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sich berechnenden Sätze erhoben werden, so dass z. B. für 201 km der Tarifsatz für 250 km bezahlt werden muss. Im Grossen und Ganzen werden die Sätze für die Fahrt in Personenzügen den jetzt in Aussicht genommenen deutschen Sätzen entsprechen, während die Zuschläge für Schnellzüge in Oesterreich für die I. und II. Klasse höher sind.<<

Die Vergleichung stellt sich aber weiter entschieden zu Gunsten der neuen deutschen Personentarife, wenn berücksichtigt wird, dass nicht nur unsere Schüler-, Arbeiter- und Zeitkarten für den täglichen Nahverkehr die billigsten sind, sondern dass auch die III. Klasse nur in einige wenige Schnellzüge der österreichischen und ungarischen Staatsbahnen eingestellt und sogar deren gänzliche Beseitigung aus den Schnellzügen für den Sommer in Aussicht genommen ist. Dagegen wird auf den preussischen Staatsbahnen die III. Klasse bereits auf etwa 70 Proz. aller Schnellzugs-Kilometer gefahren.

Es ergiebt sich, bemerkt der »R.-Anz. «, »aus dieser vergleichender Zusammenstellung, dass der ungarische und österreichische Zonentarif mit dem Zonentarif bekannter Agitatoren, welche den Fahrpreis in III. Klasse durch ganz Deutschland auf 1 M. festsetzen wollen, nichts gemein hat als den Namen. Derartige Bestrebungen schiessen über eine vernünftige und durchführbare Reform der Personentarife nicht weriger weit hinaus, als die Bestrebungen der Sozialdemokratie über die sozialistischen Reformgesetze. Der Zonentarif, wie ihn die ungarischen und österreichischen Staatsbahnen eingeführt haben, setzt (von der schon besprochenen, dem ungarischen Tarif eigentümlichen Fernzone von mehr als 225 km abgesehen) einfach an Stelle der Berechnung des Fahrpreises von Kilometer zu Kilometer eine Berechnung nach 10, 15, 20, 25 oder 50 km. Es ist dies eine blosse Form, welche eine Ver. ringerung der Fahrkarten und eine Vereinfachung der Fahrkarten-Ausgabe zur Folge hat, aber mit einer Ermässigung der Preise an sich nicht notwendig verbunden ist. Im Gegenteil entstehen dadurch ungerechte Preiserhöhungen, indem zum Teil für erheblich höhere Entfernungen bezahlt werden muss, als gefahren wird, Erhöhungen, welche sich bei dem dichteren Netz der preussischen Staatsbahnen, wo die Stationen sich in weit geringeren Entfernungen folgen, sehr unliebsam bemerkbar machen würden, wie ja auch in Oesterreich vielfach hierüber geklagt wird.<

—e. Weiteres zu den amerikanischen Trusts. Mit den Unternehmungs-Zentralisations-Verbänden, genannt Trusts, haben wir uns an dieser Stelle wiederholt beschäftigt. Ihr Wesen besteht bekanntlich darin, dass die Vereinigung sämtlicher oder einer entscheidenden Mehrzahl von Unternehmungen derselben Art eine zentralisierte Gestaltung annimmt; die beteiligten Unternehmungen legen ihr Geschäftskapital in Aktienform in die Vertrauenshand eines Betriebsausschusses (Trustees)

und empfangen dafür »Certifikate<, d. h. Anteilsscheine auf den Bezug des Reinertrages der vereinigten Unternehmungen. Die in Verwahrung (trust) gegebenen Aktien geben dem Betriebszentralausschuss des Vereins die sichere Mehrheit in den Generalversammlungen der einzelnen zum Verband gehörigen Geschäfte, damit aber auch den entscheidenden Einfluss auf den Betrieb sämtlicher am Trust beteiligter Unternehmungen des Geschäftszweiges. Dadurch werden die vereinigten Geschäfte ein einziges, einheitlich geleitetes, den Markt mehr oder weniger beherrschendes Gesamtgeschäft; die früheren Inhaber der selbständig gewesenen Teilgeschäfte aber nehmen mit dem Werte des von ihnen in den Trust-Verband eingeworfenen Geschäftskapitals am Reinertrag des Trust-Gesamtgeschäftes verhältnismässigen Anteil. Das Ganze wird von den Trustee's geleitet; die Anteile aus den eingeworfenen Sondergeschäften, oder die s. g. Certifikate sind frei veräusserlich.

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Wir waren im Heft I dieser Zeitschrift bereits in der Lage, das amerikanische Bundesgesetz vom 2. Juli 1890 gegen die Trusts genauer vorzuführen, ein Gesetz, welchem Verbots- und Strafgesetze von Einzeln-Staaten (Kansas, Michigan, Missouri, Texas) zur Seite stehen. Die Entstehung jenes fast drakonischen Gesetzes vermochten wir nicht vollständig zu erklären. Inzwischen ist ein ziemlich reiches Material an Artikeln von Zeitschriften (Political Science Quarterly), an Berichten des Kongresses und einzelner Staatenvertretungen eingelangt, welche uns das volle Verständnis dieses Gesetzes eröffnen. Im Bundesgesetz vom 2. Juli fiel uns namentlich die Strenge auf, welche das Gesetz gegen Förderung der Trusts seitens des Handels und der Verkehrsanstalten athmet. Die uns jetzt vorliegende Litteratur erklärt nun diese Thatsache vollkommen. Die Standard Oil Co.< selbst ein Standards der amerikanischen Trusts erzielte ihren Erfolg wesentlich durch das Bündnis mit Eisenbahngesellschaften, welche dem Oil-Trust ausschliessliche Refactien (Frachtnachlässe) für die Verladungen der Standard-Oil Co., ja sogar für die Verladungen konkurrierender Frachtaufgaben einräumten. Das nötigte die Konkurrenten zum Verkauf um jeden Preis und scheint einige selbst zur Zahlungseinstellung gebracht zu haben. Ob das Gesetz vom 2. Juli Wiederholungen dieser Praktik hindern, ob es durch seine Strenge nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und legitime Geschäfte beengen wird, steht dahin. Für Deutschland mit seiner fortgeschrittenen Eisenbahnverstaatlichung läge die Abhilfe gegen Refaktien-Trusts, wenn diese hier denkbar wären, ganz anders. In den neuesten Trust-Gesetzen spielt offenbar die Politik eine grosse Rolle, am meisten im Gesetz von Michigan, in welchem vom Trust-Verbote die Vereinigungen von Lohnarbeitern und Landwirten ausgenommen sind, welche die Preissteigerung ihrer Ware bezwecken. In dieser Ausnahmebestimmung kommt freilich das begründete oder unbegründete, bis su einem gewissen Grad

wohl zutreffende Misstrauen zum Ausdrucke, dass die zentrale Macht des Trust den Arbeits- und den Rohstoffmarkt zum Nachteile der Lohnarbeiter und Landwirte zu beeinflussen geeignet sei. Allein die Vorstellung hievon wird wohl von Uebertreibung nicht frei und das Heilmittel in der Preis- und Lohnkoalition, nicht im Trust-Verbot zu suchen sein. Mit demselben Grund könnte man auch das Verbot einheitlicher Einziehung der Geschäftsnachrichten und des Ankaufs von Patenten begründen; denn durch das Eine wie durch das Andere erzielen die Trusts Ersparnisse, bezw. Gewinne. Volkswirtschaftlich führen die Verteidiger der Trusts immer wieder zwei Vorteile an: einerseits Vermeidung ruinöser Konkurrenz sowie der Ueberproduktion durch einheitliche Zusammenfassung der konkurrierenden Geschäfte, andererseits die Praxis, von den gegen Certifikat eingezogenen einstigen Konkurrenzgeschäften die leistungsunfähigsten ganz zu schliessen und zu veräussern, die leistungsfähigsten a ber voll und ganz zu beschäftigen. Der letztere Umstand giebt dem Trust gegenüber dem s. g. Kartell volkswirtschaftlich eine zweifellose Ueberlegenheit. Bei alledem fragt sich doch, ob die Trust's ihre Monopol stellung nicht zur Preistreiberei auf Kosten des konsumierenden Publikums missbrauchen. Von den Verteidigern derselben wird dies immerfort so entschieden geläugnet, wie es von den Gegnern behauptet wird. Eine preisstatistisch ganz exakte Entscheidung hierüber wird kaum möglich sein. Für uns hat das ganze Material den Eindruck hinterlassen, als ob die Wahrheit in der Mitte liege. Eine willkürliche Preistreiberei lässt sich nicht erweisen; dafür sorgt schon die gewinnschmälernde Wirkung der Konsumeinschränkung bei massloser Preistreiberei. Andererseits wird mehr oder weniger »Ausbeutung der Monopolstellung in der Natur der Sache liegen, wenigstens in der Weise, dass die Preise nicht im Verhältnis der durch die Zentralisation bewirkten Ersparung an Produktionskosten rasch herabgehen. Ob freilich das Publikum billiger bedient würde, wenn die etwa nur den Trusts mögliche Ermässigung der mittleren Produktionskosten nicht stattfände, wenn die vielköpfige Konkurrenz fortbestände, ist schwer zu entscheiden. Man muss bezüglich der Rückwirkungen auf die Preisbildung erst weitere Erfahrungen erlangen. Fände eine wesentliche Beeinträchtigung des Publikums durch monopolistische Preisstellung statt, so wäre immer noch nicht das Verbot der zentralisierten Privatproduktion, auch nicht der Uebergang zur staatlichen öffentlichen Produktion gerechtfertigt; es könnte sich um eine neuzeitliche Taxbildung, um Regulierung »anständiger Preise handeln. Doch vermag heute Niemand zu sagen, ob die weitere Entwickelung diesen Verlauf nehmen wird. Die Zulassung der Trust's, jedoch mit strafrechtlich strenger Verpönung unredlichen Zwanges gegen Konkurrenzgeschäfte sowie gewisser Preistreibereien ist der Weg, welchen die

canadische Gesetzgebung eingeschlagen hat. Ob auf demselben grosser Erfolg erzielt werden wird!?

-e. Die neue Organisation und das alte Programm der sozialdemokratischen Partei. Die deutsche Sozialdemokratie hat sich nach dem Aufhören des Sozialisten-Gesetzes eine neue Organisation gegeben (Halle, Okt. 1890): mit gewählten Vertrauensmännern innerhalb der einzelnen Reichstagswahlbezirke, mit dem Parteitag »als oberster Vertretung der Parteis und mit der Parteileitung, welche vom Parteitag gewählt wird und aus 12 Personen (2 Vorsitzenden, 2 Schriftführern, 1 Kassierer und 7 Kontrolleuren) besteht. Hervorzuheben ist zweierlei: einmal, dass am Parteitag auch die Mitglieder der Reichstagsfraktion und die Mitglieder der Parteileitung teilnehmen, allerdings in allen die parlamentarische und geschäftliche Leitung der Partei betreffenden Fragen nur mit beratender Stimme; sodann, dass die Vertretung zum Parteitag aus den einzelnen Wahlkreisen ohne Rücksicht auf die verschiedene Stärke der Partei in den einzelnen Wahlkreisen höchstens aus 3 Personen für jeden Wahlkreis bestehen darf. Ein neues Programm hat sich die Partei nicht gegeben, die alten Progamme aber auch nicht zurückgenommen. Angesichts der Kämpfe der und mit der wiederbefreiten Partei hat es daher ein hohes Interesse, die Hauptsätze der zwei älteren Programme sich wieder ins Gedächtnis zu rufen. Hiebei sind das Programm von 1869 und dasjenige von 1875 auseinander zu halten.

A. Programm vom August 1869 (Eisenach):

I. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt die Errichtung des freien Volksstaats.

II. Jedes Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei verpflichtet sich, mit ganzer Kraft einzutreten für folgende Grundsätze: 1) Die heutigen politischen und sozialen Zustände sind im höchsten Grade ungerecht und daher mit der grössten Energie zu bekämpfen. 2) Der Kampf für die Befreiung der arbeitenden Klassen ist nicht ein Kampf für Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für gleiche Rechte und gleiche Pflichten und für Abschaffung aller Klassenherrschaft. 3) Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von dem Kapitalisten bildet die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, und es erstrebt deshalb die sozialdemokratische Partei unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem) durch genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter '). 4) Die politische Freiheit ist die unentbehrlichste Vorbedingung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen. Die soziale Frage ist mithin untrennbar von der politischen, ihre Lösung durch diese bedingt und nur möglich im demokratischen Staat. 5) In Erwägung, dass die politische und öko

1) Vergl. jedoch Programm von 1875.

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nomische Befreiung der Arbeiterklasse nur möglich ist, wenn diese gemeinsam und einheitlich den Kampf führt, gibt sich die sozialdemokratische Arbeiterpartei eine einheitliche Organisation, welche es aber auch jedem Einzelnen ermöglicht, seinen Einfluss für das Wohl der Gesamtheit geltend zu machen. 6) In Erwägung, dass die Befreiung der Arbeit weder eine lokale noch nationale, sondern eine soziale Frage ist, welche alle Länder, in denen es moderne Gesellschaft gibt, umfasst, betrachtet sich die sozialdemokratische Arbeiterpartei, soweit es die Vereinsgesetze gestatten, als Zweig der internationalen ArbeiterAssoziation, sich deren Bestrebungen anschliessend.

III. Als die nächsten Forderungen in der Agitation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei sind geltend zu machen: 1) Erteilung des allgemeinen gleichen direkten und geheimen Wahlrechts an alle Männer vom 20. Lebensjahre an, zur Wahl für das Parlament, die Landtage, die Provinzial- und Gemeinde vertretungen, wie alle übrigen Vertretungskörper. Den gewählten Vertretern sind genügende Diäten zu gewähren. 2) Einführung der direkten Gesetzgebung (d. h.

Vorschlags- und Verwerfungsrecht) durch das Volk. 3) Aufhebung aller Vorrechte des Standes, des Besitzes, der Geburt und Konfession. 4) Errichtung der Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. 5) Trennung der Kirche vom Staat, und Trennung der Schule von der Kirche. 6) Obligatorischer Unterricht in Volksschulen und unentgeltlicher Unterricht in allen öffentlichen Bildungsanstalten. — 7) Unabhängigkeit der Gerichte, Einführung der Geschworenen- und Fachgerichte, Einführung des öffentlichen und mündlichen Gerichtsverfahrens und unentgeltliche Rechtspflege. 8) Abschaffung aller Press-, Vereins- und Koalitionsgesetze; Einführung des Normalarbeitstages; Einschränkung der Frauen- und Verbot der Kinderarbeit. 9) Abschaffung aller indirekten Steuern und Einführung einer einzigen direkten progressiven Einkommensteuer und Erbschaftssteuer. 10) Staatliche Förderung des Genossenschaftswesens und Staatskredit für freie Produktivgenossenschaf ten unter demokratischen Garantien 1).

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B. Programm der sozialistischen Arbeiterpartei 1875 (Gotha): I. Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, das heisst allen ihren Gliedern, das gesamte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner Arbeitspflicht, nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemässen Bedürfnissen. (Anm. Nach dem Programm von 1869: »der volle Arbeitsertrag für jeden Arbeiter!<) In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalisten klasse; die hierdurch bedingte Ab1) Vergl. jedoch den streng kollektivistischen Satz I Al. 3 im Gothaer Programm von 1875. Anm. d. R.

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