Dr. Andreas Voigt.

Die Dringlichkeit eines Bedürfnisses, oder richtiger gesagt, die Dringlichkeit der Befriedigung eines Bedürfnisses spielt bei der subjektiven Beurteilung des Wertes eines Gutes unter Umständen eine so bedeutende Rolle, dass eine nähere Untersuchung des Begriffs der Dringlichkeit und wo möglich eine strengere Definition desselben, nicht ohne theoretisches Interesse sein dürfte. Wenn wir dabei von einigen Grundbegriffen der Mathematik Gebrauch machen müssen, werden wir diese, um die Lesbarkeit dieses Artikels auch für Nichtmathematiker nicht zu beeinträchtigen, soweit kurz erklären als es notwendig ist.

Soviel ist auf den ersten Blick klar, dass die Dringlichkeit eines Bedürfnisses, wie wir kurz sagen wollen, eine Eigenschaft desselben ist, die von der Zeit abhängt. Wären die Bedürfnisse von der Zeit unabhängig, entstünden und vergingen sie nicht mit der Zeit, könnte man sie nach Belieben aufschieben und dadurch ihre Befriedigung in einen willkürlich gewählten Zeitpunkt verlegen, dann würde es offenbar auch keine Dringlichkeit geben. Wir wollen daher, bevor wir auf den speziellen Begriff der Dringlichkeit eingehen, zunächst die Abhängigkeit der Bedürfnisse von der Zeit im allgemeinen ins Auge fassen.

Unter Bedürfnis verstehen wir im Folgenden immer ein ganz konkretes, aus einem Mangel entspringendes Verlangen nach Befriedigung, das immer mit einer gewissen Unlust verbunden ist. Es ist ein Vorrecht des Menschen, die Bedürf

nisse in der Regel voraussehen zu können. Die Tiere fühlen ein Bedürfnis nur unmittelbar, wenn es schon vorhanden ist. Aber auch der Mensch kommt manchmal in die Lage, von einem Bedürfnis überrascht zu werden, oder, aus Mangel an Kräften und Mitteln der Vorsorge, dasselbe an sich herankommen zu lassen, um seiner unmittelbar inne zu werden. Solange es dann unbefriedigt bleibt, verursacht es ein grösseres Missbehagen. Doch selbst das vorausgesehene, noch nicht aktiv gewordene Bedürfnis ist mit einem stellvertretenden Gefühl der Unlust, mit der Sorge verbunden. Die Unlust nun, welcher Art sie immer sein mag, verändert sich mit der Zeit. Bei manchen Bedürfnissen, den unabweisbaren, nimmt sie im allgemeinen mit der Zeit stetig zu, bei anderen ersetzt sie nur zu einer bestimmten Zeit ein Maximum, um dann wieder abzunehmen, bei noch anderen endlich treten Schwankungen auf von zunehmender, wieder abnehmender, dann wieder wachsender Unlust und Sorge ohne streng gesetzliche Regel. Gewöhnlich verhindern wir durch rechtzeitige Befriedigung bezw. Fürsorge, dass die Unlust oder Sorge den höchsten Grad erreicht.

Andererseits aber hängt auch das Wohlgefühl, das die Befriedigung des Bedürfnisses bezw. die Beseitigung der Sorge um die Befriedigung veranlasst, davon ab, dass das Bedürfnis schon einen gewissen Grad erreicht hatte. Wer ist ohne Hunger, hat keinen rechten Genuss dabei, um ein triviales Beispiel anzuführen, und wer gar zu sorglos in den Tag hineinleben kann, dem fehlt einer der wesentlichsten Reize des Lebens, das Wechselspiel zwischen Mangel und Beseitigung desselben durch eigne Kraft. Nur darf man die Unlust des Mangels nicht zu gross werden lassen, sonst kann sie die Lust der Befriedigung nicht mehr ausgleichen. Es wird sich also hier so zu sagen um die Lösung einer Maximumaufgabe handeln, d. h. um die Ausfindigmachung des günstigsten Momentes. Diese Art Aufgaben sind für die Oekonomie charakteristisch, ja die ganze Oekonomie ist im Grunde ein solches Maximumproblem, nämlich die Aufgabe, mit den vorhandenen Kräften und Mitteln ein Maximum von Gütern zu schaffen, die grösste Gesamtsumme der Befriedigung zu erzeugen, oder mit mög

lichst wenig Arbeitskraft und Zeit möglichst viel zu produzieren.

Betrachten wir, nach diesen Vorbemerkungen, den Verlauf eines bestimmten, zunächst eines zur Zeit vorhandenen, also nicht bloss vorausgesehenen Bedürfnisses. Es kann zu verschiedenen Zeiten befriedigt werden und je nach dem Zeitpunkte der Befriedigung wird die durch den Mangel verursachte Unlust, sowie die durch die Befriedigung verursachte Lust eine bestimmte Grösse haben. Jedem Momente entspricht ein bestimmter Grad beider Gefühle.

Unter der Dringlichkeit des Bedürfnisses verstehen wir nun eine Grösse, welche den Grad des Wachstums der Unlust mit der Zeit angibt. Wir nennen ein Bedürfnis in einem Momente sehr dringlich oder dringend, wenn wir im folgenden Momente ein starkes Wachstum der Unlust erwarten, wobei die Unlust sich aus zwei Summanden, dem physiologischen Unlustgefühle und der mehr physischen Sorge um die Folgen der Nichtbefriedigung zusammensetzt. Ein Bedürfnis dagegen, dessen Nichtbefriedigung nur einen geringen Zuwachs von Unlust im nächsten Momente bedingt, bezeichnen wir als nicht sehr dringend. Wächst die Unlust gar nicht, oder nimmt sie gar ab mit der Zeit, so kann von einer Dringlichkeit überhaupt keine Rede sein. Im letzten Falle wäre die Dringlichkeit gewissermassen negativ, ein Zustand, wofür wir, wegen der ökonomischen Unwichtigkeit desselben, gar keinen Ausdruck haben. Von ökonomischer Wichtigkeit ist daher die Dringlichkeit nur bei den Bedürfnissen, die eine mit der Zeit wachsende Unlust und Sorge verursachen.

Wie bestimmen wir nun genauer die Grösse der Dringlichkeit? Die hier zu lösende Aufgabe ist eine der gewöhnlichsten der höheren Mathematik. Wir teilen die Zeit in gleiche Teile z. B. in Stunden ein. Jeder Stunde entspricht dann ein bestimmter Zuwachs der Unlust. Jeder Zuwachs im Verhältnis zum gewählten Zeitabschnitt (Stunde) bildet dann den sogenannten Differenzquotienten der Unlust nach der Zeit. Der Wert des Verhältnisses ist gleich einem Bruche, dessen Zähler die Grösse des Zuwachses der Unlust und dessen Nenner die

Grösse des gewählten Zeitabschnittes ist. Schon dieses Verhältnis ist ein angenäherter Wert der Dringlichkeit des Bedürfnisses zu Anfang des betreffenden Zeitabschnittes, der Stunde. Je grösser der Zuwachs während der betrachteten Stunde ist, desto grösser ist im allgemeinen auch die Dringlichkeit im Anfang der Stunde. Sie kann deshalb etwas von dem gefundenen Verhältnis abweichen, weil sie ja den Verlauf der Unlust während der Stunde nicht berücksichtigt. Soll dieses geschehen, dann müssen wir kleinere Zeitabschnitte als Stunden, z. B. Viertelstunden oder Minuten wählen und dieselben Verhältnisse, der jetzt offenbar kleineren Zuwachse zu den kleineren Zeitabschnitten betrachten. Diese geben schon viel genauer den wahren Wert der Dringlichkeit im Anfang jedes Zeitabschnittes an. Je kleiner wir die betrachteten Zeitabschnitte wählen, eine um so genauere Vorstellung erhalten wir von dem Wachstum der Unlust von Moment zu Moment, und damit auch von der Dringlichkeit in jedem Momente. Wollte man mathematisch genau verfahren, so müsste man zu sogenannten Differentialen der Zeit übergehen, d. h. zu unendlich kleinen Zeitabschnitten und für diese die Quotienten aus Zuwachs der Unlust und Grösse des Zeitdifferentiales bilden. Doch genügt es vollkommen, wenn wir die Dringlichkeit des Bedürfnisses in einem bestimmten Zeitpunkte durch das Verhältnis des Zuwachses der aus der Nichtbefriedigung sich ergebenden Unlust und Sorge während der nächsten Sekunde etwa, zu der Länge einer Sekunde definieren. Kennen wir diese Grösse für jeden Augenblick, während dessen das Bedürfnis besteht, so kennen wir auch den Zuwachs der Unlust für jede beliebige andere in Sekunden messbare Zeit, und die Ermöglichung einer solchen Beurteilung der Zunahme der Unlust mit der Zeit, ist ja der Sinn und Zweck des Begriffes der Dringlichkeit.

Einer ähnlichen Betrachtung kann man nun auch die Lust der Befriedigung in jedem Momente unterwerfen. Ihre Veränderung mit der Zeit würde einen etwas anderen Verlauf nehmen, denn die Lust der Befriedigung ist nicht immer der Unlust der Nichtbefriedigung proportional. Das der Dring

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